Nachdem meine Kolumne in letzter Zeit voller Zahlen und ziemlich vielen Erklärungen zu Statistiken waren, würde ich in dieser Woche gerne mal laut (über Lautsprecher) nachdenken.
Ich habe eine Theorie, hinter der – noch – fast keine Wissenschaft steckt; wahrscheinlich ist sie auch kaum zu beweisen – trotzdem liege ich bestimmt irgendwie richtig.
Ich denke, dass wir uns in Sachen Live-Radio auf die Ausgabe auf Lautsprecher und nicht auf Kopfhörer fokussieren sollten. Unsere Marketingstrategie für Live-Radio sollte sorgfältig sicherstellen, dass wir so viele Lautsprecher wie möglich erreichen.
Warum sage ich so etwas? Nun ja, es ist nur eine Theorie. Aber sicher keine ganz falsche.
Radio gilt als sehr gutes Multitasking-Medium. Schließlich hört man normalerweise Radio, während man gleichzeitig auch noch etwas ganz anderes macht – etwa Autofahren, Kochen oder in einem Geschäft zu arbeiten. Kopfhörer sind in diesen Situationen aus einer Vielzahl von Gründen unpraktisch – Kabel hängen im Weg, die Ohrhörer blenden Geräusche aus und behindern Gespräche. Lautsprecher dagegen funktionieren bestens in diesen Situationen.
Während sich viele Computerprogrammierer vom Kopfhörertragen bessere Konzentration versprechen, muss sich ein normaler Büroangestellter mit Unterbrechungen herumschlagen: das Telefon klingelt, Kollegen stellen Fragen, man geht zum Kaffeeautomaten – und so weiter. Kopfhörer bringen’s hier nicht, da man sie aufsetzen und absetzen muss, um mit anderen zu interagieren. Lautsprecher sind allerdings nicht laut genug, um sich Gehör zu verschaffen.
Das Audioprocessing der Radiosender wird hauptsächlich für Lautsprecher optimiert und produziert einen konstanten, klaren und verständlichen Sound. Mit Kopfhörern wird das Zuhören aber zu einer recht anstrengenden Erfahrung. Vor allem lange Werbeblöcke machen das Hören mittels Kopfhörer zur Qual (versuchen Sie es), während man mit einem Radio in einer Ecke eines Raumes irgendwie besser zurechtkommt.
Am auffälligsten ist, wie sehr wir mit Kopfhörern an unser Audiogerät gebunden sind – per Kabel oder Bluetooth. Das erfordert nämlich zwangsläufig, dass wir in Reichweite des Gerätes bleiben müssen. In öffentlichen Verkehrsmitteln oder in einer Schlange funktioniert das Tragen von Kopfhörern gut. Wir können zuhören und gleichzeitig können Finger und Augen sich mit anderen Dingen beschäftigen. Bestens geeignet also für Interaktion auf einem Bildschirm (mittels YouTube, einem Spiel oder Facebook) – weniger gut mit einem unveränderlichen Live-Stream.
Was bedeutet das in der Praxis?
Erstens: intelligente Lautsprecher wie Amazon Echo, Google Home oder Sonos? Diese Geräte sind das neue Radio: Sie können die Hördauer Ihres Senders vergrößern. Stellen Sie Ihre Verfügbarkeit auf diesen Geräten sicher (in den meisten Fällen sollten Sie eine landesweit verfügbare Technologie wie den Radioplayer in Betracht ziehen, die all dieses Zeug bereits beinhaltet – bis diese Plattform ohnehin der Radio-Industrie gehört).
Das bedeutet auch, dass Sie versuchen sollten, Ihre Station in eine Box in einem Wohnzimmer zu bringen: Jedes Land mit digitalem TV kann ein bisschen Bandbreite eines Fernsehsenders opfern und verkaufen, dort kann das Audio dann untergebracht werden (was einen Platz in den Kanal-Übersichten einbringt). 14% der Briten hören wöchentlich Radio mit ihrem Fernseher und machen die Mattscheibe damit zu einer bewährten Plattform.
Das könnte auch bedeuten, dass man sich auf eine wirklich gute Tablet-App konzentrieren sollte. Tablet-Computer sind zwar nicht so beliebt wie Handys, haben aber akzeptable Lautsprecher und werden daher oft ohne Kopfhörer benutzt. Setzen Sie lieber auf einen Stereo-Livestream anstatt auf diverse On-Demand-Inhalte!
Und die Handy-App? Ihren Live-Stream sollte sie unbedingt haben. Aber Sie sollten auf ihr mehr abrufbare Inhalte anbieten: Clips und Shows, Videofilmchen und Lektüre – also Dinge, die Augen und Finger beschäftigen.
Alles da oben beruht auf ein bisschen Ahnung. Ich kann keine großartigen Forschungsergebnisse über Lautsprecher gegenüber Kopfhörern anbieten, habe aber hierzu doch ein wenig ausgegraben.
Wie wird Radio gehört, über Lautsprecher oder Kopfhörer?
Alte Forschungsergebnisse von Edison Research – Infinite Dial 2014 – besagten, dass 13% der Hörer des Formats „Urban“ ihrer UKW/MW-Radios (einschließlich Streaming) mehrheitlich mittels Ohrhörer/Kopfhörer hören – die jüngeren und Technik-versierteren hören also zu 87% mittels Lautsprecher.
Und aktuelle Ergebnisse des britischen RAJAR zeigen (auf Seite 10), dass Audio auf Abruf scheinbar auf Smartphones (Kopfhörer?) viel beliebter ist, während auf Tablets und Laptops („Lautsprecher“?) Live-Radio das Beliebteste ist, das wir hören.
Also sollte Radio auf die Jagd nach Lautsprechern gehen und keine Kopfhörer bevorzugen? Gerne würde ich mehr Daten dazu sammeln, um diese Theorie zu sichern oder zu widerlegen. Wenn Sie irgendetwas dazu beitragen könnten oder einfach nur grundsätzlich nicht meiner Meinung sind, bin ich erreichbar unter james@crid.land
Der “Radio-Futurologe” James Cridland beschäftigt sich mit neuen Plattformen und Technologien und ihre Wirkung auf die weltweite Radiobranche. Er spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.cridland.net.