„Einen Hoch“ auf’s Radio!

viktor worms cam bigWas haben Gloria Gaynor, Frankie goes to Hollywood und Sarah Connor gemeinsam? Ihre Songs wurden Opfer einer selbstauferlegten „Enthaltsamkeit“ des Radios oder einzelner Sender. Das Wort Zensur ist mir als Keule etwas zu mächtig, hat doch keine Instanz diese Entscheidungen zum Nicht-Spielen je gefordert.

Bei den Stones und „I can get no Satisfaction“ reichte ein Wort, um von amerikanischen Sendern erst dann gespielt zu werden, als es gar nicht mehr anders ging. Es ist nicht überliefert, ob Mick Jagger und Co. sich jemals dafür bedankt haben. Daraufhin war der weltweite Durchbruch gesichert. Erst als jemand den Song übersetzt hatte, wurde er auch in Deutschland heiß diskutiert von selbsternannten Tugendwächtern, die den normalen deutschen Stones-Fan erst aufmerksam machte, auf das was die Jungs da eigentlich sangen. Wenn Connors „Vincent“ englisch gesungen wäre, hätten wir sicher diese Diskussion auch jetzt nicht, sind die meisten Kinder lang bevor sie englisch können doch schon aufgeklärt.

„I am what I am“ von Gloria Gaynor erlebte ein ähnliches Schicksal allein schon aufgrund der Vermutung, es handele sich um eine Hymne auf die Homosexualität und die Künstlerin war clever genug, dem auch nicht zu widersprechen, sich zurückzulehnen und den Erfolg und die damit verbundenen Dollar zu genießen. Frankie goes to Hollywood waren da noch „relax“ter allerdings auch in einer Zeit, in der man mit diesem Thema schon etwas offener umging. Eine deutsche Übersetzung hätte sich mit Sicherheit auch bei uns schwerer getan mit Plays in den öffentlich-rechtlichen und privaten Radiosendern, weil man Text und Absicht verstanden hätte.

Sarah Connor darf sich freuen: Ihr neuer Hit „Vincent“ ist auf Deutsch, wird verstanden und eine kleine Eröffnungszeile erregt die Gemüter, zumindest die einzelner Programmchefs im Lande, die sich fragen, ob Kinder welchen Alters auch immer ihren geplagten Eltern am Frühstückstisch dumme Fragen stellen könnten und ob man „Vincent“ deshalb besser beschneiden sollte. Freuen darf sie sich vor allem darüber, dass dieser hübsche kleine Song eine Aufmerksamkeit bekommen hat, die sie lange oder noch nie zuvor hatte – zumindest nicht mehr seit ihrer lautstarken Trennung von diesem Boygroup-Sänger, dessen Name mir grad nicht einfällt. Unabhängig davon, dass wir doch als Eltern alle in Ausreden geschult sind („Du der kriegt keinen Hoch heisst, der zieht um und hat so einen schweren Schrank, daß er ihn nicht in den zweiten Stock wuchten kann“), unabhängig davon, dass Kids, die so genau zuhören, wenn nicht von Eltern, so auf dem Schulhof oder vom Fernsehen längst aufgeklärt sind, hat dieser Sturm im Wasserglas um einen ganz normalen kleinen Schlager etwas wirklich Gutes: Aufmerksamkeit für das wunderbarste Medium, das zumindest ich kenne. Aufmerksamkeit durch die, die die Volksgesundheit gefährdet sehen, weil Vincent halt ein wenig „anders“ ist. Man regt sich auf – und das über Inhalt! Plötzlich werden wir zur Kenntnis genommen, werden von Bild bis SZ und Spiegel zitiert und sind im Gespräch.

Genau daraus sollten wir lernen. Durch diese etwas abstruse und weltfremde (Meinung des Autors) „Diskussion“ sind wir im Gespräch. Wenn wir eine Haltung einnehmen, haben wir immer noch die Kraft für Gesprächsstoff zu sorgen, kann Radio Relevanz ausstrahlen, finden auch wir mal wieder im gesellschaftlichen Diskurs statt, sind mehr als Abspielstation von Popmusik und Slogans. Das nenn‘ ich mal Frauenpower: Antenne Bayerns Ina Tenz, die eine Zeile rausschneiden möchte, und Antenne Thüringens Julia Schutz, die es zum Anlaß nimmt mit ihren Hörern darüber zu diskutieren und den Song im Original spielt, sorgen gemeinsam mit Sarah Connor für Gesprächsstoff und im Mittelpunkt steht das Radio, was es bewegen und was es „ausstrahlen“ kann. Und genau das brauchen wir, die wir dieses Medium lieben und als relevante Größe erhalten wollen in Zeiten von Spotify und Musikbibliotheken, in denen Musik eigentlich nur noch Kollateralnutzen für unsere Hörer darstellt. Es ist „das Wort“ und es sind Inhalte die Aufmerksamkeit erzeugen. Die Hörer – man sieht es an den vielfältigen Reaktionen – schenken uns mal wieder etwas mehr als nur ein Ohr und das ist super!

Apropos „ein Ohr“: Bevor jetzt der erste Programmchef auch gleich „Vincent“ von Don McLean aus dem Programm streicht: Hier geht’s um Herrn van Gogh und ich glaube, der war heterosexuell!


Über den Autor

Viktor Worms (Bild: WMP)
Viktor Worms (Bild: WMP)

Viktor Worms moderierte die ZDF Hitparade, war Programmdirektor bei ANTENNE BAYERN und ZDF-Unterhaltungschef. Er war in den vergangenen Jahren als Strategie- und Moderationscoach u.a. tätig für REGIOCAST, ZDF und das Bayerische Fernsehen, DRadio Wissen, bigFM, ROCK ANTENNE sowie die ARD.ZDF Medienakademie. Er ist seit 2015 Jurymitglied des Deutschen Radiopreises. Neben seiner Tätigkeit als TV Producer ist er Vorstand der Hugo-Tempelman-Stiftung sowie Beirat der Tabaluga Kinderstiftung.