Der Wettbewerb um die Gunst junger Hörer ist hart, knallhart. Wohl dem Marktteilnehmer, der sich in seinem Sendegebiet nur mit einem oder einer überschaubaren Zahl an Konkurrenzprogrammen auseinandersetzen muss – wie etwa in Nordrhein-Westfalen. In den meisten anderen deutschen Regionen geht es anders zur Sache. Wie etwa in Hessen, wo die Formate YOU FM (hr) und das private planet radio (Radio/Tele FFH) um die Marktführerschaft im jungen Segment kämpfen.
Allerdings werden im Bundesland auch die aus dem Süden und in das bevölkerungsreiche Rhein-Main-Gebiet einstrahlenden Programme wie bigFM gehört. Genauso wie in den westlichen Landesteilen 1LIVE – oder das über DAB+ verbreitete Deutschlandfunk Nova. Als wäre die Konkurrenz mit den Online-Diensten, Videoportalen, Streaminganbietern oder sozialen Netzwerken noch nicht groß genug. Für die Macher eine Fülle an Herausforderungen.
RADIOSZENE sprach mit planet radio-Programmchef Marko Eichmann über Inhalte und Entwicklung seines Formats.
RADIOSZENE: Herr Eichmann, zuletzt gab es ja immer wieder Diskussionen über die Zielgruppenansprache von Jugendradios. An welche jungen Zielgruppen ist planet radio heute adressiert, und welche Hörerschaft erreichen Sie laut Reichweitenforschung als Kerngruppen tatsächlich?
Marko Eichmann: Unser Durchschnittsalter bewegt sich seit Jahren unverändert um die 30 Jahre. Wir verstehen uns von jeher als jüngster Sender in Hessen. Wenn Sie durch die hessische Radiolandschaft zappen, werden Sie das auch sofort wahrnehmen.
RADIOSZENE: Lassen sich die Interessen „der Jugend“ überhaupt noch in einem Programm bündeln? Wie tolerant sind die Erwartungshaltungen der Generationen Y und Z an ein heutiges Hörfunkformat?
Marko Eichmann: Setzen Sie einen 14- und einen 29-Jährigen an einen Tisch. Worüber wollen sich beide unterhalten? Gerade im jungen Alter sind die jeweiligen Lebenswelten so weit auseinander und die Entwicklung unterschiedlich schnell. Das ist aber nicht neu. Wir versuchen deshalb ein Programm zu gestalten, das eine emotionale Klammer bildet. Das schaffen wir über die Säulen „Entertainment“, „Lifestyle“ und unsere „Moderatoren“.
RADIOSZENE: Das Programm steht in Hessen in Wettbewerb mit dem hr-Jugendradio YOU FM, in Randgebieten wie im Süden auch mit einstrahlenden Wellen wie bigFM. Wie grenzen Sie sich von der Konkurrenz ab?
Marko Eichmann: Wir schauen in erster Linie auf unser Bundesland. In Hessen sind wir seit über 20 Jahren Marktführer unter den jungen Programmen, trotz des gewaltigen Ungleichgewichts bei der terrestrischen UKW-Versorgung. Das gelingt uns sicher auch deshalb, weil wir bei der Themen- und Musikauswahl authentisch jung sind. Hier laufen keine Verbrauchertipps nach dem Motto „Worauf achte ich beim Kauf von Sommerreifen?“. Wir kreieren lieber eigene Talk-Abouts, mit denen wir versuchen, unsere Hörer zu begeistern.
„Seit wir mit den Videowalls im Studio auch ‚Visual Radio‘ anbieten, haben sich die Abrufzahlen bei den Webcams mehr als verdoppelt“
RADIOSZENE: Wie zufrieden sind Sie mit der letztjährigen Reichweitenerhebungen via Terrestrik und Online? Gibt es heute noch Potentiale, um neue Hörer zu generieren?
Marko Eichmann: Nach wie vor wird Radio vom Großteil der Nutzer über UKW empfangen, Online entwickelt sich sprunghaft – gerade bei der jungen Hörerschaft. Zum Beispiel mit unserem „Visual Radio“ haben wir einen deutlichen Mehrwert für unsere Hörer geschaffen – seit wir mit den Videowalls im Studio auch „Visual Radio“ anbieten, haben sich die Abrufzahlen bei den Webcams mehr als verdoppelt.
RADIOSZENE: Welche Musiktrends stehen bei Ihren Hörern derzeit besonders hoch im Kurs?
Marko Eichmann: Urbane Songs mit Latin-Einflüssen erobern unsere Playlist. „MIA“ von Bad Bunny feat. Drake, „Arms Around You” von XXXTENTACION X Lil Pump feat. Maluma & Swae Lee, oder „Say My Name“ von David Guetta feat Bebe Rexha & J Balvin. Das hat sich auch schon im vergangen Jahr abgezeichnet. Robin Schulz arbeitete für seinen Track „Oh Child“ mit der kolumbianischen Latingruppe „Piso 21“ zusammen.
RADIOSZENE: Die Musikausrichtung vieler junger Formate hat sich zumindest im Tagesprogramm angeglichen. Gespielt werden überwiegend aktuelle Songs aus unterschiedlichen Segmenten, die eben gerade im „Trend“ liegen. Vor einigen Jahren hatten die Programme eine Art festen musikalischen USP. planet radio, aber auch KissFM oder JamFM in Berlin, hatten eine hohe Fokussierung auf RNB, HipHop, Black Music. YOUFM versuchte sich eine Zeit mit Rock. Ist diese Zeit der musikalischen Schwerpunktbildung bei den jungen Formaten vorbei? Heißt es auch beim Radio nur noch „The Trend Is Your Friend“?
Marko Eichmann: Wir lassen uns auf kein Segment festlegen. Machen wir doch eine kleine Zeitreise: 1997 sind wir mit einer hohen Dosis Dance & Techno on air gegangen. „Scooter“ lieferten mit „Fire“ die erste Nummer für den Sendestart. Später hatten Künstler wie Destinys Child und Jay Z im Programm das Sagen, bevor dann Avicii und David Guetta relevant wurden. Zu seiner Zeit hatte das jeweilige Segment seine völlige Berechtigung – es war „the hottest shit“.
Desweiteren passt sich jeder Sender seinem Markt an. Wir machen hier in Hessen auch Programm für eine ländliche Region. Manche Hörer fahren am Wochenende teilweise über eine Stunde, um Großstadtfeeling mit Clubs und Bars in Frankfurt zu erleben. Andere bleiben lieber in ihrer Umgebung und fahren zur nächsten Kirmes im Nachbarort. Selbstverständlich, dass deshalb Berliner Großstadtsender anders klingen als landesweite Formate wie planet radio.
RADIOSZENE: An welchen Trendbarometern orientieren Sie sich – Charts, YouTube, Spotify, Airplay? Welche Rolle spielen dabei Musiktests und Entscheidungen der Musikredaktion?
Marko Eichmann: Wir schauen auf alle uns zur Verfügung stehenden Daten und gewichten. Die klassischen Airplaycharts interessieren uns aber herzlich wenig. Picken reichweitenstarke Mainstream-Stationen wie zum Beispiel Antenne Bayern hier einen Song, rutscht das Teil gleich weit nach oben. Da lohnt sich für uns kein Blick auf diese Auswertungen.
Sehr wichtig auch: die Erfahrung und das Wissen der Kollegen in unserer Musikredaktion. Nur mit einer gesunden Kombination aus Kopf und Bauch können wir ein erfolgreiches Programm gestalten.
„Radio ist ein Gemeinschaftsgefühl und begeistert mit dem richtigen Mix aus Emotionen, Informationen und Aktionen. Das ist das Besondere, die Magie von Radio“
RADIOSZENE: Wie gehen Sie grundsätzlich mit dem Thema Streaming um? Chance oder Gefahr für das Radio?
Marko Eichmann: War der Plattenladen in der Fußgängerzone eine Gefahr für Radio? War die CD-Abteilung im Media Markt ein Risiko für Radio? Wir sind kein Streaming-Anbieter und wollen das auch gar nicht sein. Radio lebt von Nähe und Regionalität. Radio ist ein Gemeinschaftsgefühl und begeistert mit dem richtigen Mix aus Emotionen, Informationen und Aktionen. Das ist das Besondere, die Magie von Radio.
RADIOSZENE: Der Blick auf Spotify oder die Charts zeigt dort einen sehr hohen Anteil an Rap/HipHop. Wie stark berücksichtigen Sie das Genre bei planet radio? Ist die Nachfrage der Hörer tatsächlich so immens wie die Streaming-Dienste dies signalisieren?
Marko Eichmann: Die urbane Musik zog zur Zeit des Millenniums-Wechsel in unser Programm ein und ist seit dem ein fester Bestandteil. Mit unseren DJ-Shows, eigenem Channel und DAB+Kanal sind wir bestens aufgestellt. Wenn es allerdings heißt, dass Capital Bra–Songs erfolgreicher als ABBA sein sollen – so die Schlagzeile vor ein paar Wochen – vergleicht man hier Äpfel mit Birnen. Da würde ich mir doch generell mal einen genaueren Blick auf die Fakten und wie diese Zahlen zustande kommen wünschen.
RADIOSZENE: Gibt es bei planet radio Grenzen bei der Ausstrahlung bestimmter einschlägiger deutscher Texte?
Marko Eichmann: Selbstverständlich. Ist ein Song moralisch oder ethisch nicht vertretbar, findet er bei uns nicht statt. Die Lyrics aber einfach nur nach Worten von der „Blacklist“ abzusuchen, wäre zu einfach. Viele Acts benutzen sie als Stilmittel, da gilt es genau hinzuhören.
RADIOSZENE: Ist die Gestaltung der Musik bei jungen Radioformaten über die Jahre generell schwieriger geworden?
Marko Eichmann: Einfacher sicher nicht. Für einen Großteil unsere Zielgruppe – der Generation Z – ist es selbstverständlich, über Musik sofort und überall zu verfügen. Diese Flatrate führt dazu, dass die Leidenschaft für einzelne Songs nicht mehr so stark ist und auch schneller abflaut. Dies müssen wir bei der Planung verstärkt berücksichtigen. Dass einige wichtige Themen seitens der Labels öfter zuerst bei Streamingdiensten landen und erst zeitverzögert dem Radio zu Verfügung gestellt werden, erschwert die Arbeit zusätzlich.
RADIOSZENE: planet radio verfügt in Netz über eine Reihe an Spartenstreams. Wie wichtig sind diese für das Gesamtkonstrukt und wie intensiv werden sie tendenziell genutzt?
Marko Eichmann: Alle unsere Channels basieren auf den erfolgreichen Shows unserer DJs. Hier war es uns wichtig, dass wir nicht irgendeinen Kanal aufsetzten, sondern eine Brücke zum Hauptprogramm bauen. Die bekannten Sendungen leben so als 24-Stunden-Stream weiter.
„DJ-Shows stärken unsere Kredibilität bei Hessens jungen Hörern“
RADIOSZENE: Gleiche Frage muss man auch in Richtung der DJ Shows am Abend stellen: während Ihr Mitbewerber YOU FM seine Musik Specials weitgehend eingestellt hat, setzen Sie am Abend auf DJ Sets wie „Oldschool“ oder „Black Beats“. Gibt es für diese Formate noch ausreichend Hörer?
Marko Eichmann: Im Tagesprogramm möchten wir eine möglichst breite Hörerschaft ansprechen. Am Abend hingegen haben wir die Möglichkeit, unsere Kompetenz als junges, zeitgemäßes Radioprogramm zu stärken. Die DJ-Shows helfen uns dabei und sind deshalb zur festen Größe in unserem Programm geworden.
Manche Formate touren mit ihren DJs durchs gesamte Bundesland und aus den „planet radio black beats“ ist im Herbst vergangenen Jahres ein eigener DAB+ Kanal für Nord- und Osthessen entstanden.
Das zeigt: egal ob Electro oder Hip Hop – die verschiedenen DJ-Shows stärken unsere Kredibilität bei Hessens jungen Hörern.
RADIOSZENE: Im Programm findet sich eine Reihe an Moderatoren, die bereits seit geraumer Zeit bei planet radio zu hören sind – offenbar mit hoher Strahlkraft bei den Hörern. Heute ein/das entscheidende(s) Kriterium für ein junges Radioformat?
Marko Eichmann: Wir setzten bei planet radio schon lange konsequent auf unsere Moderatoren. Sie sind für unsere Hörer gleichzeitig vertraute Stimmen, Guide und Influencer aus der Nachbarschaft.
Ed Sheeran bekommt man überall – Aisha moderiert aber nur bei planet radio. Unsere Morning-Show-Moderatorin Leni hat im vergangenen Herbst ihren Hörern verraten, dass sie schwanger ist. So viel positives Feedback und Glückwünsche erreichen uns nicht, wenn wir die neue Robin Schulz-Single spielen. Dabei achten wir besonders auf „Authentizität“. Verändern sich die Lebenswelten der Moderatoren zu stark, wird es schwierig im jungen Segment. Viele Kollegen wie Daniel Fischer, Evren Gezer oder zuletzt Daniel Franzen fanden so intern neue Herausforderungen bei den Kollegen von FFH. Selbstverständlich braucht es neben vertrauten Stimmen auch immer wieder überraschendes und frisches. Mit Johan Kurzenberg haben wir im Sommer 2018 ein neues, junges Talent präsentiert, der perfekt on air und online den Vibe unseres Programmes transportiert.
„Ed Sheeran bekommt man überall – Aisha moderiert aber nur bei planet radio“
RADIOSZENE: Welche Schwerpunkte setzen Sie bei der Ausrichtung Ihrer redaktionellen Programminhalte?
Marko Eichmann: Wir kreieren viele Themen rund um unsere Moderatoren. Sie sind die Brücke zum Hörer. Ein Beispiel: Unser Morningshow-Moderator Johan ist im letzten Jahr umgezogen und hat einige Hörer zu sich nach Hause eingeladen. Das kam nicht als großangelegte Promotionaktion rüber, sondern ganz gemütlich, authentisch und spontan. Es gab ein paar Kisten Bier und Pizza vom Lieferdienst auf dem Balkon. So wie es eben ist, wenn man gerade umzieht und die Küche noch nicht funktioniert. Das bilden wir on air und online großflächig ab und unsere Hörer erleben, dass ihr Moderator einer von ihnen ist, nicht in einer schicken Taunusvilla wohnt und mit dem Porsche vorfährt. So entstehen unique Programminhalte, die unsere Hörer dauerhaft an uns binden sollen.
RADIOSZENE: Der Hörer hat heute mit seinem Smartphone eine vielfältige Auswahl an allzeit verfügbaren Diensten, die früher in kompakter Form das Radio geleistet hat. Wie News, Service oder Lifestyle. Mit welchen Strategien und Angeboten kontern Sie dieser Entwicklung, um auf Dauer nicht entbehrlich zu werden?
Marko Eichmann: Wir definieren uns nicht als Servicesender, sondern als Lifestyleprodukt. Dementsprechend müssen wir in der Programmfläche „Talk Abouts“ kreieren, die den Hörer begeistern und die er nur bei uns bekommt.
Manche stündlich wiederkehrende Elemente haben dafür in den letzten Jahren bei uns an programmlicher Prominenz verloren. Beispiel „Wetter“. Unsere Hörer schlafen mit dem Handy im Bett ein und wachen damit morgens auf. Die wollen sofort wissen, wie das Wetter jetzt und heute in ihrer Straße wird und nicht von einem Wetteronkel erst irgendwann nach den Nachrichten hören, ob es vom hessischen Upland her beginnt zu frösteln. Auf der anderen Seite setzen wir viel Wert auf zielgruppenaffine Nachrichten. Wir sind das einzige private Jugendprogramm in Deutschland, das sich eine eigene Nachrichtenredaktion leistet, während woanders „die alten“ mal schnell die News für „die jungen“ verfassen. So klingts dann auch.
RADIOSZENE: Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Online-Strategie? Wie gehen Sie mit dem Thema Podcasts um?
Marko Eichmann: Unsere Hörer sollen uns nicht zu den Uncoolen zählen, die bei Facebook „wer gibt dir heute ein Eis aus?“-Postings verfassen. Das hat nichts mit dem Programm zu tun, macht uns nur zu einem von vielen – darauf verzichten wir gerne. Im Social Media -Bereich haben sich die Präferenzen unserer Hörer sowieso stark Richtung Instagram verschoben. Hier sind wir mit Stories unserer Moderatoren und Postings täglich präsent. Hier zeigen die Gesichter unseres Senders, was man mit planet radio erleben kann. Wir haben außerdem ein paar schöne Podcast-Ideen in der Pipeline und relaunchen in den nächsten Wochen unserer Homepage und App.
„Wir sind das einzige private Jugendprogramm in Deutschland, das sich eine eigene Nachrichtenredaktion leistet, während woanders ‚die alten‘ mal schnell die News für ‚die jungen‘ verfassen. So klingts dann auch“
RADIOSZENE: Lassen Sie uns ein wenig nach vorne blicken: wie müssen junge Radios – und planet radio im Besonderen – aufgestellt sein, um Hörer auch in Zukunft an das Radio zu binden?
Marko Eichmann: Echt, nah, nicht abgehoben und auf allen Endgeräten, die unsere Hörer nutzen, verfügbar.