Walter Schmich: „Wenn die Musik nicht stimmt, hört auch keiner die noch so guten Beiträge“

BR-Funkhaus in München (Bild: BRmedia/Lukas Barth)
BR-Funkhaus in München (Bild: BRmedia/Lukas Barth)

Die Verantwortlichen der Hörfunkflotte des Bayerischen Rundfunks konnten bei den anlässlich der ma 2018 Audio II gemessenen Tagesreichweiten (Montag bis Sonntag) auf durchweg stolze Zahlen verweisen: BAYERN 1 untermauerte seine Spitzenposition im Freistaat, BAYERN 3 ist näher an Antenne Bayern herangerückt und Bayern 2, BR-KLASSIK und B5 aktuell gewannen weitere Hörer hinzu. Das terrestrisch ausschließlich über DAB+ verbreitete Volksmusikprogramm BR Heimat wurde mit einem respektablen Wert von 124.000 Hörern erstmals in der Media Analyse gelistet. Noch keine Zahlen liegen für Bayern plus (Schlager) und PULS (Jugend) vor, die ebenfalls via DAB+ verbreitet werden. 

MusicMaster: Immer perfekte Playlists. Für Bayern.

Gute Nachrichten also. Gleichwohl bastelt man im Münchener Funkhaus am Rundfunkplatz weiter an Optimierungen. So wurden beispielsweise zu Jahresbeginn die beliebten Talksendungen neu ausgerichtet und der Abend auf BAYERN 3 umgestaltet.

Walter Schmich ist Leiter des Programmbereichs BAYERN 1 – BAYERN 3 – PULS. Im Gespräch mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht er über die aktuelle Programmentwicklung der von ihm verantworteten Wellen. Walter Schmich, nicht verwandt mit dem Fragesteller, ist seit 2014 auch stellvertretender Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks.

Walter Schmich (Bild: ©BR)
Walter Schmich (Bild: ©BR)

RADIOSZENE: Herr Schmich, wie zufrieden sind Sie mit der inhaltlichen Entwicklung und den Reichweiten der unter Ihrer Verantwortung stehenden Programme BAYERN 1, BAYERN 3 und PULS?

Walter Schmich: Mehr als zufrieden. Als wir vor drei Jahren unsere beiden Flaggschiffe BAYERN 1 und BAYERN 3 inhaltlich und musikalisch neu ausgerichtet haben, hätte ich nie gedacht, dass sich derart große Erfolge so schnell einstellen würden. Wir haben inzwischen mit BAYERN 1 das meistgehörte Radioprogramm in Bayern und mit BAYERN 3 ein verjüngtes Programm, das vor allem bei den unter 40-Jährigen eine sehr starke Marktposition innehat. Mit beiden Programmen sind wir in den Top Ten der erfolgreichsten Radioprogramme in Deutschland und erreichen fast sechs Millionen Hörerinnen und Hörer. Mit PULS erzielen wir auch extrem hohe Reichweiten und zwar genau dort, wo sich das jüngste Publikum befindet: im Netz. Mit PULS ist es uns gelungen, junge User wieder in großer Zahl für öffentlich-rechtliche Inhalte zu begeistern – sowohl mit Unterhaltungsformaten als auch mit investigativ-journalistischen Angeboten.

 

„Mit PULS erzielen wir auch extrem hohe Reichweiten und zwar genau dort, wo sich das jüngste Publikum befindet: im Netz“

 

RADIOSZENE: PULS steht – vor dem Hintergrund der sich rasch wandelnden Nutzungsgewohnheiten junger Menschen und der fortschreitenden Erfolgsgeschichte von Spotify & Co. – sicher vor großen Herausforderungen. Hinzu kam ein Wechsel im Management der jungen Welle. Wo setzen Sie bei der weiteren Entwicklung des Programms die Hebel an?

Walter Schmich: So wie wir vor einigen Jahren vor allem auf die Entwicklung neuer Bewegtbildformate gesetzt haben und diesen Weg – wie oben beschrieben – sehr erfolgreich gegangen sind, steht in nächster Zeit die Entwicklung neuer Audio-Formate im Fokus. Da erzielen wir bereits erste Erfolge, wie zum Beispiel mit unseren Podcasts „Im Namen der Hose“ oder „Schacht & Wasabi“, dem Deutschrap-Podcast. Ganz aktuell haben wir mit „Skip Intro“ ein weiteres interessantes Podcast Format an den Start gebracht, das viele interessieren dürfte – schließlich beschäftigen wir uns da mit dem erfolgreichen Thema „Serien“. Gerade im Audio-Bereich tut sich derzeit sehr viel und da kann PULS als „junger Motor im BR“ sehr viele neue Dinge ausprobieren. Podcast ist sicherlich nur ein Teil des Ganzen, es geht bei PULS aber nicht nur um die Entwicklung neuer Formate, sondern auch darum, die Nutzung neuer Ausspielwege zu erschließen.

SportFLO Show bei BR Puls (Bild: ©BR)
SportFLO Show bei BR Puls (Bild: ©BR)

RADIOSZENE: PULS sendet im Gegensatz zu vergleichbaren Angeboten der ARD ein Format, das – vor allem bei der Musik – eher jenseits des Mainstream angesiedelt ist. Gleichzeitig steht man in hartem Wettbewerb mit einer relativ großen Zahl bayerischer Jugendradios. Werden Sie dieses Konzept auch künftig so fortführen?

Walter Schmich: Im musikalischen Bereich sind wir mit PULS in einem Feld unterwegs, das außer uns kaum ein bayerisches Jugendradio beackert. Wir sehen es als Teil unseres öffentlich-rechtlichen Auftrags dieses Segment zu bedienen. Außerdem wollen wir mit der PULS Musik auf all unseren Ausspielwegen weiterhin Newcomer Förderung betreiben, das ist mir schon immer ein Anliegen gewesen. Dabei waren wir in den vergangenen Jahren ganz erfolgreich und bei Künstlern wie Milky Chance, AnnenMayKantereit oder auch Alice Merton – um nur drei exemplarisch zu nennen – würde ich PULS durchaus als Wegbereiter für die weiteren Karriereschritte bezeichnen.

Das Puls-Studio (Bild: ©BR pus)
Das Puls-Studio (Bild: ©BR pus)

RADIOSZENE: Ihr Jugendradio sendet wie einige weitere Programme des BR terrestrisch ausschließlich über DAB+. Wie rasch wird PULS hier soweit Fuß fassen, um auch in der Media Analyse ausgewiesen zu werden?

Walter Schmich: Grundsätzlich haben wir im BR mit DAB+ sehr gute Erfahrungen gemacht. „BR Heimat“ – als das wahrscheinlich erfolgreichste DAB+ Radio in Deutschland überhaupt – wird bereits in der MA ausgewiesen und beweist, dass man durchaus große Erfolge über DAB+ erzielen kann, wenn die Zielgruppe und das Angebot passen. Für PULS ist DAB+ einer von vielen Ausspielwegen, über den wir auch einen Teil unseres Publikums erreichen. Zweifelsohne gelingt das bei der von uns angesprochenen sehr jungen Zielgruppe über andere Ausspielwege im digitalen Bereich derzeit besser.

RADIOSZENE: Ihr derzeit erstes Flaggschiff, zumindest was die Reichweiten angelangt, heißt BAYERN 1. Wie erklären Sie sich diese hohe Hörerbindung, die Ihnen ja letztlich die Marktführerschaft im Freistaat beschert hat?

Bayern1Walter Schmich: Im vergangenen Jahr wurde BAYERN 1 bei World Wide Radio Summit in Los Angeles als „Heritage Brand“ oder auch als „Iconic Brand“ bezeichnet, also als „Traditions- oder Kultmarke“ und ich glaube, das sind wir auch. Wir bieten mit BAYERN 1 unserem Publikum, das, was es von uns erwartet. Mit der Riesen-Bandbreite an gespielter Pop- und Rockmusik von den 70ern bis in die heutige Zeit sind wir im Markt ziemlich alleine auf weiter Flur. Wir erreichen die so genannten Baby-Boomer Generation auch deshalb sehr gut, weil wir die Musik aus ihrer Jugend voll abdecken, ihnen aber auch in der Mischung noch die dazu passenden aktuellen Songs anbieten. Mit der musikalischen Neuausrichtung, die wir vor über drei Jahren eingeleitet haben, ist uns auch der endgültige Imagewechsel vom Schlager zum Pop- und Rocksender gelungen. Daher konnten wir viele neue Hörerinnen und Hörer dazugewinnen, die eben mit derzeitigen Charts-Künstlern wie Capital Bra, Sido oder Robin Schulz weniger anfangen können. Hinzu kommt die unaufgeregte Art unserer On-Air Personalitys, die allesamt die Sprache unserer Hörerinnen und Hörer sprechen und die tiefe Verankerung des Programms in Bayern mit vielen Themen, über die man in Bayern spricht. Nicht zu vergessen ist die sehr erfolgreiche Morningshow, was ja in der Regel die schon die halbe Miete für ein erfolgreiches Radioprogramm ist.

 

„Im vergangenen Jahr wurde BAYERN 1 bei World Wide Radio Summit in Los Angeles als ‚Heritage Brand‘ oder auch als ‚Iconic Brand‘ bezeichnet, also als ‚Traditions- oder Kultmarke‘ und ich glaube, das sind wir auch“

 

RADIOSZENE: In diesem Programm sind inzwischen eine gute Zahl ehemaliger BAYERN 3-Moderatoren mit Musikspezialsendungen hören. Offensichtlich mit ein Erfolgsgarant. Wie viele Hörer sind mit diesen Personalitys mit nach BAYERN 1 gewandert? Wie wichtig sind diese Moderatoren generell für das Radio beziehungsweise BAYERN 1?

Walter Schmich: Man kann das ja nicht in Zahlen messen und wir können auch keine gezielten „Hörerwanderungen“ von BAYERN 3 zu BAYERN 1 feststellen. Wichtig ist für mich, dass die von Ihnen angesprochenen Kollegen auch das mit ihnen verbundene Image der kompetenten Pop- und Rockmusikmoderatoren mitgebracht haben. Die Sendungen am Abend, die ja verschiedene Musikrichtungen widerspiegeln, tragen auch mit zur musikalischen Imageänderung des gesamten Programms bei. Im Übrigen wird diese Programmschiene ja nicht nur von ehemaligen BAYERN 3-Moderatoren bestritten, sondern auch von Kolleginnen und Kollegen, die schon lange bei BAYERN 1 fest im Sattel sitzen.

Jürgen Herrmann, Fritz Egner und Thomas Gottschalk beim Start des Bayern 3-Kultabends 2013 (Bild: BR/Wilschewski)
Jürgen Herrmann, Fritz Egner und Thomas Gottschalk beim Start des Bayern 3-Kultabends 2013 (Bild: BR/Wilschewski)

RADIOSZENE: Wie beliebt sind diese Shows von Gottschalk, Egner & Co. am Abend? Andere Sender haben eher Musikformate dieser Art gestrichen und setzen auf großflächige Magazinstrecken …

Walter Schmich: Diese Sendungen erfreuen sich großer Beliebtheit, das sehen wir auch an den Reaktionen unserer Hörerinnen und Hörer. Auch wenn die Reichweite am Abend nicht mehr die einer Morningshow ist, so tragen diese Sendungen doch auch ihren wichtigen Teil zum Gesamterfolg des Senders bei. Ich glaube, gerade ein Thomas Gottschalk bei BAYERN 1 hat viele Hörer meiner Generation aufhorchen lassen. Die 60er und 70er Geburten-Jahrgänge sind in Bayern in ihrer Jugend vor allem mit dem damaligen B3 musikalisch sozialisiert worden, und da gab es auch nur wenige Moderatoren, die damals Pop- und Rockmusik gespielt haben. Das waren hauptsächlich Jürgen Herrmann, Fritz Egner und vor allem Thomas Gottschalk mit seinem täglichen „Pop nach 8“ – und wenn der dann plötzlich bei BAYERN 1 sendet, dann kann das definitiv kein Schlagersender mehr sein … Auf diese Art und Weise konnten wir sicher Hörerinnen und Hörer dazu bewegen, mal BAYERN 1 einzuschalten, obwohl viele noch lange dachten, es handle sich um einen Schlagersender. Das Image hat sich sehr lange gehalten, obwohl BAYERN 1 bereits seit 1996 keine Schlager mehr im Programm hatte.

RADIOSZENE: Zuletzt konnten Sie auch steigende Zahlen bei BAYERN 3 vermelden. Wie viele Hörer konnten Sie hier von Privatfunk gewinnen? Über welche besonderen Charakteristika unterscheiden sich Musik und Programminhalte von Ihrem wichtigsten Mitbewerber Antenne Bayern?

Walter Schmich: Grundsätzlich möchte ich wenig über das Programm von Mitbewerbern sagen. Durch die Neuausrichtung unserer beiden Flaggschiffe – BAYERN 1 und BAYERN 3 – vor über drei Jahren hat sich das Ziel bei BAYERN 3 klar in Richtung der unter 40-Jährigen verschoben. Dadurch sind wir vor allem in der Musikauswahl wesentlich fokussierter geworden – wurden beispielsweise bis zu diesem Zeitpunkt auch noch 80er Titel im Programm gespielt, so finden diese mittlerweile konsequent nur noch bei BAYERN 1 statt. Vielleicht liegt darin schon mal ein Unterschied. Auch sind wir in der Ansprache direkt am jungen Publikum, indem wir auf das klassische Siezen verzichten.

Thorsten Otto (Bild: ©BR/Markus Konvalin)
Thorsten Otto (Bild: ©BR/Markus Konvalin)

Darüber hinaus erweitert der BR ja gerade sein Korrespondentennetz in Bayern – dadurch haben wir auch mehr Themen aus allen Regionen des Freistaats im Programm. Ich lege schon Wert darauf, dass es sich bei unseren massenattraktiven Programmen um Unterhaltungsprogramme mit öffentlich-rechtlichem Charakter handelt. So stehen beispielsweise bei der Nachfolgesendung zu „Mensch Otto“ (die Talksendung findet ja mittlerweile zur gleichen Sendezeit in BAYERN 1 statt – „Die Blaue Couch“ mit Gabi Fischer und Thorsten Otto) in BAYERN 3 wieder Inhalte und Geschichten im Vordergrund, diesmal mit dem Fokus auf Bayern – konsequenterweise heißt das Format deshalb auch „Mensch Bayern“. Wir haben da eben nicht auf eine reine Musikstrecke gesetzt – auch das dürfte ein Unterscheidungskriterium sein.

 

„Ich lege schon Wert darauf, dass es sich bei unseren massenattraktiven Programmen um Unterhaltungsprogramme mit öffentlich-rechtlichem Charakter handelt“

 

RADIOSZENE: Spätestens seit Einbeziehung der Online-Nutzung in die ma Audio ist die Web-Verbreitung der Programme von immenser Bedeutung. Wie zufrieden sind Sie mit den Zugriffszahlen Ihrer Programmangebote im Netz beziehungsweise via App?

Walter Schmich: Es ist wichtig, zwischen Simulcast Angeboten, Smart Audio und eigenständigen Digitalformaten auf Drittplattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram zu unterscheiden, da die Reichweitenhebel sehr unterschiedlich sind. Wie wir die Nutzung unseres digitalen Angebots gestalten, hängt immer vom Ziel ab, das wir mit dem jeweiligen Format verfolgen. Als öffentlich-rechtliches Angebot ist es uns wichtig, relevante Themen für die Nutzer aufzugreifen und einzuordnen. Wenn wir Events und Aktionen in und für ganz Bayern auf die Beine stellen wie zum Beispiel das BAYERN 3 Dorffest oder das PULS Open Air wollen wir mit unseren Digitalangeboten ganz Bayern daran teilhaben lassen. Die Resonanz auf die einzelnen Angebote ist sehr gut und insofern sind wir mit den Zugriffszahlen auch sehr zufrieden.

PULS OPEN AIR-Pyramidenbühne (Bild: ©BR/ Fabian Stoffers)
PULS OPEN AIR-Pyramidenbühne (Bild: ©BR/ Fabian Stoffers)

RADIOSZENE: Viele private Mitbewerber rüsten immer stärker auf bei der Zahl ihrer Musiksparten-Kanäle im Netz, RTL Radio experimentiert mit personalisierten Musikangeboten. Hier haben Sie der gesetzlichen Beschränkungen wegen derzeit wenig entgegen zu setzen. Reicht dies aus, um auf Dauer Hörer binden zu können?

Walter Schmich: Personalisierung und das Bedienen von bestimmten Sparten gibt es in der digitalen Welt schon seit langem – oft mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Als Ergänzung zum eigentlichen Angebot kann das durchaus spannend sein. Was die Nutzer in unserer fragmentierten digitalen Welt jedoch viel mehr schätzen, ist das Original: BAYERN 1 und BAYERN 3 als zuverlässige, datensparsame und vertrauenswürdige Marken und Begleiter in einer immer komplexeren Digitalwelt. In dieser wiederum hält sich PULS hauptsächlich auf und gibt Einordnungen und Einschätzungen. Natürlich können wir derzeit – wie Sie schon erwähnen – unser Angebot nicht einfach erweitern, wie das andere machen. 

RADIOSZENE: Durch die stärkere zeitsouveräne Nutzung des linearen Hörfunks kommen den Mediatheken und Podcast eine immer stärkere Bedeutung zu. Ist diese Entwicklung bereits nachhaltig spürbar und wie begleitet der BR diesen Trend?

Walter Schmich: Beim Thema Podcast gilt: Im Vergleich zu den reichweitenstarken linearen UKW, DAB+ und Livestream-Angeboten von BAYERN 1 und BAYERN 3 sind Podcasts weiterhin ein Nischenprodukt – übrigens auch in der Welt der Smart Speaker. Podcasts haben sich in bestimmten Bereichen dennoch sehr gut entwickelt, gerade bei hochwertigen Wissens- und Gesprächsinhalten oder innovativen Unterhaltungsformaten. Da ist der BR schon sehr gut unterwegs. Mit PULS entwickeln wir viele erfolgreiche Podcast-Formate speziell für die junge Zielgruppe. Mit diesen innovativen Inhalten erreichen wir die junge Zielgruppe direkt auf den von ihr genutzten digitalen Plattformen wie zum Beispiel Spotify. Mit PULS gehen wir jetzt auch bei Audio den im Bewegtbildbereich bereits erfolgreichen Weg des „Online first“. Das heißt, neue Formate werden zunächst beispielsweise als Podcast geplant und erstellt und danach für den klassischen Ausspielweg DAB+ konfektioniert. Früher war das genau umgekehrt. Podcast-Formate wie etwa. der sehr erfolgreiche PULS-Sex- und Aufklärungspodcast „Im Namen der Hose“ beweisen, es funktioniert – das Format wird mittlerweile 1:1 von anderen Jugendsendern der ARD im UKW Programm ausgespielt.

 

„Neue Formate werden bei PULS zunächst beispielsweise als Podcast geplant und erstellt und danach für den klassischen Ausspielweg DAB+ konfektioniert. Früher war das genau umgekehrt“

 

RADIOSZENE: Lange sah es danach aus, dass dem Radio sein Privileg als „Musikentdecker“ für die Hörer abhanden gekommen sei. Mit der heute offensichtlichen Bedeutungslosigkeit von Musikfernsehen, dem vermehrten Ableben der Musikfachpresse sowie einer in diesem Bereich eher unübersichtlichen Online-Landschaft ohne wirkliche Kompetenz, müsste sich doch zumindest das öffentlich-rechtliche Radio wieder auf die hier möglichen Stärken besinnen. Was tun die BR-Programme um ihre Musik-redaktionelle Inhalte zu schärfen oder gar auszubauen?

Walter Schmich: Bei der Neuausrichtung von PULS haben wir sehr viel Wert daraufgelegt, dass wir weiterhin unsere Musikkompetenz auch darin beweisen, immer wieder neue Künstlerinnen und Künstler zu entdecken und zu fördern. Einige Beispiele habe ich ja oben bereits erwähnt. Das Format „Startrampe“ möchte ich hinzufügen, mit dem wir seit vielen Jahren Musikerinnen und Musiker am Anfang ihrer Karriere in allen relevanten Bereichen unterstützen. Hinzu kommen viele Dinge wie zum Beispiel der Deutschrap Podcast „Schacht und Wasabi“ oder der erst kürzlich gestartete YouTube Channel „PULS Musik“, mit dem wir bereits große Erfolge feiern können. Die Themen dabei haben ein riesiges Spektrum von „Wie entsteht eigentlich ein Popsong? Wir produzieren mit unserer Moderatorin Ariane Alter innerhalb von 24 Stunden einen Hit“ bis hin zu „Wir decken Schleichwerbung in Rap-Videos auf“. Von diesen Inhalten kann dann auch BAYERN 3 profitieren, indem man hier genau diese Themen dann wieder aufgreift oder auch einen von PULS bereits geförderten Künstler in die Playlist aufnimmt. Auch die BAYERN 3 Musikredaktion hat ja immer wieder das Gespür, neue Künstler zu entdecken (siehe „Josh.“ 2018). Dabei arbeiten die Musikredaktionen des gesamten Programmbereichs sehr gut zusammen – BAYERN 3 sehe ich quasi als „Scharnier“ zwischen PULS und BAYERN 1. Bei letztgenanntem Programm liegt der Fokus im musikredaktionellem Bereich natürlich nicht im „Newcomer-Entdecken“, sondern im sinnvollem Einbau neuerer Titel in die Playlist, die unseren Hörerinnen und Hörern gefallen, die eigentlich in erster Linie die große musikalische Bandbreite an Hits aus vielen Jahrzehnten hören möchten. Bei BAYERN 1 schätzt der musikinteressierte Teil des Publikums vor allem die Musikkompetenz der Moderatorinnen und Moderatoren in den oben genannten Abendsendungen. 

 

„Mein Credo lautet seit vielen Jahren: Wir brauchen starke Persönlichkeiten an den Mikrofonen gepaart mit guten Geschichten und vor allem regionalen Informationen“

 

RADIOSZENE: Radioberater haben zuletzt eine Rückentdeckung des Wortes angemahnt. So habe Radio vor dem Hintergrund von Streaming und intelligenter Servicedienste bei den Hörern inzwischen seine alternativlose Bedeutung für die Hörer bei Musik oder Service verloren. Gepunktet werden könne nur noch beim gesprochenen Wort wie etwa „dem Erzählen von Geschichten, die die Fantasie der Hörer anrege“. Das hieße ja im Umkehrschluss für Sie: Heruntergewichtung von Musik, Verkehrsfunk und ähnlichen Diensten – vielleicht sogar der Nachrichten. Und: die verstärkte Bündelung der Ressourcen auf das „Geschichtenerzählen“. Was halten Sie von diesem Vorschlag, ist dies die Rettung des Radios?

Walter Schmich: Ich finde es schon einigermaßen erstaunlich, dass jetzt von vielen, die früher fast jeden etwas zu langen Wortbreak „verteufelt“ haben, die „Rückentdeckung des Wortes angemahnt“ wird. „Storytelling“ als DAS Zauberwort und die Formel für Erfolg im Radio … Als wir vor ziemlich genau zehn Jahren unsere tägliche Talksendung „Mensch Otto“ in BAYERN 3 eingeführt haben, wurde mir von unterschiedlicher Beraterseite eindringlich gesagt, dass dies in einer sogenannten Popwelle nie funktionieren würde und schon gar nicht zur noch relativ guten Sendezeit um 19.00 Uhr. Nicht einmal drei Jahre später hatten wir die Hörerzahl verdreifacht. Ohne besserwisserisch klingen zu wollen: Ich hatte schon damals gesagt, dass gut gemachte Wortbeiträge die Leute am Radio halten werden. Bei einem schlechten Beitrag hilft es mir auch nicht, dass er nur 1:30 lang ist, da bin ich vielleicht schon nach 20 Sekunden weg – umgekehrt bleibe ich bei einer guten Geschichte auch mal ein paar Minuten am Radio hängen. Es gibt doch kaum ein größeres Kompliment für einen Radiomacher, als einen Satz wie: „Ich bin im Auto sitzen geblieben, obwohl ich schon in meiner Hofeinfahrt stand, weil ich unbedingt die Geschichte zu Ende hören wollte“ – und das in Zeiten, in denen man alles jederzeit nachhören kann. Natürlich wird die Musik in einem Radioprogramm für die Einzelperson immer ein Kompromiss sein, da kann vielleicht ein Streamingdienst (den ich aber auch vorher mit Daten unterfüttern muss), „passgenauer“ liefern, daher haben in Zeiten von Spotify & Co natürlich andere Dinge wieder mehr an Bedeutung gewonnen – aber deshalb die Musik herunter zu gewichten hielte ich für einen Kapitalfehler – denn wenn die Musik nicht stimmt, hört auch keiner die noch so guten Beiträge.

BR-Bild: "Das schaffst du nie"
BR-Bild: „Das schaffst du nie“

Mein Credo lautet seit vielen Jahren: Wir brauchen starke Persönlichkeiten an den Mikrofonen gepaart mit guten Geschichten und vor allem regionalen Informationen. Dazu muss natürlich die Musik stimmen und wir müssen unsere regionale Verankerung tagtäglich on air und darüber hinaus auch off air durch Veranstaltungen in den Regionen unter Beweis stellen. Immer wichtiger wird die Präsenz der einzelnen Marken auf allen möglichen Ausspielwegen – welche das sind, unterscheidet sich je nach Zielgruppe. Wenn wir diese Punkte alle zur Zufriedenheit des Publikums schaffen, dann ist mir auch weiterhin vor Spotify und Co nicht bange. Das zum x-ten Male totgesagte Medium „Radio“ erlebt als „Audio“ (auch durch Alexa & Co) ja ohnehin gerade seinen x-ten Frühling.