Von Hendrik Leuker
Er kam als „typischer Seiteneinsteiger“ zum Radio: Frank Dignaß (56). Er wollte schon im zarten Alter von 6 Jahren hinter das Radiomikrofon und arbeitete schon früh darauf hin. Neben der Schule fing er schon mit 14 Jahren als DJ an, Platten aufzulegen. Mit 18 Jahren machte er sein DJ-Hobby zum Beruf. „Ich habe mich dann überall beim Radio beworben“. Bei einem Sendeverantwortlichen war seine Bewerbung erfolgreich: Dr. Benedicta, in den 1980er Jahre Sendeleiter von Radio Südtirol in Bozen. Dort machte Dignaß in den Jahren 1986 und Anfang 1987 als freier Redakteur und Moderator immer zwei Tage in der Woche Sendungen. Parallel dazu bewarb er sich weiter in der württembergischen Heimat.
„Eigentlich stamme ich aus Gelsenkirchen im Ruhrpott, zog mit meinen Eltern aber bereits mit 2 Jahren nach Baden-Württemberg“, weist Dignaß auf seine Wurzeln hin. Im April 1987 bewarb sich Dignaß initiativ bei der Lokalzeitung „Heilbronner Stimme“ als Mitarbeiter für deren Projektgruppe Hörfunk. Chefredakteur Werner Thunert rekrutierte radiobegeisterte Mitarbeiter, vorzugsweise auch mit Radioerfahrung. Diese waren seinerzeit jenseits der öffentlich-rechtlichen Sender dünn gesät. Dignaß wurde aufgenommen. Vorbilder hatte er, was Radio angeht, keine: „Also, ich fand Bernd Duschinski von SR 1- Europawelle Saar gut. Aber richtige Vorbilder hatte ich nicht“, schränkt Dignaß ein.
Frank Dignaß: Seine Karriere bei Radio Regional Heilbronn und Radio Ton
In der Projektgruppe Hörfunk der „Heilbronner Stimme“ war Dignaß für den Aufbau des Musikarchivs und den Kontakt zu den Plattenfirmen zuständig. „Außerdem habe ich Moderatoren ausgebildet und an das Mikrofon herangeführt. Die neuen Moderatoren waren oft Journalisten von der schreibenden Zunft. Es war oft mühsam, hat aber auch Spaß gemacht“, merkt Dignaß an. Die Projektgruppe Hörfunk hatte keinen langen Vorlauf: Am 01. April 1987 fing dort die Arbeit an und am 25. November 1987 ging man damals noch unter dem Namen Radio Regional Heilbronn auf Sendung. Der erfahrene Medienprofi Mike Haas coachte die Truppe, die an den Start ging, kurz vorher. „Außerdem habe ich 1988 Kontakt zur Station Hot 105 in Miami geknüpft. Es ging darum, in Beiträgen Atmosphäre durch O-Töne zu schaffen. Diese befanden sich auf Cart-Bändern“, erinnert sich Dignaß.
Bei Radio Regional Heilbronn, das im Zuge der Zusammenlegung von Sendern durch eine Medienreform in Baden-Württemberg 1994 in Radio T.O.N. (T.O.N. steht dabei für Tauber-Odenwald-Neckar) umbenannt wurde und später nur noch Radio Ton (im Sinne von Ton, der die Musik macht) geschrieben wurde, moderierte Dignaß so ziemlich alles: Von 5-9 Uhr den „Morgenexpress“, von 9-12 Uhr den „Vormittagsbummel“ oder von 14-16 Uhr die „Radiothek“: „Ich habe damals so ziemlich alles moderiert. Ich war gewissermaßen die eierlegende Wollmichsau“, fügt Dignaß hinzu. Es gab damals, in den 1990er Jahren, aber auch Sendungen, die es heute so nicht mehr gibt: „Am Abend moderierte ich eine Sendung mit dem Namen Vier Worte-ein Gedicht. Darin wurden vier Worte vorgegeben und die Hörer sollten ein Gedicht schreiben, das sich reimte, und in dem diese vier Worte vorkamen. „So habe ich in 14 Jahren bei Radio Regional Heilbronn bzw. Radio Ton, von 1987 bis 2001, so ziemlich alles einmal durchgemacht. Am Abend läuft heute ab 20 Uhr der Automat.“ Letzteres sagt Dignaß mit leichter Resignation in der Stimme. In diesen 14 Jahren war Dignaß einfach leitendes „Mädchen für alles“: Chefmoderator, Leiter der Promotion (Marketingabteilung), Radio-Ton-Clubleitung und Leiter der kommerziellen Hörerevents.
Kritiker seiner Zunft und Zukunft des Radios
Frank Dignaß gilt als Kritiker der Branche. „Ist das so, dass ich als Kritiker gelte?“, fragt Dignaß zurück. In der Tat nimmt Dignaß, wenn man ihn ausdrücklich nach seiner Meinung zum gegenwärtigen Zustand des Mediums Radio fragt, kein Blatt vor dem Mund: „Eigentlich geht es mich alles nichts mehr an. Wenn man einmal aktiv ein Radioprogramm mitgestaltet hat, hört man aber anders dem zu, was heute von Flensburg bis Garmisch geboten wird. Es ist alles ein Einheitsbrei.“
Zweimal im Jahr studiert Dignaß die Ergebnisse der Mediaanalyse (MA) und schaut dabei besonders auf die Zahlen seines ehemaligen Senders Radio Ton: „Wenn ich sehe, dass ein Sender wie Radio Ton die Hörerzahlen halbiert hat, ist es für mich nicht dadurch erklärlich, dass es heute so viele andere Stationen gibt. Konkurrenz hat man nur, wenn man schlechter als die Konkurrenz ist. Nur bei den Öffentlich-Rechtlichen kommt es vor, dass ich im Auto einen Musiktitel oder einen Beitrag lauter stelle. Bei den Privaten passiert mir das gar nicht“, fährt Dignaß, der gerne SWR 1 Baden-Württemberg hört, fort. – „Auf den Websites würde ich als erstes einmal die Playlists rausnehmen. Wenn ich von vornherein weiß, was läuft, schalte ich doch gar nicht erst ein – vor allem, wenn es nicht gefällt“, kritisiert Dignaß die Privaten.
„Früher waren es die Hörer, die nach bestimmten Musiktiteln gefragt haben. So entstand der Kontakt zu den Hörern. Heute wird den Hörern doch jede Emotion und jede Illusion genommen. Die heutige Entwicklung finde ich einfach nur schade“, sieht Dignaß das Medium Radio unter dem Einfluss von Radioberatern aktuell auf Abwegen. – „Mein CD- Wechsler im Auto hat mehr Abwechslung als 90% der Archive der einzelnen Sender. Die haben in der Rotation nur etwa 400 Titel. Ich kann dadurch die Titel, die ich einmal geliebt habe, schon gar nicht mehr hören“, kritisiert Dignaß weiter.
„Heute wird den Moderatoren vorgeschrieben, was sie sagen sollen. Nichts dabei ist mehr spontan. Früher habe ich spontan gesagt, dass ich am betreffenden Tag erkältet war und bekam von den Hörern prompt gute oder zumindest gutgemeinte Ratschläge, was gegen Erkältung hilft. So entsteht Regionalität und Hörerbindung! Regionalität wäre doch bei den Privaten die Waffe Nr.1 – sie wird einfach nicht genutzt!“, benennt Dignaß offen Missstände.
„Programmchefs dürfen nicht einfach machen, was sie für richtig halten. Sie sollen das überwachen, was Radioberater den Stationen empfehlen. Radioberater sind somit das Schutzschild der Geschäftsführung und die Programmmacher oft Marionetten der Radioberater“, sieht Dignaß strukturelle Ursachen für die von vielen empfundene Misere. „Kreativität wird somit gar nicht erst zugelassen. Man vertraut den Mitarbeitern nicht mehr, lässt sie nicht einfach machen. Heute nimmt man die Emotionen heraus und hat in der Folge weniger Hörer“, fügt Dignaß hinzu. – „Die Zukunft des Radios liegt back to the roots – zurück zu den Wurzeln! Spartenradio war früher. Durch die fortschreitende Digitalisierung wird es das auf verschiedenen Streams geben: Schlager, Country, Pop etc. Angst vor der Digitalisierung ist nicht angebracht, wenn ich mich von anderen Programmen abhebe. Man hat Radio zu einem Nebenbeimedium erst gemacht!“, gibt Dignaß Denkanstöße.
Frank Dignaß: „Beliebtester Moderator“
Im Jahr 2013 wurde Frank Dignaß anlässlich von „25 Jahre Radio Ton“ von den Hörern zum beliebtesten Moderator des Senders gewählt. „Das hat mich auch überrascht“, gesteht Dignaß freimütig. „Das war immerhin 12 Jahre nach meiner aktiven Zeit auf dem Sender. In einer Umfrage des Senders stimmten die Hörer von Radio Ton zu 80% für mich als beliebtesten Moderator. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ein schöneres Feedback von Hörern gibt es doch gar nicht. Ich nehme es aber auch als ein Beleg dafür, dass es nicht so falsch gewesen sein kann, wie früher Radio gemacht wurde“, fügt Dignaß hinzu.
Aktiv im Webradio
Seit diesem Jahr ist Dignaß wieder radio-aktiv. Zusammen mit Jürgen Frahne moderiert er „Die Zwei – Frahne und Dignaß“ im Webradio bei laut.fm: „Jürgen Frahne hat mich gefragt. Er produziert die Sendungen. Wir haben uns vom Radio abgewandt und uns jetzt getroffen, um eine eigene Playlist zusammenzustellen. Jürgen hat ein Studio zu Hause und alle technischen Möglichkeiten. Bei den einzelnen Streaming-Anbietern haben wir angeblich schon alte Rekorde gebrochen. Ich kann mir immer vorstellen, noch einmal Radio zu machen. Ich kann mir momentan aber nicht vorstellen, dass ein Radiosender ein Programm wie „Die Zwei – Frahne und Dignaß“, entgegen dem Rat von Radioberatern, senden wird. Sollte ein entsprechendes Angebot von einem Sender kommen, könnte man darüber reden. Ich muss mit Radiomachen nicht reich werden.“
„Ich habe mit dem „Nordbahnhöfle“(Anmerkung: Dignaß´ Restaurant in Bad Friedrichshall bei Heilbronn) mein Auskommen“, zeigt sich Dignaß auch für das herkömmliche Radio auf UKW und DAB+ offen. „Bei allem, was man macht, sollte man Spaß haben. Jürgen Frahne ist langjährigen Hörern von den Anfangsjahren von Radio Ton noch ein Begriff. Doppelmoderationen sind immer schwer. Man sollte den Hörer dazu bringen, dass er Lust verspürt, mit uns beiden eine Tasse Kaffee zu trinken. Der Hörer muss sich nicht bei jedem Wort, welches der Moderator sagt, vor Lachen auf die Schenkel klopfen“, nennt Dignaß das Ziel seiner neuen Sendung.
Geschichten, die das Radio schreibt
Dignaß erinnert sich gerne an seine aktive Zeit bei Radio Ton. Lustige wie sentimentale Erlebnisse haben sich im Langzeitgedächtnis des Moderators festgesetzt. In der Vormittagssendung gab es bei Radio Ton eine Rubrik namens „Topfgucker“, die man als Kochen im Radio beschreiben könnte. Für alles hat es in dieser Rubrik O-Töne gegeben wie für Eier aufschlagen, das Entkorken des Rotweins, der zum Essen gereicht oder für die Sauce verwendet wird etc. – In einer anderen Rubrik am Vormittag gab Dignaß Hausfrauentipps. „Ich fand es mit der Zeit langweilig, dass ich das immer alleine gemacht habe“. Es fand sich damals im Sender die Reinigungsfrau Anna Weiß, die mittlerweile schon 80 Jahre alt ist. Diese lieferte als schwäbische Hausfrau „Tante Agathe“ Tipps zu alltäglichen Problemen wie „Wie geht der Rotweinfleck wieder aus dem Hemd?“ oder „Was muss ich beim Zubereiten eines Schweinebratens beachten?“. – „Das war jahrelang fester Bestandteil meiner Vormittagsendung“, schaut Dignaß gerne zurück.
Radio deckt aber alle Farben des Lebens ab und zeigt auch schon einmal seine sentimentale Seite: „Eines Tages brachte der Chef vom Dienst mitten in einer Unterhaltungssendung eine Meldung über den plötzlichen Kindstod zu mir ans Studiopult. Ich habe nur vorgelesen, was da stand“, beteuert Dignaß. Es meldete sich eine Mutter, die vom plötzlichen Kindstod persönlich betroffen war und warf Dignaß vor, wohl weil es eigentlich eine Unterhaltungssendung gewesen war, dass er sich über das ernste Thema lustig gemacht habe. Der Dame wurde im Sender das betreffende Band vorgespielt und demonstriert, dass Dignaß sachlich und ernst beim Verlesen der Meldung geblieben ist. „Im Sender diskutierten wir daraufhin, wer was verlesen sollte. Das Ereignis hat unseren Umgang mit ernsten Themen bei Radio Ton fortan geprägt“, fügt Dignaß hinzu.
Events und Gottschalks Hausparty
Als Leiter der kommerziellen Hörerevents kann Dignaß viele Zusammenkünfte mit Hörern Revue passieren lassen: So wurde aus einem Ski-Opening für 50 Hörer aufgrund der Nachfrage eines für 600 Hörer. Die Ziele der Winterfahrten waren die österreichischen Orte Obergurgl im Ötztal, Sölden (beides Tirol) und Warth am Arlberg (Vorarlberg). „An Tour Open Airs hatten wir zum Beispiel in den 1990ern die Kelly Family auf ihrem Hype im Heilbronner Frankenstadion“, erinnert sich Dignaß. – In einer Sendung von „Gottschalks Hausparty“ (Sat.1) wurde Dignaß im Frühjahr 1997 selbst zum Event: Seine Ehefrau legte ihn herein.
Dort gab es seinerzeit das Fenster „Schalk TV“, eine Art versteckte Kamera. Seine Frau erzählte Moderator Thomas Gottschalk, ihr Mann moderiere bei einem Privatsender und sie wolle ihn so gerne einmal sprachlos sehen. Im Funkhaus wurde 1997 gerade „10 Jahre Radio Ton“ gefeiert. Große Teile der Mannschaft hatten sich versammelt mit Glückwunschtorte. Und plötzlich befand sich der arglose Herr Dignaß mitten im Fernsehen und sah seine Frau neben Gottschalk im Fernsehen sitzen… „Nachher sah ich auch den Riesenaufwand mit dem die Fernsehleute da waren, mit gleich 3 Ü-Wägen“, fügt Dignaß hinzu, der damals nicht schlecht staunte. Den Ausschnitt aus der Sendung kann man sich auch heute noch bei YouTube anschauen.
Fortsetzung der Karriere und Hobbys
Sieben Jahre war Dignaß in der Marketingabteilung bei Radio Ton beschäftigt und konnte somit auch ohne Abitur neben dem Beruf den Studiengang Kommunikationswissenschaften an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Stuttgart studieren, den er mit 1,0 abschloss. Daraufhin arbeitete er eine Zeit lang im Marketingbereich: Der glühende Fußball-Fan war von 2001 bis 2003 Marketingleiter und Berater des VfR Heilbronn. Dieser Fußballverein nennt sich seit 2003 nach einer Fusion FC Heilbronn. In den Jahren 2003 bis 2005 fungierte Dignaß als Schulungsleiter für verschiedene Telemarketingfirmen. In den Jahren 2005 bis 2014 war er Telemarketingleiter und Prokurist bei vB Medien Service in Heilbronn. Im Radio unternahm er seinerzeit kurze Moderationsausflüge zu Oldie 95 (seit 2014: Hamburg Zwei) in Hamburg und zu Anfi Radio in Playa del Inglès (Kanarische Inseln/Spanien).
Seit September 2015 betreibt er in einem stillgelegten Reichsbahnwaggon von 1923, fein säuberlich getrennt in eine Raucher- und in eine Nichtraucher-Abteilung, sein Restaurant „Nordbahnhöfle“ in Bad Friedrichshall (mit Biergarten inkl. Sky-Bundesliga). Serviert wird vor allem gutbürgerliche Küche. Gäste sind Paare, Singles, Radfahrergruppen vom nahen Radwanderweg, Geburtstags- und Betriebsfeiergesellschaften. Nicht fehlen darf dabei eines natürlich nicht: „Tante Agathes Wurstsalat“… – Dignaß ist immer voller Energie. Ein Macher. Kann er wirklich einmal ruhig sitzen und Mußezeit genießen? „Ich fahre gerne in den Urlaub und bin gerne auf Reisen. Außerdem habe ich eine Dauerkarte für den Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim im Stadion in Sinsheim“, gibt Dignaß einen kleinen Einblick in sein Freizeitverhalten. Der Vater einer Tochter schwärmt von seinem nächsten Reiseziel: „Als nächstes fahre ich mit meiner Tochter nach Florida. Ich hoffe, es wird ein schöner Vater-Tochter- Urlaub“.
Kontakt
Frank Dignaß
c/o Nordbahnhöfle
Kocherwaldstr.23
74177 Bad Friedrichshall
Email: frank.dignass@gmail.com
Hendrik Leuker ist Redakteur der monatlich erscheinenden Rundfunkfachzeitschrift RADIO KURIER (www.addx.de). Dieser Bericht erscheint dort im Laufe des Jahres.