Viktor Lindner: „Vielfalt ist des Hörers Wunsch“

Viktor Lindner:

Musikentwicklung und ihre Anwendung im Radio: „Vielfalt ist des Hörers Wunsch“

Viktor LindnerRadio in Österreich – zumal Privatradio – ist ein schwieriges Thema. Österreich war eines der letzten europäischen Länder, das Privatfunk überhaupt zugelassen hatte.

Erzwungen worden war dies nicht zuletzt durch gerichtliche Auseinandersetzungen bis hin zum europäischen Gerichtshof. Einer der Pioniere, Viktor Lindner, hat jetzt einen Artikel verfaßt zur Musikentwicklung und ihre Anwendung im Radio“. Lindner war derjenige, der das entscheidende Gerichtsurteil gegen die Republik Österreich erreichte. Wir bringen hier seinen Text im Original. Er gibt ausschließlich die Meinung des Autors wider. (Die Redaktion)

Das 20. Jahrhundert wird unzweifelhaft das Jahrhundert der populären, sprich Pop-Musik genannt werden, so wie es die Klassik für das 17. bis 19. Jahrhundert war.

Da die Klassik noch weiter besteht, gibt es daher zwei Richtungen, die aber immer wieder durch Versuche Pop klassisch zu spielen (London Symphony Orchester u.a.) sowie Klassik zu „verpopen“ miteinander zu vermischen versucht wird. Pop ist im erweitertem Sinn von Populär auch Klassik, denn Mozarts „Kleine Nachtmusik“ kann man auch mitsummen und mitpfeifen; wie das bei Gassenhauern so üblich ist.

Operette und Musical schieben sich zwischen Klassik und Pop als Ergänzung des musikalischen Spektrums. Also eine riesige Auswahl an verschiedenster Musik, die es zu berücksichtigen gibt. Wenn die Klassik ihren ausschließlichen Ursprung in Europa hat, wie auch die Operette, ist schon das Musical ein Kind der USA.

Der Beginn

Die Popmusik begann um die Jahrhundertwende mit der Ragtime-Musik und hat ihre Wurzeln in Afrika. Mit der Verschleppung der Sklaven nach Süd-, Mittel- und Nordamerika wurde auch ein ungeahntes Potential an Melodien und Rhythmen mit-gebracht und ohne dieses Potential wäre es nie zu dieser Entwicklung gekommen. Aus dem Ragtime-, Piano mit Banjo, entstanden kleine Combos, die in der Weiterentwicklung zu richtigen Bands heranreiften.

Eine weitere Entwicklung gab es durch die Begräbnis-Combos in New Orleans. Begräbnisse waren keine so traurige Angelegenheit wie bei uns. Da wurde durch die Straßen getanzt und eine fröhliche Stimmung kam auf.

Weitere Einflüsse auf die Popmusik

Auch die süd- und mittelamerikanischen Tänze, von Samba über Rumba bis zum Reggae aus der Karibik, haben ihren schwarzen Einfluss. Die Gospelmusik hatte ebenso ihre Bedeutung. Alles zusammengenommen eine Vielzahl von Tanzrhythmen und Melodien, die darauf warteten, dem Hörer näher gebracht zu werden.

Ohne auf die Aufteilung der Popmusik ab 1955 in Rock ’n‘ Roll, Beat, Flower-Power, Psychedelic, Funk, Punk und andere näher einzugehen, muss man ein Kriterium für die Vielfalt von Musik suchen und hier scheint mir die Linernote im „Top Pop Adult Contemporary“-Buch das richtige zu sein. Da heißt es unter anderem: „Sie gedeiht, weil sie gefällt. Sie stellt jene Popmusik dar, die nachdenklich stimmt, die Ohren nicht beleidigt und nicht auf die Nerven geht. Sie beschränkt sich nicht auf eine Generation. Ihre Melodien sind zeitlos und kommen nie aus der Mode, seit drei Jahrzehnten sind sie an oder fast an der Spitze der führenden Spartenbewertungen im Radio!“

Die vielen Coverversionen von Songs die oft über 20 bis 80 Jahre alt sind, beweisen die Beliebtheit und Unsterblichkeit dieser Musik.

Das Kriterium der Popmusik im Radio

Das Kriterium dieser Musik ist ihre HÖRBARKEIT nicht ihre Durchhörbarkeit. Damit die Vielfalt in der Musik nicht kleiner, sondern größer wird, gibt es noch eine große Zahl von Aufnahmen singender Schauspieler. Schon Clark Gable mit „Puttin‘ on the Ritz“ gehört? Robert Mitchum mit „Ballad of the Thunder Road“? Marilyn Monroe mit „I wanna be loved by you“?, „Pillow talk“ von Rock Hudson? „Ballin‘ the Jack“ von Danny Kaye? Gina Lollobrigidas „Roma, Roma, Roma“?, Louis Armstrongs „Mi va di cantare“, gesungen 1968 beim Musikfestival in San Remo?

Der Einfluss von San Remo

Und schon sind wir beim Musikfestival in San Remo! Seit 1951 findet dieses Festival statt. Nicht nur, dass dieses immer in der letzten Jännerwoche stattfindende Festival die italienische Musik stark beeinflusst, gingen von da viele Coverversionen in allen Sprachen in die Welt. Seit 1956 gab es dazu noch den „Grand Prix d’Eurovision“ mit Liedern auch von San Remo, wie Gigliola Cinquettis „Non ho l’eta“, welches nicht nur 1964 Nummer 1 beim Grand Prix, sondern dies auch schon im gleichen Jahr in San Remo war. Ab 1964 durften Ausländer italienisch singend mitwirken. Noch nicht genug?

Dann beschäftigen Sie sich mit Film-Musik. Beispiele gefällig?

Perry Corno singt „Beyond tomorrow“ 1974, die Titelmelodie von „Serpico“, komponiert von keinem Geringeren als Mikis Theodorakis und hier auch von seiner Band gespielt. „Butch Cassidy and Sundance Kid“ mit Musik von Burt Bacharach hat einen Oscar-prämierten Welthit hervorgebracht „Raindrops keep fallin‘ on my head“ und so geht es weiter und weiter mit der Vielfalt.

Der Irrtum selbsternannter „Musikfachleute“

Und da getrauen sich selbsternannte Musikfachleute, wie z.B. ein Herr Sebor einer war, mit wenigen tausend Musiktitel das Auslangen zu finden. Nicht umsonst wurden die Musikprogramme der Privatradios mit „Langeweile im Äther“ und anderen Bezeichnungen abqualifiziert.

Ich wiederhole es immer wieder und wieder: Bei 20 Stunden Musik pro Tag benötigt man etwa 10.500 Titel um sich einen Monat lang nicht zu wiederholen.

Was aber ist nach einem Monat? Wiederholt man die gleichen Titel in anderer Reihen-folge? Was den miserablen Einfluss der Agenturen betrifft (Zielgruppe 14 – 49jährige), gibt es unzählige Aussagen von Experten, die das Gegenteil behaupten.

Gerade der Artikel in der HÖRZU Nr. 42 von 11. 10.2002 titelt auch unter „Vergesst doch die Jungen“. Eine letzte Medienuntersuchung hat ergeben, dass nur 53% der befragten Jugendlichen überhaupt Radio hören. Das müsste für die Werbewirtschaft ernüchternd sein. Ist es das aber? Bis jetzt verlangen sie den „Einheitsbrei“ von den Privatradios nach wie vor. Aus einem weiteren Zeitungsartikel über Format- und Privatradio: „Formatiert euch nicht zu Tode“.

Was man noch wissen muss: Musik entzieht sich jeder logischen Beurteilung, Vielfalt schafft Abwechslung und ist das Elixier, von dem die Musik lebt.

Viktor Lindner

© Kommerzialrat Viktor Lindner, Salzburg-Aigen

Zur Person:

Viktor Lindner, geb. am 08. 10. 1927

Beruf: Industriekaufmann, Profifussballer

Gründer des Vereines für die Zulassung von Privatradios in Österreich. Kläger in Straßburg beim Europäischen Gerichtshof. Zulassung in Straßburg erreicht. Mitinhaber von Radio Melody in der Anfangszeit. Besitzer des grössten privaten Musikarchivs. Mit etwa 30.000 LPs, 20.000 Singles und ca. 5.000 CDs.

Kontakt:

Kommerzialrat Viktor Lindner

Oberwinkl 111,

A-5026 Salzburg-Aigen,

Tel.: +43 662 640281, Fax: DW 20