„Das Problem sind die Hörer“ Mehr Produktivität in die Radioforen!

Bitter Lemmer

Frage eines einflußreichen Radiomachers (großer Sender, hohe Position, zurückhaltende Persönlichkeit): „Wieso um alles in der Welt schreiben Sie für diese Website?“ Antwort: „Weil ich das Radio mag und viele Radiomacher diese Seite lesen.“ Er: „Aber dieses komische Forum – da schreiben doch nur Kranke und Böswillige, die vertrauliche Interna hinausposaunen.“

In der Tat: Die negativen Energien vieler Forum-Schreiber sind beachtlich. Negative Energien drücken sich aus in: destruktiver Kritik, Besserwisserei, Subjektivismus und persönlicher Diffamierung. Beiträge dieser Art haben manchmal Unterhaltungswert. Häufig sind sie ziemlich blöd.

Positive Energien scheinen hier und da auch auf, aber selten. Positive Energien sind im Spiel, wenn persönlich Verunglimpfte verteidigt werden, Besserwisserei angeprangert und Subjektivismus entlarvt. Positiv gemeinte Beiträge haben nur selten Unterhaltungswert. Wirklich blöd sind sie auch nur selten. Bisweilen sind sie etwas langweilig.

Produktive Energien finden sich kaum. Jedenfalls habe ich auch nach sehr langer Suche nichts Wirkliches gefunden. Es dominieren allgemeine Betrachtungen über dies und jenes, Mutmaßungen und Spekulationen oder genüßliches Zensurieren von unfähigen „Cheffes“. Besonders originell fand ich den folgenden Eintrag (gefunden im Thread „Jammer, jammer, gestern… Rabarber“): „Mir kommt es so vor, als wären die Hörer das eigentliche Problem.“ Und weil das wohl noch nicht reicht, fügt derselbe Schreiber noch die folgende Schlauheit hinzu: „Oder die Konsumenten ganz allgemein“. Man ist versucht, zu fragen: Denken Sie schon, oder plappern Sie noch?

Bemerkenswert ist auch der Thread „Was ist eigentlich in Berlin los?“, zumal ich mich hier persönlich herausgefordert fühle. Da fragt der Autor, wie es denn möglich sei, daß Arno & die Morgencrew Berlins erfolgreichste Morgensendung sein könne, wenn doch aber folgendes fehle: „echte Information“, „Service“, „kompetente Moderation“. Es handelt sich um ein sehr typisches und beispielhaftes Posting, das alle negativen Elemente enthält: Subjektivismus, Besserwisserei, destruktive Kritik und einen Touch persönlicher Anmache. Man könnte zurückfragen, ob es bei 104.6 RTL vielleicht unechte Information gibt, ob es sich bei Commander Frank vielleicht doch um Service handeln könnte (und zwar einen höchst exklusiven Service – mitten in der Morgenshow), und wer für sich in Anspruch nehmen möchte, völlig unsubstantiiert ein Moderationsteam für kompetent oder inkompetent erklären zu wollen (Gott? Anonyme Foren-Schreiber?). Aber das wäre zu kurz gegriffen.

Interessant ist etwas ganz anders: Wie lautet die Botschaft dahinter? Was will der Schreiber uns hier wirklich mitteilen? Wofür steht er, und was kann er? Hat er selbst schon etwas geleistet, um das Radio nach vorn zu bringen? Wird er in Zukunft etwas leisten können und wollen? Steht er quasi symbolhaft für die Klasse der Radioarbeiter? Zunächst aber: Welches ist seine Perspektive?

Die persönliche Perspektive ist wichtig. Die ist auch in meinem Fall wichtig. Nach elf guten Jahren bei RTL kenne ich den Laden und die Beteiligten ganz gut. Ich weiß, daß die was können, sich ständig weiterentwickeln und sehr hart arbeiten. Daß 104.6 RTL die deutsche Privatradiolandschaft (sowie die populären ARD-Wellen) nachhaltig beeinflußt hat ist vermutlich unstrittig. Daß Arno Müller seinen Anteil daran hat, ist unzweifelhaft. Von den Konkurrenten kenne ich den einen oder anderen ebenfalls. Für die gilt ähnliches – da sind gute, fähige und sympathische Leute darunter, die seit Jahren erfolgreiche Jobs machen.

Und jetzt kommt ein Mensch daher, der aus der Anonymität heraus irgendwas daherbehauptet und mal so eben alle Berliner Radiochefs und ihre Mitarbeiter zu Dilettanten erklärt.

Jetzt könnte man das als Ausrutscher werten – nur leider ist es keiner. Einerseits gibt und gab es solche Postings zu Hauf. Andererseits hat sich selten jemand darüber aufgeregt. Liebe Leute – Ihr macht Radio! Fühlt Euch doch mal herausgefordert, wenn jemand beispielsweise den folgenden Satz zum Besten gibt: „Die restlichen Privat-Sender versuchen, ohne Ausnahme, anstatt eigene intelligente Konzepte zu verwirklichen es den beiden ausgebrannten Marktführern noch nachzumachen.“ (verqueren Satzbau und Kommafehler vom Original übernommen) Mag schon sein – aber wie geht’s besser? Selbst, wenn es so wäre: Was folgt jetzt aus diesem Satz? Nett, daß man’s mal wieder gesagt hat. Jesus, bin ich toll. Hab’s den Ferrari-Fahrern mal wieder so richtig gezeigt.

Frage an alle: Reicht Euch das etwa?
Oder wie wär’s mal mit Threads zu solchen Themen:
Eure Ideen, die Ihr im Programm umgesetzt habt.
Wie ich einen zögernden Chef von einem guten Einfall überzeugt habe.
Wettstreit um gute Formulierungen und Slogans.
So habe ich ein Nachrichtenthema besonders überzeugend präsentiert.
Wilder Streit um wirkungsvolle Promotions.

Warum scheren wir uns ständig um den Mist der anderen und nie um den eigenen? Warum diskutieren wir immer auf abstrakten Metaebenen, niemals aber um unsere eigenen unmittelbaren Jobs und Herausforderungen? Warum beklagen wir ständig den Niedergang unseres Mediums, halten uns (immerhin die Macher) aber als einzige für schuldlos an der Krise?

Ganz einfach. Weil bisher niemand etwas anderes geposted hat. Bisher.

Den nächsten Bitterlemmer gibt’s übrigens schon ab Mittwoch Nachmittag als MA-Sonderausgabe.


Lemmer

Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de