Ach, wie schön ist Irland! Da sind sich alle Teilnehmer der Diskussionsrunde über Nachwuchssorgen in den Lokalmedien während der Lokalrundfunktage Nürnberg 2023 einig. Es sind nicht die sattgrünen Hügellandschaften, die von Schafen abgegrast werden, auf die Georg Rose (Radio Wuppertal/Radio Ennepe-Ruhr), Philipp Grohm (DIE NEUE 107.7) und Ella Schindler (Neue Deutsche Medienmacher*innen/Verlag Nürnberger Presse) neidisch blicken. Es ist Learning Waves, eine Fortbildungsinstitution, die das Interesse der deutschen Privatmedienschaffenden weckt.
Learning Waves, so präsentiert Teresa Hanratty das Projekt, ist eine Initiative von zahlreichen lokalen Radiostationen, die auch die Finanzierung übernehmen. Der Name ist Programm, denn Learning Waves bringt jungen Menschen das Radiomachen bei. Schüler werden in Praktika vermittelt, es gibt ein intensives Broadcast Bootcamp für junge Menschen, ein Weiterbildungsprogramm richtet sich an Journalismusstudierende – es geht um Kompetenzbildung, vor allem aber auch darum, Radiomachen wieder in den Köpfen junger Menschen zu verankern. Denn vielen, so scheint es, ist diese schöne Berufsoption gar nicht mehr präsent.
Projekt gegen Mangel an Nachwuchs im Radio: „Learning Waves“
Radio wieder cool machen, darum geht es, das zeigen auch die kurzen Videos, mit denen Hanratty Learning Waves präsentiert. Da hüpfen die Praktis im Bild herum, manchmal sitzen sie an Mischpulten, vor allem aber haben sie offensichtlich Spaß.
So ein Zusammenschluss der Lokalradios, das wäre schön, meint Ella Schindler, weist aber darauf hin, dass das auch eine Investition ist – es kostet Geld. Daran scheitert es offenbar bei uns, das löbliche Beispiel der Mediaschool Bayern mal ausgenommen. Die deutschen Sender kämpfen weitgehend allein um Praktikanten, Volontärinnen und spätere Redakteurinnen und Redakteure.
Philipp Grohm mag die Idee der Schnupperpraktika für Schüler, weist aber auch darauf hin, dass die Redaktionen sowieso schon knapp besetzt sind. Wenn jetzt die Betreuung der Schüler an der eigenen Praktikantin hängenbleibe, könne das nicht der Weg sein.
Dennoch können die eigenen Auszubildenden auch einen Teil dazutun, dass das eigene Medienhaus genug Nachwuchs findet. Employer Branding ist das Stichwort, und Ella Schindler sieht große Chancen darin, dass die Volontärinnen und Volontäre ein cooles Image nach außen tragen – in die eigene Peer Group. Sie zeigen ihren Alltag in den Sozialen Medien, sie machen Podcasts, die dem traditionellen Medienbetrieb ein modernes Image geben. Und Schindler, selber mit Migrationshintergrund, versucht, auch Menschen aus Migrantenfamilien für die Arbeit in den Medien zu begeistern. „Das sind Menschen für euch!“, sagt sie zu den anderen Radiomachern und meint damit einerseits, dass es auf der Mitarbeiterseite mehr Diversität geben sollte. Sie meint aber auch, dass man sich damit eine neue Zielgruppe an Hörern und Lesern erschließen kann: „Ich will Menschen hören, die mit Akzent sprechen – so, wie ich.“
Um Mitarbeiter aus diesen Kreisen zu rekrutieren, fehle es aber noch an Vorbildern. Wenn man niemanden mit Akzent im Radio hört, sieht man sich selber vielleicht auch nicht in diesem Job – ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. Sie kenne aber auch Menschen, die frustriert hingeschmissen hätten, so Schindler: So würden Migrantinnen und Migranten, queere Menschen und andere, die eigentlich Diversität ins Programm bringen sollen, häufig nur für bestimmte Themen herangezogen. Der engagierte Mitarbeiter wird so zum Quotenmigranten – oder zum Spartenbediener anstatt zum gleichwertigen Redaktionsmitglied.
Und schließlich geht es auch ums Geld. Da betonen alle in der Runde, dass sie das Volontariat nach Tarif oder zumindest daran angelehnt vergüten. Beim Thema Praktikum schaut es allerdings schon wieder anders aus, da geht die Spanne von Null bis etwa 400 Euro pro Monat. Geld mag zwar nicht das Wichtigste auf dem Weg zum Traumjob sein, aber ein menschenwürdiges Leben muss auch für Praktikanten gesichert sein.
Philipp Grohm plädiert für kreative Lösungen gegen den Nachwuchs-Mangel: neben einem Grundgehalt die Praktis noch mit einem Deutschlandticket versorgen, warum denn nicht? Eine kleine Investition, die einem vielleicht einen künftigen Mitarbeiter ins Haus lockt.
Am Rande der Lokalrundfunktage 2023 in Nürnberg hatte Redakteur Philip Artelt auch die Gelegenheit, für RADIOSZENE ein Interview mit Georg Rose (Chefredakteur von Radio Wuppertal und Radio Ennepe-Ruhr) zum Thema Nachwuchs zu führen:
RADIOSZENE: Was ist das drängende Problem, der Nachwuchsmangel oder der Wechsel von Mitarbeitern in andere Branchen?
Georg Rose: Dass erfahrene Leute aus dem Lokaljournalismus rausgehen, habe ich bei uns nicht erlebt. Es passiert in Einzelfällen, dass mal jemand in eine Pressestelle wechselt, aber es ist keine Wellenbewegung, bei der uns die erfahrenen Leute wegrennen.
Wir sind als Privatradios sozusagen das externe Ausbildungsgeschwader für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. (Georg Rose)
RADIOSZENE: Das heißt, der Job ist gar nicht so frustrierend? Wenn man mal in dem Beruf ist, ist der auch weiterhin attraktiv?
Georg Rose: Das ist bestimmt so. Die Menschen, die bei uns arbeiten, tun das gerne. Viele arbeiten seit über 20 Jahren bei uns. Das tun sie ja nicht, weil sie keine anderen Chancen haben, sondern weil sie den Job einfach lieben.
Was man aber sagen muss, dass die Branche ein bisschen in ein Loch gefallen ist. Wir sind als Privatradios sozusagen das externe Ausbildungsgeschwader für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und unser Job ist es, die richtigen Talente zu erkennen und zu fördern, sodass sie gute Radioleute werden. Das fängt beim Praktikum an und geht dann übers Volontariat – und da gab es ein großes Loch in dieser Corona-Zeit. Da fehlen uns zwei Jahre, wo wir nicht die Chance hatten, junge Leute von außen reinzuholen.
RADIOSZENE: Lokalradiomachen muss wieder cool werden, das haben wir aus dem Panel mitgenommen. Wie geht ihr auf junge Menschen zu, um euch wieder ins Gespräch zu bringen?
Georg Rose: Wir nutzen jede Chance, die sich bietet, um jungen Menschen unsere Arbeit vorzustellen. Das ist bei schulischen Veranstaltungen oder an der Wuppertaler Universität, wo ich als Privatdozent arbeite. Dort gibt es einen kleinen journalistischen Zweig in der Journalistik, wo ich immer wieder Blockseminare anbiete und journalismusaffine Leute für zwei Wochenenden zu uns in die Redaktion hole und wir miteinander eine Radiosendung machen. Das sind die Dinge, die du tun kannst und heutzutage tun musst.
RADIOSZENE: Jemand, der Journalismus studiert, denkt nicht automatisch auch an Radio?
Georg Rose: Zu der Zeit, als ich angefangen habe, war es für die Leute klar, dass sie Journalisten werden wollen. Heute stelle ich immer wieder fest, dass das für junge Menschen nur eine von vielen Möglichkeiten ist. Wir hatten vor Kurzem eine sehr talentierte Praktikantin, die vorher bei einer Versicherung war. Dann hat sie ein Praktikum bei uns gemacht und danach dann eines bei einem Bestattungsunternehmen. Das zeigt, was die sich alles vorstellen kann und wie unklar die Berufswahl an der Stelle noch ist.
Als Redaktion kannst Du nur immer wieder darauf hinweisen, dass bei uns gute Arbeit gemacht wird, und ich glaube, dass wir ganz stark auf unsere eigenen Teammitglieder als Botschafter setzen müssen. Wenn die von ihrem Arbeitgeber überzeugt sind, werden sie das auch nach außen tragen und andere begeistern.
RADIOSZENE: Ihr tauscht euch aber auch innerhalb der Branche über mögliche Kandidaten aus.
Georg Rose: Innerhalb unserer Sendergruppe tauschen wir uns seit eineinhalb Jahren einmal die Woche aus. Da sprechen wir über anstehende Themen, liegen uns auch mal weinend in den Armen, weil die Welt so schlecht ist und das Radiogeschäft nicht mehr so leicht wie früher. Aber wir unterstützen uns auch gegenseitig und ein wichtiger Punkt dabei ist, immer wieder anzusprechen: Wo sind bei euch Lücken im Personal? Haben wir vielleicht jemanden, den wir empfehlen können? Bei uns hat jetzt Anfang Juli ein Redakteur angefangen, der sich bei mehreren Sendern in der Nachbarschaft beworben hatte, bei uns aber nicht. Und die Kollegin eines Nachbarsenders hat mir gesagt, sie haben gerade keinen Bedarf, aber schau ihn dir mal an, der ist gut.
RADIOSZENE: Ist Bezahlung auch ein wichtiges Thema? Man hört immer wieder, dass zumindest in der Vergangenheit bei einigen Stationen weit unter Tarif bezahlt wurde.
Georg Rose: Bei Radio Ennepe-Ruhr ist die Veranstaltergemeinschaft aus dem Verband Lokaler Rundfunk ausgetreten. Trotzdem wird weiter nach Tarif bezahlt. Erstens, weil das rechtlich gar nicht anders geht, zweitens, weil wir sonst überhaupt keine Leute finden würden.
RADIOSZENE: Praktikanten arbeiten bei euch aber unbezahlt. Ist es nicht sogar weitgehend verpflichtend, auch Praktikanten zu bezahlen?
Georg Rose: Ja, es gibt aber auch die Fälle, wo man das nicht muss. Und diejenigen, die wir bezahlen müssten, nehmen wir nicht. Es ist zeitlich deutlich limitierter als früher. Aber wir schauen dann auch sehr schnell, ob wir in die junge Kollegin oder den jungen Kollegen Arbeit investieren wollen, und dann werden sie auch relativ schnell als freie Honorarkräfte übernommen – oder eben nicht.
Ich überlege, wo ich sonst noch Menschen finde, die schon mal mit Mikrofon und Technik zu tun hatten, die einfach Bock drauf haben, Radio zu machen.
(Georg Rose)
RADIOSZENE: …und ihr sucht inzwischen auch unter ganz fachfremden Menschen Radiotalente.
Georg Rose: Ja, das ist eine Idee, die aus der Not geboren ist. Ich habe einen jungen Musiker aus der Region angesprochen. Er ist in den vergangenen Monaten sehr intensiv geschult worden und ist jetzt als Moderator bei uns im Einsatz. Das ist jemand, der eine gute Stimme hat, der mit Musik umgehen kann, der eine Affinität zum Thema Radio hat, der aber selber nie die Idee hatte. Und ich überlege im Moment, wo ich sonst noch Nachwuchs finde, der schon mal mit Mikrofon und Technik zu tun hatte, vielleicht Blogger oder dergleichen, um diese Ausbildungslücke von zwei COVID-Jahren auszugleichen mit Leuten, die einfach Bock drauf haben, Radio zu machen.