Privatradio-Pionier Jürgen Frahne im Interview: „Radio hat nach wie vor tolle Chancen“

Es gibt sie noch, die echten Radio-Personalities. Eine haben wir ausfindig gemacht: Jürgen Frahne startete seine Laufbahn 1987 in Baden-Württemberg bei Radio Regional (heute Radio TON) und Stadtradio Heilbronn und ist noch immer bei verschiedenen Radiostationen via UKW und Web zu hören. Unser Redakteur Jörn Krieger sprach mit dem Privatradio-Urgestein über die Anfangszeit, die aktuelle Lage im Hörfunkmarkt, Radio und Corona, Moderatoren mit aufgesetzter Fröhlichkeit und die Zukunft des Mediums Radio im Wettbewerb mit Streaming-Diensten wie Spotify und Co.

Jörn Krieger: In den 1980er Jahren gehörtest du zu den Pionieren der Privatradio-Szene. Wie war das damals, was ist heute anders?

Jürgen Frahne: Die Welt drehte sich damals etwas langsamer als heute. Anstelle von Google und Co hattest du noch den Ticker draußen in der News-Redaktion, die Yellow-Press oder die Tageszeitungen. Allerdings gehörte damals wie heute das Thema Eile genauso dazu. Bei einer wichtigen Geschichte hast du dir ’nen Kugelschreiber gegriffen, die Meldung in verständliches Deutsch verpackt und sofort über den Sender geschickt. Das ist auch heute (bis auf den Kugelschreiber) gleich geblieben. Jetzt ist das Keyboard schneller griffbereit, da es direkt neben Deinem Mischpult liegt und die gesamte Info-Welt hast du mit Zugriff aufs Internet.

Stadtradio Heilbronn 1990: Das Team der "American-Music-Radioshow": Jürgen Schmid, Jürgen Frahne, Marvin "Candy" Downs (v.r.n.l.)
Stadtradio Heilbronn 1990: Das Team der „American-Music-Radioshow“: Jürgen Schmid, Jürgen Frahne, Marvin „Candy“ Downs (v.r.n.l.)

Und das ist eigentlich der große Unterschied für die Radiomacher. Durch die digitale Technik ist alles viel schneller geworden. Da rede ich jetzt mal als Producer. Keine Bandmaschinen mehr, keine Carts, keine Platten: alles zentral im PC und dadurch viel fixer fertig – und natürlich auch viel schneller in der Sendung und damit bei den Hörern. Was damals und heute gleichermaßen gilt ist, den Hörern interessante Themen zu präsentieren, sie fürs Zuhören zu begeistern, sie mitzunehmen.

Jörn Krieger: Wie ist die aktuelle Lage im Hörfunkmarkt?

Jürgen Frahne
Jürgen Frahne

Jürgen Frahne: Wenn ich durch unsere Republik fahre (oder bei Zeitmangel mit meinem WLAN-Radio durch die Wellenlandschaft zappe), frage ich mich, wie die einzelnen Stationen mit dem oftmals Gebotenen glauben, sich am Markt vor Mitbewerbern platzieren oder sich von ihnen abheben zu können. Formatradio ist ja ’ne nette Sache, nur geht’s langsam in ein Uniform-Radio über. Gleiche Songs, gleichklingende, fröhlich vor sich hin claimende Moderatoren und Moderatorinnen. Ich meine, Leute, mal ehrlich: Stellt euch vor, ihr setzt euch abends oder in eurer Freizeit vor den Fernseher und seht gleich klingende Moderatoren, uniforme Aussagen, ich will das gar nicht weiter beschreiben, ihr würdet abschalten. Kein Mensch würde sich das antun wollen.

Formatradio hat nichts mit Uniform zu tun. Also lasst einfach mal euren gesunden Menschenverstand ran und hört auf, kreative Leute zu beschneiden und „auf Kurs“ zu bringen. Regeln – klar – müssen sein, auch beim Radio. Aber Regeln sind nicht alles im Leben. Leben heißt, ’ne ganze Menge Kreativität zu haben – und zwar in allen Belangen. Sonst macht’s keinen Spaß. Genauso ist es beim Radio. Das Radio hat nach wie vor tolle Chancen. Bei keinem anderen Medium wird die Fantasie der Menschen mehr gefördert. Nur dummerweise nutzt das kaum einer.

Jörn Krieger: Was hat sich durch die Corona-Pandemie verändert?

Jürgen Frahne: Radio war und ist immer noch ein Begleiter durch den Tag. Du fühlst Dich nie alleine, wenn das Radio im Hintergrund läuft. Gerade jetzt, in der Corona-Pandemie, in der wir Abstand halten müssen, unsere Freunde oder Familie nicht wie gewohnt sehen und mit ihnen interagieren können, ist das wichtiger denn je. Du wirst gleichermaßen unterhalten wie aktuell informiert. Aktuelle Umfragen zeigen deutlich, dass dies von den Menschen so empfunden wird.

Jürgen Frahne live on air (Bild: ©Jürgen Frahne)
Jürgen Frahne live on air (Bild: ©Jürgen Frahne)

Das Radio ist wieder weiter in den persönlichen Alltag vorgedrungen, hat den Platz des unsichtbaren Begleiters und Freundes eingenommen – ist jetzt wieder stärker da, wo es ja auch hingehört. Es ist nicht nur ein Lieferant für Musik, sondern auch für ein Gefühl – ja, sowas wie: „Wir leben noch“ und „Wir sind nicht alleine“. Das sind ganz wichtige Themen für alle Menschen, denn diese Pandemie hat uns in vielen Bereichen deutlich unsere Grenzen gezeigt und uns auch zum Nachdenken über die bis dato teilweise herrschenden Prioritäten gebracht.

Jörn Krieger: Ist in Corona-Zeiten überhaupt noch Platz für gut gelaunte Moderatoren und lustige Morning-Shows?

Jürgen Frahne: Da kommt’s, glaube ich, auf die Definition von „gut gelaunt“ an. Gute Laune heißt für mich nicht, grinsend wie ein Honigkuchen-Pferd am Mikro zu stehen und einen Brüller nach dem anderen zum Besten zu geben. Gut gelaunt heißt für mich, die Hörer sympathisch durch den Morgen zu bringen. Dazu muss ich nicht die ganze Zeit grinsen und lustig sein. Viele vergessen, dass gerade der Morgen eine sehr sensible Zeit des Tages ist. Ich geb‘ mal einen Schwank aus meinem Leben zum Besten. Ich hatte mal eine ganz liebe, von mir hochgeschätzte Kollegin, die in der News-Redaktion oft mit mir die Frühschicht hatte. Sie verschwand meist aus der Redaktion und verzog sich in den Sprecherraum. Ich fragte sie mal bei Gelegenheit, warum sie das denn tun würde. Ihre Antwort: „Ich ertrage Deine gute Laune am frühen Morgen nicht.“

Juergen Frahne Studio2

Nun ja, wer kennt sie nicht, die „Morgenmuffel“ oder die „Morgenmenschen“ und die vielen Schattierungen dazwischen. Unzählige Ehen gingen an solchen Unterschieden zu Bruch, deshalb halte ich es lieber mit einer sympathischen, eher unaufdringlichen Begleitung durch den Morgen, was natürlich nicht heißt, dass an entsprechender Stelle zu entsprechender Gelegenheit nicht auch mal ein Scherz, eine ironische oder humorvoll sarkastische Bemerkung fallen kann. Von einer „Auf-die-Tische-Morningshow“ halte ich gar nichts und auch nicht von Moderatoren, die glauben, einen Witz von einem Manuskript vorlesen zu können, sich dabei verhaspeln, und damit dann einen Brüller beim Hörer landen wollen. Es gibt kaum ein schwierigeres Gebiet als Humor. Da zitiere ich mal Evelyn Hamann als langjährige Partnerin von Loriot: „Die Inszenierung von Humor erfordert Strenge, Kunstfertigkeit und Disziplin.“ Einfach mal eben ’nen Witz machen funktioniert in den wenigsten Fällen.

Jörn Krieger: Wenn man Hörer fragt, was sie am Radio nervt, dann sind das oft Moderatoren mit aufgesetzter Fröhlichkeit. Hat so etwas heutzutage noch eine Chance?

Jürgen Frahne: Da haben wir’s doch. Diese Permanent-Grinser und Dauer-Lacher sind auch für mich Gift. Ich werd‘ da persönlich zum Tier. Sowas gibt’s im normalen Leben nicht. Stell‘ dir mal vor, sowas hättest du an deiner Seite. Du kommst aus dem morgendlichen Bett und kaum, dass du den Knopf der Kaffeemaschine gedrückt hast oder die Zahnbürste in der Hand hältst, drängt dir jemand sein Grinsen und seine „Holladiho-Laune“ auf. Oh mein Gott! Das Wort „moderat“ ist Bestandteil des Wortes „Moderator“ – das sollte eigentlich schon genug sagen.

Mit einem Kollegen oder einer Kollegin eine Sendung zu machen, ist etwas sehr Schönes, aber auch Schwieriges. Du brauchst eine gehörige Portion Selbstdisziplin, um nicht ins Plappern zu kommen. Und da man ja (gefühlt) jeden Tag oder in jeder Sendung noch eins draufsetzen muss, kommt da oftmals mit der Zeit etwas ganz Schreckliches heraus. Ob das heutzutage bei den Hörern eine Chance hat, wage ich zu bezweifeln, zumal, was wir uns wohl eingestehen müssen, wir alle alleine anhand der aktuell angespannten Lage auch in so einem Punkt immer sensibler werden. Und dann Menschen bereits am Morgen vollzuschwallen oder vollzuclaimen, ist nichts, dem ich eine Chance geben würde.

Jörn Krieger: Mit Streaming-Diensten wie Spotify, die den Hörern die gewünschten Klänge auf Tastendruck liefern, hat das Radio als musikalischer Tagesbegleiter starke Konkurrenz bekommen. Welche Zukunft hat das Radio?

Jürgen Frahne: Sehe ich überhaupt nicht so und ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum diese Frage heutzutage so thematisiert wird. Du hast mich am Anfang nach der damaligen Zeit gefragt. Und genau diese war in dem Punkt nicht anders als die heutige. Nur nannte sich Streamen damals Kassettenhören, zum Beispiel in den zu der Zeit aufkommenden Walkmans, später Discmans und dann in den iPods. Wer unbedingt „seine“ Musik hören wollte, hat das damals auch schon getan. Musikhören hat aber nicht denselben Stellen- oder Unterhaltungswert wie Radiohören. Sowas ist auch tageszeitabhängig.

Wieder etwas aus meinem Leben – vor meiner Radiozeit: Auf dem Weg morgens zur Arbeit hatte ich in jedem Fall das Radio an, auf dem Heimweg abends hörte ich aber oft Kassette. Ich könnte wetten, das geht vielen Menschen so. Streamen und Radiohören hat meines Erachtens beides seine Existenzberechtigung …und im Laufe seines Lebens wechselt man auch gerne mal seine Gewohnheiten. Nach einer Zeit des „Nur-Musikhörens“ wechselt man später auch gerne zu „Musik-und-Info-hören“. Ehrlich, wer von uns kennt das nicht? Ich sehe nicht, das Radio seinen Platz bei den Menschen verliert. Allerdings: Man kann Radio auch mies machen. Damit meine ich jetzt nicht „schlechtreden“, sondern einfach schlecht machen. Wir sprachen ja schon darüber.

Jörn Krieger: Welche Rolle spielt dabei das Digitalradio (DAB+)?

Jürgen Frahne: Das Digitalradio bietet tolle, ungeahnte Chancen. Ob in Musik oder Info. UKW-Frequenzen waren und sind ja in der Anzahl stark beschränkt. Anders ist das bei der digitalen Übertragung. Ich sehe da eine fantastische Vielfalt auf uns zukommen. Ob in der Musik – man denke da an die vielen verschiedenen Sparten, in der Regionalität oder im lokalen Bereich. Aber auch da gilt, was beim UKW-Radio gültig ist: Es muss gut gemacht sein.

Jörn Krieger: Vor über 30 Jahren hast du als Moderator angefangen. Mit YouTube, Facebook, Instagram, TikTok, Twitch & Co. gibt es inzwischen viele Plattformen, auf denen sich Talente austoben können. Wie lassen sich junge Leute auch heute noch fürs Radiomachen begeistern?

Jürgen Frahne: Auch da sehe ich eigentlich nur Vorteile, seine eigenen Wünsche, Ziele und auch Talente zielgerichtet zur Entfaltung zu bringen. In meinen jüngeren Jahren hatte ich mal die Chance, zum Fernsehen zu gehen. Als ich dann aber sah, wie das Ganze gemacht wurde, was alles dahintersteckt, habe ich mich gefragt, ob es das eigentlich ist, was ich mir so gewünscht hatte und musste verneinen. Ich wollte immer Radio machen. Naja, und ich empfand es auch immer als sehr angenehm, in irgendeiner Kneipe oder im Restaurant zu sitzen, ohne dass mich jemand auf Anhieb erkannt hätte. Andere Typen als ich sehen das vielleicht anders und suchen die Öffentlichkeit, das Gesehen- und Erkanntwerden.

Jürgen Frahne
Jürgen Frahne

Die von dir aufgezählten Plattformen sind tolle Sachen und bieten mannigfaltige Möglichkeiten, sich einzubringen und etwas aus dem eigenen Leben zu erzählen. Und die, die sich wie ich für Radio interessieren, haben nicht zuletzt durch DAB+ genauso ihre Chance, mehr als sie es vielleicht früher gehabt hätten. Schau‘ dir doch alleine die Webradioszene an. Da sieht man Begeisterung und Engagement pur. Ein Nachlassen des Interesses fürs Radiomachen sehe ich jedenfalls nicht. Eher die Resignation bei Kollegen, wenn es um die derzeitigen Beschränkungen in ihrer Kreativität geht. Radio lebt. Nach wie vor. Und es wird weiterleben. Wie viel Leben es sein wird, haben die Verantwortlichen selbst in der Hand.

Jörn Krieger: Vielen Dank für das Gespräch.


Hinweis: Das Interview erschien erstmals in der Zeitschrift InfoDigital (Nr. 396/März 2021). Die Veröffentlichung auf Radioszene.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Chefredaktion.

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