Macht’s gut, Jochen und Sonny

bitter lemmer bigVergangene Woche starben zwei ungewöhnliche Charaktere unter den deutschen Radiomachern: Jochen Pützenbacher und Sonny Hennig. So verschieden die beiden waren: Sie kannten sich und sie schätzten sich.

Ein Nachruf von Christoph Lemmer

„Der Tod ist die beste Erfindung des Lebens.“ Dieser Satz stammt von Steve Jobs. Er sprach ihn wenige Monate vor seinem Tod vor Studenten in Stanford. Vergangene Woche sind zwei Radiokollegen gestorben. Keine Durchschnittstypen, sondern Charaktere. Solche, von denen man sich wünscht, sie hätten noch eine Weile mit voller Kraft weitermachen können. Wenn’s hart auf hart kommt, ist der Tod vielleicht doch keine so gute Erfindung. Ich rede von Sonny Hennig und von Jochen Pützenbacher.

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Jochen Pützenbacher wurde am 9. März 1939 in Solingen geboren. Er starb am 22. August mit 80 Jahren in Düsseldorf. 

Jochen gehörte zur unmittelbaren Nachkriegsgeneration. Der zweite Weltkrieg war gerade zu Ende, als er eingeschult wurde. Er lernte Friseur und Maskenbildner und arbeitete als Berufsschullehrer. Alles ganz normal. Ein normaler Mann im westdeutschen Wirtschaftswunderland der 1950er und 1960er Jahre, die keineswegs so langweilig und spießig waren wie manche Geschichtsklitterer heute behaupten. 

Christoph Lemmer und Jochen Pützenbacher während der 50 Jahre RTL-Feier am 15. Juli 2007 im Luxemburg (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)
Christoph Lemmer und Jochen Pützenbacher während der 50 Jahre RTL-Feier am 15. Juli 2007 im Luxemburg (Bild: ©Ulrich Köring/RADIOSZENE)

Zum Radio kam Jochen als Quereinsteiger und erst mit 30 Jahren. Und natürlich hätte er mit seiner unakademischen Vorgeschichte als normaler Mensch mit ehrbarem Beruf nie und nimmer bei einer öffentlich-rechtlichen Anstalt seine Chance bekommen, wohl aber bei den fröhlichen Wellen von Radio Luxemburg. Radio Luxemburg war gelebte Freiheit. Gesendet wurde, was Spaß machte – den Machern und den Hörern. 

Bekannt, berühmt und vielfach geehrt wurde Jochen für „Ein Tag wie kein anderer“. Nie zuvor hatte es im deutschsprachigen Radio eine Show gegeben, die so überzeugend Träume verkaufte. Das Träumeverkaufen gehört heute zum Repertoire aller erfolgreichen Programme. Viele haben vergessen, wo die Wurzeln des Träumeverkaufens im Radio liegen. Jochen war der erste im Radio des Nachkriegsdeutschland, der Träume verkaufte. 

Dass er damit aneckte und versehentlich eine Medienrevolution beförderte, ist ihm vielleicht nie bewusst geworden. Dass Deutschland das Verbot des Privatradios beendete, lag am Erfolg von Radio Luxemburg. 

Und Radio Luxemburg war unfassbar erfolgreich. Wenn die Moderatoren am Jahresende ihre Erfolgsprämien bekamen, dann konnten sie sich davon Häuser kaufen. Jedes Jahr ein neues. 

So viel Erfolg in Luxemburg nervte die deutsche Politik. Mitten im Sendegebiet entstand das erste Pilotprojekt für ein unter deutscher Lizenzaufsicht stehendes Privatradio. Wie Dominosteine fielen die anderen Bundesländerbastionen dann auch. 

Damit war Jochen einer einer derjenigen, die der heutigen Radiolandschaft das Feld bereitet haben. Ich habe ihn als entspannten Typen kennengelernt, der aber seine Prinzipien hatte. Formatradio mochte er nicht. Das war ihm zu unpersönlich. Da fehlte ihm die besondere Note. 

Am Ende mag er das Gefühl gehabt haben, die Zeit sei über ihn hinweggegangen. Aber das stimmt nicht. Ständig wird heute in der Branche geredet, es brauche mehr „Personalities“. Da würde Jochen wohl zustimmen und sich in seiner verschmitzten Art über das angelsächsische Wort „Personality“ beömmeln. Nicht hochmütig, sondern wie das Mädchen, das den nackten Kaiser nicht nur sieht, sondern auch sagt, dass er nackt ist. 

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Sonny Hennig wurde am 4. März 1946 in Mühlhausen/Thüringen geboren und starb am 19. August mit 73 Jahren in Nürnberg. 

Sonny Hennig (Bild: ©Gong 97.1)
Sonny Hennig (Bild: ©Gong 97.1)

Sonny war Musiker. Rock-Musiker. Einer der ersten Rockmusiker, die es in Deutschland gab. Er spielte und sang in bahnbrechenden Bands, mit denen er im spießigen Medienbetrieb der 1960er Jahre keine Chance hatte. 

Mit Ernst Schulz gründete er die Band Jonah & the Wales. Ein biblisches Thema als Bandname. Ich habe Sonny das letzte Mal vor ein paar Jahren in Nürnberg getroffen, bei Bier (ich) und Saft (er). Da haben wir auch über Religion geredet, aber ich habe nicht herausbekommen, ob er etwas glaubt und wenn ja, was. Ich glaube, Religion war ihm letztlich egal. Aber seine Band nannte er nach dem biblischen Jona. 

Produktionen und Auftritte finanzierte der Nürnberger Kommunist und Millionenerbe Hannsheinz Porst. Der förderte auch das nächste Projekt von Sonny – die Band Ihre Kinder. 

Deutschrock entstand nicht in Hamburg oder Berlin, sondern in Nürnberg. Sonny war der Wegbereiter und Vorbild für Udo Lindenberg und Ton Steine Scherben. Einmal war er als Support-Act für Lindenberg geplant, aber daraus wurde nichts. Einmal trat er nach den Bee Gees in einer ZDF-Sendung auf. Das Publikum reagierte pikiert, die Senderleitung ließ ihn ihre Macht spüren und engagierte ihn nie wieder. 

Als später die Privatradio-Gründerwelle auch Bayern erreichte, da war er im Nürnberger Lokalfunk dabei. Dort habe ich ihn in einer unvergesslichen Situation das erste Mal getroffen, im Sendestudio von Radio Gong. Er moderierte am Abend und kiffte dabei. Ein knorriger Typ mit faltigem Gesicht, der eine unbändige Energie ausstrahlte und sich um nichts scherte. 

Wenig später gehörte er zum Team von Arno Müller, der den Auftrag hatte, das Programm von Radio Luxemburg für die neue Zeit mit der neuen deutschen Privatradiokonkurrenz fit zu machen. 

RTL blieb für Sonny ein Gastspiel. Er kehrte nach Nürnberg zurück. Radio Gong und den Leuten im Funkhaus blieb er verbunden. Gerade Volontäre und junge Kollegen mochten ihn, auf eine eigentümliche Weise. Er war für sie ein Star, den sie bewunderten, und zugleich ein kumpelhafter Typ im Großvateralter, der im Kopf lässiger und jünger war als der halb so alte eigene Vater. 

Sonny war ein Revoluzzer der guten Art. Er hinterfragte alles und jedes. Er forderte seine Umgebung heraus. Damit schuf er Fortschritt.

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Jochen und Sonny sind zwei Typen, die unterschiedlicher nicht sein können. Jochen war Kind des kleinbürgerlichen Westdeutschland, Sonny war mitgerissen vom kulturrevolutionären Furor der 1968er. Beide standen zu ihren Milieus und verkörperten sie. Beide waren außergewöhnlich konsequent – der eine, der Träume verkaufte und lebte, der andere, der immer Rebell blieb, um jeden Preis, auch um den des großen Erfolgs. Und doch haben sie sich getroffen und gekannt, nämlich in Luxemburg. Jochen war der, der für das alte Radio Luxemburg stand, dessen Zeit abgelaufen war. Sonny gehörte zu denen, die Radio Luxemburg in die neue Zeit führen sollten. Die beiden standen auf verschiedenen Seiten. Es gab Konflikte. 

Was ich allerdings weiß: Die beiden mochten sich als Menschen. Weil beide für etwas standen. Weil sie echte Typen waren und darum beim anderen spürten, dass auch der ein echter Typ ist. Weil sie nicht um Respekt betteln mussten. Jetzt starben beide in derselben Woche im August 2019. Wo sind die neuen Typen, die ihnen das Wasser reichen können? Jochen und Sonny fehlen. Macht’s gut.


Christoph Lemmer Portrait 2012 100
Nachruf von Christoph Lemmer (Freier Journalist). Mehr unter bitterlemmer.net

E-Mail: christoph@radioszene.de