Was machen Zeitungen online besser als Radiosender?

James Cridland's Radio FutureIch habe mal darüber nachgedacht, wie man die Website einer Tageszeitung anders gestalten könnte.

In der oberen Navigationsleiste würde ich einen Menüpunkt anbieten, über den man alle Details zu allen Journalisten abrufen kann: ihre Biografien komplett mit Fotos.

Dann würde ich eine komplette Seite den Orten widmen, wo man die Zeitung kaufen kann. Wahrscheinlich eine Liste mit verschiedenen Geschäften, eventuell mit einer hübschen Landkarte dazu.

Natürlich würde es auch ein Gewinnspiel geben. Immerhin sind wir im Internet, und damit verdient man hier halt sein Geld.

Wahrscheinlich würde es auch die Möglichkeit geben, dem VIP-Club der Zeitung beizutreten. Aus welchem Grund auch immer.

Die Startseite würde einen Link zu einem wichtigen Ereignis in dieser Woche enthalten, vielleicht auch einen aktuellen Wetterbericht, aber wahrscheinlich nicht viel mehr. Nur vielleicht noch ein Bildkarussell mit einem schönen Foto von dem Typen, der für die Zusammenstellung von Seite 2 zuständig ist.

Auf der rechten Seite würde ich wahrscheinlich die Facebook-Seite integrieren, die ihrerseits wiederum Links auf die Website der Zeitung enthält. Und darunter der Twitter-Feed mit denselben Links auf dieselbe Website der Zeitung, nur eben etwas anders formuliert.

Und wer genau hinsieht, wird vielleicht noch einen „Jetzt lesen“-Link finden. Dieser Link führt zu einer PDF-Version der Zeitung, die sich dann öffnet, damit man die neueste Ausgabe lesen kann. Man kann zwar keinen Artikel daraus teilen, man kann auch nicht weiterklicken, um die Informationen zu dem bestimmten Artikel zu vertiefen… Aber immerhin kann man die Zeitung im Original-Layout lesen.

Klingt ziemlich grottig, oder?

Aber das ist offenbar das Standardkonzept einer Radio-Website. Ein paar Links, einige DJ-Biographien, ein VIP-Club… und der Audio-Stream als Pendant zur PDF-Datei. Ein Livestream…

Nichts von diesem Livestream kann man teilen, man kann auch nicht weiterklicken und weitere Informationen über die Sachen, die man da gerade hört, abrufen. Aber immerhin kann man den Sender so hören, wie er auch im Radio klingt.

Was mich immer mehr beeindruckt, sind Sender, die diesem Korsett entfliehen. Die erkennen, dass man die interaktive Welt, die das Internet bietet, optimal nutzen sollte. Und dazu braucht man nun einmal mehr als nur einen Livestream.

Die Website von talkRADIO aus Großbritannien bietet von der Startseite aus Zugriff auf eine Vielzahl von einzelnen Audioclips. Man umlauert sofort, mit was für einem Sender man es zu tun hat, und das eigene interaktive Gerät kann so ziemlich jede gesendete Minute einzeln abrufen. 

WNYC in den USA macht es ähnlich. Auch hier werden kurze Nachrichtenbeiträge angeboten, wie auch bei talkRADIO, aber so konzipiert, dass es den Content und den Kontext des Senders kommuniziert.

NPR geht natürlich wieder einmal einen Schritt weiter, mit dem NPR One-Service. Hier kann man sich selbst einen Nonstop-Stream anhand der eigenen Interessen zusammenstellen. Das ist doch mal was anderes als ein Livestream, den man nicht beeinflussen kann.

Ein Livestream ist eine feine Sache, und es gibt sicherlich ein Publikum dafür. Aber auch Zeitungen bieten auch längst mehr als die plumpe PDF-Version ihrer neuesten Ausgabe. Vielleicht sollten auch mehr Radiosender sich die Vorteile des Internets zunutze machen und mehr bieten als nur das Audio-Pendant einer PDF-Datei. 

 


James CridlandDer Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.