Laufenberg reaktiviert PopStop: „Reines Abspielen von Musik wird nicht mehr genügen, um Hörer zu binden“ 

Über Nacht waren sie da – die ersten Jugendangebote im deutschen Radio. Die Rede ist hier nicht von Wellen wie 1LIVE, FRITZ oder N-JOY. Nein, eher von deren fast in Vergessenheit geratenen Vorläufern – den „Zielgruppensendungen für Jugendliche“ (so die damalige Diktion) aus den späten 1960er- und 1970er-Jahren: also Radiothek“ (Westdeutscher Rundfunk), “Point“ (Süddeutscher Rundfunk), Pop Shop“ (Südwestfunk), Zündfunk“ (Bayerischer Rundfunk), S-F-Beat“ (Sender Freies Berlin), “Hallo Twen“/“Drugstore 1421“ (Saarländischer Rundfunk),  Treffpunkt“ (RIAS), “Teens Twens Top-Time“/“R-u-m-m-s“ (Hessischer Rundfunk), “Rizz“ (Radio Bremen), Die Musicbox“ (Österreichischer Rundfunk) oder Club“ (Norddeutscher Rundfunk). Die Einführung dieser Angebote erwies sich mit dem einhergehenden Siegeszug der Pop- und Rockmusik – sowie den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen ab der zweiten Hälfte der  60er Jahre – als Volltreffer der Programmverantwortlichen. Man ließ den meist blutjungen Moderatoren mit ihren gegen den Strich gebürsteten Sendeideen freien Lauf und lockte damit die – von der seinerzeit sehr konservativen Programmwelt gelangweilten – Teens und Twens scharenweise zum Radio.

Frank Laufenberg 1963 (Bild: © B. Laufenberg)
Frank Laufenberg 1963 (Bild: © B. Laufenberg)

Eine Vorreiterroller beim Aufbau junger Angebote nahm damals der Südwestfunk mit seinem “Pop Shop“ ein. Die Wurzeln lagen in der Sendung “Stars und Hits“, die gegen Ende der 1960er-Jahre jeden Samstag als Hitparade im ersten Hörfunkprogramm des SWF lief. Sie wurde von Redakteur Walther Krause begründet und moderiert, der den damaligen SWF-Hörfunkdirektor Manfred Häberlen von einem neuen Sendekonzept überzeugte, der sogenannten „Selbstfahrersendung“. Der damals 31-jährige Krause hatte zuvor in den USA hospitiert und sah bei verschiedenen Radiostationen, wie ein einzelner Mensch als Redakteur, Moderator und Techniker in Personalunion arbeitete. Gegen anfängliche Widerstände führte er Ende 1968 mit großem Erfolg die “Stars und Hits“-Hitparade ein. Daraufhin entwickelte Häberlen die Idee, auf der dritten UKW-Senderkette, die seit ihrem Sendestart am 3. August 1964 in der Hauptsache für mehrsprachige Gastarbeiterprogramme diente, ein Format speziell für die junge Generation zu etablieren. Häberlen beauftragte Krause 1969 damit, diese Aufgabe zu übernehmen. So wurde daraus ab dem 1. Januar 1970 der “Pop Shop“.

Schon bald nach Sendestart übernahm der junge Sender in Sachen Musikkompetenz  die Lufthoheit im Sendegebiet. “Pop Shop“ hören war cool. Die jungen Wilden waren neugierig, ungezwungen, experimentierfreudig und spürten täglich brandneue Trends und Künstler auf – von Bowie bis Genesis, blickten (selbst-)bewusst auch über den Tellerrand des damaligen Mainstreams hinweg. Über alles, was musikalisch interessant war, wurde berichtet – eine Tradition, die auch im heutigen SWR3-Programm weiter gepflegt wird. Die Präsentationen neuer Platten, Künstler und Bands durch die „Pop Shop“-DJs fühlten sich an wie Kaufbefehle an die Hörerschaft.

Frank Laufenberg 1965 im "Black Horse" (Bild: © B. Laufenberg)
Frank Laufenberg 1965 im „Black Horse“ (Bild: © B. Laufenberg)

Beliebtestes Aushängeschild innerhalb der “Pop Shop“-Mannschaft war der in Köln aufgewachsene Frank Laufenberg. Von 1967 bis 1970 arbeitete er als Künstlerbetreuer für die Schallplattenfirma Electrola. Musik- und Mikrofonerfahrung hatte Laufenberg schon ab 1963 als DJ in etlichen Kölner Diskotheken gesammelt. Durch die Begleitung eines Popstars zu einem Hörfunk-Interview im Auftrag der EMI kam er Anfang 1970 mit Walther Krause in Kontakt. Der “Pop Shop“-Chef stellte ihn für zwei Wochen auf Probe ein. Aus dieser Bewährungszeit wurden bis heute mehr als 54 Jahre im Dienste des Radios.

Frank Laufenberg arbeitete über die Jahre für zahlreiche Radio- und Fernsehsender. Er verfasste Monografien über Joe Cocker, Cliff Richard und Deep Purple sowie zahlreiche umfassende Bücher über die Geschichte der Popmusik – unter anderem “Frank Laufenbergs Rock- und Pop Lexikon“, das noch immer zu den Standardnachschlagewerken innerhalb der Musikredaktionen deutscher Radioprogramme zählt. “Meyers Großes Universal-Lexikon“ verwendet seine Definition und Erläuterung zum Thema Rockmusik. Sein “Rock und Pop Diary“ ist in allen englischsprachigen Ländern als Übersetzung erschienen.

PopStop – Das Musikradio wird ab 1. März wieder moderiert von Heinz Canibol, Willi Glas, Dieter Haubrich, Uwe Kemmer, Alxeander Stock und Frank Laufenberg

Im Jahr 2013 gründete Frank Laufenberg das Internetradio PopStop, das er mit einer großen Schar an Mitstreitern wie Dave Colman oder Heinz Canibol über 10 Jahre bis Ende Oktober 2023 betrieb (RADIOSZENE berichtete). Das vermeintliche Ende des Senders war allerdings nur von kurzer Dauer: am 1. März 2024 meldet sich PopStop offiziell zurück mit moderierten Musikshows und seiner außergewöhnlichen Playlist von rund 6.500 erlesenen Titeln.

Frank Laufenberg mit Stoppok 2017 (Bild: © Petra Laufenberg)
Frank Laufenberg mit Stoppok 2017 (Bild: © Petra Laufenberg)

Zudem präsentiert Laufenberg, der zwischenzeitlich dienstältester Programmgestalter im deutschen Radio sein dürfte, jeden Samstag innerhalb des SR 3-Oldieabends exklusiv kleine Highlights aus seinem riesengroßen Musikfundus.


Im Interview mit RADIOSZENE spricht die – zwischenzeitlich in der Eifel beheimatete – Radiolegende über PopStop, seine lange Medienkarriere, die Musikszene sowie das Radio von gestern und heute.

„Die Anzahl sehr guter und bei den Hörern beliebter Rundfunkmacher war und ist begrenzt.“

RADIOSZENE: Im Vorjahr haben Sie nach 10 Jahren Sendezeit Ihr Webradio PopStop am Vorabend des 100. Geburtstages von Radio eingestellt. Nun ist das Programm wieder auf Sendung. Welches sind die Gründe für den überraschenden Re-Start?

Frank Laufenberg 2023 (Bild: © Petra Laufenberg)
Frank Laufenberg 2023 (Bild: © Petra Laufenberg)

Frank Laufenberg: Ich hatte ja schon in meinem letzten Post auf der PopStop Seite am 29.10.2023 angekündigt, dass ich – nachdem ich mich von einigem Ballast befreit hätte – unter Umständen in verknappter Form mit PopStop weitermachen würde. Die wichtigste Stütze im Projekt PopStop, war immer Heinz Canibol. Nachdem wir uns abgesprochen haben, weiter machen zu wollen, kam zuerst der Ausflug zu The Rock – Radio Helgoland, den Sender meines Sohnes Thore – und ab 1. März dann wieder auf unseren angestammten Platz bei RMN Radio. Ansonsten könnte ich allerdings auch wie einst im Mai Konrad Adenauer sagen: „Wat kümmert mich mein Geschwätz von jestern“. Solange Heinz, ich und einige Kollegen Spaß am Radio machen haben, machen wir weiter. 

RADIOSZENE: Werden Sie das Konzept in der bisherigen Form fortsetzen? Eine Stärke von PopStop war es ja auch, mit Sondersendungen auf besondere Anlässe in der Musikszene spontan zu reagieren…

Frank Laufenberg: Erst mal wieder in die Spur kommen – und dann sehen, was wir besser machen können. Spontane Live-Sondersendungen werden auf jeden Fall weitergemacht – das war eine Stärke von PopStop – und wird auch so bleiben!

RADIOSZENE: Wie fällt das bisherige Fazit als Webradiomacher aus? Haben ausschließlich im Internet verbreitete Radioformate eine Zukunft?

Frank Laufenberg (Bild: © B. Laufenberg)
Frank Laufenberg (Bild: © B. Laufenberg)

Frank Laufenberg: Die Anzahl sehr guter und bei den Hörern beliebter Rundfunkmacher war und ist begrenzt. Für viele Hörer scheint das, was im Radio so leicht und fröhlich daherkommt, einfach zu sein. Das hinter jeder Sendestunde 4 bis fünf Stunden Arbeit steckt, ist ihnen nicht bewusst – muss es ja auch nicht. Aber die Anzahl derjenigen, die sagen: „Das ist ja einfach“ ist sehr groß! Und dann denkt halt so mancher Berufsschullehrer, das bisschen könne er auch. Und klingt dann am Mikro so, wie er in der Schule vor der Klasse agiert – meist recht humorbefreit! Und grade bei den Webradios wimmelt es von teilweise doch sehr unbegabten Moderatoren mit unbegabten Stimmen.

RADIOSZENE: Hat sich in den bisherigen Jahren von PopStop so etwas wie eine Stammhörerschaft etabliert, die gezielt einschaltet?

Frank Laufenberg: Ja, die Stammhörerschaft mag Radio, das ausschließlich Musik zum Inhalt hat – und bestimmte Sendungen werden und wurden auch gezielt eingeschaltet. Da wir ja nicht in der MA erfasst werden, wissen wir auch nichts über die Struktur unserer Hörer – aus den Chats mit den Hörern wird allerdings deutlich, dass sie in der Altersklasse 45+ und vorwiegend männlich sind.

„Popmusikgeschichte ohne Musik zu präsentieren, ist wie ein erzähltes Schnitzel!“

RADIOSZENE: Die terrestrischen Programme strichen zuletzt immer häufiger moderierte beziehungsweise kuratierte Musiksendungen aus ihren Sendeplänen. Streamingdienste wollen oder können die Lücken noch nicht füllen. Sehen Sie hier eine Chance für die Webradios – eventuell auch in Kombination mit der Produktion von Podcastserien? Die Kenntnisse über die Popmusikgeschichte sind bei den Machern Ihres Senders ja zweifelsfrei vorhanden …

Frank Laufenberg: Die GEMA hält auch bei den Podcasts die Hände auf – und die Popmusikgeschichte ohne Musik zu präsentieren, ist wie ein erzähltes Schnitzel! Ich befürchte, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Streamingdienste mit KI-Stimmen zu den gespielten Titeln auch die gesprochenen Informationen liefern können.

RADIOSZENE: Gab in den zurückliegenden Jahren Kontakte über Kooperationen mit terrestrischen Sendern oder Radiogruppen?

Frank Laufenberg: Leider nein – da wäre ich gerne drauf eingegangen. Die Reichweite der  terrestrischen Sendern ist ja begrenzt – die von ‚www‘ nicht!

RADIOSZENE: Die Musikfans warten seit geraumer Zeit auf wirkliche neue Musiktrends. Vieles in den Single-Charts klingt austauschbar und die Albumcharts wurden im letzten Jahr beispielsweise durch die Rolling Stones dominiert. Wird es überhaupt wieder neue Trends geben können oder gehen den Kreativen die Ideen aus? Mancher Musikschaffender hofft hier ja auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz …

Frank Laufenberg mit Drafi Deutscher 1986 in Köln (Bild: © Erick Meurer)
Frank Laufenberg mit Drafi Deutscher 1986 in Köln (Bild: © Erick Meurer)

Frank Laufenberg: Die Vielzahl der Coverversionen weist ja darauf hin, dass eigentlich das Potential der möglichen Tonfolgen ausgereizt ist – aber Musikschaffende, die auf KI hoffen, habe ich bisher noch nicht kennengelernt. Aber ob sich diese KI nicht in den nächsten Jahren so weiterentwickelt, dass man gar nicht mehr raushört, wer für den angeblich „neueste“ KI-Hit die Copyrights hat, kann ich nicht beurteilen.

RADIOSZENE: Das Streamingmodell wird aus den Reihen der Musikwirtschaft als Segen empfunden. Anderseits kommt immer wieder Kritik über die Entgelte an die Musikschaffenden auf. Zudem sorgt eine Flut an Veröffentlichungen – täglich werden über 100.000 Songs bei Spotify & Co. hochgeladen – bei den Endkonsumenten für nur eingeschränkte Transparenz in das immer undurchsichtiger werdende Marktgeschehen. Viele hörenswerte neue Songs und KünstlerInnen werden naturgemäß nicht mehr wahrgenommen. Wie sehen Sie die Bedeutung von Musikstreaming?

Frank Laufenberg: Die Freude der Musikwirtschaft an den Streamingdienste kann ich gut nachvollziehen – wird doch da ihr Produkt verkauft, für das sie nichts mehr tun müssen. Keine Presskosten, keine Promotion usw. Wozu braucht man die Plattenfirma überhaupt noch? Und die Vielzahl der täglichen Neuerscheinungen macht ja auch deutlich, wie einfach es  geworden ist, ein eigenes Plättchen zu produzieren und dann ins Netz zu stellen. Dass da jemand den Überblick behält, mag ich nicht glauben. Aber mit diesen Songs ist es wie beim Internet-Radio und seinem mehrere Zehntausend Stationen umfassenden Markt – ich nehme mal an, dass die meisten davon im Schnitt nicht mehr als 30 Hörer haben. Ganz viele haben 4 Hörer: der, der das Programm macht, seine Freundin und seine Eltern! Und so klingt auch das Programm – und so klingen auch die 100.000 täglich hochgeladenen Titel: fürs Gesäß!

RADIOSZENE: Früher übernahmen Radioprogrammgestalter das Gatekeeping von neuer Musik und die Durchsetzung von Trends. Diese Funktion wird bei vielen Sendern nur noch bedingt wahrgenommen. Liegt nicht genau hier eine Chance für das Radio diese verloren gegangenen Tugend wieder aufleben zu lassen?

Frank Laufenberg: Auch die Programmgestalter können bei der Vielzahl von Neuerscheinungen keinen Überblick mehr haben. Mehr denn je ist neben dem Können der Musikschaffenden das Glück ein Faktor für den Erfolg. Und: ich glaube einfach nicht, dass das Radio noch die Macht hat, einen neuen Trend durchzusetzen.

„Ich glaube einfach nicht, dass das Radio noch die Macht hat, einen neuen Trend durchzusetzen“

RADIOSZENE: Sie haben während Ihrer langen Radiozeit zahllose Musikerkarrieren unterstützt. Gab es Erfolge von Künstlern, die es besonders verdient hatten?

Frank Laufenberg – Autogrammkarte 1975 (Bild: SWF3/SWR3)
Frank Laufenberg – Autogrammkarte 1975 (Bild: SWF3/SWR3)

Frank Laufenberg: Der Erfolg hat viele Väter – der Misserfolg ist ein Waisenkind. Von den vielen Künstlern, die ich sehr gut fand und die Erfolge hatten, kann ich mit Fug und Recht behaupten: den hätten sie auch gehabt, wenn ich sie nicht gespielt hätte. Was mich wirklich freute: beim Saturn in Köln sah ich 1980 zwei Stapel LPs und stellte den Disponentinnen des Hauses, Ruth Leycock und Helga Meyer die Frage, wer denn BAP ist, dass die da gleich mit zwei Stapeln präsentiert werden: „Läuft toll, das ist schon der zweite Stapel, den wir heute verkaufen.“ Daraufhin nahm ich zwei Alben mit und spielte davon Titel im “Pop Shop“ von SWF3 – und damit begann der Aufstieg von BAP. Aber bin ich deshalb für den Erfolg von BAP verantwortlich? Oder die beiden Disponentinnen? Oder Saturn? Oder die Kölner Käufer? Jedenfalls gönne ich Wolfgang Niedecken seinen langen und verdienten Erfolg. Und auch hier bin ich der Meinung: er hätte den auch ohne mein Zutun gehabt! Verantwortlich für den Erfolg war BAP! Basta!

RADIOSZENE: Die verkanntesten Genies im Musikbusiness?

Frank Laufenberg: Sie sind wohl auch meist die Unbekanntesten!

RADIOSZENE: Ihre schönste Zeit beim Radio?

Frank Laufenberg: Als Hörer selbst Ende der 1950er- und 1960er-Jahre – als Macher von 1970 bis 1975! Das war die Zeit, in der wir die Freiheit hatten, viele Dinge auszuprobieren. Ansonsten kann ich für mich feststellen, dass mir der SWF/SWR auch in den späteren Jahren viel Freiheit gelassen hat!

RADIOSZENE: Haben Sie eine Vision in welche Richtung sich Radio entwickelt wird?

Frank Laufenberg: Die Streamingdienste werden in immer größeren Massen potentielle Radiohörer abgreifen. Das reine Abspielen von Musik wird nicht mehr genügen, um Hörer an sich zu binden. Hörerwunschsendungen sind zum Beispiel völlig für die Katz – ich kann mir bei YouTube kostenlos jederzeit meine Lieblingstitel anhören. Wann immer ich möchte.

Die Lösung des Radioproblems äußerte Bertolt Brecht 1927: „Ein Mann, der etwas zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran. Noch schlimmer sind Zuhörer dran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat!“