„Ecken und Kanten machen Programme wieder spannend“

Eigentlich müssten Deutschlands Radiomacher jubeln: gut 80 Prozent der rund 60.000 Befragten geben an, täglich Radio zu hören – angeblich mehr als vier Stunden lang. Und doch rumort es seit einigen Monaten gewaltig in der Szene, neue und nachahmenswerte Konzepte werden gesucht.

Im Frühjahr 2005 kam ein Buch auf den Markt, dessen Inhalt alarmierend klang. „Ist das Radio noch zu retten?“, fragte Hermann Stümpert, viel gepriesener „Radiovisionär“, der einst die legendäre Europawelle Saar mit aus der Taufe hob und Mitte der achtziger Jahre in Schleswig-Holstein den ersten landesweiten deutschen Privatsender zum größt möglichen Erfolg führte. Sein Buch wird sein Vermächtnis bleiben. Was ihn umtrieb, lässt sich in zwei Sätze fassen: „Alle werfen dem Radio vor, öde und langweilig, anspruchs- und kantenlos, glattgebügelt und vergessbar geworden zu sein. Kurz vor seinem hundertjährigen Geburtstag scheint der einst so farbige, hellwache, fantasie- und abwechslungsreiche Hörfunk dem schleichenden Niedergang geweiht.“

Macher in der Klemme

Demnach sitzen Deutschlands quotenorientierten Hit- und Mainstreamradios ganz schön in der Klemme. Von Kiel bis Konstanz, vom durchformatierten Privatradio bis zu den inzwischen ebenfalls durchgestylten fröhlichen Pop- und Servicewellen der öffentlich-rechtlichen Sender, klingen mittlerweile die meisten mehr oder weniger gleich: dieselben Hits, ähnelnde Comedys, austauschbare Sprüche, die gleichen Gewinnspiele. Nachdem konsequent in jahrelangen Bemühungen alle Abschaltfaktoren eliminiert wurden, fällt auf, dass auch die Einschaltimpulse fehlen. Damit soll jetzt Schluss sein. Die ersten Radiomacher wollen wieder raus aus der Nische des Nebenbeimediums, das man zwar hört, aber dem man nicht mehr zuhört. An der Spitze dieser Bewegung sieht sich selbst der BERLINER RUNDFUNK 91!4 und Radio 7 aus Baden-Württemberg fordert:„ Das Privatradio muss erwachsen werden!“

Die Hörer wollen Inhalte

Detlef Noormann
Detlef Noormann

„Die Zeiten des durchformatierten Privatradios mit möglichst kurzen Wortbeiträgen sind endgültig vorbei“, meint Detlef Noormann (Foto r.) vom BERLINER RUNDFUNK 91!4. Der Geschäftsführer und Programmdirektor beschwört eine neue Entwicklung der Hörgewohnheiten in Deutschland: „Die Hörer wollen Inhalte und keine sinnentleerten Worthülsen.“ Belege dafür liefert ihm die senderinterne Marktforschung: „Die Zeit der Spaßgesellschaft ist seit längerem vorbei. Wir setzen deswegen schon seit über zwei Jahren auf mehr Information: drei mal am Tag gibt es zehnminütige Nachrichtenjournale, die Längenvorgabe von 1:30“ existiert nicht mehr und vermeintlich ,alte’ Darstellungsformen wie Reportagen, gebaute Beiträge und Interviews sind fester Bestandteil unseres Programms.“ Und selbstbewusst fügt der Radiomann, der selbst mehr als ein Jahrzehnt im Nachrichtengeschäft arbeitete, hinzu: „Das Abhandeln von wichtigen Themen mit einer kurzen O-Ton-Moderation überlassen wir gerne den Wettbewerbern!“

Krimis und Magazine

Der Erkenntnis folgten weitere Taten. Mit der seit September 2005 jeweils von Montag bis Freitag zwischen 18.00 und 19.00 Uhr ausgestrahlten Sendung„ 60 Minuten Berlin“ will der Sender seinen Anspruch als informationsorientiertester Privatsender in Berlin und Brandenburg weiter ausbauen. Eigens dazu wurde die Redaktion mit drei Redakteuren verstärkt. Hier gute Leute zu finden, sei in der Tat schwierig, selbst in Berlin: „Viele Moderatoren und Redakteure haben das wieder gefragte Handwerk nicht mehr gelernt: sie können zwar eine Promotion-Aktion abfeiern – aber kein Interview mehr führen. Wir haben uns deswegen in den vergangenen Jahren von vielen Moderatoren getrennt. Aber es gibt sie noch: Moderatoren, die sich als Redakteur verstehen und wissen, wovon sie reden“, meint Noormann. Bei der Suche danach fühle er sich oft „wie ein Trüffelschwein“.

Das Team von „60 Minuten Berlin“: Steffen Brenner, Martin Klostermann, Matthias Pusch
Das Team von „60 Minuten Berlin“: Steffen Brenner, Martin Klostermann, Matthias Pusch

Original und in Echtzeit

Auch die Tradition des Radiohörspiels lässt der Sender wieder aufleben. Legendär bereits und weit über Berlin hinaus bekannt ist der Radiokrimi „6 Stunden Berlin“. Gespielt wird an Originalschauplätzen und in Echtzeit. In den Sprecherrollen finden sich neben erfahrenen Synchronsprechern und Schauspielern auch immer wieder Prominente aus Film und Fernsehen wie beispielsweise Wigald Boning, Kalle Pohl, Barbara Eligmann, die Puhdys, Max Raabe oder Rufus Beck. Branchenintern wurde der Sender dafür mit dem German Radio Award 2005 für die beste deutsche Radioaktion ausgezeichnet.

Die Stärke des Mediums

Ist das jetzt das Ende des Formatradios und ist der Senderchef froh darüber? Noormann: „Wenn die Frage impliziert, ob ich froh bin, dass es keine Linercards mehr gibt und der Moderator nicht sieben mal pro Stunde den Senderclaim runterleiern muss – ja, dann kehre ich sehr gerne dem Formatradio den Rücken! Die Erfolge der großen privaten Radiosender in den vergangenen 15 Jahren haben aber bewiesen, dass Formatradio richtig und wichtig war. Wir müssen uns jetzt mit Blick auf die technischen Weiterentwicklungen mit der Frage befassen ,Wo liegt die Stärke des Radios?’ Musik allein kann dies nicht sein – Radio muss mehr denn je ein Lebensgefühl transportieren. Für den BERLINER RUNDFUNK 91!4 gilt deswegen: Wir beschallen unsere Hörer nicht, wir begleiten sie.“

Orientierung am Zeitgeist

Dr. Bernhard Hock
Dr. Bernhard Hock

Auch für Dr. Bernhard Hock, Geschäftsführer des Regionalsenders Radio 7 aus Ulm (Foto r.), war die Etablierung des Formatradios gewiss kein Fehler und den derzeit laufenden Prozess der Selbstfindung und Neudefinition sieht Hock als eine Weiterentwicklung des Mediums mit Orientierung am Zeitgeist, der geprägt wird durch den Siegeszug des Internets, der iPods, der multifunktionalen Handys, RSSFeeds und Podcasts. Der Radiomanager ist überzeugt: „Gut gemachtes Radio wird immer seine Zielgruppe erreichen. Denn die Mischung aus Musik und aktuellen Informationen macht uns einzigartig. Das Formatradio an sich hat sicherlich erst zur Etablierung des privaten Hörfunks beigetragen. Ohne durchgängige Qualität würden wir auch heute noch nicht im gleichen Atemzug wie die öffentlich-rechtlichen Sender genannt. Dass wir aber mittlerweile in der gleichen Liga spielen, lässt sich auch auf die Formatierung zurückführen. Nicht umsonst kopierten in der Vergangenheit viele öffentlich-rechtlichen Radios in ihrer Programmgestaltung die erfolgreichen Privaten.“

Glaubwürdigkeit zählt

Von zentraler Bedeutung sei zukünftig der Faktor Glaubwürdigkeit und so sieht Hock so manchen ,Event’ kritisch, mit dem die Mitbewerber in derVergangenheit die Aufmerksamkeit ihrer Hörer erheischen wollten: „Mit der Verlosung einer Brustvergrößerung oder ähnlichen Aktionen gewinnt man zwar kurzfristig Aufmerksamkeit, erzielt aber keine nachhaltige Hörerbindung. Wenn der Hörer dagegen das Gefühl hat, dass man ihn ernst nimmt und seine Bedürfnisse in Sachen Musik und Information erfüllt, ist das langfristig gesehen der einzige Weg, am Markt erfolgreich zu sein.“ Und so ist man in Ulm sicher, aus Radio 7 einen Sender mit einem ganz neuen Charakter und einem ganz eigenen Gesicht zu formen – mit mehr Abwechslung, Vielfalt und Nähe zum Hörer. Dr. Bernhard Hock: „Natürlich hat die Musik auch weiterhin eine wichtige Bedeutung für unsere Programmentwicklung, aber eben nicht die einzige. Verschiedene Faktoren müssen ineinander greifen, um ein in sich schlüssiges Produkt anbieten zu können.“ Dazu zählt der Sender unter anderem den Erwerb der FIFA-WM Rechte für die Übertragung aller 64 Spiele, sympathische Aktionen die für Gesprächswert sorgen und über 120 Events pro Jahr, die eine ausgeprägte Präsenz bei den Hörern vor Ort schaffen sollen.

Ausbildung beim BERLINER RUNDFUNK 91!4

BerlinerRundfunk 91!4Geschäftsführer und Programmdirektor Detlef Noormann: „Wir vergeben vier Volontariate, die jeweils zwei Jahre dauern. Dabei handelt es sich um Fachvolontariate. Unsere Volontäre werden mit einem Schwerpunkt in den Bereichen Redaktion, Nachrichten, Produktion und On Air Promotion ausgebildet. Ich will keine Volontäre, die alles ein bisschen können, sondern in ihrem jeweiligen Bereich top sind. Das funktioniert prima: alle Volontäre, die wir nicht übernehmen können, bekommen anschließend problemlos Redakteurstellen bei namhaften Sendern. Bei den Praktikanten gilt: möglichst schon Erfahrung in einer Radioredaktion – je höher der Level der Einsteiger ist, desto besser. Der Praktikant kann dann auch mehr machen und bekommt detailliertes Feedback.“

Ausbildung bei Radio 7 in Ulm

Radio-7Geschäftsführer Dr. Bernhard Hock: „In erster Linie versuchen wir immer, Redakteursstellen mit eigenen Nachwuchskräften zu besetzen. Das ist einfach ideal, zumal die jungen Kollegen schon unsere Denke kennen und wissen, welche Ansprüche die Hörer an Radio 7 stellen. Die Ausbildung ist ein wichtiger Bestandteil in der Personalentwicklung unseres Hauses. Durchschnittlich bilden wir ständig zwei Volontäre aus, die in den zwei Jahren alle relevanten Bereiche kennen lernen. Darüber hinaus kooperieren wir mit der Berufsakademie Ravensburg, wo wir im dualen System ebenfalls zwei Mitarbeiter im Fachgebiet Medienund Kommunikationswirtschaft ausbilden. Ganz neu bieten wir im Eventbereich in Zusammenarbeit mit der Europäischen Medien- und Event-Akademie Baden-Baden die Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau an. Also auch in diesem Unternehmensbereich liegt unser Qualitätsanspruch an die Mitarbeiter auf hohem Niveau.“

Buch-Tipp:
Redaktion 2006: Das Jahrbuch für Journalisten

LINKS:
BERLINER RUNDFUNK 91!4
Radio 7