Wenn auf der berühmten Pferderennbahn im benachbarten Iffezheim die letzten Galopper abgesattelt sind und erste Nebelbänke in der vorgelagerten Rheinebene den nahenden Herbst ankündigen, rüstet sich das sonst eher beschauliche Baden-Baden mit dem SWR3 New Pop Festival zu einem jährlichen Highlight der besonderen Art im ansonsten prall gefüllten Veranstaltungskalender der Stadt. In diesem Jahr wird es erstmals von SWR3-Musikchef Gregor Friedel organisiert.
Wie in jedem Jahr präsentiert sich dabei auf den alt-ehrwürdigen Bühnen der südwestdeutschen Kurstadt die Elite aufstrebender Newcomer aus der Musikszene. Natürlich waren die rund 20.000 verfügbaren Tickets für die „Mutter aller deutschen Radiofestivals“ binnen weniger Tage vergriffen. Musikfans können aber auch ohne Eintrittskarten das Festival vor Ort ausgiebig miterleben: alle Auftritte werden via Videoleinwand in der Kurhausmuschel live übertragen. Dazu gibt es bei freiem Eintritt Unplugged-Konzerte auf einer Live-Bühne vor dem Kurhaus, wo sonst die älteren Semester den doch so ganz anderen Klängen des städtischen Kurorchesters lauschen. In der “SWR3 New Pop City Baden-Baden“ laufen zudem öffentliche Star-Talks mit den Festivalkünstlern, die “SWR3 Live-Lyrix“ im Museum Frieder Burda und Vieles mehr.
Alles begann im Jahre 1994 als der damalige Programmchef Peter Stockinger das Event mit dem Anspruch aus der Taufe hob, aus “New Pop“ eine mit dem legendären Montreux Festival vergleichbare Veranstaltung auf die Beine zu stellen. Stockinger und seine Nachfolger leisteten ganze Arbeit: das Trend-Festival ist etabliert und im Laufe der Jahre nutzten zahlreiche Künstler wie Alanis Morissette, Duffy, Amy Winehouse, Xavier Naidoo, Anastacia, The Fugees, Amy MacDonald, Bruno Mars, Olly Murs, Ed Sheeran, Kraftklub oder die Bloodhound Gang das Event als gelungenen Karriereeintritt in den deutschen Musikmarkt. Bewusst orientieren sich die SWR3-Booker bei der Auswahl der teilnehmenden Künstler nicht nur an Charts-Platzierungen. Eher versteht man sich als Trüffelschweine bei der Findung hoffnungsvoller Talente – immer auf der Suche nach dem musikalischen Zeitgeist von morgen.
Eine Veränderung vermeldet der Sender auf der Position des Projektleiters: Nach dem ruhestandsbedingten Rückzug von Uli Frank wird die Veranstaltung seit diesem Jahr von SWR3-Musikchef Gregor Friedel an vorderster Stelle organisiert. Frank hatte das New Pop-Festival über viele Jahre – auch weit über die Sendergrenzen hinweg – mit Weitblick zum absoluten Premium Ereignis ausgebaut.
RADIOSZENE sprach mit Gregor Friedel über sein erstes “New Pop“ als verantwortlicher Festivalchef.
RADIOSZENE: Das SWR3 New Pop Festival geht vom 14. bis 16. September in seine nächste Runde – erstmals mit Ihnen als Organisationsleiter. Wie haben Sie sich eingefunden?
Gregor Friedel: Dieses Jahr findet die 23. Ausgabe des New Pop Festivals statt, für mich persönlich ist es das 13. New Pop Festival. 1999 habe ich erstmals als Reporter für das New Pop gearbeitet, dann als Bandcontact, später als Venuemanager und zuletzt bis 2010 als stellvertretender Projektleiter. Insofern kenne ich jedes Detail der Veranstaltung. Die Vorbereitungen laufen bislang hervorragend, das eingespielte Team macht einen super Job. Sicher hilft es, dass ich als neuer Projektleiter das Festival seit vielen Jahren begleite. Selbst während meiner Zeit in Hamburg war das New Pop Festival jedes Jahr ein fester Termin in meinem Kalender.
RADIOSZENE: Welche Künstler werden in diesem Jahr am Start sein?
Gregor Friedel: Wir haben dieses Jahr eine tolle Mischung verschiedener Musikstile, alle Künstlerinnen und Künstler die beim New Pop spielen, haben „Voice and Face“. Wir starten am Donnerstag im Kurhaus mit dem Shootingstar aus England, Rag’n’Bone Man, den Abend beschließt Alice Merton im Theater. Am Freitag spielen Wincent Weiss, Anne-Marie, JP Cooper und Kaleo und am Samstag gibt es Konzerte von Alma, The xx, LOLA MARSH und Welshly Arms. Bunte Mischung also, die übrigens auch bei unseren Hörern gut ankommt: In diesem Jahr gab es mehr als 50.000 Ticketwünsche für die Konzerte, das ist bislang Rekord.
RADIOSZENE: Nach welchen Kriterien wählen Sie und Ihr Team die auftretenden Künstler aus?
Gregor Friedel: Da wir ja das gesamte Jahr über mit Musik beschäftigt sind, fallen uns früh Künstler auf, die wir uns beim New Pop Festival vorstellen können. So haben wir bereits im Juli 2016 als Erste Rag’n’Bone Man auf die Playlist gesetzt, dessen Auftritt in diesem Jahr sicher einer der Höhepunkte des Festivals sein wird. Klar ist es Ziel unserer Trendscouts, neben den Acts, die wir bereits früh fürs Radio entdecken, auch auf Konzerten oder durch anderweitiges Engagement von SWR3, wie zum Beispiel an der Popakademie, Künstler zu finden, die perfekt zum New Pop Festival passen. Dies ist uns in diesem Jahr mit der Verpflichtung von Alice Merton gelungen. Generell gilt, dass kein Künstler beim New Pop spielt, dessen Livequalitäten nicht zuvor von einem Kollegen der Musikredaktion begutachtet und entsprechend bewertet wurden. So kommt es auch vor, dass wir Bands musikalisch beim New Pop Festival sehen würden, nach dem Besuch eines Konzertes aber Abstand von einer Einladung nehmen.
RADIOSZENE: Welche Musikrichtungen sind derzeit überhaupt im Radio angesagt?
Gregor Friedel: Neben dem Bereich EDM, der seit einigen Jahren die Musiklandschaft nicht nur im Radio bestimmt, ist derzeit eine Rückbesinnung auf eine moderne Form von Soul, Rhythm’n’Blues und tatsächlich auch wieder Gitarren festzustellen. Bands wie Kaleo und Welshly Arms oder eben der bereits angesprochene Rag’n’Bone Man haben eine neue Farbe in die Musik gebracht, die gerade uns Musikredakteuren und eben auch den Hörern viel Freude bereitet, alle drei waren in den Top 10 der Airplaycharts vertreten.
RADIOSZENE: Im Vergleich zu den Veranstaltungen von NDR („Soundcheck“) und FRITZ („Songpoeten“) finden sich auf der Besetzungsliste vergleichsweise wenige deutschsprachige Interpreten. Sind diese im Südwesten weniger angesagt? Uns fällt auf, dass sich die Karrieren ehemaliger nationaler New Pop-Entdeckungen wie Tim Bendzko, Andreas Bourani, Mark Forster oder Kraftklub prächtig entwickelt haben …
Gregor Friedel: Beim Soundcheck-Festival der Kollegen von NDR2 gibt es am Sonnabend einen Abend, der speziell auf deutsche Musik ausgerichtet ist. Die Songpoeten bilden ebenfalls ausschließlich deutsche Musik ab. Hier einen Vergleich zum SWR3 New Pop Festival zu ziehen, das sich nicht explizit auf Deutsch spezialisiert, ist natürlich schwierig. Nebenbei haben Kraftklub und Mark Forster – wie Sie sagen – bereits 2012 beim New Pop Festival gespielt – das mag sicher seinen Anteil an der prächtigen Entwicklung der Künstler gehabt haben. In den vergangenen Jahren waren Cro, Glasperlenspiel, Joris, Adesse und weitere deutsche Newcomeracts beim New Pop. Dieses Jahr spielen neben Wincent Weiss erfolgversprechende deutsche Acts wie Lotte und Lina Maly auf der Livebühne vor dem Kurhaus. Im New Pop Special sind mit Max Giesinger, Adel Tawil und Radio Doria ebenfalls deutsche Acts vertreten.
RADIOSZENE: Wie wichtig sind heute Newcomer für das Programm von SWR3?
Gregor Friedel: Für Musikredakteure ist es immer spannend, neue Künstler zu entdecken. Die Hörer profitieren – im Gegensatz zu den Streamingplattformen – davon, dass wir ihnen sagen, wer dieser Künstler ist, welche Hintergründe es gibt, erzählen Wissenswertes rund um den Act, kurzum: Radio ist in der Lage, Newcomer in den Mainstream zu bringen und dort zu positionieren. Das kann kein anderes Medium. Insofern freuen wir uns qua Profession über Newcomer, letztlich ist es aber so, dass eher das Radio für die Newcomer wichtig ist.
RADIOSZENE: Die Teilnehmer treten für eine vergleichsweise bescheidene Gage auf. Welche Gegenleistung bietet SWR3 als Ausgleich?
Gregor Friedel: Eigentlich ist es eher andersrum. Nehmen wir das Beispiel Rag’n’Bone Man: SWR3 begann im Juli 2016 die Single „Human“ zu spielen. Bei der Reichweite und der Bedeutung, die SWR3 im deutschen Radiomarkt hat, sind Playlisten bei uns ein Signal auch für andere Stationen. Wir waren sehr früh dran, glauben an den Künstler und haben daher seine Songs und damit seine Bekanntheit maßgeblich unterstützt.
RADIOSZENE: Ein Festivalhighlight ist in jedem Jahr das Special – das in 2016 erstmals an einem Donnerstagabend über die Bühne ging. Was dürfen die Besucher an diesem Abend erwarten?
Gregor Friedel: Das New Pop Special wird auch dieses Jahr wieder am Donnerstagabend stattfinden, der Termin hat sich also bewährt. Zum einen starten wir somit furios in unser Festivalwochenende, zum anderen bekommen wir durch diese Entscheidung eine größere mediale Reichweite während des Festivals. Das SWR Fernsehen produziert das New Pop Special wieder für das Erste, die Sendung läuft am 22.09.2017 um 23.30 Uhr und es sind Wiederholungen des Specials von ONE, 3SAT und dem SWR Fernsehen geplant – das zeugt für die Qualität der Sendung. Dieses Jahr stehen im Special Max Giesinger, Adel Tawil, George Ezra, Anastacia, Radio Doria und Rag’n’Bone Man auf der Bühne, wieder ein hochgradig besetztes Line-Up. Moderiert wird die Sendung von Barbara Schöneberger.
RADIOSZENE: Geben Sie uns noch einige Einblicke auf das doch sehr umfangreiche Rahmenprogramm …
Gregor Friedel: … es ist seit Jahren gute Tradition beim SWR3 New Pop Festival, dass neben den Einzelkonzerten in den Venues Theater, Kurhaus und Festspielhaus auch Konzerte auf der Livebühne vor dem Kurhaus gespielt werden. In diesem Jahr sind die deutschen Newcomerinnen Lotte und Lina Maly dabei, Alex Aiono wird spielen – er hat mehr als 2 Millionen Follower auf instagram und ist die Stimme des Felix-Jaehn-Hits „Hot2Touch“. Mit Joseph J. Jones und Johnnyswim – der weibliche Part des Duos ist die Tochter von Donna Summer – und Zak Abel haben wir drei weitere hochattraktive Topacts auf der Livebühne.
RADIOSZENE: Sind bei der diesjährigen Veranstaltung weitere Neuerungen geplant?
Gregor Friedel: Wir optimieren in jedem Jahr, dieses Jahr sind die Neuerungen eher im Online-Angebot, Drittplattformen etc. vorgenommen worden, Schwerpunkt liegt hier auf Userfreundlichkeit. Wir arbeiten bereits im Hintergrund am New Pop 2018 und 2019, hier können größere Neuerungen erwartet werden, insbesondere zum 25. New Pop Festival in zwei Jahren.
RADIOSZENE: Über welche Kanäle wird das Festival in diesem Jahr übertragen? Die digitale Verbreitung und die Interaktivität spielt bei Veranstaltungen dieser Größenordnung doch sicher eine immer wichtigere Rolle …
Gregor Friedel: … wir freuen uns sehr, dass wir in diesem Jahr wieder das SWR Fernsehen und das Erste für das Special sowie zum ersten Mal ONE als TV-Partner beim New Pop Festival gewinnen konnten. Neben dem Special am 22.09. im Ersten sendet ONE am 30.09. einen Abend lang ab 20.15 Uhr Sendungen vom New Pop, alle Einzelkonzerte werden Ende September/Anfang Oktober in drei langen New-Pop-Konzertnächten in ONE gezeigt, das SWR Fernsehen wiederholt die Einzelkonzerte ebenfalls. Live dabei kann man wie immer auf swr3.de sein, auch dieses Jahr wieder von 13.00 bis 0.00 Uhr beim Festivalradio mit Video-Livestream aus dem Sendestudio und allen Künstlern als Gästen. Selbstverständlich gibt es eine umfangreiche Berichterstattung auch über unsere Social-Media-Kanäle und in der SWR3-App wird ein Sonderpunkt „New Pop“ eingefügt. Im Bereich „Interaktivität“ ist SWR3 durch die verschiedenen Kontaktmöglichkeiten der Hörer ins Studio generell sowie besonders an den Festivalradiotagen mit dem Video-Livestream sehr gut aufgestellt.
RADIOSZENE: Welche persönliche Bilanz ziehen Sie bislang nach Ihrem ersten Jahr als OK-Chef?
Gregor Friedel: Am meisten freue ich mich, dass ich wieder Teil des New-Pop-Teams sein kann. Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen ist hervorragend und natürlich freue ich mich, dass wir gleich beim ersten New Pop Festival einen Rekord bei den Kartennachfragen erreicht haben. Das motiviert das gesamte Team und mich ungemein.
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