Radio-Köpfe | Dagmar Fulle: „Hallo, könnt Ihr mich hören?“

Sie war zunächst als Fan und intensive Hörerin mit einem damals schon beachtlichen Musikwissen zu Gast in Sendungen von hr3. Ihr gelang dann, sich im Radio zu etablieren. Die Rede ist von Dagmar Fulle, Moderatorin und Musikjournalistin beim hr, die im Laufe ihrer Karriere in allen Programmen des hr (und darüber hinaus) zu hören war.

Dagmar Fulle (Bild: © hr)
Dagmar Fulle (Bild: © hr)

Kurz vor Antritt ihres Ruhestands bot sich für unseren Mitarbeiter Hendrik Leuker die Gelegenheit, Dagmar Fulle in einem Konferenzraum im hr in Frankfurt zu interviewen.

Erste Begegnung mit dem Radio

Dagmar Fulle kommt aus Kassel. Ihre ersten Erinnerungen im Zusammenhang mit dem Radio gehen zurück auf die Musiktruhe im elterlichen Wohnzimmer. Aus der ertönte der „Hessische Rundfunk. 1. Programm“, wie hr1 damals offiziell hieß, z.B. mit „Guten Morgen allerseits“, einer Studiosendung, die 1967 den legendären „Frankfurter Wecker“ ablöste.

Ihr Vater habe eher klassische Musik gehört. An zwei Singles aus dem Plattenbestand der Eltern kann sich Fulle noch gut erinnern: „Banana Boat“ von Harry Belafonte und „Rock around the Clock“ von Bill Haley.

„Dann bekam ich mit zehn Jahren ein kleines Transistorradio und einen kleinen Kassettenrecorder geschenkt und hatte dazu noch ein kleines Außenmikrofon, mit dem ich aufnehmen konnte. Auf Mittelwelle habe ich im Deutschlandfunk das ,Schlagerderby´ gehört, eine Hitparade, und ich konnte zuhause auf UKW auch NDR 2 und WDR 2 empfangen.“

„Auf NDR 2 hörte ich den ,Internationalen Plattenteller‘ mit Wolf-Dieter Stubel und auf WDR 2 die Sendung ,Hit oder Niete?’ mit Mal Sondock (Anm.: innerhalb der ,Radiothek´). Ich habe dabei auch immer mit dem Außenmikrofon aufgenommen.“

Dagmar Fulle schildert somit die billigere Variante einer ganzen Generation an Musik zu kommen als sich vergleichsweise teure Platten zu kaufen, solange die Moderatoren nicht hineinquatschten… In der BRAVO las sie damals von Radio Luxemburg mit Frank Elstner, aber: „In Kassel konnte ich weder Radio Luxemburg noch AFN  empfangen .“

1972 erfuhr sie dann aus der Lokalzeitung von Kassel, der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA), vom Sendestart von hr3. hr3 war in den Siebzigern noch kein Pop-Vollprogramm, sondern ein Autofahrer-Begleitprogramm auch mit Schlagern und Volksmusik: „Schlager höre ich auch schon mal, nicht zuletzt geprägt durch hr4, und meine ersten Singles, gebe ich zu, waren, als ich gerade acht Jahre alt war, von Heintje und Wencke Myrhe, aber bei Volksmusik bin ich raus, so dass ich die Volksmusik-Sendung  ,Rasthaus´ auf hr3 auch immer ausschaltete.“ 

Mit 13 Jahren habe sie zur Konfirmation zum Aufnehmen ein wertvolles Tonbandgerät bekommen, ein Uher Royal Deluxe für 1300.- DM, was damals richtig viel Geld gewesen sei. Damit habe sie nun mit Kabel aufnehmen können. Auf der neuen Welle von hr 3 lief ab und zu das „Goldene Hitwochenende“, später „Hitcontainer“ genannt. „Man durfte mich damals schon mal zwei Tage nicht beim Aufnehmen der Hits stören.“ Ihr erstes Idol sei damals Achim Graul mit der „Internationalen Hitparade“ am Donnerstagabend im 1. Programm gewesen , der dann 1974 von Werner Reinke abgelöst worden sei.

„Am Anfang bin ich damals richtig sauer und traurig gewesen, als ich Achim Graul nicht mehr hören konnte.“  Achim ging zu jenem Radio Luxemburg zurück, das für Fulle außer Reichweite gewesen ist, weil sie keine Kurzwelle hört(e). Neben dem Radio spielte die jugendliche Dagmar noch Blockflöte und Gitarre. Aber selbst einmal Radio machen und vor dem Mikro stehen? „Das war damals so weit entfernt wie Hollywood!“, gesteht Fulle. Aber es sollte anders kommen…

Dagmar Fulle: Ihr Weg zum Radio

Bereits als Schülerin schrieb sie an Werner Reinke. Sie machte 1976 erfolgreich mit bei einer Art Teilnahmebewerbung für die seinerzeitige Sonntagabendsendung in der Abendschiene „R-u-m-m-s!“  von hr3 namens „Oldies for Youngsters“, die von Reinke immer zusammen mit Hörern als Studiogästen moderiert wurde.

„Damals fuhr ich mit dem Zug von Kassel nach Frankfurt und befand mich dann zusammen mit zwei Jungs im Studio bei Werner Reinke.“ Die Studiogäste durften sich auch zwei Platten aussuchen, die in der Sendung gespielt wurden. „Die Sendung war eine Aufzeichnung, die ich später, als sie gesendet wurde, zu Hause aufgenommen habe. Ein Technikerkollege im Haus hat mir diese dann viel später digitalisiert. Ich höre mich darauf als Sechzehnjährige mit zittriger Stimme sprechen.“, schildert Fulle ihre erste Begegnung mit dem Medium.

Fulle machte dann Abitur und schlug eine Beamtenlaufbahn bei der Deutschen Bundespost im mittleren nichttechnischen Fernmeldedienst ein, nachdem sie im Auswahlverfahren der Schule für Rundfunktechnik (heute: ARD-ZDF-Medienakademie) nicht berücksichtigt wurde.

Im Frühjahr 1984 ließ sich Fulle von Kassel nach Frankfurt versetzen. Eines Tages nahm sie erfolgreich an einem Musikquiz in der „hr3-Mittags-Discotheke“ (12:05 -14:00 Uhr) teil. Moderator Hans Karl „Atze“ Schmidt meldete sich bei ihr und eröffnete ihr, dass sie gewonnen habe: „So einen richtigen Preis habe ich jetzt nicht. Komm einfach mal zu mir ins Studio!“, meinte dieser nur. Fulle durfte noch mehrmals zu Atze ins Studio und Platten von zu Hause mitbringen. Das war gewissermaßen der „Urknall“ (Fulle).

In der Folge setzte sich Atze beim damaligen hr3-Wellenchef Werner Klein dafür ein, dass sie Sendungen bekam. „Diesen beiden habe ich alles zu verdanken!“, ist sich Fulle bewusst. Aber heute sei dieses eigentlich unvorstellbar. Sie bekam dann eine Frühsendung „Ach, schon wach?“ auf hr3 am Sonntag von 6-8 Uhr. Werner Reinke habe ihr einen Opener mit Hahnenschrei auf die Melodie von „Daydream Believer“ von den Monkees gebastelt.

„Vier Jahre habe ich noch parallel zum Radio gearbeitet. Im Jahr 1986 kündigte ich meinen Beamtenjob und war anschließend noch Angestellte bei einem Anwalt für Wettbewerbsrecht in Frankfurt.“ 

Im Radio angekommen

Dagmar Fulles erstes hr3-Autogrammfoto (1987)
Dagmar Fulles erstes hr3-Autogrammfoto (1987)

Im Jahr 1987 bekam Dagmar Fulle eine Festanstellung als Sekretärin in der Nachrichtenredaktion vom hr. Im Jahr 1988 erschien ihr wegen einschlägiger Honorarregelungen für die Sendungen, die sie weiterhin moderierte, eine freie Mitarbeit vorteilhafter.

Von 1984 bis 1996 war sie auf hr3 und hr4 zu hören. Sie moderierte auf hr3 neben „Ach, schon wach?“ noch sowohl die „Mittags-Discotheke“ (12-14 Uhr) als auch den abendlichen „Kuschelrock“ (23 Uhr-0 Uhr).

Der Musikchef vom hr, Horst Althoff, hörte ihre Frühsendung und fragte sie im Jahr 1986, ob sie beim Programmstart von hr4, einem neuen Programm bestehend aus Oldies und Schlagern, mit von der Partie sein wollte. Und ob sie wollte: „Ich habe dann gleich die erste Sendung auf hr4, das sonntägliche ,Frühstücksbuffet ‘von 8-10 Uhr (Anm: später von 8-12 Uhr), moderiert.“

Unterschied sich eigentlich die Moderation auf beiden Wellen? „Bei hr3 habe ich immer musikbezogen moderiert. Ich ließ mir die Laufpläne vorher kommen und schrieb daraufhin meine Moderationstexte. Bei hr4 machte ich eher eine Zuwendungsmoderation und fragte schon einmal: Wie ist das Wetter bei Ihnen heute? Trinken Sie lieber Kaffee oder Tee zum Frühstück? etc.“ Ab und zu zitierte man auch aus dem „Reader´s Digest“ zur Aufmunterung der Hörer.

Dagmar Fulle im hr3-Studio 1996 (Bild: © hr)
Dagmar Fulle im hr3-Studio 1996 (Bild: © hr)

Auch hatte sie in dieser Zeit Einsätze für den bundesweiten „ARD- Nachtexpress“, wenn er aus Frankfurt kam. Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre streckten weitere ARD- Programme ihre Fühler nach der Musikkennerin der anglo-amerikanischen Musik mit guten Englischkenntnissen und stets akribischer Vorbereitung aus.

Dagmar Fulle im ARD-Nachtexpress 1989 (Bild: © hr)
Dagmar Fulle im ARD-Nachtexpress 1989 (Bild: © hr)

Den Anfang machte WDR 2 mit „Pop Tops“ am Sonntagnachmittag und nachmittags an Feiertagen ab dem Jahr 1988, abwechselnd moderiert wurde die Sendung von Adolf „Buddha“ Krämer, der sie nach Köln holte, Edith Jeske und eben von Dagmar Fulle.

Zudem interessierte sich der SWF für Fulle. Sie moderierte dann vier Jahre lang immer eine halbe Woche am Nachmittag auf SWF1 die „Leichte Brise aus Südwest“. Es handelte sich dabei um eine Unterhaltungssendung mit Interviews. Barbara Gansauge, damals WDR 1-Chefin, engagierte Fulle für die „ARD-Popnacht“ aus Köln, die den „ARD-Nachtrock“ ablöste. Zunächst moderierte sie diese von 0-2 Uhr und dann sogar von 0-5 Uhr in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch.

Dagmar Fulle bei hr3 on tour, 1989 (Bild: © hr)
Dagmar Fulle bei hr3 on tour, 1989 (Bild: © hr)

„Ich trat damals das schwere Erbe von Alan Bangs an.“, erinnert sich Fulle daran, dass die Fußstapfen dieser Rock-Kapazität, die einst von BFBS zum WDR gekommen war, sehr groß waren. Zur gleichen Zeit durfte Dagmar Fulle im Deutschlandfunk am Samstagnachmittag das Kulturmagazin „Boulevard“ moderieren, das heute „Corso“ heißt.

Aber ihr Haussender war der hr und dort damals vornehmlich hr3. Setzte man sich dort auch mit der Konkurrenz auseinander?

Dagmar Fulle (Bild: © hr3, 1991)
Dagmar Fulle (Bild: © hr3, 1991)

„SWF 3 war bei uns im Sender nicht das große Thema. Die Radio-Comedy und die Musikmischung dort waren schon gut gemacht und anerkannt. SWF 3 habe ich als Konkurrenz nicht so wahr genommen. Der hr war für Hessen der amtliche Sender. Das geschah alles ein Bundesland weiter. Vielleicht habe ich aber auch zu sehr den Tunnelblick“, sinniert Fulle.

Die entscheidende Konkurrenz sei dann ab 1989 Hit Radio FFH gewesen, der Privatsender, der Zeitungsverleger im eigenen Land. „Zunächst wurde dem bei uns eher mit abwartender Skepsis begegnet. Dann hat man leider nicht die eigenen öffentlich-rechtlichen Stärken ausgespielt, sondern hr3 stark formatiert und FFH zu sehr nachgemacht.“, bedauert Fulle. Das sei auch ein Grund gewesen, weswegen sie 1996 hr3 verlassen habe.

Schwerpunkt Musikjournalismus

Für eine Musikliebhaberin wie Fulle fügte sich das Schicksal gut, dass bei hr1 gerade eine musikjournalistische Sendung in Planung war: Und so ging im Jahr 1996 „Schwarzweiß-Musik in Farbe“ auf Sendung, an sieben Tagen die Woche erst von 20.30-22 Uhr, dann von 20-23 Uhr.

Bei der Erweiterung der Sendung schloss sich nach den „Themen des Tages“ um 22 Uhr eine monothematische musikalische Sendung an. Fulle war in dieser Autorensendung eine von 10-15 Autorinnen und Autoren. Diese stellten die Musik zusammen, moderierten an die Musik angelehnt und kamen somit authentisch rüber. Die darin gespielte Musik befand sich abseits des Mainstreams, angefangen von jüdischer Musik vor 1933 bis hin zu Elektronik, Gospel, Country und natürlich Fulles Spezialgebiet Blues und Soul.

hr1-SchwarzWeiss – Musik in Farbe: Sendestart am 3.6.1996 mit Klaus Walter, li., und Volker Rebell, re. (Bild: © hr)
hr1-SchwarzWeiss – Musik in Farbe: Sendestart am 3.6.1996 mit Klaus Walter, li., und Volker Rebell, re. (Bild: © hr)

Im Jahr 2000 setzte aber nach und nach die Digitalisierung der Sendungen ein, Computer konnten gefüttert werden, die dann ein entsprechendes Programm zusammenwürfelten. Das brachte anspruchsvolle musikjournalistische Sendungen, die wie „Schwarzweiß- Musik in Farbe“ ein Stammpublikum von immerhin 50.000-60.000 interessierten Hörern hatte, in Bedrängnis.

Musikjournalistische Sendungen hatte es auch auf hr3 und anfangs sogar auf hr4 gegeben: „Diese wurden aber Schritt für Schritt abgeschafft“, bedauert Fulle. Im Jahr 2004 erwischte es auch „Schwarzweiß-Musik in Farbe“.

„Abends ist keine Prime-Time. Intern wurde abgewogen zwischen dem öffentlichen-rechtlichen Auftrag, zu dem eine musikjournalistische Sendung, wie ich finde, gut passt und der Argumentation, dass (fast) alle Hörer Gebührenzahler seien und damit möglichst viele erreicht werden und einschalten müssten. Ich bin dagegen der festen Überzeugung, dass jemand, der eine Sendung kuratiert und Geschichten mit der Musik verbindet, dem Radio eine andere Dimension gibt – gerade im Zeitalter von Streamingdiensten und Podcasts. Aufgabe des Radios ist es auch, Menschen mit der Musik zu überraschen und zu verführen.“

Man gab zum Leidwesen Fulles dem Mainstream mit der Zeit den Vorzug. Was auch nicht durch die Höreraktion im Internet „Rette Dein Radio!“ im Jahr 2004 verhindert werden konnte: „Dabei ging es neben , Schwarzweiß-Musik in Farbe´ noch um die journalistische Sendung , Der Tag´. Diese Initiative wollte erreichen, das beide Programme, die eingestellt werden sollten, von hr1 zu hr2 gelangen. Dieses war dann nur im Fall von ,Der Tag ´erfolgreich.“, erinnert sich Fulle.

„Mir wurde dann angeboten in der ,hr1-Lounge´ am Samstagabend (19-0 Uhr) mit eigenem Musikprogramm zu moderieren. In einer Stunde darin wurde mir zugestanden, in einer Serie ,Die größten Alben der Geschichte´ vorzustellen. Das war aber schon eine Ausnahme.“, betont Fulle. Mit der „hr1-Lounge ‘ wurde nämlich auf Durchhörbarkeit gesetzt.

Fulle moderierte unterdessen auch auf hr4 weiter. Im Jahr 2004 zog hr4 ganz nach Kassel, Fulles Geburtsort: „ Mir kam es nicht in den Sinn ganz nach Kassel zu ziehen. Ich hatte damals eine kleine Tochter. Ich war dann jede zweite Woche dort und habe das ,Frühstücksbüffet´und ein Reisemagazin moderiert.“  Am Vormittag moderierte Fulle in , hr1 – Vita´ eine Ratgebersendung mit Studiogästen und Anrufen der Hörer.

Im Jahr 2011 war Fulle in der Prime-Time angekommen: Sie wurde Moderatorin der Frühsendung „hr1- Start´ von 6-10 Uhr: „Das war eine schöne Zeit mit Lars-Henning Metz an der Seite, der eigentlich der Wettermann sein sollte und immer mehr mein Side-Kick wurde.“

Freut sich auf die Themen am Morgen: hr1-Moderatorin Dagmar Fulle (Foto: hr/Nicole Kohlhepp)
Freut sich auf die Themen am Morgen: hr1-Moderatorin Dagmar Fulle (Foto: hr/Nicole Kohlhepp)

Im Jahr 2015 hat Fulle dann aber doch aufgehört: „Einerseits wegen der Musik, es waren zu viele Titel aus den 80ern im Musikprogramm. Die 80er, die meine 20er waren, und denen ich damals schon Blues und Soul vorzog. Ich habe unter der Musik gelitten. Es stellte sich zudem immer mehr eine von oben angeordnete Boulevardisierung der Themen ein, mit denen ich einfach nicht zurechtkam.“, bemängelt Fulle.

Information und Kultur- Unit 

Im Jahr 2015 vollzog sich dann ein überraschender Wechsel: Die Musikjournalistin Fulle ging zu einem Sender ohne Musik: hr-iNFO.

Dagmar Fulle bei hr-iNFO 2015 (Bild: © hr)
Dagmar Fulle bei hr-iNFO 2015 (Bild: © hr)

„Statt Musik ging es jetzt um Aktualität und Weltpolitik. Das sah ich nicht gerade als meine Hauptkompetenz an. Der Teamleiter dort, Dirk Emig, wollte mich unbedingt haben und bestärkte mich darin zu hr-iNFO zu wechseln. Das war erst anstrengend, ganz ohne Musik auszukommen. Wir behandelten in der Redaktion 10-15 aktuelle Themen am Tag. Ich war dann selbst überrascht, wie die Stunden auch ohne Musik gefüllt werden konnten. Ich habe auch-  allerdings erfolglos – angeregt, eine musikjournalistische Sendung auf hr INFO einzuführen.“, schildert Fulle eine Wendung in ihrer Karriere.

Im Jahr 2021 wollte Fulle aus persönlichen Gründen wieder einen regelmäßigen Tagesrhythmus. Sie wurde Mitglied der Kultur-Unit, die verschiedene Verbreitungswege wie Radio, TV, Social Media und Online zusammenfasst. In dieser Zeit macht sie bis heute je eine wöchentliche Kultursendung in hr2 und in hr-iNFO.

„Derzeit bin ich am Freitagabend mit „Blues´n´Roots“ von 22.30-23 Uhr noch bis Juni 2024 zu hören. Das andere ist ein 25-minütiges Feature zu einem kulturellen Thema, das in hr-iNFO läuft und dann der ganzen ARD zur Verfügung steht.“

Aber nicht live: „Ich mache in der Kultur-Unit keine Livesendungen mehr. Zwei bis drei Sendungen werden am Stück aufgezeichnet. Ich habe festgestellt, dass ich mich beim Aufzeichnen mehr verspreche als live, wo mir kaum ein Versprecher unterlief. Möglich, dass es an der Anspannung und Konzentration bei live liegt.“

Einprägsame Interviews und Erlebnisse

Dagmar Fulle ist gut vernetzt und hat tausende Interviews geführt. „Künstler, die in der Branche als schwierig galten, waren auf einmal unkompliziert.“, schildert Fulle.

Anfang der 2000er Jahre habe sie ein Interview mit Mark Knopfler von den „Dire Straits“ geführt: „Wir hatten damals beide kleine Kinder und darüber gefachsimpelt. Am Schluss haben wir sogar über Musik gesprochen.“, erinnert sich Fulle schmunzelnd. Mit Woodstock-Legende David Crosby (Crosby, Stills and Nash) bzw. mit dessen Management war in einem Hotel in Frankfurt erst ein Interview von zehn Minuten Länge vereinbart: „Dann redete David Crosby und redete. Später meinte er, das mit den zehn Minuten sage er immer nur, um nach zehn Minuten abbrechen zu können, wenn es ihm zu doof sei.“, schildert Fulle.

Dagmar Fulle in der hr1 Live-Lounge mit Eric Bazilian am 02.07.2007 (Bild: © hr1)
Dagmar Fulle in der hr1 Live-Lounge mit Eric Bazilian am 02.07.2007 (Bild: © hr1)

Vor einem Konzert mit Blueslegende B.B. King in Frankfurt-Höchst habe sie mit King gemütlich hinter den Kulissen auf einem Sofa gesessen. „Wir waren dann der nicht sichtbare Grund, weswegen tausende Fans noch warten mussten“. An Interviews im hr selbst erinnere sie sich gerne an Live-Interviews im Studio mit Udo Jürgens (hr4), mit Max Raabe, Reinhard Mey oder Chris Howland (hr1) und Bob Geldof (hr3).

Welche besonderen lustigen wie sentimentalen Erlebnisse verknüpft sie mit dem Radiomachen?  Lustig wie kurios war, dass Fulle Anfang der 2010er Jahre in ,hr1- Lounge´ 5-10 Minuten immer ungehaltener „Hallo, könnt Ihr mich hören?“ über die Musik rief. Grund hierfür war ein Pult ohne Rotlicht, das in einem Produktionsstudio stand. Fulle wollte über die Gegensprechanlage mit dem Schaltraum sprechen und hatte dabei nicht bemerkt, dass sie ihren Mikrofonregler offen hatte. Wenn das der Fall ist, funktioniert die Gegensprechanlage nicht.

Dagmar Fulle in der hr1 Live-Lounge mit den Hooters am 02.07.2007 (Bild: © hr1)
Dagmar Fulle in der hr1 Live-Lounge mit den Hooters am 02.07.2007 (Bild: © hr1)

2015 fiel in hr-iNFO bei der Übertragung eines Fußballspiels in Monaco die Leitung der Telekom Monaco immer mal wieder aus: „Ich habe dann zusammen mit Sportreporterin Martina Knief auf dem Sender über Gott und die Welt gesprochen“, entdeckte Fulle damals ihr Improvisationstalent.

Im November 2020 hatte Fulle in der aktuellen Redaktion von hr-iNFO dann ein eher sentimentales Erlebnis: „Ich habe an einem Samstagabend auf hr-iNFO drei Stunden mit Korrespondenten aus Washington, New York, London, Brüssel und Los Angeles zu den Präsidentschaftswahlen in den USA gesprochen. Am Ende waren wir alle hörbar erleichtert über den Sieg von Joe Biden.“, erinnert sich Fulle.

Gegenwart und Zukunft des Radios

Radio entwickle sich derzeit eher zu seinem Nachteil, meint Dagmar Fulle: „Radio leidet darunter, dass die ARD-Sender sparen müssen. In den Abendstunden wird auf unmoderierte Musikstrecken umgestellt. Radio zerstört sich damit selbst. Ganz sterben wird es jedoch nicht. Morgens wollen die Menschen nicht nur eine Playlist, sondern auch eine Ansprache.“, ist sich Fulle sicher. Außerdem sei Radio immer noch das schnellste Medium.

Dagmar Fulle bei den Eifeler Radiotagen 2023 (Bild: © Privatarchiv Dagmar Fulle)
Dagmar Fulle bei den Eifeler Radiotagen 2023 (Bild: © Privatarchiv Dagmar Fulle)

Fulle vermisst indes in unseren Tagen „gutes, professionell gemachtes wie präsentiertes Radio“. Dieses fände sie bei den „Eifeler Radiotagen“ vor, an denen sie seit 2019 teilnehme. Sie werden von Christian Milling und Andreas Knedlik in einem Bunker in der Eifel veranstaltet, der ursprünglich als Ausweichsitz der NRW-Landesregierung im atomaren Krisenfall geplant war.

„Hier kann ich leidenschaftlich präsentiertes Radio machen. Das hat so einen nostalgischen Charakter. Ich sende dann lieber für 10.000 Leute, die wirklich zuhören, als in einem Tagesbegleitprogramm. Wir haben viel Resonanz von Hörern bekommen, die uns vor allem im Stream und auf Kurzwelle zugehört haben.“, freut sich Fulle schon auf das nächste Mal.   

Hobbys und Seh- und Hörgewohnheiten

Radio hört Fulle privat nicht mehr: „Das Radio, was ich höre, mache ich mir selbst. Im Auto bleibe ich manchmal dran, wenn nach den Nachrichten im Deutschlandfunk eine monothematische Sendung läuft.

Ich habe meine Playlist im Auto bestehend aus Blues, Soul, Swing, Pop der 50er bis 70er Jahre und ein paar aktuellen Hits und neue Alben. Ich nutze den Streamingdienst Spotify.“, gibt Fulle einen Einblick in ihre Gewohnheiten.

Lineares Fernsehen sehe sie schon seit Jahren nicht mehr. „Ich schaue mir in den Mediatheken von ARD, ZDF, 3Sat und ARTE sowie bei Netflix, Amazon Prime und gelegentlich auch auf Disney+ Filme, Serien und Dokumentationen an. Außerdem, auch in der Mediathek, ausgewählte Folgen des „Tatort“ (ARD) und von „Polizeiruf 110“ (ARD).“

Was sind ihre Hobbys? Fulle startet eine Aufzählung: „Da gibt es vieles: Meine Blues-Sendungen auf hr2, die ich weiterhin produzieren werde (Anm: Einstweilen bis zu zwei Jahre nach ihrem Ruhestand im Juni 2024). Ich nehme an den bereits erwähnten Eifeler Radiotagen teil und unterstütze als Sprecherin einen jungen Influencer mit seinem Instagram-Kanal ,Damals in Frankfurt´. Er hat derzeit 46 000 Follower, die Zahl wächst jede Woche.

Ich schreibe in meinem im Entstehen befindlichen Buch weiterhin meine Radio-Erinnerungen auf. Es trägt den Arbeitstitel: ,Achtung: Springende Minute!´.

Ich spiele keltische Harfe-und mit dem Gedanken, mich an der Senioren-Uni einzuschreiben. Langeweile wird nicht mein Problem sein.“, gibt Fulle einen Ausblick auf ihren Ruhestand. Dagmar Fulle hat eine erwachsene Tochter und lebt in Frankfurt/Main.

Hörtipp

„Blues ´n´ Roots“ mit Dagmar Fulle  jeden zweiten Donnerstag von 22-23 Uhr in hr 2 und SWR Kultur (ab dem 26.09.24) und in der ARD-Audiothek.