Rückblick: Wie aus den Radiodays Europe die Audiodays werden

Die Radiodays Europe sind das Stell-dich-ein der internationalen Radiowelt. Radiogrößen aus der ganzen Welt wurden dieses Jahr in die teure Schweiz geflogen, um vom 31. März bis 2. April über die Zukunft des Radios zu sprechen. Ein persönlicher Rückblick von Marcel Tuljus, der als Mitglied der Jury beim Radiohack Europe in Lausanne war.

Radiodays Europe 2019 im Swiss Convention Center Lausanne (Bild: ©Ulrich Köring)
Radiodays Europe 2019 im Swiss Convention Center Lausanne (Bild: ©Ulrich Köring)

Ja, es ist Europas größte Radiokonferenz, aber tatsächlich müssten die Radiodays darüber nachdenken sich in Audiodays Europe umzubenennen. Denn egal, in welcher Session man saß, mit Radio im traditionellen Sinne hat es nur noch bedingt zu tun.

Zu Recht, denn wer sich jetzt ausschließlich darauf verlässt, ein gutes On-Air-Live-Programm zu machen, der macht sowieso einen großen strategischen Fehler.

Bitte nicht falsch verstehen! Das ist die Pflicht, aber ohne eine gute Kür lässt sich auf lange Sicht kein Blumentopf gewinnen. Die Radiodays Europe sind mittlerweile mehr eine Audio-Digital-Konferenz, die durchzogen ist von Netzexperten, Podcastern, digitalen Storytellern und Radiomachern, die das crossmediale Business verstehen.

Smartspeaker – akzeptiert!

Tony Archibong von TuneIn bei den Radio Days Europe 2019. (Bild: ©Marcel Tuljus)
Tony Archibong von TuneIn bei den Radio Days Europe 2019. (Bild: ©Marcel Tuljus)

Interessant war dieses Jahr zu beobachten, dass Alexa, Google Home und Co. final als weiterer Distributionskanal in die Familie aufgenommen wurden. Ich habe keine Stimme gehört, die das noch abgestritten hat. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, man gibt sich in der Branche damit zufrieden, dass es eben nur ein Verbreitungsweg ist. Die Top-Best-Cases Anwendungen habe ich dort nicht erlebt – aber man kann auch nicht in allen vier Tracks gleichzeitig sitzen. Vielleicht gibt es sie aber auch nicht. Wenn aus Skandinavien berichtet wird, dass dort teils 60 Prozent der Online-Stream-Nutzung über Sprachassistenten passiert, macht das zwar glücklich, aber darüber freuen sich eben auch ganz besonders First Party-Anwendungen wie TuneIn.

Daten sind das neue Öl

In der Buzzword-Liste steht dieser Spruch ganz weit oben. Trotzdem scheint die Wahrheit darin nun endgültig auch in der Audiowelt angekommen zu sein. In vielen Sessions wurde darüber gesprochen, wie wichtig Daten und deren ständige Auswertung für den Audiokosmos sind – in vielerlei Hinsicht. Das Erste, woran man dabei denkt, ist die Werbung. Auch wenn fleißig darüber diskutiert wird, welcher Ansatz (Targeting vs. Gießkanne) der richtige ist, ist es nicht vorstellbar, dass technische Möglichkeiten im Digitalen nicht genutzt werden. Es wurde aber nicht nur über die unterschiedlichen Ansätze gesprochen, sondern auch darüber, wie man Daten für die Entwicklung von Programm, Formaten und für das Storytelling verwenden kann. Hier geht es bei weitem nicht nur um Reichweiten und Absprungraten. Es geht eben auch darum, die Nutzer/Hörer laufend zu analysieren, um jede Promotion, jede Programmentwicklung und jeden Stream darauf auszurichten und teils auch zu automatisieren.

Eine Runde ist mir besonders im Kopf geblieben. Sie hatte den Titel „Dancing with the devil“. In der interaktiven Arena diskutierte das Publikum u.a. mit Tony Archibong. Der unglaublich smarte und geschickte Vice President von TuneIn wurde vom Publikum vor allem mit einer Forderung gelöchert: „Gebt uns mehr Daten!“ Seine Antwort war eigentlich unbedeutend: Bitte kommt auf uns zu… soweit so blabla. Aber das rief eine Dame aus Großbritannien auf den Plan. Sie forderte die Radioszene zum Zusammenhalt gegen die großen Konzerne auf. Lasst uns alle gemeinsam eine Liste an Forderungen erstellen und nur, wenn die Firmen diese erfüllen, gehen wir auf deren Plattform, sagte sie sinngemäß. Hier kann sich jeder selbst überlegen, ob das als naiv oder revolutionär betrachten werden sollte.

Ausblick auf 2020 – AI, Künstliche Intelligenz, Machine Learning

Marcel Tuljus gehörte zur Jury beim Radiohack Europe.
Marcel Tuljus gehörte zur Jury beim Radiohack Europe.

In vielen Sessions wurden diese Themen immer wieder angeschnitten, wenn auch noch sehr unkonkret. Über das Thema synthetische Stimmen hatten bereits die Medientage München diskutiert. Auch bei den Radiodays gab es eine beeindruckende Präsentation von Lyrebird, die dem Publikum gezeigt haben, wie gut diese künstlichen Stimmen schon sein können. Hier haben Alexa, Siri und Co. noch viel zu lernen. Aber auch das Thema Distribution und Anpassung der Inhalte für den jeweiligen Kanal, an die Situation und an die Gefühlslage kann durch „Artificial Intelligence“ beschleunigt und verbessert werden. Wir werden in den nächsten ein bis drei Jahren erst noch erleben, was künstliche Intelligenz für den Audiosektor bedeutet. Ich prophezeie: Dieses Thema  wird uns in der Audiowelt in den nächsten Konferenzjahren begleiten.

Nächstes Jahr – Radiodays Europe in Lissabon

Die Radiodays Europe sind dieses Jahr etwas geschrumpft, was mit Sicherheit auch an dem Veranstaltungsort liegt. So schön es am Genfer See auch ist, genauso teuer ist es dort. Das hat viele abgeschreckt, wie in vielen Gesprächen vor und während der Radiodays zu erfahren war. Die Radiodays leben von einem sehr internationalen Publikum. Neben den vielen Sessions ist es eben gerade der Austausch mit Machern aus anderen Ländern, die man sonst nicht so im Blick hat, der den Reiz der Veranstaltung ausmacht. Der Jubel der Teilnehmer (und die Reisekostenbudgets der Radiostationen) bei der Verkündung von Lissabon als Veranstaltungsort 2020 lassen vermuten, dass die Location schon jetzt akzeptiert ist. Bis nächstes Jahr!

Dieser Artikel ist zuerst auf BLMplus, dem Blog der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien erschienen.


Marcel Tuljus BlogMarcel Tuljus ist Fachreferent für „Digitale Entwicklung und Strategie“ bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Er ist dort für Veranstaltungen und Vernetzung bei der Standortinitiative MedienNetzwerk Bayern zuständig. Zuvor war er bei der BLM im Bereich Kommunikation und Medienwirtschaft tätig und dort unter anderem für die inhaltliche Konzeption der BLM-Events und Social Media mitverantwortlich. Nach seinem Volontariat beim Lokalradio studierte er ab 2005 Journalismus in Wien und arbeitete als freier Mitarbeiter unter anderem für den ORF (Ö1). Nach dem Studienabschluss war er als Dozent für Hörfunk an der FHWien | Journalismus & Medienmanagement tätig. Nach seiner Rückkehr nach Bayern arbeitete er ein Jahr lang als Chef vom Dienst bei einer Lokalradiostation in Niederbayern, ehe er zur BayMS, einem Tochterunternehmen der BLM wechselte.