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Podcasts als Frischzellenkur für Audio 

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In den USA boomt das Angebot für Audio-OnDemand. Das Apple-Eco-System hat Podcast vorangebracht. Jetzt treiben die Omnipräsenz des Smartphones und datengetriebenes digitales Marketing das neue Audio-Entertainment.

Von Bernt von zur Mühlen

Die Zeitungsbranche weltweit hat mit der Digitalisierung mächtig Schwierigkeiten. Die Auflagen sinken und so richtig weiß keiner, wie es weiter geht.

Ganz anders in der Audiowelt. Das Radio hat bisher allen Stürmen getrotzt und richtig boomt Audio on Demand. Also dann hören, wann und wo man will.

Hörbücher haben mächtig Konjunktur und eine ganz spezielle Gattung, die unter dem etwas sperrigen Namen Podcast seit knapp 12 Jahren weltweit eine kleine Medienrevolution auslöst. Das Kunstwort kombiniert Apple’s berühmten Audioplayer iPod und Broadcast, das englische Wort für Rundfunk.

Alles, was im Internet zeitversetzt und auf Abruf Audio verteilt und nutzbar macht z.B. in Mediatheken, bei allen Public Broadcastern weltweit und auch bei Tausenden von Freaks, die mal so eben selbst Sender spielen und oft hinreißende Serien, Comedys und Features produzieren.

Längst stellen Universitäten, Forschungseinrichtungen, Schulen und auch Wirtschaftsunternehmen ihre Podcasts ins Netz. Gleichgültig, ob es der Wissenschaft, der Bildung, der Unterhaltung, der Information oder dem Marketing und der Werbung dient.

Ohne Übertreibung kann festgestellt werden: Die Podcasts zum Hören sind zu einer feststehenden Nutzergewohnheit und neuen Hördimension geworden. Besonders in den USA abonnieren Millionen von Hörern die Podcasts, die ähnlich wie im TV, mit brillianten Serien auftrumpfen. Eine neue Studie des Forschungsinstituts Edison zeigt den Aufwärtstrend. Knapp 150 Millionen US-Bürger ab 12 Jahren haben schon mal von Podcast gehört und knapp 100 Millionen schon genutzt.

Die öffentlich-rechtliche Radiovariante in den USA, das National Public Radio (NPR) – ein Verbund von vielen 1000 Radiostationen – erhält durch Podcasts mächtig Aufwind. Regelrecht eine Erfrischungskur. Seit dem Podcast-Boom fließen die Einnahmen, die in den USA fast ausschließlich Spendengelder sind, reichlicher.

Und durch Ausgründungen der Podcast-Produktionsstruktur kann NPR leichter Einnahmen aus Werbung akquirieren. Dazu kommen Business Modelle wie Acast, die auf Online-Werbung spezialisiert sind.

 

Neue Einnahmequelle

Die mit Podcast verknüpfbaren Einnahmemodelle sind Sponsoring, Fundraising, Crowdfunding, Host-Read-Ads, Cross-Media Ads und Affiliate Links. Netflix, Spotify & Co. versorgen die kommerzielle Podcast-Welt mit frischen Abo-Modellen.

Das Wachstum im US-Podcast ist signifikant. 2020 soll der Anteil von Podcast-Werbung auf 500 Mio. Dollar anwachsen. Zum Vergleich Radio gesamt kommt auf ca. 14 Mrd. Dollar.

Inwieweit Podcast in den nächsten Jahren im Schnitt höhere CPM-Werte durchsetzen kann, ist noch offen.

Wie findet man Podcasts in Europa, weltweit, oder gezielt in Frankreich, Deutschland oder England und Luxemburg? Nun – wie man alles im Netz findet. Über die großen Suchmaschinen. Oder – und das wird im zunehmenden Maße gelten – die Podcasts finden ihre Nutzer selbst. So wie datengetriebenes digitales Marketing schon heute personalisierte, nutzerrelevante Werbung ausspielt, so wird in Zukunft der User, der nach Patagonien gegoogelt hat, kurze Zeit später den Reisepodcast „Auf den Spuren von Bruce Chatwin“ in seiner Social Media Timeline vorfinden.

Doch noch sind die Podcast-Plattformen Suchmaschinen getrieben. Die Plattformen sind quasi großen Warenlager, wo man im Einzelnen fündig wird. Dann downloaden und damit die Garantie haben, sich erst dann, wenn man Zeit hat, das Stück anzuhören. Auf diese Weise dominiert das Ich, unsere Wünsche nach Zeit und Ort von Audioangeboten. Apple hat auf iTunes sehr früh den Ozean der Podcasts geordnet angeboten und inzwischen haben alle Medienriesen diese Audio-Nische entdeckt. Smartphones und die mobile Nutzung haben dem Podcast den ultimativen Kick gegeben. Auf Apple-Devices nutzen in den USA 55% Podcasts, auf Android-Devices sind es 40%.

Der große Vorteil: Man kann Podcasts abonnieren. Wie klingende Newsletter. Entsprechende Apps helfen. Auf diese Weise lassen sich ganze Universitätsvorlesungen abonnieren oder Reiseberichte, spannende Serien und natürlich – wie im Fernsehen – zunehmend hervorragend gemachte Krimi-Serien.

 

Der Podcast Content muss den Nutzer finden

Der Podcast-Zug gewinnt an Fahrt. Spotify, der Musikstreamingdienst und auch Google integrieren ihr wachsendes Podcastangebot in ihre Basisdienste. Und das ist das Entscheidende. Die millionenfach im Netz quasi unsystematisch verstreuten Podcasts sind immer leichter und gezielter auffindbar. Noch muss man etwas Geduld beim Suchen mitbringen – aber der Zugang wir leichter. Obwohl auch die App-Stores von Apple und Google unübersichtlich sind.

Allerdings ist es komplizierter, den vielfältigen Genres der Audiopodcasts ordnende Algorithmen zur Seite zu stellen als bei Musik. Deshalb ist die Beobachtung interessant, wie sich Google hier positionieren wird. Denn der „Casual User“ muss für die Vermarktung von Podcasts eine höchst angenehme „Usability“ vorfinden. Langes Suchen nach Podcasts nervt. Und die Vertiefung der ‚Künstlichen Intelligenz’ auf dem Podcast-Gebiet kann dazu führen, dass die Analyse der persönlichen Daten, den Podcast-Content dem Nutzer zuführt. Und das Suchen in den Hintergrund tritt. Der ‚entdeckende Nutzer’ ist für den Podcast-Produzenten und den Podcast-Vermarkter nicht das Ideal.

Allen Medien-Companies, Start-ups und Audioproduzenten, die sich an der Produktion und Verbreitung von Podcasts beteiligen, schwebt das Beispiel aus der TV-Welt vor Augen: Der rasante Aufstieg des Abodienst Netflix. Netflix ist der entscheidende Protagonist im Fernsehen, wenn es um die On-Demand-Kultur geht. Also zuschauen, wann man selbst es will. Und nicht mehr abhängig zu sein, von einem bestimmten Sendetermin der Fernsehprogramme.

 

Podcast-Märkte sind verschiedene Sprach-und Kulturräume

Wer unter den zahlreichen Podcast-Plattformen das Rennen machen wird, so dass es dann zu einer Art Netflix für unsere Ohren kommen wird, ist noch unklar. Wie in allen Medienprodukten muss es zu einer kritischen Größe kommen, zu einer ausreichenden Menge von Nutzern, so dass echte und langfristige Geschäftsmodelle sich lohnen. Allerdings dreht Netflix an einem Milliarden-Bewegtbild-Markt mit globalem Footprint, während Audio-Non-Music Angebote an Kultur-und Sprachräume gebunden sind. Also fragmentierte und kleinere Märkte sind.

Derzeit findet eine Professionalisierung in der Vermarktung und Produktion sowie in der Nutzungsmessung von Podcasts statt, für die sich in den USA bereits erste Spezialunternehmen entwickelt haben. Sowohl die Anbieter von Podcasting-Apps als auch Podcastvermarkter wie Gimlet Media werden derzeitig großzügig mit Venture Capital unterstützt. Das Unternehmen konnte sich Anfang 2016 bei einem geschätzten Unternehmenswert von 30 Millionen Dollar, ein Venture Capital Investition in Höhe von 6 Millionen sichern. Diese Investitionen legen nahe, dass von den Investoren ein großes Potenzial für die Erlösmodelle mit Podcasts gesehen wird.

Nielsen arbeitet an einem Software Kit (SDK), das von unabhängiger Seite jeden digitalen Audio-Content im Hinblick auf ‚Downloading/Offline Listening’, ‚Online Listening’ und ‚Streaming’ messen kann. Allerdings setzt dies voraus, dass die Software in den Playern oder Apps integriert ist. Auf diese Weise kann es zeitnah zu einer ‚Währung’ für die Podcast-Vermarktung kommen.

Waren für die Anfangszeit der Podcasts (2000 – 2012) in erster Linie Apple-Integrationen in iTunes und iPhone (ab iOS8) starke Treiber, so kann sich die Podcast-Welt zunehmend darauf verlassen, dass Social Media das „Teilen“ von Podcasts positiv beeinflusst und in die Timelines von Facebook, Twitter & Co. spült.

 

Spektakuläre Podcasts

Auch spektakuläre Podcasts bringen die neue Audiokultur nach vorne. Die Podcastserie „Serial“ – in den USA seit erst 2 Jahren im Markt und schon mit mehr als 3,5 Millionen Downloads pro Episode – hat den inzwischen den Podcastmarkt grundlegend gerockt. In der Story geht es um einen ungeklärten Teenagermord in Baltimore. Die journalistische Recherche der Reporterin Sarah Koenig wurde im Netz breit diskutiert.

Und der vor 16 Jahren wegen Mord verurteilte Adnan Syed bekommt jetzt durch die millionenfache Verbreitung des Podcast „Serial“ eine neue Chance: Der Prozess wird neu aufgerollt. Investigativer Journalismus pur. Weil sehr zweifelhaft geworden ist, ob er der Mörder ist. Ein weiterer Podcast mit dem Namen „Undisclosed“ hat ebenfalls mit seiner Berichterstattung zur Neuauflage des Verfahrens geführt.

Während das kommerzielle Radio in den USA mit seiner Fokussierung auf Musikgenres nicht wirklich einen Nutzen aus dem Wachstum von Podcasting zu ziehen scheint, profitieren alle die Genres in den Public Services, die mit ausführlichen Wortstrecken, Hörspielen, Lesungen, Hintergrundanalysen, langen Reportagen dem Aspekt der Erklärung und Relevanz in erster Linie verpflichtet sind.

Wobei in den USA Public Service auch starke Shows und Serials einschließt (Anmerkung des Autors: Es ist unverständlich, warum der ‚Deutsche Radiopreis’ keine Kategorie ‚Podcast’ auslobt).

 

Die Audiofrontlinie der Zukunft

Die Audiofrontlinie der Zukunft wird vielfältiger und wettbewerbsstärker – ganz stark neu angefacht durch die Podcastkultur – und kann folgendermaßen verlaufen: Die kommerziellen Radioformate weltweit sehen sich in einem massiven Kampf mit den auf Musik spezialisierten Streamingdiensten, wie Spotify, Deezer, Apple & Co gegenüber. Diese Streamingdienste beginnen Podcast-Serien, Podcast-Shows mit Stars in ihre Streamingdienste zu integrieren (s. Schulz&Böhmermann). Unabhängige Audioproduzenten steigen in den Podcast-Markt mit Shows, Serien und Hintergrund ein. Übernehmen evtl. auch – wie im TV-Markt – Audio on Demand Produktionen für die Public Services. Public Services dürfen Big-Data auswerten und produzieren Audio-On-Demand Angebote sowohl für eigene Mediatheken, als auch für Public-Service-Institutionen (Museen, Orchester, Theater, Städte und Gemeinden). Diese ausgerollte On-Demand-Audio Kultur wird die Qualität der Angebote steigern.

Der Datenausbeute und dem immer raffinierteren Einsatz von Algorithmen, die enorm genau mit dem Geschmack der Hörer sich verfeinern, werden die kommerziellen Radioanbieter nur schwer etwas entgegensetzen können, weil sie in der Push-Welt verhaftet sind. Die Public Services in Europa allerdings – wenn sie die neuen Möglichkeiten der Podcasts gut integrieren und für ihr Publikum geschickt die Daten so auswerten, dass immer genauer die Interessen der Hörerschaft verstanden wird, können unter Umständen wieder Boden gut machen. Das setzt allerdings neue und liberale Akzente in der Medienpolitik voraus und nicht zuletzt eine Entkrampfung der Public Services mit dem Thema Daten.

 

Podcast ist eine neue Form von Audio-Entertainment

Außerhalb des Spielfelds von kommerziellen Radios und Public Services baut sich die Podcast-Welt auf. Wie in der Label-Industrie, wo auch die ‚Indies’ gewichtige Publika und Marktanteile gewonnen haben. Und Stile geprägt haben. Podcast ist eine neue Form von Audio-Entertainment und ist in seiner Produktion, seiner Stilistik und Distribution nur wenig mit linearem Radio verwandt. Auch ist die Radiowelt kein Treiber für Podcast. Denn Radio ist „Push“. Und Podcast ist reinrassig „Pull“. Was Radio in den letzten 30 Jahren an Kreativität selbstverschuldet verursacht hat, bricht Podcast teilweise wieder auf. Eine hochprofessionelle Studioproduktion einer Podcast-Show, einer Serie bedarf eines Ensembles von digitalen Profis und Arbeitsschritten, die das Formatradio nie erreicht hatte. Professionelle Podcast-Produktionen sind Kinder der TV-Serien, sind Audio-Storyteller und gänzlich auf den Publikumsgeschmack orientiert.

Jahrzehntelang schien es so, dass in der Audiowelt Musik das Primat hatte. Und Radio dazu verdammt war, ein Begleitmedium zu werden. Also nur für Musik taugte. Das dreht sich jetzt. Weil das Hören on-demand, das Storytelling, die Personality, die Show, das Hintergründige wieder nach vorne holt. Die Omnipräsenz von Smartphones als Ausspielgeräte, die Verbreitung über Social Media hat den Podcast vollständig mobil gemacht.

Der YouTube-Kosmos ist zweifellos machtvoll. Aber die Audio-Aufmerksamkeit ist in dem Modus „Nebenher“ stark. Audiopodcast sind teilweise einfacher zu produzieren als Videos und der Wettbewerb ist geringer.

Und ein schöner Nebeneffekt dieser wiedergewonnen Audiokultur ist: die Millenials finden Podcast cool. Es entspricht ihrer Nutzungserfahrung. Sie sind mit MP3 und dem Smartphone groß geworden. Und Smartphones und Podcasts sind eine unschlagbare Paarung. Und Millenials leben fast 100 Prozent jetzt schon in der On-Demand-Kultur.

Der Tisch für Podcast-Geschäftsmodelle ist reich gedeckt. Sowohl für die ‚nahen Verwandten’, die Radio-Unternehmen, als auch für unabhängige Start-ups.

Der Audio-On-Demand Markt beginnt erst in Europa.

 

Weiterführende Informationen
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BvzM-q200Bernt von zur Mühlen ist Geschäftsführender Gesellschafter der MedienKultur GmbH in Luxemburg. Er arbeitet als Consultant, Publizist und Coach. Davor war er u.a. Gründer und Geschäftsführer von 104.6 RTL in Berlin und Direktor von Radio Luxembourg.

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