„Dieser Weg wird kein leichter sein, nicht mit vielen wirst du einig sein“
Auch wenn der Vergleich natürlich hinkt: In vielem erinnert mich der Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland an den „real existierenden“ Sozialismus à la UdSSR oder DDR in den 70er und 80er Jahren. Verknöchert, verkrustet, offenkundig unwirtschaftlich, bürokratisiert, expansiv, irgendwie aus der Zeit gefallen.
Dabei hätten die „Öffis“ in der „Systemkonkurrenz“ mit den Privaten nach wie vor eine wichtige Funktion. Selbst der die Versprechen des Begriffs pervertierende „real existierende“ Sozialismus stellte eine solche Herausforderung für die „kapitalistischen“ Konkurrenten im Westen dar, dass sie sich gezwungen sahen, die dem Kapitalismus inhärenten destruktiven Kräfte zu zügeln und zumindest in der westlichen Welt eine der sozialsten Perioden der Weltgeschichte zu schaffen (in Deutschland nennen wir das soziale Marktwirtschaft).
Mit dem „Sieg“ des Westens in der „Systemkonkurrenz“ fiel dieser Legitimationsdruck weg , seitdem befindet sich die soziale Gesellschaft überall auf der Welt in der Defensive, scheint der Siegeszug des „reinen Kapitalismus“ nicht zu stoppen, es denn durch die selbstzerstörerischen Kräfte der schrankenlosen Profitgier (Stichworte: Lehman-Pleite, Banken-Krise …).
Und wie würde unsere Radio- und Fernsehlandschaft aussehen, wenn sie allein von den Eigentümern und Führungsetagen der kommerziellen Anbieter gestaltet würde? Machen wir uns nichts vor: So sehr sich die Mitarbeiter dieser Häuser ganz sicher um ein gutes Produkt bemühen würden, ohne einen entsprechenden Legitimationsdruck würde ziemlich allein die Gewinnmaximierung zur Messlatte der Programmgestaltung. Was uns dann vermutlich den Supertalent-Bauern bescheren würde, der Berlin Tag und Nacht auf der Suche nach einer Frau durchstreifen würde, die er mit dem geheimnisvollen Geräusch becircen könnte.
Nur leider werden die „Öffis“ ihrer Aufgabe, durch Programmqualität die Privaten zu besonderen Leistungen herauszufordern und dadurch deren besondere Innovationskraft zu stimulieren, viel zu selten gerecht. Wie ja auch der „real existierende“ Sozialismus seine proklamierten Ziele auch nicht annähernd erreichte – im Gegenteil, diese Ziele verriet.
In den 80er Jahren verbanden sich viele Hoffnungen auf einen besseren, menschlichen Sozialismus mit der Person Michael Gorbatschow. Ein Mann aus dem Apparat der damaligen KPdSU, der den damals schon strauchelnden Giganten UdSSR durch Reformen retten wollte. Leider – das wissen wir heute – standen seine Problemanalyse, seine Zukunftsvision und seine Durchsetzungskraft in keinem guten Verhältnis zu seinen Absichten und Zielen. Nicht zuletzt scheiterte er daran, dass Gorbatschow ein Mann des Apparates blieb und er keine Zufuhr frischer Luft von außen zu organisieren wusste.
Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist ein strauchelnder Gigant. Wenn er sich nicht bald umfassend erneuert und neue Legitimation für seine Existenz schafft, wird er in der sich verändernden Medien-Welt genauso schnell untergehen, wie die UdSSR aus der Weltgeschichte verschwunden ist. Auch wenn man sich das – z.B. angesichts des neuen Rundfunkbeitrags – heute kaum vorzustellen vermag. Aber wer hätte 1985 den Untergang der Sowjetunion oder Anfang 1989 den Fall der Mauer für möglich gehalten?
Der neue Intendant des WDR, Tom Buhrow, könnte jemand sein, der das erkannt hat. Auch er ist ein Mann (aus der Peripherie) des Apparats, mit dessen Aufstieg noch im letzten Jahr niemand gerechnet hätte. Auch er scheint erkannt zu haben, dass die „Öffis“ vor einer Zeitenwende stehen, das legt zumindest sein Programm zur Reform des WDR („Nun helfe nur ein tiefgreifender struktureller Umbau“ – Zitat WDR-Pressestelle). Und er scheint klüger zu sein als Gorbatschow (ganz sicher macht es ihm unsere offene Gesellschaft auch leichter): Mit der bisherigen Programm-Geschäftsführerin von Antenne Bayern, Valerie Weber, hat er sich eine neue Hörfunkdirektorin ins Boot geholt, die aufgrund ihrer Berufsbiographie prädestiniert ist, frische Luft und neue Beweglichkeit in einen wichtigen Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bringen.
Natürlich ist damit wenig mehr als ein erster Schritt getan. Die aufgeregte, inhaltlich völlig unangemessene und persönlich fast beleidigende Diskussion um die Personalie Valerie Weber ist nur ein erstes Vorzeichen dafür, welche Widerstände eine wirklich qualitäts- und zukunftsorientierte Reform der „Öffis“ noch hervorrufen wird.
Auch und gerade als jemand, der in der Systemkonkurrenz auf der privaten Seite des Spielfelds beheimatet ist, wünsche ich Tom Buhrow Erfolg: Sein Erfolg wäre nicht zuletzt auch eine hervorragende Medizin gegen die Innovationsscheu und Controlling-Fixiertheit bei vielen Privaten.
In diesem Sinne: „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg ist steinig und schwer. Nicht mit vielen wirst du einig sein“, alles Gute, Valerie Weber!
Ulrich Bunsmann, seit 25 Jahren Radio-Profi, schreibt regelmäßig für RADIOSZENE seine Gedanken zum Radio aus der deutschen Medienhauptstadt Hamburg.
E-Mail: bunsmann@radioszene.de
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