Selbstmord aus Angst vor dem Tode?

Ulrich Bunsmanns Gedanken zum Radio

Was die Rückkehr der Radio-Legenden verrät

Begleitet von viel PR-Getöse ging sie vor ein paar Wochen über den Äther: die soge­nann­te „Rückkehr der Radio-Legenden“. Ob Hugo Egon Balder, Frank Elstner oder Thomas Gottschalk ihren Bekanntheitsgrad der Tatsache ver­dan­ken, dass der Beginn ihrer Karrieren beim Radio lag, kann man wohl mit gutem Grund bezwei­feln – Tutti Frutti, Spiel ohne Grenzen, Montagsmaler, Na sowas, Wetten dass … usw. sind (man mag das bedau­ern) kei­ne Radio-Sendungen. Wirkliche Radio-Legenden in Deutschland sind nun mal regio­nal: Arno Müller, John Ment, Jochen Trus, Wolfgang Leikermoser, Michael Wirbitzky, Sascha Zeuss, … kennt aus­ser­halb ihrer Sendegebiete kaum jemand.

Was der Blick auf die einen wie die ande­ren (neben der Tatsache, dass es erstaun­li­cher­wei­se alles Männer sind) aber ver­rät: obwohl nach wie vor quick­le­ben­dig und erfolg­reich, han­delt es sich bei allen doch schon um etwas älte­re Semester. Und wenn man sich so umschaut nach den Radio-Legenden von mor­gen, ist die Suche nicht all­zu erfolgreich.

Das hat ganz sicher zu tun mit der Veränderung der Medienlandschaft in den letz­ten Jahrzehnten, auch das Fernsehen tut sich ja schwer mit der Herausbildung wirk­lich inter­es­san­ter Personalities. Kai Pflaume, Markus Lanz, Jörg Pilawa (wobei die Letztgenannten ja eigent­lich vom Radio kom­men) – das Legenden-Potential sehe ich da doch eher weniger.

Und ganz sicher ist es heu­te nicht leich­ter gewor­den, wirk­li­che Talente für das Radio zu fin­den – der „War for Talents“ ist ange­sichts von immer weni­ger Jüngeren in der Bevölkerung im vol­len Gange.

Wenn Radio nicht nur als belie­bi­ger Musik-Stream, son­dern als für sei­ne Hörer rele­van­tes Medium eine Zukunft haben will, muss es die­sen Kampf um die Talente von mor­gen end­lich auf­neh­men. Zumal im Zweifel die Algorithmen der gros­sen Stream-Anbieter das noch per­fek­te­re Zielgruppenangebot lie­fern werden.

Die Zukunft des Radios liegt für mich in Moderatoren-Persönlichkeiten, die auf ihre jeweils eige­ne Art für Hörer-Communities das, was man so gern unspe­zi­fisch „Content“ nennt, rele­vant auf­be­rei­ten und so die Hörer an sich bin­den können.

Aber genau an die­sen Moderatoren-Persönlichkeiten man­gelt es – und wenn Radio so wei­ter­macht wie in den letz­ten Jahren, wird es auch nicht all­zu vie­le finden.

Denn Moderatoren-Persönlichkeiten wer­den nicht gebo­ren, sie brau­chen zwar Talent, aber sie müs­sen sich eben auch ent­wi­ckeln – mit Fehlern, Pleiten, Pannen, ja z.T. auch Beinahe-Katastrophen. Kurz: die Suche nach und die Entwicklung von Moderatoren-Persönlichkeiten kos­tet Geld und beinhal­tet Risiko. Beides Dinge, für die das Radio von heu­te lei­der nicht mehr all­zu bekannt ist.

Ein paar Beispiele aus eige­nem Erleben?

  • Eine Geiselnahme in einer Bank-Filiale. Ein etwas über­mo­ti­vier­ter Nachwuchsmoderator, der davon nichts weiss, son­dern nur etwas von einem Einsatz des Polizei-Hubschraubers gehört hat, ver­sucht, vor Ort Näheres zu erfah­ren. Unglücklicherweise ruft er auch in der Bank-Filiale an, bekommt den Geiselnehmer ans Telefon, sen­det das Gespräch – und der Sender kriegt Ärger mit der Polizei und der Bank, die ein Werbekunde des Senders ist. Eine Erfahrung, die man als Chef eines Senders nicht unbe­dingt braucht, die aber für den jun­gen, mitt­ler­wei­le in ande­ren Radio-Funktionen erfolg­rei­chen Moderator bestimmt sehr lehr­reich war.
  • Im Laufe eines Volontariats stel­le ich fest, dass eine Kollegin kein wirk­li­ches Talent für den Redakteursberuf hat, wohl aber sehr viel­ver­spre­chen­de mode­ra­ti­ve Ansätze. Ich schaf­fe des­halb eine Abendsendung spe­zi­ell für sie, damit sie sich als Moderatorin ent­wi­ckeln kann. Eigentlich läuft das auch sehr gut, eines Tages sagt mir die Kollegin aber, dass sie durch das täg­li­che Senden mitt­ler­wei­le zu der Erkenntnis gekom­men ist, dass die­ser Job doch nicht das Richtige für sie sei. Schön für sie, scha­de um das inves­tier­te Geld, Glück für mich, dass der Betrag das Konzern-Controlling dann doch nicht interessiert.
  • Ein Volontär tut sich mit der Schriftform und dem Lesen geschrie­be­ner Texte extrem schwer, aber sobald er frei spre­chen kann, wirkt er leben­dig, per­sön­lich, authen­tisch. Der Volontärsausbilder emp­fiehlt mir die Trennung, ich hin­ge­gen ver­traue eher dar­auf, dass ein Radio-Moderator spre­chen statt schrei­ben muss. Dieses Mal zahlt sich das Vertrauen aus, Investition geglückt.

In den „guten alten Radio-Zeiten“ nutz­te man die Abend- und Nachtstunden dafür, etwas oder jeman­den aus­zu­pro­bie­ren – mit dem eben beschrie­be­nen wech­seln­den Erfolg. Heutzutage gibt es in die­sen Programmstrecken gera­de auch bei Sendern, die sich etwas Mutigeres leis­ten könn­ten, ent­we­der mehr oder min­der inspi­rier­te Musik-Begleitmoderation oder – noch unam­bi­tio­nier­ter – Nonstop-Musikstrecken. Die Gründe sind immer die­sel­ben: bloss kein Risiko und mög­lichst Kosten spa­ren! Zu allem Überfluss müss­ten ja die nachts ein­ge­setz­ten Nachwuchskräfte auch noch betreut werden.

So fin­det aus lau­ter Angst vor Risiko und Kosten die für das Überleben des Radios in der Medienwelt von mor­gen so wich­ti­ge Suche nach den Radio-Legenden der Zukunft nicht mehr statt: Selbstmord aus dem Angst vor dem Tode?

13.3.2013/ub

 

Ulrich Bunsmann, seit 25 Jahren Radio-Profi, schreibt regel­mä­ßig für RADIOSZENE sei­ne Gedanken zum Radio aus der deut­schen Medienhauptstadt Hamburg.

E-Mail: bunsmann@radioszene.de

 

 

 

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