Helmut G. Bauer: Radios kümmern sich nicht um die Zukunft, weil sie mit der Gegenwart genug zu tun haben.

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Medientage Logo 200Anlässlich de 26. Medientage, die von 24. bis 26. Oktober 2012 in München stattfanden, hielt der Rechtsanwalt Helmut G. Bauer für das Panel „Radio im Internet: Schutzlos, nutzlos, glücklos?“ folgende Keynote, die wir hier noch einmal in voller Länge veröffentlichen, da sie zwei Thesen beinhaltet, die auch außerhalb der Veranstaltung weiterhin diskussionswürdig bleiben.

Lassen Sie es mich kurz machen. Ich habe nur 2 Thesen, die ich Ihnen zum Befeuern der Diskussion vortragen will. Ich verzichte auch auf eine Powerpoint-Präsentation. Schließlich geht es auch um Radio und nicht um bebildertes Audio.

These 1

Das UKW-Radio hat das Internet bereits entdeckt und erobert. Die Radioveranstalter sind glücklich!

Was will man mehr: Glückliche Veranstalter, die mit wenig Aufwand ihre über UKW ausgestrahlten Radioprogramme auch ins Internet stellen. Die Radioveranstalter sind glücklich, weil ihre Hörer sie auch im Internet anklicken.

Alle Daten zeigen, dass diese digital verbreiteten UKW-Programme im Ranking mit den anderen Internetradios mit weitem Abstand an der Spitze in der Beliebtheit bei den Hörern stehen.

Durch die Webseiten werden die Programminhalte der Sender zusätzlich verlängert. Sie bieten den Werbekunden die Möglichkeit für zusätzliche Schaltungen.

Um, wie es in der Fußballersprache heißt, die Räume dicht zu machen, verbreiten die meisten UKW-Sender außerdem noch viele Internetradios. Das sind bis auf wenige Ausnahmen in der Regel, unmoderierte Musikstreams mit unterschiedlichen Musikformaten.

Zu allen diesen Programmen gibt es die passenden Apps für Handy oder Tablet, damit die Hörer immer und überall Zugriff auf ihr Lieblingsprogramm haben.

Diesem Verhalten der Radioveranstalter liegt die durchaus richtige Erkenntnis zugrunde, dass sich starke Marken auch im Internet durchsetzen.

Und es kommt noch besser:

Die rund 2.500 -Internet-Only-Radios in Deutschland – weltweit sollen es mehr als 30.000 Internetradios sein- spielen weder bei den Hörern noch bei den Werbungtreibenden eine große Rolle!

Viele von Ihnen werden dies nicht hören wollen. Sie schütteln bei so viel Ignoranz den Kopf.

Ja, es gibt sehr gute Programme aus dem Senegal oder aus Brasilien. Auch das Angebot, das 365 Tage im Jahr Weihnachtsmusik sendet, ist ein perfekte Formatradio in seiner reinsten Form.

Leider kann ich kein Portugiesisch, mein Französisch ist auch nicht so gut und 365 Tage Weihnachten ist eine klare Diskriminierung des Osterhasen. Ganz ehrlich- das alles interessiert mich nicht, weil es nicht meine Lebenswirklichkeit ist.

Betrachtet man die Zugriffszahlen auf die für den deutschsprachigen Markt bestimmten Angebote, muss man feststellen, dass sie im Vergleich zu UKW-Radio kaum Hörer haben.

Daran ändern auch die vielen Untersuchungen nichts, mit denen lediglich nachgewiesen wird, dass die Hörer wissen, dass es Musik im Internet gibt. Packt man diese Hörerzahlen für die Vermarktung zusammen, werden es auch nicht mehr.

Ich kenne den Einwand: Die Internetradios haben die besseren Nutzer.

Das stimmt, weil es den Nutzern gelungen ist, die einzelnen Angebote im Internet zu finden.

Das ist vielleicht auch nicht schwierig, wenn bei einigen Sendern nach eigenem Bekunden 90% ihrer Nutzer zwischen „19 und 35 Jahre alt sind, 50 % in der Kreativindustrie arbeiten und 48 % einen Universitätsabschluss“ haben. Ein „junges, modernes und kreatives Publikum“. „Moderne Performer, die weltweit auf das Webangebot zugreifen“.

Aber auch an diesem Punkt des Hase-und Igel-Spiels können die UKW-Radios rufen: Ick bin schon da. Die Internetangebote der UKW-Radios werden selbstverständlich auch gebündelt und aus einer Hand verkauft.

Ergebnis: Die UKW-Radioveranstalter sind glücklich und können sich zurücklehnen. Mehr kann man nun wirklich im Internet nicht machen.

Helmut G. Bauer (Bild: Medientage München)
Helmut G. Bauer (Bild: Medientage München)

These 2

Die UKW-Radios haben das Internet immer noch nicht entdeckt und macht keine Anstalten es zu erobern.

Die UKW-Welt ist wohl geordnet. Die Frequenzen sind aufgeteilt. Wollen Störenfriede eine UKW-Frequenz übernehmen, beginnt der betroffene Veranstalter bei den Landesmedienanstalten ein Wehklagen über die Bedrohung von Arbeitsplätzen und dem zu kleinen Werbemarkt, der keine Vielfalt verträgt. Sie kennen alle die Riten.

Kann man sich darauf verlassen, dass die Medienanstalten verhindern, dass mehr Wettbewerb entsteht? Die Antwort ist ein klares Nein. Und die Radioveranstalter wissen das.

Die Audioangebote im Internet und Dienstleister, damit sich die Nutzer in dem Musikdschungel zurechtfinden und um die Angebote zu personalisieren, sprießen wie Pilze aus dem Boden. Spotify, Simfy; Rdio, Napster, Deezer, Juke, lastFM, Pandora oder Digster usw. verzeichnen immer mehr Nutzer.

Die Hersteller von Spielekonsolen wollen dort nicht zurückstehen. Erst vor ein paar Tagen hat Microsoft angekündigt, in seine Xbox und in windows 8 einen eigenen Musikdienst zu integrieren.

Vielen dieser Dienste gelingt es, Kooperationen mit anderen Mitspielern einzugehen: Mit Mercedes, BMW; Vodafone, Telekom oder vor ein paar Tagen die Ankündigung von Springer, in das start-up „Capsule.fm“ zu investieren.

Es reicht aus meiner Sicht für Radioveranstalter nicht aus, darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um Radio handelt, sondern nur um eine neue Vertriebsform für Musik. Um sich als Radioveranstalter noch mehr zu beruhigen, erfolgt der Hinweis, dass die meiste Musik ohne hin nur gespeichert, aber nicht gehört werde.

Dies kann aber nur ein „Pfeifen im Keller“ sein!

Diese Dienste konkurrieren mit den Radios um eine sehr begrenzte Ressource: Die Zeit. Der Tag hat für alle nur 24 Stunden. Je öfter und länger die Musikdienste genutzt werden, umso weniger Zeit bleibt für das Radio. Vielleicht gilt bald hier der Satz: „Viele Hunde sind des Hasen Tod“.

Was haben die Musikdienste, was Radios nicht haben?

Beide nutzen das gleiche Grundnahrungsmittel: Die Musik. Dabei ist es egal, ob 18 oder 30 Mio. Titel zur Auswahl stehen. Der einzige Unterscheid besteht darin, dass die Musik anders programmiert und verfügbar gemacht wird.

Während Radioveranstalter ihre Angebote über Werbung finanzieren, zielen Musikdienste in erster Linie darauf ab, Abonnements zu verkaufen.

Als sie begonnen haben, waren die Musikdienste alle start ups mit zwei oder drei Mitarbeitern. Keines hatte eine Verbindung zu einem Hörfunkveranstalter.

Gerade Radios wären aber ein idealer Startpunkt für dieses Geschäft, weil sie wissen, was die Hörer wollen.

Ein Versuch mit youwant.com, der im Jahr 2000 von verschiedenen Radiosendern um rs2, RSH, Radio PSR gestartet wurde, ist leider gescheitert. Wahrscheinlich war es noch früh. Weitere Versuche gab es leider nicht. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für die anderen Länder.

Leider ist auch die gute Idee der Bündelung der Innovationskräfte der großen Radiostationen in einem gemeinsamen Unternehmen, der Digital 5, im Sande verlaufen.

Radioveranstalter kümmern sich nicht um ihre Zukunft, weil sie mit der Gegenwart genug zu tun haben.

Kann sich das Radio vor diesen Wettbewerbern schützen?

Wenn es nur darum geht, die nächsten 10 Jahre zu überstehen, muss man nichts machen. Wie die Media Analysen zeigen, ist klassisches Radio noch immer das Nr. 1 Audio-Medium. Wenn es um den Umsatz geht, ist jedoch Eile geboten, weil die Werbewirtschaft das Radio in seiner Bedeutung immer weiter herunterstuft.

Was ist die Lösung?

  1. Die Radioveranstalter müssen sich noch mehr als Entertainment-Unternehmen verstehen und ebenfalls Musikangebote entwickeln. Nicht nur Musikstreams, die sie im Netz verstecken, sondern die sie mit den attraktiven Features versehen und aktiv als eigenes Geschäft betreiben und bewerben. Noch immer attestieren die Hörer dem Radio eine große Musikkompetenz.
  2. Was ist der Unterschied zwischen einem richtigen „Radioprogramm“ und dem was sich als „Radio“ verkleidet, aber nur eine Internet-Jukebox ist.

Das sind das Wort und die Personality!

Ich meine Moderatoren und Moderatorinnen, die sich etwas trauen, die Themen anders aufgreifen als bisher, die frech sind und Mut haben. Also Personalities, von denen wir gehört haben, die wir aber meist nicht gehört haben, wie Howard Stern.

Diese fallen nicht von den Bäumen, sondern müssen sich entwickeln.

Wo gibt es UKW-Radioveranstalter, die neue Personalities ausprobieren und sich ausprobieren lassen, die neue Sendungen und Programme erproben, die noch nicht massenkompatibel sind – es vielleicht aber werden. Nur eine Probesendung reicht dazu nicht aus. Im Internet gibt es die Sendestrecken, um sich am Markt zu beweisen.

Im Internet muss man keine Medienanstalt fragen, man muss sich nicht langfristig an einen Netzbetreiber binden und man braucht noch nicht einmal ein großes Studio.

Man muss in Menschen und Konzepte investieren!

90elf, das Fußballradio, ist dafür ein gutes Beispiel. Es lebt nur vom Wort, nutzt alle Möglichkeiten des Internets, Apps und Social Media, schließt Partnerschaften und, und, und…

Aber dazu man braucht mutige Geschäftsführer, mutige Gesellschafter und einen langen Atem.

Hat sich eine Radiostation entschlossen, etwas auszuprobieren, hat sie das eigene Werbemittel in der Hand, um das neue Angebot im eigenen UKW-Sender zu bewerben. Sie kann mit der Autorität des etablierten Programms auf das Neue hinweisen und es offen anpreisen.

Dass Werbung funktioniert, verkünden die RMS und die AS&S jeden Tag, wenn sie formulieren: Radio verkauft und macht glücklich!

 

HGB sw 200

Helmut G. Bauer, Rechtsanwalt in Köln, Studium der Rechtswissenschaften, Publizistik, Politik und Ethnologie in Heidelberg und Mainz. Er gehört zu den Pionieren des Privatfunks in Deutschland. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf Fragen der Rundfunkinfrastruktur und neuer Medientechnologien, insbesondere für den Hörfunk. Bis Ende 2011 war er Geschäftsführer der Digitalradio Deutschland GmbH.

E-Mail: hgb@hgb.fm

Unter Mitarbeit von Anna Bienefeld M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kanzlei Helmut G. Bauer

© Helmut G. Bauer 2012

Teaserbild oben: ©Logitech