Die britische Privatradiobranche wird wahrscheinlich bald die größte Veränderung ihrer Karriere erleben.
Im Vereinigten Königreich ist kommerzielles Radio relativ neu – es begann erst 1973. Bis dahin hatte das Land vier nationale BBC-Radiosender – eine Teilzeit-Top40-Station (Radio 1), die 1967 ins Leben gerufen wurde, eine Station mit leichter Musik mehr für Erwachsene (Radio 2), klassische Musik auf Radio 3 sowie Nachrichten und Kultur auf Radio 4. Zwar gab es ein paar lokale BBC-Stationen in dieser Zeit, aber es waren nicht viele. Die Seesenderpiraten der Sechziger, die Popmusikdiät boten, waren zu dieser Zeit bereits größtenteils verschwunden.
Es tauchte etwas auf, was damals als Independent Local Radio bekannt war. Privatradios – eines pro Stadt (zwei in London) – wurden stark von der unabhängigen Rundfunkbehörde Independent Broadcasting Authority, kurz IBA reguliert. Studios mussten gemäß anspruchsvoller Standards gebaut werden. Die Sender wurden vom Regulierer bereitgestellt. Deren Ausstrahlungen wurden forensisch überprüft – jeder Zeitplanwechsel musste an die IBA übermittelt werden; es mussten alle Arten spezieller Musikprogrammen, Kultursendungen und langer Nachrichtenbulletins vertreten sein. Die Anzahl der Werbespots war gesetzlich beschränkt (was den tollen Vorteil hatte, die Werbekosten aufgrund der Nachfrage hoch halten zu können). Am wichtigsten war die Art der Musik, die Sie während des Tages zu hören bekamen – sie wurde sorgfältig überwacht. „Alles für Alle“ war die offizielle Devise. Sie könnten meinen, dass diese Art Programmgestaltung die Sender nicht sehr beliebt machten: tatsächlich jedoch erreichten sie oftmals spielend 50% Marktanteil.
Diese weitreichende Regulierung wurde bis in die 80er und 1990 gnadenlos durchgezogen. Dann folgte eine langsame Deregulierung. Zusätzliche Stationen wurden erlaubt, darunter einige nationale und regionale Angebote – zusätzlich wurden kleinere Anbieter lizenziert. Die Radiosender konnten nun so viele Werbespots verbreiten wie sie wollten.
Im Jahr 2017 existiert im Vereinigten Königreich eine Reihe von noch recht engen Vorschriften für UKW-Radio. Formatwechsel sind noch immer verboten, es wird ein ziemlich großer Anteil lokaler Programmgestaltung verlangt – und es gibt Regeln darüber, wo sich die Studios befinden sollten und wie hoch der Anteil lokaler Nachrichten sein soll. DAB-Radio (mit einem Marktanteil von 32,9%) ist weitaus weniger reguliert – mit der Forderung an den Multiplex-Besitzer, Angebotsvielfalt zu gewährleisten.
Letzte Woche hat die britische Regierung auf dem World Radio Day ein sogenanntes Konsultationspapier veröffentlicht, in dem vorgeschlagen wird, fast alle lästigen Regelungen verschwinden zu lassen. Als einzige Bedingung soll es nur noch lokale Nachrichten, Wetter und Verkehrsinformationen geben, die Radiosender sollen aber die Musik spielen dürfen, die sie wollen, Netzwerke bilden so viel sie wollen und so viele Studio-Gebäude schließen, wie sie wollen. Radiocentre hat als Stimme der Privatradiobranche den Umstieg – wen wundert’s – begrüßt.
Die Schwarzseher – und davon gibt’s viele – weisen auf die fast unvermeidliche Bedrohung durch erhebliche Arbeitsplatzverluste hin. Diejenigen, die das Glas halb voll sehen möchten, sind glücklich – sie erwarten Mehreinnahmen, die ihnen die Möglichkeiten geben, Innovationen anbieten zu können statt alles nur abzuhaken. Aber es gibt sicherlich viele Leute, die den Wechsel beklagen, weil sie sich lieber an Radio erinnern, wie es früher einmal war.
Diese neue Gesetzgebung bietet viele Möglichkeiten – vielleicht auch neue Wege, wie Radio sich in einer zunehmend globalen Welt neu erfinden kann. Der Rundfunkwerbemarkt wächst in Großbritannien weiter, und im Gegensatz zu den USA sind ausländische Besitztümer an kommerziellen Radiostationen auch nach dem Gesetz zulässig.
Die einzige Konstante ist die Veränderung, wie ein griechischer Philosoph einmal sagte. Die nächsten Jahre werden wirklich interessant!
Der “Radio-Futurologe” James Cridland beschäftigt sich mit neuen Plattformen und Technologien und ihre Wirkung auf die weltweite Radiobranche. Er spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.cridland.net.