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Böhmermann goes Spotify: Ein Glücksfall fürs Radio?

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Von Hans Oberberger

Jan Böhmermann hält die deutsche Medienszene auf Trab. Gerade erst hat er mit seinem Erdogan-Ziegen-Gedicht die Grenzen für Satire neu gezogen. Jetzt verkündete er den Wechsel seiner radioeins-Sendung “Sanft & Sorgfältig” gemeinsam mit Olli Schulz zu Spotify (RADIOSZENE berichtete). Die Irritation in der Branche ist groß. Ausgerechnet Spotify! Der Erzfeind aller aufrechten Radiomacher. Herzlos von Algorithmen zusammengestopselte Musik ohne Seele. Oder, wie es oft nur kurz heißt: Das ist doch gar kein Radio! Na und? Der Böhmermann-Wechsel könnte sich als Glücksfall fürs alte Radio erweisen. Dann nämlich, wenn er es schafft, die Branche endlich aus ihrer digitale Lethargie zu reißen.

Die Medienbranche erlebt gerade eine Revolution, die höchstens mit der Einführung des Buchdrucks vergleichbar ist. Sämtliche Kanäle werden Schritt für Schritt vom Netz vereinnahmt. Print-Medien können bereits ein trauriges Lied davon singen und ihren TV-Kollegen weht der raue Netflix- und Youtube-Wind ins Gesicht. Lediglich die Radiobranche wähnt sich immer noch in Sicherheit. Hörerzahlen und Werbeerlöse sind erträglich stabil. Wohlige Wärme also im lizenzgedeckelten deutschen Radiomikrokosmos?

Mitnichten! Die digitale Konkurrenz im Audio-Markt blüht außerhalb der Lizenzreservate. Spotify hat allein im letzten Jahr die Zahl seiner Bezahlkunden verdoppelt. Ulrich Bunsmann hat vorgerechnet, dass Spotify bei der ersten ausgewiesenen MA Audio im Herbst eine Tagesreichweite von rund 1,95 Millionen Hörern erreicht hat. Die Rechnung holpert zwar etwas, aber als Trend-Wert kann man das durchaus nehmen. Bunsmann kommt dann allerdings zu dem Schluss, dass ein Anteil von 3,69 Prozent an allen werbetragenden Audio-Angeboten ja wohl noch keine Gefahr für die Radiobranche sei.

Das sehe ich anders. Erstens gibt es nicht viele Sender mit einer solchen Tagesreichweite in Deutschland. Vor allem aber entwickeln Spotify, Apple Music, Deezer & Co eine Dynamik, die in dem ansonsten stagnierenden bis rückläufigen Markt fast raketenartig wirkt. Hält der Trend auch nur annähernd an, kann man sich ausrechnen, wie lange es dauert, bis ein nationaler Anbieter mit zweistelligem Marktanteil den ansonsten föderal fragmentierten Werbemarkt aufmischt. Und das obwohl Spotify mit einem Anteil von 91 Prozent Abo-Einnahmen am Umsatz noch nicht mal wirklich angefangen hat, sein Werbepotenzial zu heben.

Die Branche reagiert trotzdem verhalten. Die Reichweiten für Internet-Radioangebote stagnieren ja schon, heißt es teilweise fast hämisch. Das aber ist vor allem ein Angebotsproblem. Mit dem reinen Wechsel eines UKW-Senders ins Simulcast lassen sich online natürlich keine riesigen Reichweitensprünge erzielen. Und auch der xte kuratierte Online-Musikstream wird keine Jubelstürme mehr bei den Hörern auslösen. Echte digitale Audio-Angebote, die die Stärken des Mediums auch wirklich ausspielen, gibt es aber noch kaum. Publikumswirksame On-Demand-Sendungen wie künftig eben “Sanft & Sorgfältig” könnten den Streaming-Markt hier gewaltig in Bewegung bringen. Und das ist gut so!

Denn das ist nicht nur die größte Bedrohung für das alte Radio. Es ist auch seine derzeit größte Chance. Auch der Hörfunk wird sich der Digitalisierung langfristig nicht versperren können. Künftige Audio-Angebote werden sicher keine linearen Einweg-UKW-Programme für Jedermann mehr sein. Stattdessen wird es digital verbreitete, personalisierte Angebote geben. Der Vorteil: Auch diese neuen Angebote werden sich durch die gleichen Stärken auszeichnen, wie das heutige Radio. Ist es informativ und unterhaltsam, hat es Persönlichkeit, spricht es die Menschen an, werden sie es hören. Wenn nicht, klicken sie weg.

Echte Weiterentwicklungen der Audio-Angebote ins Digitale gibt es bisher allerdings nur wenige. Ein schönes Beispiel ist das mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichneten PSR-Projekt radio.likemee. Ebenfalls von der REGIOCAST-Gruppe stammt die Plattform IamRadio. Dabei hätten die heutigen Radiomacher hier einen riesigen Know-How-Vorsprung gegenüber ihren neuen Konkurrenten. Sie wissen, wie man gute Radiobeiträge macht, wie man Hörer anspricht, wie man Kino im Kopf erzeugt. Diesen Vorsprung sollten Sie nutzen – und zwar jetzt. Denn Spotify & Co können sich diese Kompetenz im Laufe der Zeit natürlich ebenfalls aneignen oder einkaufen. Liebe Radiokollegen, um es mit Rio Reiser zu sagen: Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?

 

Hans Oberberger (Bild: privat)Hans Oberberger geboren 1968 in München, ist seit über 25 Jahren Journalist. Der studierte Politologe und gelernte Hörfunkredakteur war für zahlreiche Medien tätig, darunter Tageszeitungen, Nachrichtenagenturen, Radio- und Fernsehsender sowie Online-Medien. Zuletzt war er Leiter der Redaktion Politik/Wirtschaft beim landesweiten Hörfunksender Antenne Bayern.

Als freier Journalist und Berater arbeitet Hans Oberberger derzeit unter anderem für die Europäische Kommission in Deutschland. Seit 2016 ist er außerdem Geschäftsführer des Medien-Startups soundticker, das personalisierte Musik mit personalisierten Radionachrichten zusammenbringt.

Email: info@hansoberberger.de

 

(Teaserbild: © rbb/Jens Oellermann)

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