Von Wolf-Dieter Roth
Geeks und Piraten surfen heute im Internet, hören online Musik. In den 60ern waren die Piraten noch im „Real Life“, auf der Nordsee: Piratensender wie Radio Caroline bliesen den Muff aus den Wohnzimmern. “Radio Rock Revolution” ist ein Spielfilm über diese Zeit. Nicht immer geschichtstreu, aber für das Genre sehr gelungen.
Ein Piratensender von hoher See? Funken unterm Sternenzelt? Das klingt auch heute noch interessant. Deutsche Filme über Piratensender waren jedoch meist ziemlich spießige Klamotten, beispielsweise “Piratensender Powerplay” mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger. Etwas besser und realistischer war die Fernsehserie “Pogo 1104“. Englische und amerikanische Filme sind besser, wenn auch teilweise etwas heftig. In gut gelungenen Filmen über die Jugendjahre wie „American Graffitti“ spielt Radio in Form von Wolfman Jack dagegen nur eine Nebenrolle.
Nun kommt “Radio Rock Revolution”, englischer Originaltitel: „The boat that rocked“ ins Kino, ein Film, der sich an die Geschichte von Radio Caroline anlehnt:
Are you sitting comfortably? Then we’ll begin!
Ansage der BBC
Die 60er waren nicht nur in Deutschland, sondern auch in England eine sehr spießige Angelegenheit. Die BBC spielte Musik für Omas und Tanten, wenn sie überhaupt Musik spielte, denn die “Needle Time” – der Anteil von Schallplatten am Programm – war streng begrenzt. Rock’n Roll – oder gar “dieses Yeah-Yeah-Yeah” der Beatles, über das auch das Staatsoberhaupt der DDR, Walter Ulbricht, schon ausgiebig schimpfte, hatten im Radio nichts verloren.
We will now reproduce a phonographic record
Ansage der BBC
Etwas anderes als den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der BBC – das Vorbild für den heutigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland – gab es nicht, war undenkbar: Schwarzsenden war streng verboten, Sendelizenzen gab es nicht. Das war nicht nur schlecht für die Hörer, auch die Musiker bekamen ihre Platten nicht ins Radio. Ronan O’Rahilly, ein Ire, hatte dann die Idee, mit einem Schiff den englischen Hoheitsbereich zu verlassen – ähnliches war zehn Jahre eher im skandinavischen Raum geschehen – und sein Radioprogramm von der Nordsee zu senden: Radio Caroline war geboren, ein Sender, der bis heute aktiv ist.
It’s 10:00 at night.
The dull dudes on the planet are sitting in their slippers and sipping their sherries. But the people who love to rock and to roll are ready to ride the rocking roller coaster once more. You are listening to Radio Rock, and I am The Count, and I’m counting you in as we count down to ecstasy and rock
ALL THE DAY & ALL OF THE NIGHT.
“Der Graf”, Radio Rock Revolution
Wegen des Sendens vom Schiff und des Operierens außerhalb des britischen Hoheitsgebietes wurde der Begriff Piratensender für die neuen Popsender gebräuchlich. Zu Radio Caroline kamen andere, zeitweise sendeten gut ein Dutzend Stationen von Schiffen und alten Weltkriegs-Forts. Dann erließ die englische Regierung ein spezielles Anti-Piratensender-Gesetz, den sogenannten Marine Broadcasting Offences Act, und am 14. August 1967 wurden die Piratensender auch außerhalb der britischen Hoheitszone illegal. Alle Sender hörten auf, nur Radio Caroline machte weiter.
Der Amüsierfaktor des Films ist jedoch hoch. Ein Vorbild des Regisseurs Richard Curtis ist dabei unverkennbar “Titanic”, denn das Radioschiff erleidet ein ähnlich dramatisches Schicksal. Zwar ging auch das Schiff des echten Radio Caroline unter, doch holte die Küstenwache zuvor alle DJs von Bord. Im Film hat der Postminister dies untersagt, will sie ersaufen sehen. Damit gibt es spannende Unterwasseraufnahmen, leider etwas fern der Realität: Ein Schiff sinkt in wenigen Minuten, doch auch fünf Meter unter Wasser ist alles hell und ruhig, während Althippies nach ihren Platten tauchen und bis zur Brust im Wasser stehend tapfer weiter auflegen, ohne im Salzwasser an einem Stromschlag zu sterben.
The drug takers and lawbreakers and bottom-bashing fornicators of our once great country. Well, here’s your little task, Twatt. I want “Rock” off the air in 12 months, and I want you to be my private assassin.
Minister Dormandy
Auch der kaum mehr bekannte Fernsehfilm “Asphaltnacht” scheint Richard Curtis bekannt zu sein. In diesem springt der bereits tot geglaubte Titelheld aus einem gerade auf den Kopf gelegten Cabrio und verkündet “It’s only Rock’n Roll!”. Ähnliches geschieht auch in “Radio Rock Revolution”.
An Bord von „Radio Rock Revolution“ sind Oscargewinner Philip Seymour Hoffman, Bill Nighy, Rhys Ifans und Nick Frost als Radiohelden auf hoher See und Kenneth Branagh als Postminister Doherty, der dem “drogenverseuchten, kulturlosen” Treiben ein möglichst schnelles und grausames Ende bereiten will.
Dabei benutzt der Film die originale Studioeinrichtung von Radio Caroline und zeigt, wie Radiosendungen hinter den Kulissen auch ablaufen können. Das Schiff im Film entspricht aber eher der nach dem Untergang des ursprünglichen Sendeschiffs „Mi Amigo“ von Radio Caroline in den 80ern angeschafften „Ross Revenge“, einem Hochseetrawler. Die „Mi Amigo“, das Sendeschiff der 60er und 70er war wesentlich kleiner.
Wer es historisch korrekter will, kann auf „Radio Caroline – The Film“ warten, ein anderes Filmprojekt um die englischen Seesender der 60er. Ob dieser Film überhaupt Finanzgeber findet und in Produktion gehen kann, ist allerdings noch offen – und auch er ist als Spielfilm mit erzählerischen Freiheiten geplant, nicht als Dokumentarfilm.
“Radio Rock Revolution” startet ab 16. April in den deutschen Kinos.
This movie is dedicated to all that worked on the pirate ships
ALL DAY AND ALL OF THE NIGHT
Abspann von “The boat that rocked”
Interview mit Bill Nighy
In einem Interview erzählt Bill Nighy, der im Film den Manager des Piratensenders spielt, von welchem Seesender er sich früher inspirieren ließ. Das Interview führte kurioserweise ein echter Radiopirat aus Holland: Herbert Visser. Er moderierte in den 80ern bereits auf dem Radio Caroline-Schiff „Ross Revenge“ und ist heute Chef des landesweiten Privatradios 100%NL.
Download:
Interview mit Schauspieler Bill Nighy (mp3)
Links:
Radio Rock Revolution
„The Boat That Rocked“ in den Medien