Wird Fortbildung im Radio in Coronazeiten vernachlässigt?

Tipps zur Fortbildung in Radiosendern während und nach Corona: neue Berufsfelder – andere Finanzierungsmöglichkeiten

online radio lab radiozentrale bigDem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass kürzlich ein Angebot lief mit dem Titel „Online Radio Lab“. In zwei Tagen und vier Slots wurden in Video-Seminaren Ideen ausgetauscht, bei der Fragestellung, wie Sender und Vermarkter angesichts der Corona-Krise handeln sollen. Die Radiozentrale hatte ihre Sender und Vermarkter motiviert und in der aktuellen Situation den kostenfreien Service angeboten, um damit direkt die Verkaufsabteilungen zu unterstützen.

Maria Mpalaoura (Bild: BLM)
Maria Mpalaoura (Bild: privat)

Den Ursprung hatten diese Treffen – durchgeführt von der Verkaufsexpertin Maria Mpalaoura – bei  der BLM. Dort fanden zuvor solche Video-Austauschkonferenzen für Radiomacher statt. Insgesamt nahmen bei Online Radio Lab Ende April etwa zweihundertfünfzig Teilnehmer teil.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob, wie und welche Mitarbeiter in bestimmten Radiobereichen mit Fortbildungen gefördert werden können, besonders auch solche, die sich in Kurzarbeit befinden. Entsprechende Recherchen sind in der jetzt (hoffentlich) endenden Coronakrise schwierig, mögliche Ansprechpartner sind häufig nicht zu erreichen, im Urlaub oder in Videokonferenzen. Mitunter stoßen Fragestellungen auch auf Unverständnis. Sie lauten zum Beispiel: „Welchen Fortbildungsbedarf sehen Sie für Mitarbeiter in den Bereichen Technik, Büroorganisation, Programm oder Verkauf ?“ Da ist eher zu hören „Digitalisierung und Sprechtraining. Ach ja, auch noch die Volos“. Das alleine kann es doch nicht sein?

Radiomachern ist bekannt, dass vor allem die Verkäufer, Redakteure und Programmverantwortlichen aus einem recht breit gestreuten Angebot wählen können. Ausbilder sind zu finden bei Akademien, die häufig besetzt sind mit Personen aus dem journalistischen und dem Verkaufsbereich, in Medienanstalten, die wiederum Referenten aus dem Angebot der Akademien, Beratungsagenturen oder „freien“ Coaches und Trainern rekrutieren. Letztere arbeiten häufig als „Einzelkämpfer“. 

Es gilt insgesamt einen Fortbildungsmarkt von über 5.000 MitarbeiterInnen in Privatradios zu bedienen. Eigentlich eine ausgesprochen wichtige Zielgruppe, die gerade jetzt in schwieriger gewordenen Zeiten, weiter qualifiziert werden müsste. Was liegt da näher als dies in einer fundamentalen Krise und auch bei auferlegter Kurzarbeit zu tun? Von der schieren Größe des Marktes: Die Öffentlichen-Rechtlichen betreiben eine eigene Akademie für ihre 40.000 „Equivalenzmitarbeiter“, so lautet die Zahl der dort beschäftigten Personen laut KEF zumindest. Sie hat dem Vernehmen nach gut zu tun.

Welchen Bedarf gibt es in der Personalentwicklung, wo kann man Angebote finden?

Der digitale Wandel hat ziemlich rasch Einzug in Radios gefunden vor mehr als dreißig Jahren durch die Umstellung auf CDs, anschließend wurden Bereiche in der technischen Programmgestaltung digitalisiert, hinzu kamen Werbedisposition und Werbung, Stichwort „Programmatic Advertising“.  Social Media und Präsenzen im Web sind seit über 15 Jahren digitale Standards in Radios. Erst recht beeinflussten, aber eher im praktischen Ablauf unmerklich, die Verbreitung des Programmangebots Kompetenzanforderungen an die Techniker bei den Veranstaltern.

Die einzelnen den Mitarbeitern abgeforderten Skills bedingt durch  Neuerungen in den genannten Bereichen werden häufig durch die liefernden Unternehmen vermittelt, inhäusig oder bei den Dienstleistern selbst. Bestehen da also noch Defizite bei der Fortbildung im Radio?

Wird Fortbildung im Radio in Coronazeiten vernachlässigt? (Foto: ©Obi Onyeador/Unsplash)
(Foto: ©Obi Onyeador/Unsplash)

Befragt man Mitarbeiter bei Privatfunkanbietern, die im Großen und Ganzen als KMUs aufgestellt sind nach Angeboten und Unterstützung bei der Fortbildung, hört man wenig. Betreiben die Verantwortlichen die betriebsinterne Personalentwicklung vielleicht ein wenig hemdsärmlig?  Sie werden sich die Frage nach zu fördernde Mitarbeiterkompetenzen selbst beantworten können, wenn Sie sich in Bereichen umschauen wie:  „Arbeiten 4.0 – Arbeiten in neuen Arbeitsformen, z.B. Home Office“, „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ oder „Betriebliches Umweltcontrolling“.

Es muss nicht ein beliebiger Ikebana-Kurs für die Gestaltung des Empfangs-Counters sein. Interessant dürfte es auch sein bei der innerbetrieblichen Organisation der Schnittstellen einmal nachzuschauen, wer wie in welchem Umfang miteinander arbeitet und ob Schachstellen bestehen, für deren Aufhebung spezielle Kompetenzen notwendig sind.

Nach außen schauen

Die Fortbildungs-Situation stellt sich anders als in der eher locker, fast familiären Privatradioszene in dem staatlichen oder von Arbeitgeberseite geförderten Angebotsumfeld dar. Auch funktioniert die Angebotssituation dort anders in den Verbänden und Einrichtungen, die den Löwenanteil der anfragenden Beschäftigten in Deutschland bedienen. In diesem vermutet eher grauen Umfeld werden auch den Verkäufern und Marktingmitarbeitern im Radio reichlich Bildungsangebote geboten. Entsprechende Anbieter sind bei Einrichtungen und Organisationen wie den IHKs, in Akademien der Wirtschaft und vor allem bei der Arbeitsagentur mit deren Kursnet-Angeboten zu finden. Geboten werden Trainings, die sich an zahlreiche Branchen wenden und durchaus berufstypische Überschneidungen aufweisen mit Radiokompetenzen und Tätigkeiten in der Hörfunkbranche. 

Anders als die  bekannten Anbieter für Fortbildung im Radio unterliegen diese Einrichtungen speziell gestalteten Zulassungskriterien, die sich unterscheiden durch formale und durchaus anspruchsvolle Kriterien und damit im Gegensatz zu Radioangeboten stehen, die eher mit informell gestalteten Angeboten arbeiten. Handelt es sich um Präsenzkurse müssen die ‚Traditionalisten‘  zum Beispiel  bestimmten Quadratmeterzahlen pro Person sowie Anforderungen an Didaktik und Methodik gemäß formulierter Standards genügen. Auch für Onlinekurse sind gewisse Bestimmungen und Restriktionen einzuhalten. Wie ein einschlägiger Seminar-Anbieter aus NRW berichtet, erteilen sogar auf Kreisebene Behörden entsprechende Zulassungen. Falls ein Radio Seminar-Freelancer sich angebotsmäßig verbreitern will, ist es ratsam, sich einmal schlau zu machen, wer die Zulassungsentscheidungen trifft und welche Bedingungen für eine Zertifizierung einzuhalten sind.

Wird den Anträgen entsprochen, erhalten die Anbieter ein Zertifikat, deren Kurse sind dann bezuschussungswürdig. Chancen bieten sich für solche Grenzgänger darin, zum einen Angebote zu formulieren auch für Marketing- und VerkaufsmitarbeiterInnen in Radiostationen, für MitarbeiterInnen in der Büroorganisation, im Eventbereich oder in der Technik. Ein möglichweise lukrativer Nebeneffekt wird dadurch erreicht, dass ganz neue Zielgruppen außerhalb der doch relativ überschaubaren Radiolandschaft erschlossen werden, ist man erst einmal katalogisiert in öffentlichen Fortbildungsangeboten.

Formales

Bildungsurlaub als ein Modul der Personalentwicklung wie er in den meisten Bundesländern möglich ist, funktioniert auf einem einfachen Prinzip: Der Arbeitgeber stellt dem Mitarbeiter fünf Tage Arbeitszeit pro Jahr für eine Fortbildung, dieser wiederum zahlt die Kursgebühren. Nicht nur NRW hat es gut, sondern auch andere Bundesländer wie Bayern: Dort kann mit einem Bildungsscheck ein Pauschalzuschuss für die individuelle berufliche Fortbildung im Bereich Digitalisierung in Anspruch genommen werden. Diese wirkt ja bekanntlich in alle Ebenen hinein und kommt für alle Berufssparten der Radiobranche in Betracht. „Das Programm wird vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gefördert. Die Bildungsschecks werden nur an Beschäftigte ausgestellt, nicht an Unternehmen. Insgesamt liegen 6.000 Bildungsschecks im Wert von 500 Euro bereit.“ In NRW gilt, dass der Scheck nur für Angebote der beruflichen Weiterbildung eingesetzt werden sollte. Das sind Angebote, die Fachwissen und fachübergreifende Kompetenzen zur Anwendung dieses Wissens vermitteln. Also ohne Einschränkung auf rein digitale Kompetenzen wie in Bayern. In Baden-Württemberg gibt es ein Förderprogramm für Fachkurse mit den Zielgruppen Erwerbstätige aus kleinen und mittleren Unternehmen, Unternehmerinnen und Unternehmer, Existenzgründerinnen und -gründer, Freiberuflerinnen und Freiberufler, Gründungswillige sowie Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger. Die Bezeichnung „Bildungsscheck“ ist beschränkt auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Brandenburg sowie seit Kurzem auch Mecklenburg-Vorpommern. Die Richtlinien ähneln denen des „Qualifizierungschecks“ (Hessen) bzw. „Quali-Schecks“ (Rheinland-Pfalz). Diese und weitere Landes-Förderprogramme kann man hier nachlesen.

Insgesamt gesehen geht es bei dem Thema  um die persönliche Weiterentwicklung, auch „Employability“ genannt, um das ‚Anzapfen‘ von öffentlichen Geldern und vor allem auch um die Zukunftsfähigkeit des Mediums Radio. Personalverantwortliche in den Sendern können gerade jetzt entscheiden, ob sie die Weichen für die Zukunft stellen und welchen Unternehmensbereichen sie Unterstützung zukommen lassen. Diese heißen hoffentlich nicht immer wieder nur Verkaufs-, Redaktions-, Sprachausbildung und ‚Digital Change‘. Es stellt sich auch die Frage, ob Senderverantwortliche auf andere, nämlich eher traditionelle Ausbildungsschienen setzen möchten. Coaches und Trainern hingegen können sich überlegen, ob eine Zertifizierung und somit auch eine Diversifizierung auf umliegende Branchen ratsam ist und  zu einer Diversifizierung des Angebotsportfolios führt.

Interviews mit Branchenvertretern rufen Kommentare hervor wie „Wir zahlen alle Anträge von Mitarbeitern bei Fortbildung“ oder auch „Wir machen das über Bildungsschecks und Mitarbeiter haben dann sogar die Chance, ihr Kurzarbeitergeld auf 100% der normalen Bezüge auszuweiten.“ Ein Punkt stellt sich heraus: Nicht immer ist in den Arbeitsverträgen ein entsprechender Passus auf Fortbildung (und noch weniger auf persönliche Weiterbildung) enthalten. Ein bundesweites Bildungsurlaubsgesetz bestätigt einen Anspruch auf einen Bildungsurlaub, nicht aber in Bayern und in Sachsen.

Ein Blick über die Grenzen

Gerne wird immer wieder aus Deutschland in die US-Radiobranche geschaut. Dort besteht seit langem viel Erfahrung, es gibt handwerkliche Kompetenz und eine sehr breit aufgestellte Radiolandschaft. Nun denn. Geografisch links von uns in Europa gibt es eine ausgesprochen quirlige Radioszene. In Frankreich werden speziell für Radiomitarbeiter gestaltete Fortbildungskurse staatlich gefördert. Radioberater Michel Colin berichtet, dass für die Medien- und Werbebranchen eine Einrichtung namens ‚AFDAS‘ Kurse bewertet und zertifiziert. Zertifizierte Anbieter können ihren Kursteilnehmern eine Bezuschussung garantieren. Falls die AFDAS einwilligt und die Anbieter als ausbildungsfähig einschätzt, erfolgt die Abrechnung  dann direkt zwischen Ausbilder und ihr. Der Radioveranstalter selbst hat nichts zu tun oder zu zahlen. Zusätzlich bewilligt der französische Staat angesichts der besonderen Krisensituation 1.500 € pro Lohnempfänger, die sich in Kurzarbeit befinden und die an Distanzkursen teilnehmen.

Michel Colin über Fortbildung im Radio (Bild: ©Mediatics, Genf)
Michel Colin (Bild: ©Mediatics, Genf)

Unabhängig von diesen Sachverhalten informieren Radioberater Michel Colin und der Autor dieses Beitrags über Angebotsmodelle und Spotproduktionen mit über 250 Beispielen, wie der jetzigen Situation angepasste Radiowerbung erfolgreich in Frankreich zum Einsatz kommt. Lokalsender haben dort in zahlreichen Branchen Angebote formuliert, ob dies Kommunen sind, die via Funk über neue Müllentsorgungsverfahren informieren, Pizzaanbieter, die infektionsfrei liefern, Drive In-Lebensmittelanbieter, die Bedienungsslots ausloben oder Sprachkursanbieter, die online gehen. Einmal mehr sieht man, dass Wettbewerb in einem hochkompetitiven Markt wie er in Frankreich herrscht, zu originellen und zugleich umsatzfördernden Lösungen führen kann. Alles setzt Colin auf die Vermeidung von „Spots for free“ und nennt entsprechende Argumentationsketten.

Eingangs erwähnte Trainerin Maria Mpalaoura geht bereits den Weg der Diversifizierung und coacht nach ihren Angaben alle, die in Medien, Social Media, Marketing und Verkauf zu tun haben. Wohl eine kluge Entscheidung. Der Weg auch Distanzlernen zu wählen, zeigt ebenfalls einen agilen Ansatz, situations- und zeitgemäß.


Helmut Poppe
Helmut Poppe

Helmut Poppe gehört zu den Privatradiopionieren. Er war in der RTL-Gruppe (seinerzeit IPA) und bei Studio Gong für Vertrieb und Marketing leitend für den Vertrieb des Werbeinventars verantwortlich. Mit seinem Mediaforschungs- und Marketinghintergrund berät er Agenturen, Start-Ups und Audioanbieter in Fragen der Strategie und Markenbekanntheit.

Michel COLIN ist Radio Business Development Strategist.  Er bietet Trainings, Konferenzen und Beratung mit  Mediatic Conseils und ist Herausgeber von radiopub.ch. Er arbeitete im Advertising Sales leitend bei Radio Nostalgie in der Schweiz und in einer Vermarktungsgesellschaft für Europe 2 und andere Stationen.