In unserer RADIOSZENE-Serie „Radiolegenden“ präsentieren wir heute eine Moderatorin, die vor ihrer Zeit beim Radio bereits höchste Bekanntheitsgrade im Fernsehen hatte. Eigentlich ein Karriereverlauf, der für gewöhnlich umgekehrt verläuft. Doch Uschi Nerke war bereits seit ihrer Zeit beim legendären „Beat-Club“ ein bundesweit bekanntes Mediengesicht und erste Moderatorin einer deutschen Popmusiksendung im deutschen TV – lange vor Erfindung des Musikfernsehens und hyperaktiver VIVA- oder MTV-Girlieansagerinnen.
Von 1965 bis 1972 moderierte sie bei Radio Bremen mit wechselnden Partnern die Kult-Show „Beat-Club“ – ein für viele reifere Semester gewöhnungsbedürftiges Format, mit dem das öffentlich-rechtliche Fernsehen binnen kürzester Zeit ein Millionenpublikum anlockte. Am 25. September 1965 wurde die erste Sendung live ausgestrahlt. Die Reaktion des älteren Publikums fürchtend, kündigte Wilhelm Wieben, der spätere Tagesschausprecher, die Livesendung mit tanzenden Jugendlichen und lauter Musik ernsthaft mit einer Vorwarnung für die Eltern an: „Sie aber, meine Damen und Herren, die Sie Beat-Musik nicht mögen, bitten wir um Verständnis…“ (vgl. YouTube).
Doch die Macher der Sendung um den visionären Radio Bremen-Unterhaltungsredakteur Michael „Mike“ Leckebusch trafen mit ihrem Konzept direkt den Zeitgeist der Jugendlichen, die mit englischsprachiger Beat-Musik auf dem Bildschirm bis dahin wahrlich nicht verwöhnt waren. Ein Auftritt im „Beat-Club“ entwickelte sich rasch zur ersten Adresse für die seinerzeit angesagte Künstlerprominenz – ein Muss für den Verkaufserfolg im deutschen Musikmarkt. Darunter Stars wie Chuck Berry, Gerry & the Pacemakers, The Lords, Jimi Hendrix, Deep Purple, Black Sabbath, Jethro Tull, Emerson, Lake & Palmer, Atomic Rooster oder The Who. Und Uschi Nerke immer mittendrin. Sie war die Seele der Sendung – fachlich auf der Höhe und auch optisch ein Blickfang. Bleibenden Eindruck hinterließen nicht zuletzt ihre Minikleider, die sie selbst entwarf und nähte.
In der Nachfolgesendung „Musikladen“ war sie von 1972 bis 1978 zusammen mit dem unvergessenen Manfred Sexauer vor der Kamera. Dafür erhielt die Pionierin weiblicher Musikmoderation 1975 in der Kategorie „Fernsehmoderatorin“ den Bravo Otto in Gold und 1976 in der Kategorie „Fernsehstar“ in Bronze. Nach ihrer Zeit beim Fernsehen nahm Nerke das „Beat-Club“-Konzept mit ins Radio und moderierte die Sendung bis 2013 bei Bremen Eins, wo das Format auch heute noch seinen festen Programmplatz hat.
Uschi Nerke sprach mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich über ihre aufregende Zeit beim „Beat-Club“ und im Radio.
RADIOSZENE: Frau Nerke, meist war es doch so, dass erfolgreiche Moderatorinnen und Moderatoren vom Radio für das Fernsehen verpflichtet wurden. Sie sind den umgekehrten Weg gegangen: waren beliebte Moderatorin des „Beat-Clubs“ sowie des Folgekonzepts „Musikladen“ und kamen dann zum Radio. Wann haben Sie die erste Radioshow moderiert?
Uschi Nerke: Daran kann ich mich leider nicht mehr genau erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich Anfang der 1980er-Jahre bei Radio Bremen eine „Beat-Club“-Sendung im Radio hatte und danach noch einige anderen Sendungen folgten, vom Süden bis in den hohen Norden.
RADIOSZENE: Wann hatten Sie damals erste Berührungen mit dem Showgeschäft?
Uschi Nerke: Dazu muss ich ein wenig zeitlich zurückgehen in den Anfang der 1960er-Jahre. Ich lebte damals noch bei meinen Eltern in der Kornstraße in Bremen. Einige Häuserblocks weiter gab es einen sogenannten „Jugendclub“. Die Räumlichkeiten befanden sich im Keller eines Hauses und es war eine tolle Gelegenheit, sich mal in aller Ruhe mit Freunden zu treffen. Unter diesen Leuten befand sich auch ein junger Mann, der jedes Mal seine Gitarre dabei hatte und mit einer tollen Stimme dazu sang. Irgendwie fanden wir zueinander und sangen dann auch zusammen, bis wir sogar Einladungen von verschiedenen Institutionen wie Seniorenheimen bekamen und dort dann Musik machten.
Eines Tages stand dann ein Mann vor mir, der mich fragte, ob ich nicht mal eine Schallplatte machen wollte. Er sei zwar hauptberuflich Polizist, schrieb aber seit einiger Zeit schon eigene Songs und bot mir zwei Titel an. Ich war natürlich hin und weg und sagte zu. Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich dann in einem Aufnahmestudio und erlebte, wie die Musik meiner Songs von einem Orchester eingespielt wurde! Und wer war dieser Mann, der dies alles ermöglichte? Er hieß Hans Hee, war ein unglaublich netter Typ und war unter anderem der Entdecker von Heintje, Ronny und anderen. Durch diese Schallplattenproduktionen hatte ich 1964 einige Auftritte im Fernsehen, wie zum Beispiel der „ZDF Drehscheibe“ oder der „Billy Mo Show“. Und ab da wusste ich: wenn an der Kamera das rote Licht anging, musste ich gute Laune zeigen.
RADIOSZENE: Und wer hat Sie für das Fernsehen entdeckt?
Uschi Nerke: 1965 kam Rudi Carrell zu Radio Bremen und bereitete seine Shows vor. Schon damals arbeitete er mit Mike Leckebusch zusammen und wusste auch, dass Mike eine eigene Show plante – den „Beat-Club“! Als nun Rudi meine Platte vorgestellt wurde, war er (gottseidank) nicht so sehr begeistert, ging aber zu Mike Leckebusch und sagte zu ihm: „Bei mir kann sie nicht singen, aber ich glaube, bei Dir kann sie ansagen. Schau sie Dir mal an!“. Kurz darauf klingelte bei mir das Telefon, ich traf daraufhin Mike und nach einer kurzen Weile hatte ich den Job.
„Rudi Carrell sagte zu Mike Leckebusch: Bei mir kann sie nicht singen, aber ich glaube, bei Dir kann sie ansagen. Schau sie Dir mal an!“
RADIOSZENE: In den 1960ern sorgten Sie in Deutschland als erste Moderatorin einer Beat-Show im Fernsehen für Gesprächsstoff. Nicht wenige schauten die Sendungen wegen Uschi Nerke und weniger wegen der Musik. Wie sehen Sie heute im Rückblick Ihre Rolle bei „Beat-Club“ und „Musikladen“?
Uschi Nerke: Als im September 1965 der erste „Beat-Club“ gesendet wurde, hatte ich gerade mein erstes Studium an der Kunsthochschule in Bremen als Architektin abgeschlossen und begann mein zweites Studium an der Hochschule für Technik, das ich sechs Semester später, also 1968, als Diplom-Ingenieur abschloss. Gleichzeitig machte ich noch eine Ausbildung zur Bauzeichnerin, sowie Praktika als Maurer und Tischler. Und neben all diesen Arbeiten arbeitete ich noch in einer Baufirma und machte Bauzeichnungen, manches Mal bis Mitternacht. Ich brauchte schließlich Geld zum Leben.
Das war die eine Seite meines Lebens. Und ab 1965 stand ich nun auch noch einmal im Monat im Studio und sagte im „Beat-Club“ die Bands an. Das war eine unglaubliche Abwechslung. Ich bin Mike Leckebusch heute noch unglaublich dankbar, dass ich diesen Job machen durfte und dadurch so viele interessante Menschen kennenlernte. Ich hatte damals keine Zeit für ernsthaftes Nachdenken – ich weiß nur noch, dass ich total begeistert war, dass ich diesen Job hatte – und das hat bis heute gehalten!
RADIOSZENE: Bei „Beat-Club“ und „Musikladen“ gastierten alle Großen der Musikszene. Welche Künstler haben Sie damals am meisten beeindruckt?
Uschi Nerke: Ich erinnere mich noch an viele Situationen, in denen ich mit diversen Stars entweder nach der Show im damaligen Bremer Superclub „Club 99“ zusammen saß, oder auch in einigen Fällen bei mir zu Hause vor dem Kamin bei einem Glas Wein. Darunter waren beispielsweise Albert Hammond, Dave Dee und Alexis Korner. Leider sind heute schon viele nicht mehr unter uns, aber ich war und bin auch heute noch mit etlichen Musikern befreundet. Einige Größen konnte ich damals während der Proben und danach einfach aus Zeitmangel nicht näher kennenlernen. Aber Anfang der 1990er-Jahre bekam ich die Möglichkeit, mit dem „Oldie-Express“ auf Tour zu gehen – das waren fünf Interpreten mit mir als Moderatorin. Ganz ehrlich: Ich habe diese Zeit genossen, denn wir waren von morgens bis nachts zusammen und hatten viel Spaß.
Bei diesen Touren lernte ich dann unter anderen auch Scott McKenzie näher kennen, an den ich immer noch gerne denke. Er war ein äußerst liebenswerter Mensch und ich kann bis heute nicht begreifen, dass er ganz alleine sterben musste.
Wenigstens hatte er aber seine geliebte Katze bei sich. Auch mit Dave Dee hatte ich bis zu seinem Tode sehr engen Kontakt. In den letzten Jahren seines Lebens wurde er wegen seiner Krebserkrankung in Zetel in einer Spezialklinik behandelt und nach jedem Klinikbesuch gab es mit anderen befreundeten Musikern in Zetel eine traumhafte Oldienacht, die ich dann moderieren durfte.
Die „Beat-Club“ Folge 18 zeichneten wir im Marquee Club in London auf und ich lernte Jimi Hendrix kennen. Auf der Bühne kannte ihn jeder, aber privat war er ein ganz anderer Mensch. Ich habe selten einen so wohlerzogenen und höflichen jungen Mann getroffen wie ihn. Das totale Gegenteil von seiner Bühnenpräsenz. Was mir aber an ihm am meisten gefiel: Er ging nirgendwo hin ohne seine Gitarre. Sie war immer und überall dabei!
„Ich habe selten einen so wohlerzogenen und höflichen jungen Mann getroffen wie Jimi Hendrix“
RADIOSZENE: Ihr bemerkenswertestes Erlebnis mit Musikern in dieser Zeit?
Uschi Nerke: In dieser „Beat-Club“ Ausgabe waren auch The Who dabei und nach der Aufzeichnung ging ich zurück ins Hotel. Noch vor dem Gebäude traf ich auf Roger Daltrey, der mich auf ein Getränk einlud. Gut gelaunt betraten wir die Hotelhalle, sahen auf die Uhr und sagten nur noch: „Mist – es ist schon nach elf. Wir bekommen nichts mehr“. Wir wollten uns gerade voneinander verabschieden, da tauchte doch tatsächlich der Portier auf, stellte sich vor uns und sagte mit einem breiten Grinsen: „Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie gerne noch ein Getränk hätten. Also hab ich vorsichtshalber einen Kasten Bier unter meinen Schreibtisch gestellt und bin gerne bereit, Sie zu bedienen. Auch wenn es schon so spät ist!“. Roger und ich wären ihm am liebsten um den Hals gefallen, denn selbst der Who-Sänger hatte sowas noch nicht erlebt. Und so saßen wir dann in der großen, leeren Halle auf der niedrigen Fensterbank, der eine rechts am Ende, der andere links am Ende (ca. 2 bis 3 Meter Luft zwischen uns), jeder eine Flasche Bier in der Hand und es war eine der witzigsten Unterhaltungen, die ich je hatte. Einen wirklichen Star muss ich aber noch erwähnen …
RADIOSZENE: Und der wäre…?
Uschi Nerke: … das ist Albert Hammond. Auch mit ihm ist der Kontakt nie abgebrochen. Anfang 1973 war er für den „Musikladen“ gebucht und unser ganzes Team saß in der Bildregie und fragte sich, wie dieser so erfolgreiche Musiker wohl im Umgang sei. Während unserer Diskussion fliegt die Tür auf und ein Typ steht da, reißt die Arme hoch und ruft: „Man, ist das schön, wieder bei Euch zu sein!“. Wir schauten uns nur fragend an und sagten: „Meint der uns?“. „Ja natürlich! Erkennt Ihr mich denn nicht wieder? Das solltet Ihr aber, denn schließlich war ich schon vier Mal bei Euch im „Beat-Club“! Mit der Gruppe The Family Dogg! Und der Junge rechts außen mit dem schwarzen Oberlippenbart und dem großen schwarzen Hut – das war ich!!!“. Er ist auch heute noch ein toller Typ und vor einigen Wochen hatte er meinen Mann und mich zu seinem Konzert in Wuppertal eingeladen. Es war gigantisch!
RADIOSZENE: Während einer Livesendung im Fernsehen sollen Sie wegen eines Kraftausdrucks vom Sender sogar abgemahnt worden sein. Was hatten Sie damals Schlimmes gesagt?
Uschi Nerke: Ja, ich kann mich erinnern. Dazu muss ich sagen, dass ich immer Schwierigkeiten mit Namen hatte – ich bin ein Zahlenmensch. Wie lange ich alleine diesen „bescheuerten“ Bandnamen „Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich“ auswendig lernen musste – es war unglaublich. Aber ich hab ihn ohne zu stottern aufgesagt!
Bei den Seekers dagegen war es eben anders. Der Bandname fiel mir noch ein, aber bei dem Songtitel war alles weg und ich sagte live in die Kamera: „Verdammte Scheiße – mir fällt der Titel nicht ein!“. Natürlich gab es danach eine Abmahnung – aber es ist auch nie wieder vorgekommen.
RADIOSZENE: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Radiosendung, die Sie bis zum 12. Januar 2013 moderiert haben
Uschi Nerke: An die Radio-Ausgabe des “Beat-Clubs“ bei Radio Bremen, der jeden Samstagmittag zwei Stunden lief und ganze zwölf Jahre ausgestrahlt wurde, erinnere ich mich gerne. Ich gab vor jeder Sendung dem entsprechenden Redakteur meine speziellen Wünsche durch und er füllte dann die Lücken mit passender Musik.
RADIOSZENE: Was nutzen Sie heute mehr – TV oder Radio?
Uschi Nerke: Ich höre sehr gerne Radio. Wir haben hier in Hamburg den Sender NDR 90,3, der sehr gut informiert und für mich die richtige Musik spielt und der auch überall eingestellt ist, wie beispielsweise in Haus und Auto. Fernsehen läuft bei mir nur nach Durchsicht der Programme.
RADIOSZENE: Welche Musik hat Sie geprägt, welche Musik steht heute in Ihrem privaten Musikarchiv?
Uschi Nerke: Ich bin mit Rock’n‘Roll groß geworden – meine erste Platte war von Elvis Presley, dazu Rock, Beat, Blues. Auch heute höre ich diese Musik, denn wirklich gute Musik wird niemals alt oder kommt aus der Mode.
RADIOSZENE: Was machen Ihre Nachfolger beim Fernsehen und Radio heute besser, was kritisieren Sie an der heutigen Medien- und Musiklandschaft?
Uschi Nerke: Ich kann nichts kritisieren, denn es gibt so viele verschiedene Geschmäcker, da ist es schon ok, wenn viele unterschiedliche Richtungen gesendet werden. Was mich heute allerdings noch ärgert ist die Tatsache, dass bei Radio Bremen immer noch jeden Samstag der „Beat-Club“ läuft. Allerdings zusammengestellt und moderiert von Kollegen, die damals noch nicht einmal geboren waren. Passt irgendwie nicht!
„Was mich heute allerdings noch ärgert ist die Tatsache, dass bei Radio Bremen immer noch jeden Samstag der Beat-Club läuft“
RADIOSZENE: Genießen Sie Ihren Ruhestand oder sind Sie beruflich weiter aktiv?
Uschi Nerke: Endgültig bin ich noch nicht im Ruhestand, denn vor knapp dreieinhalb Jahren kontaktierten mich zwei fantastische Musiker, die Flower Power Men. Sie hatten die Idee, 50 Jahre „Beat-Club“ auf die Bühne zu bringen und ich muss sagen, das war eine tolle Idee. Wir haben ein Programm von zwei bis drei Stunden, ich führe das Publikum zurück in die 1960er-Jahre und erzähle ihnen, was ich alles mit den einzelnen Künstlern erlebt habe. Tja, und die beiden Jungs spielen dann die entsprechenden Songs dazu. Ich sage immer: zwei Stimmen, zwei Gitarren, die beste Band überhaupt. Die Leute sind begeistert!
Außerdem hab ich zwei Bücher geschrieben. Zuerst „40 Jahre mein Beat-Club“ (Bezahlter Link) und dann noch „Bei mir wäre ich gerne Tier“ (Bezahlter Link) – und dabei geht es um meine Familie und unseren vielen Tiere wie ein Hund, drei Graupapageien, ein Kaninchen, ein Zwergziegenbock und rund zwölf Katzen.
RADIOSZENE: Welchen Rat geben Sie heute einer Nachwuchsmoderatorin mit auf den Weg?
Uschi Nerke: Tja, da hab ich nur einen Rat: Sei mit Herz und Seele dabei, dann klappt es auch!