Digitalradio: „Der Point of no Return ist erreicht“

Kann Digitalradio wirtschaftlichen Erfolg und Reichweitenzuwächse bringen oder kostet die Doppelverbreitung nur Geld und bringt zusätzliche Konkurrenz? Die Antwort hängt – wie so oft – sehr davon ab, wen man fragt. Im Interview mit RADIOSZENE berichtet Karin Müller über die Erfahrungen mit Digitalradio bei Radio24 in der Schweiz. Willi Schreiner vom Verband Bayerischer Lokalrundfunk erklärt, vor welche Herausforderungen Digitalradio insbesondere Lokalsender stellt. (Audio-Interviews siehe unten)

NOXONdRadio100 (Foto: Noxon)
Foto: Noxon

Nummer-1-Position halten und ausbauen.

Neben Großbritannien und Skandinavien gilt die Schweiz in Europa als Vorreiter in Sachen Digitalradio. Der Grund: Ein „kleines Land, genügend Mittel“ und eine „gewisse Innovations- und Risikofreudigkeit“, sagt Karin Müller. Seit 2008 ist sie Geschäftsführerin und Chefredakteurin des Züricher Senders Radio 24, im Januar wechselt sie nach Deutschland und verantwortet als neue Programmdirektorin der BCS Broadcast Sachsen die Programminhalte von Hitradio RTL Sachsen sowie der sechs sächsischen Lokalradios.

Karin Müller, Radio24 (künftig BCS Sachsen)
Karin Müller, Radio24 (künftig BCS Sachsen)
(Foto: Björn Czieslik)

Radio24 gehörte nicht zu den ersten Schweizer Sendern, die über DAB+ überregional auf Sendung gingen, räumt Karin Müller ein. Die Devise für den Digitaleinsteig lautete: „Die Nummer-1-Position halten, heißt Reichweiten gewinnen national, nicht nur regional“. Die Rechnung ging auf: Radio24 verzeichnete einen „unglaublichen Reichweitengewinn“.
Von rund 300.000 UKW-Hörern stieg die Hörerzahl zeitweise auf rund 400.000 in der gesamten Schweiz und pendelte sich dann bei 327.000 ein. Ein Zuwachs von rund zehn Prozent, erinnert sich Müller, „das war Wahnsinn, das haben wir sofort kapitalisieren können, wir hatten den höchsten Sekundenpreis ever“. Zwar verkaufe man „nicht einzelne DAB+-Hörer“, aber die Gesamtreichweite über UKW, DAB+ und Webstreams „das bringt uns das Geld zurück“.

Präsenz zeigen, bevor andere kommen

Als Mehrwert für die Hörer sieht Karin Müller bei DAB+ vor allem die landesweite Empfangbarkeit: „Man starte in Zürich und hat Radio24 ohne Unterbrechung, überall, wo man hinfährt.“ Wenn im Sender Bands und Künstler auftreten, werden die Konzerte über DAB+ in voller Länge übertragen, zudem laufen im Digitalradio längere Interviews, die Radio24 nicht im UKW-Programm sendet, „weil wir da viel kleinteiliger funktionieren und die Stundenuhr noch viel härter gefahren wird“. Die meiste Zeit jedoch wird das UKW-Programm im Digitalradio 1:1 gespiegelt, „aber das ist noch nicht das Ende der Weisheit“, räumt Karin Müller ein. Entscheidend war jedoch die Überlegung, schon auf DAB+ Präsenz zu zeigen, bevor UKW irgendwann abgeschaltet wird: „Wenn wir erst dann kommen, wenn es dann soweit ist, dann haben die anderen das Terrain belegt.“

Es muss digital werden.

Die Digitalradio-Zurückhaltung in Deutschland kann Karin Müller nur bedingt nachvollziehen: „Manchmal sehe ich das Problem nicht“, wundert sie sich. „Wie kann man sich als Radiomacher oder als Radioverantwortlicher vorstellen, dass Radio analog oder UKW-mäßig weiter existieren soll? Es muss digital werden!“

DAB+ sei dabei nur eine Plattform neben anderen und „sicher nicht die allein seligmachende Lösung“, aber „in dem Moment, wo jeder DAB+-Empfänger einen Bildschirm hat, kann man kaufen, kaufen, kaufen“, so Karin Müller.

Interview mit Karin Müller über die Erfahrungen mit DAB+ bei Radio24 in Zürich

Das größte Problem sind die Radioanbieter selber.

Willi Schreiner, Verband Bayerischer Lokalrundfunk
Willi Schreiner, Verband Bayerischer Lokalrundfunk
(Foto: Björn Czieslik)

Auch Willi Schreiner, 1. Vorsitzender des Verbands Bayerischer Lokalrundfunk, beobachtet bislang wenig Euphorie, was Digitalradio angeht: „Das größte Problem sind die Radioanbieter selber. Ich sehe eine große Zurückhaltung, veränderten Situationen zu begegnen“. Grund dafür dürften sicher auch die Erfahrungen der Vergangenheit sein: „Niemand hat geglaubt, dass Digitalradio nochmals durchstarten wird. Das DAB ohne + war ein großer Misserfolg.“ Doch der neue Standard hat die Situation verändert: „Wer immer noch die Augen verschließt, wird es leider verschlafen, wie manche im Printbereich es einfach verschlafen haben“.

Lokalradio wird zu Regionalradio.

Dabei stellt die Digitalisierung der Übertragung insbesondere Lokalsender durchaus vor Herausforderungen: „Lokales Radio wird im Digitalradio wahrscheinlich zum regionalen Radio mutieren“, vermutet Willi Schreiner. Weil sich lokale UKW-Sendegebiete über DAB+ nicht genauso lokal abbilden lassen, könnten Lokalsender gezwungen sein, sich mit anderen Lokalsendern zu einem regionalen Gemeinschaftsprogramm zusammenzutun.

Dafür gibt es Kostenvorteile bei der digitalen Verbreitung: Während ein landesweiter Sender für die UKW-Verbreitung in Bayern etwa 4,5 Mio Euro zahlen muss, kostet die DAB+-Verbreitung nur ein Zehntel, rund 450.000 Euro, rechnet Schreiner vor. Dadurch ergibt sich auch für Radioanbieter die Möglichkeit, neue Programme und mehr Musikformate auf Sendung zu bringen. „Davor haben natürlich viele Angst, weil neue Konkurrenten entstehen“, beobachtet Schreiner.

Das Internet löst nicht alles.

Die alleinige Verbreitung der Programme übers Internet hält Willi Schreiner für keine gangbare Zukunftslösung: „Wir brauchen eine Radiotechnologie, die für alle Menschen an jedem Ort günstig überall zu hören und nutzbar ist.“ Jeder Sender müsse sich daher fragen: „Will ich Digitalradio eigentlich fördern oder will ich es immer noch verhindern?“ Eines steht für Schreiner jedoch fest: Inzwischen ist in Sachen Digitalradio der „Point of no Return erreicht“.

Interview mit Willi Schreiner, 1. Vorsitzender des Verbands Bayerischer Lokalrundfunk, über die Herausforderungen durch Digitalradio für Lokalsender

Weiterführende Informationen

Video-Mitschnitt des Panels „Wie verändert digitales Radio die lokale Rundfunklandschaft?“ bei den Medientagen München 2013

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