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Die Radioretter von WDR 3 geben nicht auf

Die Radioretter big

Seit Monaten schwelt der Widerstand gegen eine Programmreform des Kulturprogramms des Westdeutschen Rundfunks (RADIOSZENE berichtete). Die „Initiative für Kultur im Rundfunk – Die Radioretter“ gingen mit ihrem ersten Offenen Brief an die Intendantin des WDR in die Öffentlichkeit. Fast 19.000 Unterstützer haben diesen Brief bisher unterzeichnet und haben damit eine Welle von Diskussionen um WDR3 aber auch um das öffentlich-rechtliche System selbst ausgelöst. Die Kritik erweitert sich inzwischen auf den gesamten „Kommunikationsapparat“.

Auf der Homepage Die Radioretter sind penibel genau alle Streitgespräche und Medienreaktionen dokumentiert. Mit dem bisherigen Ergebnis sind die Radioretter aber noch lange nicht zufrieden. Nur kosmetisch gering seien die Anpassungen der Programmreform an die Forderungen der Radioretter, die gestern daher ihren zweiten Offenen Brief an die Intendantin Monika Piel verschickt haben.

Am Freitag, den 25. Mai, trifft sich  der Programmausschuss des WDR, um noch einmal über die geplanten Reformen von WDR 3 zu diskutieren. Am Mittwoch, den 30. Mai, tagt der Rundfunkrat und wird, so befürchten die Radioretter,  der Reform möglicherweise zustimmen. Aber ihre Hoffnung stirbt zuletzt.

Hier ist der zweite Offene Brief im Wortlaut:

Monika Piel (Bild: WDR)
Monika Piel (Bild: WDR)

An die Intendantin des Westdeutschen Rundfunks

Frau Monika Piel

Köln, den 22. Mai 2012

Sehr geehrte Frau Piel,

vor drei Monaten schrieben wir Ihnen einen Offenen Brief, den mittlerweile fast 19.000 Hörerinnen und Hörer unterzeichnet haben, unter ihnen namhafte Kulturschaffende und Wissenschaftler. Wir appellierten an Sie, von den angekündigten Veränderungs- plänen bei WDR 3 abzusehen, die den jahrelangen Programmabbau fortsetzen und von einem „Kulturradio“ nur wenig übriglassen würden. Und wir baten Sie, den notwendigen Reformen bei WDR 3 eine andere Richtung zu geben. Wie Sie wissen, wurde die Initiative der „Radioretter“ auch in den Medien einhellig begrüßt und unterstützt.

Selbstverständlich gingen wir davon aus, dass Sie sich als Intendantin des WDR für die Politik des Senders und für seinen Programmauftrag verantwortlich zeigen würden. Heute sehen wir, dass wir uns getäuscht haben. Noch immer steht eine Antwort von Ihnen aus. Aber Ihr Schweigen hilft Ihnen nicht. Sie sind verantwortlich für das erbärmliche Bild, das die Hierarchie des Westdeutschen Rundfunks abgibt.

Statt auf unsere sachliche Kritik zu antworten, schickten Sie Untergebenen wie Ihren Hörfunkdirektor vor. Diese beschäftigen sich vor allem mit Angriffen auf die Unter- zeichner. Sie stellten sie als fehlinformiert dar: „Sie gehen von falschen Voraus- setzungen aus…“ – als ob Richard David Precht, Navid Kermani, Elke Heidenreich, Wilfried Schmickler, Prof. Heiner Goebbels, Wolfgang Rihm, Elke Mascha Blankenburg, Jochen Grote, Jürgen Flimm, Roberto Ciulli, Mariele Millowitsch, Sten Nadolny, Christoph Hein, Jürgen Flimm, Franziska Augstein, Heribert Prantl und all die anderen engagierten Unterzeichner nicht lesen könnten. Sie unterstellten ihnen scheinbar längst überholte Kulturbegriffe: „70er Jahre“ oder „Rezepte von gestern“. Oder sie suchten die Unterzeichner mit armseligen Wortwitzchen („Radiorentner“) auszugrenzen. Sie haben sich von all diesem Treiben nicht distanziert und im Gegenteil daran mitgewirkt, die Türen des von seinen Hörern finanzierten West- deutschen Rundfunks gegen jede Kritik, gegen jede nachdenkliche Frage, gegen jeden kreativen Vorschlag noch fester zu verschließen. Ihre Politik der hermetischen Abriegelung des öffentlich-rechtlichen Programms spottet jeder Sonntagsrede von Demokratie oder jeder Marketingformel von Hörernähe.

Wenn wir Ihren Hörfunkdirektor nach Ideen und Konzeptionen fragten, erging er sich in Floskeln und Allgemeinplätzen, in denen er den weiteren Programmabbau als „Modernisierung“ feierte. Wenn wir Transparenz und Einsicht in jene Papiere wünschten, die den Programmstreichungen und Organisationsreformen zugrunde liegen, wies er uns ab. Und während wir Vorschläge unterbreiteten und öffentliche Diskussion initiierten, schloss er sich vor den Kritikern der Reform ins Rundfunkstudio ein und antwortete nur auf selbst formulierte Fragen. Erst zehn Wochen nach Veröffentlichung des Offenen Briefes stellte sich der Programmdirektor auf Einladung des Kölner Schauspielhauses der ersten öffentlichen Debatte. Wenn es um die eigenen Interessen geht, agieren die Geschäftsleiter des Westdeutschen Rundfunks eben auch nicht viel anders als die Majestäten internationaler Medienkonzerne: machtbewusst und manipulativ, kritikresistent und beleidigt.

Auch intern verhält sich die Leitung des Kommunikationsapparates WDR unkommunikativ. Als Redakteure um ein Gespräch über Alternativen baten, sahen sie sich Mechanismen der Einschüchterung und Drangsalierung ausgesetzt. Schweigen, Desinformation und Verängstigung – Techniken, die überall eingesetzt werden, wo es an Ideen fehlt. Als der Rundfunkrat seine erste öffentliche Sitzung abhielt, verschwand die Geschäftsleitung wortlos, und die verbliebenen Vertreter der Mittel-Hierarchie schwiegen. Die Redakteursvertretung ist bis heute ungenügend informiert und konnte deshalb nur eine „vorläufige Stellungnahme“ abgeben, die nichtsdestotrotz vernichtend ist. Eine Mehrheit der WDR 3-Redakteure wendet sich gegen das „Top-Down-Prinzip“ bei der Durchsetzung der „Reform“, gegen die Zerschlagung der fachlich begründeten Organisationseinheit „Programmgruppe Musik“, gegen Programmstreichungen oder die Strangulierung des Feuilletons „Resonanzen“. All dies hätten Sie zur Kenntnis nehmen müssen, als Sie drei Monate nach Veröffentlichung unseres Briefes und zum ersten Mal seit Beginn der Auseinandersetzung eine WDR 3-Sitzung besuchten. Doch die dann von Ihrem Programmdirektor in Absprache mit Ihnen im Internet veröffent- lichen Veränderungen an den Reformplänen waren nicht mehr als kosmetische Korrekturen. Es zeugt von einer gewissen Chuzpe, „Zukunftswerkstätten“ anzu- kündigen, nachdem über diese Zukunft durch einen weiteren Abbau von Programm und Fachkompetenz schon entschieden wurde.

Von Gebühren finanziert, bestünde die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darin, der Gesellschaft ein Forum zur Selbstverständigung zu verschaffen. Das würde Phantasie, Kreativität und ein sensibles Gespür für gesellschaftliche, politische und kulturelle Entwicklungen voraussetzen. Alle Formen des Ausdrucks müssten dabei erhalten und vor allem weiterentwickelt werden: eine moderne Musikpublizistik ebenso wie das avantgardistische Klangexperiment, die Reportage wie das Streitgespräch, der Essay wie der Kommentar, das Feuilleton wie der Traktat, die Lesung wie die Dokumentation. Das Politische hätte in vielen dieser Formen seinen besonderen Platz.

Die Veränderungen, die Sie und Ihr Hörfunkdirektor bei WDR 3 vornehmen wollen, zielen jedoch auf das direkte Gegenteil. Im Wesentlichen bestehen sie aus Kürzungen, Streichungen und Wiederholungen. Aus weiterer Formatierung. Aus einer sinnlosen und gefährlichen Festlegung auf Tagesbegleitprogramme zum Nebenbeihören. Auf diese Weise verweigern Sie sich drängenden gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen, sperren Sie sich hartnäckig allem, was zu einer gesellschaftlichen Orientierung beitragen könnte. Weit davon entfernt, gegenwärtig zu sein, ist Ihre Programmpolitik deshalb in Wahrheit schon jetzt eine der Vergangenheit. Aus ihr spricht der neoliberale Geist der 90er Jahre. Im besten Fall werden die hartnäckigen Verteidiger dieses Irrwegs einfach vom Wähler oder Hörer abgewählt. Wahrscheinlicher aber werden Desintegration, Politikverdrossenheit und Demokratiefeindlichkeit verstärkt. Auch in Ihrem Fall finanziert von der Gesellschaft.

Dabei vertrauen Sie offenbar darauf, dass die Gremien – Rundfunkrat und Programmausschuss – dieser Politik keinen oder nur unzureichenden Widerstand entgegensetzen werden. Möglicherweise geht dieses Kalkül sogar auf, wie es schon in den vergangenen Jahren aufging. Doch dürfen Sie nicht unterschätzen, dass die Gremien um ihre Reputation fürchten müssen, wenn Sie Organisationsreformen und Programmstreichungen zustimmen, die auf erschreckende Weise ideenlos sind, die ohne ausreichende Mitsprache der Redakteure durchgesetzt wurden und die der Öffentlichkeit ohne plausible Begründung vorgesetzt worden sind.

Glauben Sie bitte nicht, dass sich die Dinge, wenn die Gremien zustimmen, auf diese Weise beruhigen lassen: Zweifellos werden sich weitere Hörerschichten von WDR 3 abwenden. Kulturschaffende, die in diesem Programm keinen Platz mehr finden, werden sich andere Foren suchen. Und andere Medien werden Antworten auf Defizite hervorbringen, für die im WDR (und anderen Anstalten) mit brachialer Gewalt gesorgt wird. Exemplarisch führen Ihre Pläne für WDR 3 nämlich nur vor, was dem öffentlich- rechtlichen Rundfunk schon seit geraumer Zeit seine Legitimation entzieht.

Wir sehen deshalb davon ab, erneut an Sie zu appellieren. Ihr Schweigen ist ebenso beredt, wie es die Radiosendungen Ihres Hörfunkdirektors und sein Auftritt im Kölner Schauspiel waren. Vielleicht haben Sie vor, uns zu überraschen, sobald Sie am 30. Mai wiedergewählt wurden. Also gut – dann überraschen Sie uns. Verkünden Sie ein Moratorium für etwas, das den Namen „Reform“ nicht einmal verdient. Lassen Sie erst diskutieren und dann entscheiden, wie es der Logik der Sache entspräche. Und setzen Sie auf diese Weise Maßstäbe, die man von einer Intendantin erwarten sollte.

Mit freundlichen Grüßen

für die Initiative für Kultur im Rundfunk – „Die Radioretter“ auch im Namen Lothar Fends

Prof. Dr. Hans-Joachim Lenger

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