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Die Radioretter: Protest gegen „katastrophale Programmpolitik“ des WDR

Offener Brief an Monika Piel wegen Reform der Kulturwelle WDR 3

ksta logoDie Unruhe um die Reform des Kultursenders WDR 3 hält an. Mehr als 70 Kulturschaffende aus ganz Deutschland – unter ihnen Matthias Grefrath, Navid Kermani, Klaus Kreimeier, Wilfried Schmickler und Günter Wallraff – haben sich am Freitag in einem Offenen Brief an die WDR-Intendantin Monika Piel gewandt, um Veränderungen bei der Kulturwelle zu verhindern. Das berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Freitagausgabe).

Sie bezeichnen die Pläne als undurchdacht. Bereits die in den vergangenen zehn Jahren beim WDR-Kulturradio durchgeführten Veränderungen bedeuteten eine große Schwächung. „Die Wirkung dieser Programmpolitik ist katastrophal. Die allmähliche Zurichtung eines anspruchsvollen Kulturprogramms in ein leicht konsumierbares Häppchenangebot ist nicht nur schädlich, sondern auch gescheitert.“

Die Unterzeichner fordern, die politischen Journale zu erhalten und auszubauen, kulturelle Berichterstattung und Kritik zu verstärken. WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz sagte der Zeitung zu den Plänen, dass diese in erster Linie Veränderungen der Organisation betreffen, die überfällig seien. „Es gibt nur eine Handvoll Programmänderungen“, so Schmitz. „Diese werden nichts an Auftrag, Struktur oder Profil ändern.“

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Offener Brief an Monika Piel


Die RadioretterSeit 16 Uhr ist heute außerdem die Internetseite www.die-radioretter.de freigeschaltet werden. Dort findet sich neben dem Offenen Brief die Liste der rund 100 Erstunterzeichner aus Wissenschaft, Kultur und Journalismus, die aus der ganzen Bundesrepublik kommen. Auf dieser Seite können alle, die grundsätzliche Kritik und Besorgnis teilen und ihre Unterstützung zeigen möchten, unterschreiben.

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Offener Antwortbrief von Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz an Kritiker der geplanten WDR 3- Programmreform

Wolfgang Schmitz WDR 200
WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz

Liebe Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Frau Piel hat mich als unmittelbar Programmver-antwortlichen gebeten, eine Antwort zu geben. Selbstverständlich kennt die Intendantin diese Erwiderung.

Ihr Engagement für ein anspruchsvolles Kulturprogramm ist aller Ehren wert. Allerdings gehen Sie – und das mag manchen Unterzeichnern des Offenen Briefes womöglich nicht bekannt sein – grundsätzlich von falschen Vorraussetzungen aus.

Der WDR unterhält seit 1997 mit WDR 3 und WDR 5 zwei so genannte „gehobene“ Programme. Er bietet damit im Vergleich zu allen anderen Landesrundfunkanstalten das größte Angebot an anspruchsvoller Musik, Hörspielen, Features sowie an Berichterstattung und kritischer Reflexion zu allen Themenbereichen. Dabei verfügen WDR 3 und WDR 5 über mehr Etatmittel als alle anderen WDR-Hörfunkwellen zusammen.

Diese Gebührengelder müssen verantwortlich genutzt werden. Daraus ergibt sich kein Quotendruck, aber die Notwendigkeit, einen relevanten Teil der für anspruchsvolles Kultur- und Informationsradio aufgeschlossenen Menschen im Sendegebiet zu erreichen. Deshalb war und ist es sinnvoll und notwendig, beide Programme so aufeinander abzustimmen, dass sie sich in ihren Profilen weitgehend ergänzen und nicht doppeln. So wurde in der Programmentwicklung der letzten Jahre bei WDR 3 der Akzent zunehmend auf ein Musik geprägtes Kulturradio gesetzt, WDR 5 wurde konsequent als Wortprogramm ausgebaut – beides ohne Abstriche an Qualität und Vielfalt.

Mit Erfolg: WDR 3 erreicht derzeit täglich 240.000 Hörerinnen und Hörer und damit mehr als in den letzten fünf Jahren, WDR 5 schalten mehr als 500.000 Menschen ein. Diesen Erfolg verdanken wir nicht zuletzt auch einigen der UnterzeichnerInnen dieses Offenen Briefes, die hoffentlich auch künftig unsere Programme bereichern werden.

Vor diesem Hintergrund lässt sich zu den fünf Punkten des „Offenen Briefes“ feststellen:

1. WDR 3 und WDR 5 nehmen ihre Hörer ernst und begegnen ihnen auf Augenhöhe. Sie berichten umfangreich über das kulturelle und politische Geschehen sowie über alle relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie erklären Hintergrund, erläutern Zusammenhänge und regen zu kritischer Auseinandersetzung auch mit komplexen Sachverhalten an. Dies geschieht in sinnvoller Aufgabenteilung auf zahlreichen Sendeplätzen beider Wellen.

2. WDR 3 als Musik geprägtes Kulturradio und das Wortprogramm WDR 5 nehmen ihren Auftrag ernst: Vom „Mosaik“ über „Scala“, „Politikum“, das „Forum WDR 3“, die „Funkhausgespräche“, „Guttenbergs Welt“ bis zu zahlreich vorhandenen großen Features und Hörspielen sorgen kompetente AutorInnen und RedakteurInnen auf vielen Sendeplätzen für hintergründige Berichterstattung und Reflexion einer komplexen Welt.

3. Die bereits genannten Sendungen, aber auch viele weitere Beiträge – übrigens auch die von den UnterzeichnerInnen des Offenen Briefes mit einer gewissen Ignoranz übersehenen Musikangebote – vermitteln und produzieren täglich Kultur in einer Fülle, wie sie nur das WDR-Radio bietet.

4. Einverstanden: Kulturradio ist ein Gegenwartsmedium. Genau so verstehen wir WDR 3 und WDR 5. Deshalb wird die Politik bei WDR 3 nicht auf stündliche Nachrichten reduziert. Wichtige Ereignisse finden selbstverständlich im laufenden Programm ihren Niederschlag, es wird künftig am frühen Abend ein aktuelles Tagesmagazin geben, ein aktuelles Kulturmagazin am Sonntag und einen täglichen Kulturkommentar. HörerInnen, die mehr politische Information suchen, werden bei WDR 5 bestens bedient.

5. Das Auslandskorrespondenten-Netz des ARD-Hörfunks ist ein Alleinstellungsmerkmal. WDR 3 ist und bleibt offen für alle Angebote der KorrespondentInnen, die zu Auftrag und Profil der Welle passen. Im übrigen gilt auch hier: Besonders interessierte HörerInnen wissen, dass sie bei WDR 5 ein umfangreiches Angebot erwartet.

Es spricht nach meiner Wahrnehmung einiges dafür, dass viele Feststellungen und Forderungen inspiriert sind von einem Kulturradio-Verständnis, das in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts modern war. Das ist mir verständlich und durchaus sympathisch, denn ich bin in dieser Zeit journalistisch erwachsen geworden. Doch seitdem, das habe ich lernen müssen und das werden auch Sie nicht bestreiten wollen, hat sich die (Medien)welt stark verändert und sie wird sich weiter ändern, mit großer Dynamik.

Darauf muss auch das Radio reagieren. Nicht durch Abbau von Qualität und Vielfalt – damit würden wir die Legitimation öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefährden – wohl aber durch Anpassung der Angebote in Form und Inhalt, zum Beispiel an neue Mediennutzungsgewohnheiten vieler Menschen. Dieser Prozess wird im WDR-Radio mit großer Ernsthaftigkeit und unter Beteiligung möglichst vieler der klugen Köpfe gestaltet, die sich in unseren Redaktionen dem Qualitätsradio ebenso verpflichtet fühlen wie die Programmverantwortlichen. Deshalb und aus Respekt vor der besonderen Diskussions-Kultur bei WDR 3, um die sich nicht zuletzt einige Initiatoren Ihres Briefes in ihrer aktiven WDR-Zeit verdient gemacht haben, werden Änderungen auch nicht „von oben“ verfügt, sondern nach gründlicher Diskussion umgesetzt.

Ein weiterer Punkt: Der WDR muss, wie alle anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten, sparen. Das bedeutet: Neue Angebote sind nur realisierbar durch Umschichtungen in den Etats. Und da wir bei WDR 3 ein sonntägliches Kulturmagazin für wichtig halten, ebenso einen täglichen, herausgehobenen Sendeplatz für einen Kulturkommentar oder ein verbessertes Internet-Angebot, müssen wir auf Anderes verzichten. Wichtig für Sie zu wissen ist, dass WDR 3 – in Gegensatz zu andern Programmbereichen – weder Etat noch Personal abgeben muss.

Noch ein Wort zu den geplanten Änderungen:

Die politischen Journale geben wir auf, weil es seit einem Jahr bei WDR 3 Nachrichten mit ergänzenden O-Tönen gibt, die zusätzliche Orientierung bieten. Statt der Journale scheint uns eine Tageszusammenfassung aktueller Ereignisse am frühen Abend sinnvoller. Und da WDR 3 inzwischen durchgehend live moderiert wird, können die WDR3-Hörer sicher sein, dass kein herausragendes Ereignis an ihnen vorbei geht – die vertiefende Information finden Sie dann bei Interesse in WDR 2 oder WDR 5.

Kulturelle Berichterstattung, Rezension und Kritik gibt es insbesondere bei WDR 3 und WDR 5 in großer Vielfalt. Streichungen sind nicht vorgesehen.

Das Kulturmagazin „Resonanzen“ wird keine „Wiederholungssendung“. Es soll künftig am frühen Abend einen verlässlichen Überblick zu relevanten kulturellen Ereignissen des Tages geben. Es wird ein Live-Gespräch enthalten, einen Kultur(politischen) Kommentar und greift zudem auf Beiträge der verschiedenen Kultur-Sendeplätze von WDR 3 und WDR 5 zurück, soweit diese den aktuellen Stand wiedergeben.

Literatur- und Musikfeature werden nicht gestrichen, sondern bringen ihre Themen künftig in den Sendeplatz des Kulturfeatures ein. Diese Kürzung ist, siehe oben, zur Finanzierung neuer Aufgaben notwendig.

Abschließend noch eine Anmerkung: Der WDR ist und bleibt die ARD-Anstalt mit den meisten Sendeplätzen für Features und Hörspiele. Er unterhält vier Klangkörper und verfügt über den mit Abstand höchsten Etat für Musikproduktionen, er ist der größte Auftraggeber für junge Komponisten, er ist die „Lebensversicherung“ für viele Musikfestivals in NRW. Er engagiert sich erheblich bei Veranstaltungen wie der litCOLOGNE, etliche Kleinkunstbühnen im Lande rechnen fest mit Kabarettveranstaltungen des WDR-Hörfunks.

Dies alles und noch eine Menge mehr, das der WDR als Medium und Faktor des Kulturbetriebs leistet, ignorieren Sie geflissentlich. Ein Kulturprogramm, das sich ausschließlich an einem engen und elitären Kulturverständnis orientierte, wäre als (Ihr Begriff) „Gegenwartsmedium“ auf verlorenem Posten.

 

Wolfgang Schmitz

WDR-Hörfunkdirektor

Update vom 29.02.2012
Inwzischen kann die Initiative Kultur für den Rundfunk schon 3000 Unterschriften unter ihren Offenen Brief an die Intendantin des Westdeutschen Rundfunks vermelden. Die Unterschriftenliste liest sich wie ein who is who der deutschen Kulturszene.

Zu den Unterzeichnern gehört Jochen Grote, der Geschäftsführende Direktor der Düsseldorfer Oper ebenso wie der Oberspielleiter des Hamburger Ohnsorg-Theaters Frank Gruppe, der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins Rolf Bolwin oder der Kölner Kunstprofessor und Kurator Kaspar König. Der Protestbrief wird zum Beispiel unterstützt von den Schriftstellern Elke Heidenreich, Ulla Lenze, Bora Cosic, György Dalos, Christoph und Jacob Hein, Navid Kermani, Sten Nadolny oder Richard David Precht; die Wissenschaft ist u. a. durch Martin Dannecker, Prof. Dr. Klaus Kreimeier, Prof. Dr. Hans-Joachim Lenger, Prof. Dr. Manfred Schneider oder Wolfgang Sofsky vertreten. Bei den Verlegern gehören Christoph Links, Volker Dittrich oder Dietrich zu Klampen dazu, bei den Schauspielern Maren Eggert, Rudolf Kowalski oder Janina Sachau. Die Journalisten Franziska Augstein und Heribert Prantl unterstützen das Protestschreiben ebenso wie die Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs (Frankfurt/Main) oder Hermann Ott (Wuppertal).

Die Autorin Carolin Emcke oder der Schriftsteller und Journalist Mathias Greffrath gehören ebenso zu den Unterzeichnern wie Michael Serrer, der Leiter des Düsseldorfer Literaturbüros, der Theaterwissenschaftler und Publizist Ivan Nagel, der Liedermacher und Maler Dieter Süverkrüp, der Historiker Wolfram Wette oder die Theaterregisseure Roberto Ciulli, Schorsch Kamerun, Stephan Suschke und Daniel Wetzel – und die Kabarettisten und Kleinkünstler schließlich werden u.a. von Tina Teubner, Rainer Pause oder Wilfried Schmickler vertreten. Ebenfalls unterzeichnet hat das WDR-Rundfunkratsmitglied Anjara I. Bartz, Opernsängerin und Ensemble-Sprecherin der Oper Bonn. Beispielhaft zu nennen sind außerdem Peter Liebermann, Vorsitzender des Vereins EL-DE-Haus e.V.; Thomas Thorausch, stellv. Leiter des Deutsches Tanzarchiv Köln; Willi Oberländer, ver.di Gewerkschaftssekretär Düsseldorf; Dr. Armin Raab, Wissenschaftlicher Leiter des Joseph Haydn-Institut, oder Jürgen Krönig, Autor und Korrespondent in London.

Einen Brief von freien Autoren des WDR zur Unternehmenskultur des Senders oder einen Offenen Brief von Professor Dr. Hans-Joachim Lenger an den WDR-Hörfunkdirektor zu seinen Erfahrungen mit der vom WDR behaupteten Transparenz.

Am kommenden Freitag wird wieder der WDR-Rundfunkrat tagen – und die „Radioretter“ hoffen, dass die Rundfunkratsmitglieder den von Bürgerinnen und Bürgern aus allen Teilen der Gesellschaft und in jeder Altersklasse unterstützten Aufruf der Medien- und Kulturschaffenden hören – und sich rechtzeitig über die Fakten und Hintergründe der geplanten Reformen informieren. Es geht um Grundsätzliches: Wohin steuert der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk und kann er bei weiterem Abbau von Qualitätsjournalismus noch seine Rolle in einer demokratischen Gesellschaft wahrnehmen.

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