Moderatoren im Radio – verheizt und gleichgeschaltet?

Von Inge Seibel-Müller

Mitte der 80er Jahre – die ersten Privatradios erhielten die Lizenz zum Senden – eroberte das Formatradio Deutschland. Als eines der Vorbilder gilt der europäische Ableger des amerikanischen Soldatensenders „AFN“ (American Forces Network), mit regionalen Sendestudios in ganz Bayern, Frankfurt, Heidelberg, Berlin und weiteren deutschen Städten. AFN war Kult, es stand für Jazz und Pop und lockere Moderation. Was lag näher, als einen Mann zu engagieren, der sich mit diesem erfolgreichen Sendekonzept auskannte? Sein Name: Mike Haas.

Mike Haas
Mike Haas

Bei AFN-Nürnberg war er Studioleiter, in Bayern wurde er Radiopionier im Auftrag frisch gebackener Privatradiogesellschafter. Im Gepäck hatte der Amerikaner deutscher Abstammung „Show-Opener“, „Linercards“, „Jingles“, „3- Element-Breaks“ und Stundenuhren.

Davon hatte man im deutschen öffentlich-rechtlichen Radio bisher wenig bis gar nichts gehört. Die Privatradio-Moderatoren klangen salopp und locker, die Musik wählte das Computerprogramm namens „Selector“ aus. Doch viele sagen, in jenen Jahren wurde das Radio in ein enges Korsett gesteckt und nicht nur die Musik, sondern auch das Wort so „durchformatiert“, dass jegliche Kreativität bis heute verloren ging.

Provokante Thesen

So erklärt sich auch der provozierende Titel eines Radiopanels auf den Münchner Medientagen 2011: „Moderatoren im Radio – verheizt und gleichgeschaltet“. Wenig zuversichtlich geht es weiter im Begleittext zur Veranstaltung: Radio sei dabei, sein wichtigstes Kapital zu verspielen. Jahrelang hätten (Privat-) Sender sich darin gefallen, ihre Moderatoren ins vorgegebene Format zu pressen und ihnen jede Persönlichkeit abtrainiert. Die Folge: Ambitionierte Köpfe hätten das Radio verlassen oder innerlich gekündigt. Jetzt habe das Radio nicht nur ein Imageproblem beim Hörer, zunehmend fehle ihm auch der Nachwuchs. Einige Sender seien nun (wieder) bereit, gezielt in ihr Personal zu investieren. Dazu zwinge sie aber auch die Dynamik der sozialen Netzwerke, in denen die Hörer den Kontakt zu Radiomoderatoren suchen, heißt es im Programmheft der Münchener Medientage.

Hochkarätiges Podium

Die Veranstalter hatten die Diskussionsrunde mit Valerie Weber, Programmdirektorin von Antenne Bayern, Torsten Engel, Programmchef NDR 2, Marco Maier, Chefredakteur Funkhaus Aschaffenburg, Jörg Wagner von RadioEins beim rbb in Berlin und Medienjournalist Steffen Grimberg von der Berliner „taz“ hochkarätig besetzt.

 Radiopanel "Personality". Foto: MEDIENTAGE MÜNCHEN
Radiopanel "Personality". Foto: MEDIENTAGE MÜNCHEN

Trotzdem war die Enttäuschung beim Publikum zunächst zu spüren: Es fehlten auf dem Münchener Radiopanel neben dem angekündigten Radioberater und Moderatoren-Coach Patrick Lynen, Autor des „Wundervollen Radiobuches“, Antenne Bayerns erster Programmchef und heutiger Medienberater Mike Haas. Er sollte die Keynote halten und es versprach spannend zu werden, was jener Mann (zu seiner Verteidigung) zu sagen hätte, der das heutige deutsche Format-Radio so maßgeblich mitgestaltet hat. Wie würde er den gesammelten Vorwürfen begegnen? Hat er die beschriebene Misere im deutschen Radio aufgrund seines entscheidenden Einflusses in den Entstehungsjahren der kommerziellen Radios nicht mit zu verantworten?

Multimediale Überraschungs-Keynote

„Du musst Deine Hörer überraschen“, war ein Standardsatz in der Anfangszeit, den Mike Haas den vielen Moderationsneulingen, mit denen er den altgedienten Hasen des öffentlich-rechtlichen Radios Marktanteile abjagen sollte, immer wieder predigte. Ein Leitsatz, an den er selbst sich hält. Denn obwohl abwesend: Mike Haas überraschte das Publikum im Radiopanel zum Thema „Personality“ vermutlich mehr, als jeder andere Einführungsvortrag auf den Münchener Medientagen das vermochte. An Stelle einer Keynote wurde es multimedial. Mike Haas hatte ein 28 minütiges Video geschickt, in dem Thesen sich an Antithesen reihten und die wahren Protagonisten des Radios, bekannte Moderatoren aus ganz Deutschland, Stellung bezogen, ob – und falls ja warum und wie – Moderatoren im deutschen Radio wirklich „verheizt und gleichgeschaltet“ werden.

Formatradio ist Radio mit Format

Das Video startet mit einem Augenzwinkern: „So lieb ist der liebe Gott nun auch wieder nicht, dass er dem, der keinen Inhalt hat, die Form schenkt“, wird der österreichische Bildhauer, Maler und Schriftsteller Alfred Hrdlicka zum „Teufelswerk“ Formatradio zitiert.

Hrdlicka

Und dann treten sie auf: Persönlichkeiten aus dem deutschen Radio, die regional ein Star sind und die wohl kaum im Verdacht stehen, Persönlichkeit sei ihnen abtrainiert. Arno Müller beispielsweise, Morningman bei RTL 104.6 Berlin. Oder Jochen Trus, Vorzeigestimme von 105’5 Spreeradio und Träger des deutschen Radiopreises 2010, der meint: „Kein normal denkender Programmdirektor kann ein Interesse daran haben, seinen Moderatoren Persönlichkeit abzutrainieren. Talente brauchen einen Rahmen, aber auch Raum zur Entwicklung.“

Viktor Worms, manchem noch bekannt aus der ZDF-Hitparade und einst Nachfolger von Haas als Programmdirektor von Antenne Bayern, versteht die Diskussion um Inhalt versus Format gleich gar nicht. Das eine bedinge schließlich das andere. „Es gibt vermutlich in ganz Europa keinen erfolgreichen Radiosender, der nur Musik spielt“, wird Unternehmensberater Christoph Pöschl von Brand Support zitiert.

 Auch Stefan Parrisius und Viktor Worms arbeiteten viele Jahre gemeinsam mit Mike Haas für Antenne Bayern.
Auch Stefan Parrisius und Viktor Worms arbeiteten viele Jahre gemeinsam mit Mike Haas für Antenne Bayern.

Nik Hartmann vom Schweizer Radio DRS fürchtet, dass man dem Formatradio vorwerfen muss, es lasse unkreative Leute auf den Sender: „Früher musste man noch etwas können, damit man Radio machen durfte. Heute füllt man, wenn man keinen Sprachfehler hat, einfach einen Sendeplatz. Und viele Unkreative reden sich damit heraus, dass sie ja nicht dürften wie sie könnten.“

„Solange die Radioverantwortlichen mehr Geld in den Musik-Research investieren als in das Storytelling der Akteure, solange die Musikrotation in den Köpfen der Programmdirektoren immer noch das Hauptunterscheidungsmerkmal und der Haupteinschaltgrund ist, wächst im Radio auch nichts nach“, meint Hans Blomberg von bigFM. Der 34 Jährige moderiert seit seinem 17. Lebensjahr und ist das erfolgreiche „Enfant terrible“ des deutschen Radios. Dennoch weiß Geschäftsführer Kristian Kropp, was er seit fast 10 Jahren an seinem „bigFM Morgenhans“ hat und steht fest hinter ihm, selbst wenn Blomberg mal wieder über die Stränge schlägt. „Beim Fernsehen ist der Moderator oft der teuerste Einzelposten einer Show, beim Radio meist der billigste“, das könne ja nicht gut gehen, meint Hans Blomberg.

Matthias Matuschik, Kultmoderator am Abend bei Bayern 3, stellt sich bildlich vor, „dass meinetwegen jeden Abend kurz nach acht irgendwo in Bayern eine Glotze aus dem Fenster fliegt“.

John Ment (Bild: Radio Hamburg)
John Ment hat noch lange keine Lust, das Mikrofon aus der Hand zu geben. Foto: Radio Hamburg

Für John Ment, seit über zwei Jahrzehnten die Stimme am Morgen von Radio Hamburg, gehört Authentizität zu einer Radiopersonality, „dass man meint, was man sagt“ und das entsprechend mit seiner Stimme ausdrückt. Auch wenn es sich „nur“ um den Wetterbericht handelt. „Das ist das Radio der Zukunft: sich Mühe geben für den Hörer“, meint Ment.

War früher, in der guten alten Zeit, alles besser? Diese These hält Jochen Trus für völligen Quatsch. „Es gab auch jede Menge Labersäcke, denen es hauptsächlich darum ging, sich selbst reden zu hören“, meint Trus. „Personalities von früher hatten Talent, Inspiration und waren vor allem gut vorbereitet. Damit hatten sie Struktur und das war auch schon eine Art von Format“, argumentiert der Radiostar aus Berlin. Fazit: Formatradio ist Radio mit Format.

Erfolgsrezept: So macht man Marken und verlängert sie ins Netz

Das Format alleine spielt keine Rolle, stellt Haas im Video klar: „Kochen können viele, aber auf den Geschmack kommt es an: Es reicht nicht, sich auf Research und damit auf das Rezept zu verlassen, ohne über die Zubereitungsmethode nachzudenken.“ Nach Haas bestimmen sieben nachhaltige Verankerungskompetenzen den Erfolg einer Radiomarke: Lexika (Vokabular), Syntax (Verknüpfung), Semantik (Bedeutung), Inhalt (Thema), Phonetik (Stimme), Social (Gesicht) und Pragmatik (Format).

Sind Moderatoren im Radio für ihre Hörer einfach austauschbar? Eine These, die das Video ganz schnell mit einer Handvoll eingeblendeter Facebook-Einträge widerlegt:

 Morningstar Arno Müller von 104.6 RTL Berlin und seine Crew.
Morningstar Arno Müller von 104.6 RTL Berlin und seine Crew.
Matthias Matuschik von Bayern 3 sendet nachts erfolgreich gegen das Fernsehprogramm an.
Matthias Matuschik von Bayern 3 sendet nachts erfolgreich gegen das Fernsehprogramm an.

Überhaupt sind die sozialen Medien wie Facebook und Twitter nicht nur Herausforderung, sondern auch Chance für Radio-Personalities. Ganz gekonnt spielt diese Klaviatur Hans Blomberg von bigFM. Das Radiotalent hat bereits 50.000 treue Fans bei Facebook. „Das Web ist mittlerweile zum Begleitmedium geworden, der Druck aus dem sozialen Web auf das Radio groß“, sagt Michael Praetorius, einst Leiter der Onlineredaktion bei Antenne Bayern, jetzt Jungunternehmer und Medienberater, dessen Workshops zu Social Media regelmäßig überfüllt sind. „Über Apps bekommen wir so viele Informationen sekundenschnell aufs Smartphone, die wir uns früher beim Radio geholt haben. Außerdem hat das Netz seine eigenen Personalities: Twitterpersönlichkeiten mit Tausenden von Followern, Youtubenutzer mit Hunderttausenden Abonnenten und die werden mittlerweile ganz ohne Radio und Fernsehen zum Star.“ Jetzt laute die Frage, wie man die virtuelle und die Radio-Welt wieder zusammenbringe. Und hier sieht Praetorius eine große Chance für die Radiomoderatoren, die im Gegensatz zu Apps, Emotionen transportieren können: „Wir müssen also wieder zu den Personalities zurückfinden und uns auf das besinnen, was wir gerade im Social Web lernen: Dass Menschen, die unique sind, auch Follower und Fans generieren.“

Kommt mit DAB+ der Durchbruch für Deutschlands Radiopersönlichkeiten?

Nach allem Gesagten – inklusive der versuchten Rehabilitation des Formatradios – bleibt trotzdem die Eingangsfrage: Warum gibt es im allgemeinen Bewusstsein im deutschen Radio angeblich keine Personalities? Haas ist im Video der Nachweis gelungen: Deutschland hat brillante Radiotalente, aber leider beschränkt sich die Bekanntheit naturgemäß auf die regionalen Sendegebiete. Ganz anders als in den Nachbarländern Frankreich, England oder Österreich, wo Morningshows landesweit auf Sendung gehen.

Eine echte Radiopersonality, die Gemüter spaltet: Hans Blomberg, der Morgenhans von bigFM.
Eine echte Radiopersonality, die Gemüter spaltet: Hans Blomberg, der Morgenhans von bigFM.

So sieht das auch Hans Blomberg: „Für die Zeitungen und Fernsehsender sind wir doch nur regionale Radiokasper.“ „Vielleicht wäre Syndication eine Lösung, andere Länder machen es uns vor“, meint Haas. „Uns umzingeln alle Länder mit außergewöhnlichen, begabten, werbewirtschaftlich begehrten und national bekannten Radioshows und Persönlichkeiten. Sie senden aber auch landesweit, nicht nur regional“, gibt Haas zu bedenken.

Vielleicht kommt die Lösung aber auch jetzt mit dem technischen Neuland, mit dem Web- oder Digitalradio. „Es ist eine Chance“, meint Christoph Kruse vom Radiounternehmen „Regiocast“. Mit rund drei Dutzend Beteiligungen an regional verankerten privaten Radiosendern verfügt die Regiocast bereits über ein länderübergreifendes Radionetzwerk. Ihr Fussballradio 90elf sendet seit August deutschlandweit über DAB+. „Wir sind dabei neue, nationale Marken zu kreieren“, so Kruse, das heißt, wir müssen nicht mehr austauschbare massenattraktive Programme für ein kleines Bundesland herstellen, sondern können für viel größere geografische Gebiete Nischenprogramme produzieren.“ Das allerdings, meint ffn-Programmchefin Ina Tenz, braucht finanzstarke Investoren.

Bayern 2 Talk-Moderator Stefan Parrisius dagegen ist sich nicht sicher, ob größere Märkte die Lösung sind, hieße das doch zugleich, die Sender bräuchten eine größere Risikobereitschaft. „Was wir wirklich brauchen, ist eine neue Perspektive in den Köpfen derer, die für das Programm stehen“, so Parrisius.

	 Jörg Wagner erinnert sich ungern an frühere Formatradiozeiten. Foto: MEDIENTAGE MÜNCHEN
Jörg Wagner erinnert sich ungern an frühere Formatradiozeiten. Foto: MEDIENTAGE MÜNCHEN

Und dann war das Podium gefordert, die vorgetragenen Thesen und Meinungen aus dem Munde deutscher Radiopersönlichkeiten zu diskutieren. Moderator Steffen Grimberg wollte als Zeitungsmann wissen – wenn denn die These vom doch nicht so bösen Format stimme – warum denn dann die Spielräume offensichtlich nicht genutzt würden. Jörg Wagner, der bei RadioEins das Medienmagazin moderiert, erinnerte sich mit Grausen, wie er von früheren Redaktionsleitern gegängelt wurde, wenn sein Beitrag die 3-Minuten-Grenze überschritt. Marco Maier vom Funkhaus Aschaffenburg, sieht sich als Durchlauferhitzer und Talentschmiede für die großen Sender. Denn dort, so Valerie Weber von Antenne Bayern, sei es immer schwieriger, dem Nachwuchs Raum zu schaffen: “ Je größer die Sender werden, um so weniger Fehler dürfen wir uns erlauben“. Zum Schluss war sich das Panel jedoch in einem einig: Eine emotionale enge Verbindung zum Hörer in Kombination mit Radioleidenschaft ist die Formel für den Erfolg – in Zukunft wie in der Vergangenheit.

Audiomitschnitt Medientage München vom 26.11.2011
[podcast]http://www.medientage.de/db_media/mediathek/audio/11_audio_272.mp3[/podcast]

Quelle: hörfunker.de