TuneIn: Die große Werbeschleuder, die nebenbei Musik spielt

Die unkontrolliert wuchernde Werbung auf Internetstreams wird inzwischen auch für die Senderbetreiber zum Problem. Besonders unangenehm fällt aktuell der Aggregator TuneIn auf.

TuneIn Screenshot

Im kommerziellen, offenen US-Fernsehen werden die unzähligen Werbespots ab und zu auch mal unerwartet kurz von einem Film unterbrochen [TV-Dinner in America]. So schlimm war es im Radio bislang noch nicht. Doch bei der Verbreitung über Internetstreams für Webradios und Smartspeaker ist mit den zusätzlichen Werbeeinblendungen von Streaming-Providern und Aggregatoren, die auf die im Programm geschaltete Werbung obendrauf kommen, inzwischen ein ähnliches Ausmaß erreicht. Das ärgert natürlich die Hörer, doch noch viel mehr die Senderbetreiber: Sie verlieren die Kontrolle über ihr Programm, das in Teilen gar nicht mehr den Empfänger erreicht, und können für Werbung in Haftung genommen werden, die gar nicht über sie geschaltet wurde.

Woher kommt die Werbung in meinem Programm?

d839807fad3c4657a41afc4046454abdTuneIn ScreenshotDer Senderbetreiber schaltet Werbung, für die er verantwortlich ist und die ihm sein Programm finanziert. Normalerweise macht er dies allerdings nicht selbst, sondern überlässt dies Werbezeitvermarktern, weil ein einzelner Sender bei den Werbetreibenden gar kein erstzunehmender Ansprechpartner ist und auch niemand dort mehr imstande wäre, alle potentiellen Werbekunden aktiv anzusprechen.

Damit ergibt sich bereits ein gewisser Kontrollverlust: Wie bei Bannerwerbung im Internet weiß der Programmanbieter gar nicht vorab, was er für Werbung „verpasst bekommt“. Das kann dann schon einmal ein bei einzelnen Hörern besonders verhasster Werbespot für ungesunde Süßigkeiten, Windschutzscheibenreparaturen, Müsli oder Impfungen sein. Oder für eine politische Partei, die der Sender selbst nicht unterstützen will. Da hat er zwar ohnehin keinen Einfluss, doch wenn sich Hörer über einen Werbespot beschweren, den man im Sender gar nicht kennt, wird es knifflig. Noch unangenehmer, wenn der Senderbetreiber bei von Dritten eingespeisten unzulässigen Werbespots, beispielsweise für Glücksspiel, zur Rechenschaft gezogen wird.

Internetstreams vergrößern das Problem

Diese Gefahr erhöht sich, sobald es von Antenne oder Satellit ins Internet geht. Viele Streamprovider setzen hier weitere Pre-Roll- oder gar InStream-Werbespots in den Stream, beispielsweise ist dies bei Laut.fm dafür üblich, dass die Übertragung dann für den Sender kostenlos bleibt – oft sind das hier ja Nischenprogramme, die eher als Hobby produziert werden. Also durchaus fair, aber mit der Folge, dass die Übertragung erst nach der Werbung beginnt.

Schwierig wird es, wenn ein kommerzieller Sender einen zusätzlichen Internetstream auf diese Weise ins Netz stellt und dafür kein Geld ausgeben will. Auch die Werbezeitvermarkter wollen gerne in die Pre-Rolls, weil diese beim Hörer besonders große Aufmerksamkeit erreichen („Schon wieder Ikea!“). Dabei werden mitunter genau dieselben Spots geschaltet, die auch regulär laufen.

Ganz schlimm ist es allerdings für Nutzer von Smartspeakern. Der Aggregator Tunein schaltet selbst nochmals eigene Werbung. Diese kommt dem Sender nicht zugute. Wer sie nicht hören will, muss ein kostenpflichtiges Premium-Abo abschließen.

Besonders problematisch: Smartspeaker mit TuneIn

TuneIn Premium (Bild: Screenshot)Ruft man einen Sender auf einem Smartspeaker auf („OK Google, spiele Schwarzwaldradio!“), so wird zunächst das Kommando bestätigt. Dann folgen der Tunein-Jingle und ein oder zwei Werbespots. Danach ein Werbespot des Streamproviders, und erst dann startet das reguläre Programm – eventuell ebenfalls mit einem Werbeblock. Mitunter kommen dann auch die gleichen, aktuellen Werbespots mehrfach hintereinander, weil sie eben bei allen gerade gebucht sind.

Man fühlt sich an die Zeit der Röhrenradios erinnert, wo das Gerät nach dem Einschalten erstmal einige Minuten brummte und rauschte, bis endlich etwas zu hören war. Doch war das immer noch angenehmer, als als E-Auto-Fahrer bei jedem Einschalten einen 4-Wheel-Drive-SUV mit 400 PS empfohlen zu bekommen – oder umgekehrt.

Mittlerweile schaltet Tunein auch In Stream-Werbung. Diese fährt dann natürlich unkoordiniert über das laufende Programm. Dumm für den Hörer, der gerade auf die heutige Preisfrage („Das geheimnisvolle Geräusch“) wartet oder einem Fußballspiel lauscht. Teuer, falls ein Werbekunde seinen Spot hören will, gerade dieser aber durch einen von Tunein ersetzt wurde.

„Diesen leeren Akku präsentiert Ihnen: …“

Dabei ist TuneIn auf Smartspeakern noch harmlos, wirklich übel ist die eigene App. Diese startet oft so, dass man erst mal die Premium-Version kaufen soll, bevor man irgendetwas anhören kann. Erst, wenn man ratlos die App wieder verlassen will, präsentiert sich das normale TuneIn. Mit ständigen Bannern „Du magst keine Anzeigen? Dann schließe ein Premium-Abo ab!“. Hier werden nämlich neben der ins Radioprogramm eingeblendeten Werbung auch noch Anzeigen in der App eingeblendet.

Aber die muss man doch nicht ansehen? Eigentlich nicht. Aber die App muss im Vordergrund laufen, sonst beginnt der Stream zu stottern. Man kann also mit dem Smartphone nichts anderes mehr machen, solange man darauf mit TuneIn einen Sender anhört. Zudem fressen die ständig wechselnden Anzeigen Daten und Batteriestrom – lange kann man so nicht Radio hören, ohne das Smartphone nachladen zu müssen.

Internetradio im Auto via Smartphone: Unmöglich

Die Pre-Rolls und InStreams werden natürlich ebenso geschaltet. Und nach einigen Minuten, wenn sich der Bildschirm abschaltet, kommt der Stream oft auch ins Stocken, man muss das Smartphone zur Hand nehmen und ihn neu starten mit neuem Pre-Roll. Im Auto mit TuneIn Musik zu hören, ist so kaum möglich, ohne sein Leben zu riskieren.

APRWas die Senderbetreiber aber am meisten ärgert: Sie wissen nun überhaupt nicht mehr, woher ein Spot kommt, den die Hörer vorgesetzt bekommen. Stammt er von ihrem Werbezeitvermarkter, von dem des Streamproviders, oder von TuneIn? Deshalb hat sich die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) nun mit einem Brief [PDF] an die Medienanstalten gewandt, weil die Sender die Signalintegrität nicht mehr gewährleisten können: sie haben die Kontrolle über die von ihnen ausgestrahlten Inhalte verloren.

Hilferuf der APR an die Medienanstalten

Für einen einzelnen Sender ist es zu riskant, TuneIn die Werbeeinblendung in ihrem Stream zu untersagen, da TuneIn sie dann delisten könnte. Damit wäre das betreffende Programm auf Smartspeakern nicht mehr aufrufbar – hier hat TuneIn aktuell auf den meisten Geräten das Monopol als Gatekeeper, nur wenige Fabrikate nutzen andere Dienste.

TuneIn: Aktuell leider alternativlos

TuneIn-Logo

Auf Smartspeakern, die mit Alexa zusammenarbeiten, kann zwar auch eine App des Senderbetreibers, von Radio.de oder Radioplayer eingebunden werden. Auf Smartspeakern, die Google Home nutzen, geht dies dagegen nicht. Zudem ist Radioplayer zwar eine Non Profit-Initiative der Radiobranche, womit eigentlich klar sein sollte, dass hier keine weitere Werbung eingespielt wird, doch weil man den Hörer nicht zu sehr verwöhnen will, kommt dies auch hier vor. Zudem ist Radioplayer jeweils national organisiert: Gestartet im United Kingdom, gibt es auch einen deutschen Radioplayer – mit dem kann man aber nur deutsche Programme hören. Um beispielsweise Radio Caroline zu hören, ist die britische Variante erforderlich. Das ist nicht wirklich hilfreich, wenn man mit einer App weltweit Programme hören will – in diesem Fall bleibt dann doch wieder nur TuneIn.