Es gibt zwei Perspektiven, das Medium Radio zu betrachten: Zum einen als gesellschaftliches und politisches Phänomen, zum anderen als Geschäft. Egal, von welcher Seite man schaut – Radio scheint ein Bollwerk zu sein, als sende es nicht in derselben Raumzeit wie die Zeitungen, bei denen es absehbar um die Existenz geht.
Zuerst zum Geschäft: Deutsche Radiohörer sind vergleichsweise ertragsstabil, sagt die MA-Statistk zum Tausenderkontaktpreis. Radiohörer waren auf dem Werbemarkt noch nie die teuersten aller Medienkonsumenten. Das sind sie auch jetzt nicht. Die MA zeigt im Schnitt Preise zwischen 2 und 5 Euro. Die Preisunterschiede sind meist regional bedingt. Wo ein kleines Angebot an Sendern die Hörer einsammelt, sind die Preise etwas höher als dort, wo viele Sender miteinander konkurrieren.
Drollig ist, dass ausgerechnet die Hörer öffentlich-rechtlicher Sender besonders billig sind. Ein TKP von 2,04 Euro bei WDR 2 markiert das untere Ende des gerade noch Marktüblichen. Die Kombi „hr1 + hr4″ unterbietet das sogar noch – wer bei Hessens ARD-Radios werben will, zahlt pro tausend Hörerkontakte nur 1,88 Euro. In Rheinland-Pfalz erzielt das private RPR 1 faire 3,94 Euro, das gebühren-kofinanzierte SWR 1 dagegen nur 1,37 Euro. Wer hätte das gedacht – ausgerechnet diejenigen, die selber gern als Qualitätsmedium posieren, geben im Werbegeschäft die Billigheimer.
Die Betrachtung der TKPs ist auch in anderer Hinsicht aufschlussreich. Die teuersten Hörer haben nämlich kleine Stationen im Südwesten – Baden FM mit 6,05 Euro, Donau 3 FM mit 6,37 Euro und Seefunk RSF mit irrwitzigen 10,63 Euro. Diese Preise folgen nicht mehr der zahlengesteuerten Einbuchlogik der Agenturen. Diese Sender schaffen es vielmehr, ideelle Werte zu monetarisieren. Ihre Verkäufer verkaufen nicht einfach Werbung, sondern regionalen Zusammenhalt. Die MA ist hier eine schöne Bestätigung für die These, dass das beste Radio ein lokales Radio ist – übrigens auch und gerade gegen die zunehmende Konkurrenz aus dem Internet.
Womit wir bei der gesellschaftlichen und politischen Relevanz wären – und damit bei den Reichweitenzahlen. Der Trend zum Medienbashing („Lügenpresse“) hat jedenfalls keinen Einbruch der Hörerzahlen verursacht. Das leichte Minus für die öffentlich-rechtlichen Sender dürfte eher im Rahmen der Messfehlertoleranz liegen und ist darum wie das leichte Plus bei den Privaten nur für eine Aussage gut: Ziemlich stabil, dieser Radiomarkt.
Punktuell ist es aber schon erstaunlich, dass die Infowellen der ARD offenbar nicht von der erhöhten Debattenlust der Deutschen profitieren. Das Berliner Inforadio hat sein Mauerblümchendasein nochmal verdunkelt und rutscht von 52.000 auf 48.000 Hörer ab. HR Info verbessert sich zwar von 46.000 auf 48.000 Hörer, was angesichts der Marktgröße und Senderausstattung aber eine skandalöse Dauerblamage ist. Das bayerische B5 steht besser da und gewinnt hinzu, von 131.000 auf 155.000 Hörer. Es ist die einzige Infowelle, die sich irgendwie als Gewinner fühlen dürfte.
Das schafft die bayerische Infowelle, indem sie – wie die Musikradios – eine Art Hörercommunity zusammenbekommt. Die lässt sich in diesem Fall so beschreiben: Beamtig, staatstreu, staatsnah, eher spießig, von der Art, die ständig und immer fragt, „darf man das?“, auf grüne Art umweltbewusst, besserverdienend und wirtschaftlich bestens abgesichert.
Angesichts des hohen Anteils öffentlich Bediensteter auch in Bayern dürfte es sich um eine beständige und treue Nischen-Zielgruppe handeln. Allerdings müsste der Bayerische Rundfunk mal beantworten, warum ein derart ausgerichtetes Programm für eine Special-Interest-Zielgruppe ausgerechnet öffentlich-rechtlich verfasst sein muss. Vorausgesetzt, es fragt jemand, dem die Anstalt zu antworten hätte, was bekanntlich nicht der Fall ist.
Auch derartiges zur deutschen Radiostabilität und zum Gefühl, dass da eine ganze Mediengattung durch eine eigene Raumzeit kreuzt. Irgendwie ist Radio wie Merkel. Wir schaffen das.
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Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist.
E-Mail: christoph@radioszene.de