DLM droht Privatradios mit „regulierter Selbstregulierung“

bitterlemmerDie Direktoren der Landesmedienbehörden haben – möglicherweise unfreiwillig – eine sehr fundamentale Erkenntnis zutreffend formuliert. „Das Fernsehen ist nach wie vor das mit Abstand wichtigste Medium für die Informations- und Meinungsbildung in der Gesamtbevölkerung“, schreiben sie in einem neuen Positionspapier. Diese Feststellung ist deshalb fundamental, weil sie dem gerade in den ARD-Anstalten verbreiteten Vorurteil widerspricht, die publizistische Macht im Lande liege bei den Zeitungen von Bild bis FAZ.

Mit ihrer Aussage verfolgen die Direktoren den Zweck, die weithin verwahrloste Lage der Informations- und Nachrichtensendungen im Privatfernsehen zum Thema zu machen und über gesetzliche Konsequenzen nachzudenken. Radio wird dabei – wie so häufig – am Rande mitbehandelt und in pauschale Mithaftung genommen. Das Papier nennt zwar niemanden beim Namen, aber es wird recht deutlich, dass die darin geschilderten Mißstände vor allem die beiden großen Fernsehgruppen betreffen, hier wiederum vor allem ProSiebenSat.1.

Dass da einiges schief läuft, ist unübersehbar. Weder Handwerk noch Ambition stimmen. Unvergessen ist der massive Aufwand an Werbung, den Sat.1 veranstaltete, um die völlig misslungenen Abendnachrichten mit Peter Limbourg gegen die Tagesschau zu setzen. Unübersehbar ist die Flut der Blockwartformate, die überwiegend darin bestehen, aus Ermittlerperspektive Verkehrssünder von der Autobahn zu winken und vor der Kamera zu Büßergesten zu zwingen. Das alles ist billig und unjournalistisch gemacht und zeigt, dass die Sender offenbar gar keine Lust auf Information haben. Hier werden beliebig wiederholbare Fließbandproduktionen abgesendet, um den Medienbehörden dann und wann mitteilen zu können, dass der formale Anteil an Informationssendungen ja hoch genug sei.

Die Direktoren werfen den Veranstaltern vor, „an den Rahmenfaktoren zwar meist in kleinen Schritten, in der Summe jedoch so viel verändert“ zu haben, „dass Handlungsbedarf entstanden ist“. Seit 1988 habe sich der „Umfang bei einigen Sendern teilweise halbiert“. Nachrichten seien auf unattraktive Programmplätze „nach Mitternacht“ verschoben worden. Es ist offensichtlich, dass Radiosender mit diesem Vorwurf nicht gemeint sein können. Die senden ja ihre Nachrichten Stunde für Stunde, jedenfalls am Tag. Dass Radiosender ihre Nachrichten auf Zeiten nach Mitternacht verschoben haben sollen, ist eine gänzlich unsinnige Behauptung. Wenn überhaupt, könnte man einigen vorwerfen, dass sie nach Mitternacht keine Nachrichten senden. Gleichwohl unterscheidet das Papier nicht zwischen Radio und Fernsehen, vor allem nicht bei den angedrohten Konsequenzen.

Etwas absonderlich klingt die Methode, mit der die Direktorenkonferenz dem Problem beikommen will, nämlich mit „regulierter Selbstregulierung“. Diese Wortschöpfung ist nichts anderes als ein innerer Widerspruch. Widersprüchlich sind auch die Aussagen zur inhaltlichen Qualität von Informationssendungen und Nachrichten. Einerseits stellen die Autoren fest, dass das geltende Recht „keine Eingriffe in die Inhalte“ gestattet (was – nebenbei – in einer Demokratie eine schlichte Selbstverständlichkeit ist). Andererseits beklagen sie „Boulevardisierung und Selbstreferentialität“ und weisen den „Gesetzgeber“ darauf hin, er habe „nach höchstrichterlicher Rechtsprechung einen ‚Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt'“ zu gewährleisten.

Diese Aussagen sind ein Beleg für Verzettelung und Überregulierung. In dem Bemühen, möglichst jedes Detail per Vorschrift zu regeln, haben Politik, Justiz und Verwaltung schlicht den Überblick verloren – derart, dass es scheinbar nicht einmal mehr groß auffällt, wenn Angehörige der Exekutive (also die Direktoren der Medienbehörden) die Legislative mit Hinweis auf Beschlüsse der Judikative zur Änderung von Gesetzen auffordern. Die grundgesetzliche Gewaltenteilung ist damit faktisch aufgehoben.

Den schärfsten Widerspruch erlauben sich die Direktoren ausgerechnet dort, wo sie sich das einzige Mal explizit mit dem Radio beschäftigen. „Die Radioentwicklung gibt Anlass, die Entwicklung der Inhalte besonders zu beachten. Sie zeigt, dass durch Sparmaßnahmen auch ohne Reduzierung der Umfänge eigenständige publizistische Leistung praktisch verschwinden kann.“ Diese Aussage widerspricht nicht nur dem verfassungsmäßigen Zensurverbot, das ja die Grundlage dafür ist, dass sich Behörden nicht in Inhalte einzumischen haben. Sie ist auch falsch. Die Direktoren versuchen nicht einmal, sie zu belegen.

Private Radiosender bringen heute im Großen und Ganzen dieselbe publizistische Leistung wie 1998. Die ist – das ist freilich nicht neu – nicht besonders ausgeprägt. Das aber müssen die Medienbehörden sich selber zuschreiben, denn sie sind es, die die Lizenzen für die überall ähnlich klingenden Programme vergeben. Dass in dem Papier an mehreren Stellen der Begriff Vielfalt auftaucht, ist dann nur noch skurril. Denn es sind wiederum die Medienbehörden, die in einigen Bundesländern jeglichen Wettbewerb – Voraussetzung für Vielfalt – unterbinden.

Lemmer
Christoph Lemmer arbeitet als freier Journalist in Berlin.

E-Mail: christoph@radioszene.de