Ein Gespenst geht um in Radio-Deutschland: das Gespenst der UKW-Abschaltung. Und der Spiritus Rector des „Manifests der DABplus-Partei“ und Haupt-Propagandist dieser Abschaltung, Deutschlandradio-Intendant Willy Steul, hat durchaus vom Autor eines weit berühmteren Manifests gelernt, den unaufhaltsamen Fortgang der Geschichte zu beschwören: Wo Karl Marx den unausweichlichen Sieg der Arbeiterklasse vorhersagte, prophezeit Willy Steul den unvermeidlichen Durchbruch von Digitalradio.
Allerdings scheint Willy weniger Vertrauen in sein historisches Objekt zu haben, als es Karl seinerzeit hatte: Er vertraut durchaus nicht auf dessen originäre Kraft in der Auseinandersetzung der Systeme UKW, DAB+ und Internet, sondern fordert einen festgesetzten Termin zur UKW-Abschaltung, weil „nur mit einem Abschaltdatum der notwendige Druck im Markt erzeugt wird“ (Eckpunkte-Papier des Vereins Digitalradio Deutschland). Im Klartext: Ohne entsprechende Zwangsmaßnahmen wird DAB+ den Durchbruch wohl nicht schaffen.
Um diese Zwangsmaßnahmen zu legitimieren, greift Willy dann auf den aus der großen Politik nur zu gut bekannten TINA-Trick zurück – T(here) I(s) N(o) A(lternative): „Zur Zukunftssicherung und Weiterentwicklung des Mediums Radio ist der Umstieg auf eine eigenständige digitale terrestrische Verbreitung im Standard DAB+ unumgänglich“ (Eckpunkte-Papier; Unterstreichung UB).
Aber schon aus der großen Politik haben wir gelernt, solchen TINA-Statements nicht wirklich zu trauen. In der Regel dienen sie vor allem dazu, kritische Stimmen auszugrenzen, eine echte Diskussion zu verhindern und so Entscheidungen durchzupeitschen. Gilt dies vielleicht auch für Willys TINA-Trick?
Ein Blick in das „gelobte Land“ des Digitalradios, nach Großbritannien, kann da hilfreich sein: Dort gibt es Digitalradio bereits seit 1996, aktuell werden über 400 Programme über DAB verbreitet. Das hat in der Tat dazu geführt, dass das Radio hören via Digital einen beachtlichen Marktanteil erreicht hat: Aktuell entfällt 23,7% der Radio-Zeit in Großbritannien auf das Digitalradio – gegenüber 17,2% Anfang 2011. Auf den Punkt gebracht: Digitalradio-Nutzung explodiert zwar nicht, nimmt aber kontinuierlich zu.
Gleichzeitig nimmt das Radio hören über UKW langsam ab: 73,1% der britischen Radio-Zeit entfielen Anfang 2011 auf den Übertragungsweg UKW, 2014 sind es nur noch 63,3%. Aber auch fast 20 Jahre nach dem Start des Digitalradios erzielt UKW nahezu die dreifache Nutzungsdauer von Digitalradio.
Aus diesem Szenario, in das auch das Radio via Internet mit mittlerweile 6,4% Anteil gehört, lässt sich eine UKW-Abschaltung selbst in Großbritannien nicht wirklich zwingend ableiten, geschweige denn in Deutschland, wo Digitalradio aktuell auf eine Nutzung von 1,1 % kommt (Digitalisierungsbericht 2014 der Landesmedienanstalten).
Insofern täten Willy Steul und seine DABplus-Partei besser daran, sich auf das Potential ihres historischen Objekts zu konzentrieren und durch interessante und innovative Radioformate den ja in der Tat oft nicht so prickelnden UKW-Radiomarkt in Bewegung zu bringen, statt auf die segensreiche Wirkung regulatorischer Zwangsmaßnahmen zu hoffen. Dann hätte Digitalradio wirklich seine Berechtigung – programmlich, nicht nur rein technisch.
Ulrich Bunsmann, seit 25 Jahren Radio-Profi, schreibt regelmäßig für RADIOSZENE seine Gedanken zum Radio aus der deutschen Medienhauptstadt Hamburg.
E-Mail: bunsmann@radioszene.de