Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt hat entschieden, den Rundfunkstaatsvertrag nicht zur Abstimmung zu bringen. Damit ist die bedarfsgerechte Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender ab 2021 nicht mehr gesichert. Deutschlandradio hat daher beschlossen, eine Verfassungsbeschwerde einzureichen.
Die Rundfunkfreiheit ist in Deutschland ein Grundrecht und damit ein sehr hohes Gut. Das Verfassungsgericht hat in seinen Urteilen über die Jahrzehnte klargemacht, welche Rolle der Staat dabei spielt – und wo er Grenzen überschreitet.
Stefan Raue, Intendant Deutschlandradio: „Die von der KEF empfohlene Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent ist für Deutschlandradio erforderlich, damit wir unseren staatsvertraglich vorgegebenen Programmauftrag in vollem Umfang erfüllen können. Schon jetzt müssen wir einen strikten Sparkurs verfolgen, um mit unseren Angeboten auch in der digitalen Welt sichtbar zu sein. Ein Ausbleiben der Erhöhung würde sich daher unweigerlich auf die Programmgestaltung auswirken. Dies wäre insbesondere für unsere Hörerinnen und Nutzer sehr bedauerlich.“
Durch die Entscheidung von Ministerpräsident Reiner Haseloff den Staatsvertrag zur Anhebung des Rundfunkbeitrags nicht auf die Tagesordnung des Landtags von Sachsen-Anhalt zu setzen, kann der Rundfunkstaatsvertrag samt der Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht in Kraft treten. Der Rundfunkbeitrag bleibt damit auch nach dem 1. Januar 2021 unverändert bei 17,50 Euro.
„Rundfunkstaatsvertrag bleibt auf der Strecke“
Dazu erklärt Alexander Vogt, medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW: „Das populistische Gebaren der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt und die damit einhergehende Absage von Ministerpräsident Haseloff an die Erhöhung des Rundfunkbeitrags erinnern an ein Stück aus dem Tollhaus. Durch den Rückzug von Haseloff vermeidet die CDU, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. Auf der Strecke bleibt dabei der Rundfunkstaatsvertrag. Die Beitragserhöhung, zu der alle anderen Länder bereits ihre Zustimmung erteilt oder signalisiert hatten, ist damit gestoppt. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden.“
Und weiter: „Dass es so weit kommen konnte, ist nicht nur ein Versagen der Bundes-CDU, sondern auch ihres stellvertretenden Parteivorsitzenden Armin Laschet. Auch in seiner Funktion als Medienminister und Ministerpräsident des größten Bundeslandes hätte er sich öffentlich viel stärker für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und die moderate Beitragserhöhung einsetzen müssen. Auch hier gilt: Wer schweigt, sagt nicht nichts.“
TLM-Versammlung zur Blockade der Erhöhung des Rundfunkbeitrages in Sachsen-Anhalt
In ihrer heutigen Sitzung hat sich die Versammlung der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) mit der Entscheidung in Sachsen-Anhalt beschäftigt, wonach es keine Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 0,86 Euro geben wird. Es wurde folgender Beschluss gefasst: „Die Entscheidung in Sachsen-Anhalt, den Staatsvertrag zur Anpassung des Rundfunkbeitrags nicht zu verabschieden, ist schwer nachvollziehbar. Das verfassungsrechtlich notwendige staatsferne Verfahren zur Ermittlung des Rundfunkbeitrags durch die KEF hätte erstmals seit 2009 zu einer moderaten Steigerung des Beitrages geführt. Dass es sich um einen umsetzbaren Vorschlag handelt, zeigt sich daran, dass bereits fast alle Landesparlamente dem Staatsvertrag und den dazu gehörenden Umsetzungsgesetzen zugestimmt haben. Durch diese Entscheidung wird sich die finanziell angespannte Situation der TLM weiter verschärfen. Die TLM hofft daher auf eine baldige Klärung der Debatte um die Anpassung des Rundfunkbeitrages. Insofern werden auch die mit dem Freistaat Thüringen vereinbarten und staatsfern über die TLM geplanten Fördermaßnahmen für Bürgermedien und Lokal-TV dringender gebraucht denn je.“
Die Vorsitzende der Versammlung der TLM, Dr. Ute Zacharias erklärt dazu: „Die heutige Entscheidung verschärft die sowieso schon angespannte finanzielle Situation der TLM zusätzlich und stellt gerade notwendige Projekte der Medienbildung und Bürgermedien zur Disposition.“
ARD, ZDF und Co.: AfD-Medienpolitiker Joachim Paul fordert Diskussion über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zieht den Staatsvertrag zur Anhebung des Rundfunkbeitrags zurück. Dazu erklärt AfD-Bundesvorstandsmitglied Joachim Paul: „Welche Scharaden und Winkelzüge Reiner Haseloff auch immer anwendet, um die Abstimmung im Landtag ausfallen zu lassen – die Erhöhung des Rundfunkbeitrags ist nun erstmal gekippt worden. Damit ist ein Kaufkraftverlust der Bürger in Millionenhöhe abgewendet worden. Es ist offenkundig, dass die parlamentarische Arbeit der AfD und der entschlossene kritische Umgang mit dem nimmersatten Staatsfunk dazu geführt haben, dass die CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt nun tatsächlich mal hart geblieben ist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich CDU und FDP auf Bundes- und Länderebene dauernd widersprechen und in dieser medienpolitischen Debatte orientierungslos wirken.
Es ist jetzt an der Zeit, über die Finanzierung, den Umfang und die politische Tendenz von ARD, ZDF und Co. zu diskutieren. Dabei kann die AfD mehr sagen, als nur ‚Nein‘ zu einem höheren Rundfunkbeitrag. Sieben AfD-Landtagsfraktionen haben in diesem Jahr bereits ein ‚Grundfunkkonzept‘ vorgelegt, das ein Ende der Zwangsbeiträge, eine Programmschärfung zu Gunsten von Dokumentation, Bildung, Kultur und Regionalem vorsieht, und ein Zuschauerparlament fordert. Die AfD ist daher in der medienpolitischen Auseinandersetzung wesentlich glaubwürdiger als die CDU.“
ZDF bedauert Entscheidung in Sachsen-Anhalt
Nach der Entscheidung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, den Rundfunkstaatsvertrag nicht zur Abstimmung zu bringen, wird das ZDF rechtliche Schritte ergreifen. Intendant Dr. Thomas Bellut: „Mit dem heutigen Tag ist klar, dass es in Sachsen-Anhalt keine Zustimmung mehr geben kann. Damit bleibt leider keine andere Möglichkeit, als das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Ich hätte mir eine andere Lösung gewünscht und habe intensiv dafür geworben. Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in diesem Verfahren ganz offenbar zum Spielball der Politik in einem Bundesland geworden. Genau das soll das staatsfern organisierte KEF-Verfahren verhindern, um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern.“
Wenn der neue Staatsvertrag nicht zum 1. Januar 2021 umgesetzt wird, hat das erhebliche Auswirkungen. Allein dem ZDF würden jährlich rund 150 Millionen Euro fehlen. Bellut: „Wenn die Beitragsanhebung nicht kommt, wird das auch die mittelständisch geprägte deutsche Produktionswirtschaft und die Kreativen treffen. Das ZDF könnte seine Wirkung als größter Auftraggeber auf diesem Markt nicht mehr wie bisher entfalten. Das träfe die ohnehin von der Pandemie gebeutelte Branche massiv und nachhaltig.“
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Finanzierung frei von medienpolitischen Zielsetzungen erfolgen muss und auf eine bedarfsgerechte Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgelegt ist.
ARD-Sender rufen Bundesverfassungsgericht an
Die Lage in Sachsen-Anhalt zeigt: Es ist aktuell nicht mehr mit einer Zustimmung zur Anpassung des Rundfunkbeitrags zu rechnen. Damit ist die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender ab 2021 nicht mehr gesichert, die von der unabhängigen Kommission KEF in einem aufwändigen Verfahren ermittelt wurde. Deshalb werden die Landesrundfunkanstalten der ARD gemeinsam das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Die Rundfunkfreiheit ist in Deutschland ein Grundrecht und damit ein sehr hohes Gut. Das Verfassungsgericht hat in seinen Urteilen über die Jahrzehnte klargemacht, wie wichtig die Rolle der Kommission KEF ist, um ein geschütztes Verfahren zu gewährleisten. Die KEF soll sicherstellen, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unabhängig von der Politik begutachtet und festgestellt wird. Damit sind der Politik auch enge Grenzen gesetzt, wenn sie von der Beitragsempfehlung der KEF abweichen will.
ARD-Vorsitzender Tom Buhrow: „Ich bedauere das Ergebnis. Der gesamte Prozess zur Anpassung des Rundfunkbeitrags scheitert bundesweit an Sachsen-Anhalt, nachdem der Ministerpräsident die Gesetzesvorlage zurückgenommen hat. Im Verfahren wurde die Beitragsdiskussion mit der Auftragsfrage völlig vermischt, was wir nach der bisherigen Rechtsprechung als unzulässig betrachten. Weder Sachargumente noch die unabhängige Empfehlung der KEF spielten eine Rolle. Eine Verfassungsbeschwerde ist leider unausweichlich. Ohne die ausreichende, unabhängig ermittelte Finanzierung wird das Programmangebot, das in allen Regionen Deutschlands verwurzelt ist, darunter leiden.“
Bayernpartei: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk bleibt auch ohne Gebührenerhöhung global der teuerste
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff hat – nach langem Hin und Her – seine Zustimmung zum Rundfunkstaatsvertrag zurückgezogen. Damit tritt die etwa fünfprozentige Gebührenerhöhung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Jahreswechsel nicht in Kraft. Die Sendeanstalten haben den Gang zum Bundesverfassungsgericht angekündigt, um doch noch die Erhöhung durchsetzen zu können.
Die Bayernpartei begrüßt die Nicht-Erhöhung ausdrücklich. Ein kräftiger Aufschlag von 40 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr – denn darauf summieren sich die angeblich so vernachlässigbaren 86 Cent im Monat – ist nicht einsehbar. Und in Corona-Zeiten, in denen immer mehr Menschen und Betriebe nicht wissen, wie es weitergeht, geradezu unverschämt.
Der Kommentar des Bayernpartei-Vorsitzenden, Florian Weber, war dann auch eindeutig: „Die Argumentation der vergangen Tage war ja geradezu grotesk. Das Ganze wurde zu einem Kampf Gut gegen Böse bzw. für oder gegen die Demokratie hochstilisiert. Und außerdem wurde ein Austrocknen, ja ein Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herbeigeschrieben.
Dabei leistet sich die Bundesrepublik den weltweit teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Acht Milliarden Euro an Beitragsgeld können die Verantwortlichen jährlich verplanen. Und an dieser Stelle darf und muss man auch über sechststellige Gehälter für Nachrichtensprecher und die zahlreichen Intendanten sprechen. Und die Pensionslasten. Auf 2,5 Milliarden Euro beispielsweise wird der Aufwand für die betriebliche Altersversorgung nur für die nächsten vier Jahre geschätzt.
Unabhängig von der einseitigen Berichterstattung hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einer undurchsichtigen Geldverschlingungsmaschine entwickelt. Wir fordern daher seit langem seine Abschaffung oder zumindest einen radikalen Schnitt.
Dass dies dem einen oder anderen politischen Mitbewerber wehtäte, sehe ich allerdings auch. Den zu einem haben die Sendeanstalten ja noch immer getaugt: Als Versorgungsanstalt für mehr oder weniger verdiente Parteisoldaten.“
Radio Bremen: Entscheidungen in Sachsen-Anhalt stellen unabhängige Medien in Frage
Radio Bremen-Intendantin Dr. Yvette Gerner bedauert die aktuelle Situation: „Für Radio Bremen sind die Klagen gemeinsam mit den
anderen Landesrundfunkanstalten in der ARD, des Deutschlandradios und des ZDF vor dem Bundesverfassungsgericht jetzt unvermeidlich.“
Nach dem Koalitionsstreit in Sachsen-Anhalt hatte Ministerpräsident Reiner Haseloff am 8. Dezember 2020 die Regierungsvorlage zum
Medienänderungsstaatsvertrag zurückgezogen. Demnach wird die Anpassung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 € nicht wie
geplant zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.
Die Verhinderung der Beitragsanpassung wirkt sich auf Radio Bremen zweifach aus. Einerseits stagnieren die Beitragseinnahmen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt für Bremen und Bremerhaven. Andererseits wird die Anpassung des ARD-internen Finanzausgleichs ausgesetzt, der für das föderale Rundfunksystem existentiell ist. Somit steht Radio Bremen ab 2021 nicht der Finanzbedarf zur Verfügung, den die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) ermittelt hat und der zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags notwendig ist.
„Die genauen Mindereinnahmen hängen von verschiedenen Effekten ab und verändern sich im Laufe der kommenden vier Jahre. Solange die Beitragserhöhung nicht kommt, fehlen uns ab 1. Januar 2021 bei Radio Bremen monatlich circa 800.000 Euro. Das ist Geld, welches wir zur Erfüllung unseres gesellschaftlichen Auftrages brauchen. Wie viel unabhängige Information, Bildung und Unterhaltung wir unter diesen Voraussetzungen leisten können, werden die weiteren Entwicklungen zeigen“, sagt Gerner.
Anrufung des Bundesverfassungsgerichts geboten, um Schaden für Medienvielfalt und Meinungsbildung abzuwenden
Gemeinsame Erklärung der Vorsitzenden der gesetzlichen Aufsichtsorgane der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten
Als Sachwalter der Allgemeinheit auf dem Gebiet des Rundfunks stellen wir fest, dass Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland die Umsetzung der Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) wenige Tage vor dem Beginn einer neuen Beitragsperiode blockiert hat. In der Folge kann der Medienänderungsstaatsvertrag nicht fristgemäß in Kraft treten. Die Bundesländer können deshalb nicht wie beabsichtigt sicherstellen, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten innerhalb des von der KEF vorgegebenen Bewilligungsrahmens befähigt werden, die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen auf gesetzlichem Weg übertragen worden sind. Damit wird der bisherigen Planung der Haushalte in den Anstalten wenige Tage vor Beginn des ersten Haushaltsjahrs der neuen Beitragsperiode die Grundlage entzogen.
„Eine angemessene Finanzierung der Landesrundfunkanstalten ist nicht mehr im notwendigen Maß sichergestellt – mit allen negativen Folgen für die Rundfunkfreiheit. Dies trifft die Landesrundfunkanstalten in besonderem Ausmaß in Zeiten großer medialer Umbrüche und gesellschaftlicher Krisen. Deswegen ist es unerlässlich, dass die Intendantinnen und Intendanten nun das Bundesverfassungsgericht anrufen. Dies ist ohne Aufschub geboten, um Schaden für Medienvielfalt und Meinungsbildung abzuwenden“, sagt der GVK-Vorsitzende Andreas Meyer-Lauber im Namen der Gremienvorsitzenden der ARD.
Das verfassungsrechtlich ausgestaltete dreistufige Verfahren zur Beitragsfestsetzung hat den Zweck, die öffentlich-rechtlichen Anstalten wirtschaftlich angemessen zu befähigen, ihren Aufgaben unabhängig nachzugehen (prozeduraler Grundrechtsschutz). Es bedarf diesbezüglich offenbar einer weiteren höchstrichterlichen Klarstellung.
Quellen: Pressemeldungen von Deutschlandradio, SPD NRW, TLM, AfD, ZDF, ARD, Bayernpartei, Radio Bremen und ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK)