Affäre Umweltsau: Das Fass und der Tropfen

Manchmal genügt eine Kleinigkeit und ein System kracht zusam­men. Niemand ver­steht dann, wie es pas­sie­ren konn­te, dass ein für sich genom­men mini­ma­les Ereignis so eine gro­ße Wirkung ent­fal­tet. Als Beispiel der jün­ge­ren deut­schen Geschichte gilt der Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953. Es gab damals eine Erhöhung der Arbeitsnorm. Für sich genom­men kein Grund, gleich den gan­zen Staat kip­pen zu wol­len. Und doch ging es den pro­tes­tie­ren­den Arbeitern genau dar­um, und genau dar­um konn­ten nur rus­si­sche Panzer die SED (umbe­nannt in Linkspartei) an der Macht halten.

Und jetzt also die Affäre #Umweltsau. Ein im links­grün-mis­sio­na­ri­schen Zeitgeist pro­du­zier­tes Kinderliedchen, publi­ziert von einer die­ser schon lan­ge unter Kritik ste­hen­den öffent­lich-recht­li­chen Anstalten, die sich schon lan­ge als Teil der links­grü­nen Mission ver­ste­hen, hat plötz­lich alle Schleusen geöff­net.

 

Es geht nicht um Oma. Es geht um alles.

Die Kritiker behaup­ten, es gehe ihnen um ihre Omas. Das ist natür­lich Quatsch. So könn­ten nur Leute pseu­do­ar­gu­men­tie­ren, die sich bei jedem nicht von der Goldwaage fal­len­den Wort berufs­be­lei­digt füh­len. Also Gender-Gagas, mili­tan­te Müslis und ande­re Links- und Rechtsidentitäre. Aber die meis­ten Kritiker sind nor­ma­le Menschen, die nor­ma­ler­wei­se eben nicht berufs­be­lei­digt sind, son­dern eher mal alle Fünfe gera­de sein und leben und leben lassen.

Warum also rei­hen sich jetzt auch nor­ma­le Leute bei den Oma-Empörten ein und beneh­men sich wie sonst nur die Angehörigen der popu­lis­ti­schen Megasekten? Ganz ein­fach: Die Oma-Emörung gibt ihnen die Gelegenheit, das Fass auf­zu­ma­chen, das schon lan­ge bis zur Oberkante voll ist. Die Gelegenheit, die iden­ti­tä­ren Wortklauber mit der eige­nen Waffe zu packen, indem man so tut, als wer­de die Oma belei­digt, was aber nicht der Fall ist, sich als Empörungsmuster aber anbie­tet, um das System des öffent­li­chen Rundfunks mit all sei­nen Begleiterscheinungen aufs Korn zu bekommen.

Dass das mal so kom­men muss­te, kann eigent­lich nie­man­den über­ra­schen, der sich außer­halb der Blase der ÖRR-Redakteure, Intendanten, Rundfunkräte, Staatskanzleien und Ministerpräsidenten bewegt, der­je­ni­gen also, die höchst aus­kömm­lich vom System leben und zu wesent­li­chen Teilen ihre Macht dar­auf gründen.

 

Die Büchse der Pandora bleibt gefälligst zu!

Seit Jahrzehnten steht die­ses System in der Kritik. Zu groß, zu auf­ge­bläht, zu teu­er. Mit einer Mitarbeiterbasis, die bes­ser abge­si­chert und bes­ser ver­sorgt ist als die ohne­hin per­fekt abge­si­cher­te und ver­sorg­te Beamtenkaste.

Seit Jahrzehnten ist die Rede davon, das System müs­se schlan­ker wer­den und Prioritäten set­zen. Doppel-, Dreifach- oder Vierfachversorgung abschaf­fen. Wer durch das Rhein-Main-Gebiet fährt, kann pro­blem­los auf den immer gleich­klin­gen­den Wellen von SWR, HR, MDR, WDR und BR lan­den. Es gibt ver­ein­zel­te Ecken in Thüringen, da emp­fängt man Wellen des Bayerischen Rundfunks und des Norddeutschen Rundfunks gleich­zei­tig. Das ist irre. Das weiß auch jeder.

Aber die, die da zusam­men im sel­ben Boot sit­zen – Redakteure, Intendanten, Rundfunkräte, Staatskanzleibeamte, Ministerpräsidenten, ach ja: die Medienpolitiker der Landesparlamentsfraktionen – wagen in Wahrheit nicht mal einen Anflug ernst­haf­ter Reformdebatte. Ihre Angst ist viel zu groß, sie könn­ten damit die Büchse der Pandora öffnen.

Also simu­lie­ren sie seit Jahrzehnten soge­nann­te Reformdebatten, mit dem Ziel, nichts zu tun. Alles zu las­sen, wie es ist.

 

Zum Status Quo gehört der ewige Wildwuchs

Und alles so las­sen, schließt ein, das wil­de Wuchern des System zu beför­dern, denn das wil­de Wuchern des Systems gehört zum Status Quo. Und der Status Quo ein­schlie­ßich Wildwuchs-Lizenz ist der Kaste heilig.

Natürlich weiß auch jeder, dass das nicht ewig so wei­ter­geht. Dass der Tag kom­men wird, an dem sich die Debatte nicht mehr stop­pen las­sen wird. So, wie 1953 die Arbeiter in der DDR regel­recht ent­fes­selt alles auf den Tisch pack­ten, was ihnen am System nicht pass­te, ein­fach des­halb, weil der Protest gegen eine ver­gleich­wei­se Lappalie sie in Schwung brachte.

Es könn­te also sein, dass die Affäre #Umweltsau trotz ihrer eher gerin­gen Substanz genau die­ses Momemtum aus­lö­sen könn­te. Die Debatte hoch­brin­gen, die die Kaste um jeden Preis ver­hin­dern will.

Oder es gelingt der Kaste auch die­ses Mal, die Debatte wie­der ohne Konsequenz abzu­räu­men. Dann kommt sie eben irgend­wann wie­der auf. Und ein­mal wird es dann so weit sein, dass es sich nicht mehr stop­pen lässt. Und die­sen Tag muss die Kaste wirk­lich fürch­ten. Denn sie hat über die Jahrzehnte ein der­art ver­track­tes System errich­tet, dass sie sich wirk­lich vor einem Zusammenbruch fürch­ten muss.

 

Will keiner offen sagen, ist aber so: Eigentlich wollen sie das halbe Internet unter die ÖR-Knute zwingen

Wussten Sie z.B., dass in Bayern Rundfunk per Landesverfassung aus­schließ­lich nur von öffent­lich-reht­li­chen Anstalten ange­bo­ten wer­den darf? Richtig gele­sen, das steht da im Artikel 111a. Der stammt aus dem Jahr 1979. Damals mal­ten CSU, SPD, Bayerischer Rundfunk, Gewerkschaften und alle ande­ren, die dazu­ge­hö­ren, den Teufel der Pornografisierung der Medien an die Wand, soll­te je pri­va­tes Fernsehen in Deutschland auf Sendung gehen. Damit schu­fen sie ein gesell­schaft­li­ches Klima, das dem ähnelt, was wir heu­te mit der Klimadebatte erleben.

Derzeit dis­ku­tiert die Kaste, wie sie mög­lichst gro­ße Teile des Internet unter den Rundfunkbegriff zwin­gen kann. Dass damit auf brei­ter Front Medienangebote unter die Lizenzknute getrie­ben wer­den, was defi­ni­tiv ein Zeichen auto­ri­tä­rer Regierungsführung ist, ist nur die eine, offen­sicht­li­che Seite. Die ande­re, viel tief­grei­fen­der, ist eben das baye­ri­sche Verfassungsgebot der öffent­lich-recht­li­chen Trägerschaft für Rundfunkangebote.

Je län­ger sie die Debatte auf­schie­ben, des­to hef­ti­ger wird sie enden.
Wenn die Ministerpräsidenten, Intendanten, etc. sich 2020 mal wie­der durch­set­zen, dann könn­ten sie das hal­be Internet ein­fach mal so für unzu­läs­sig erklä­ren, außer, es schlüpf­te unter ein öffent­lich-recht­li­ches Dach. Das will natür­lich zum Verrecken nie­mand offen debat­tie­ren. Wenn es so kommt, dann soll es – wie üblich – so aus­se­hen, als sei das halt ver­se­hent­lich so, weil ein Herrgott es irgend­wie vom Himmel fal­len ließ.

Themen wie die­ses lau­ern unter der Oberfläche. Eine klei­ne Affäre wie die der #Umweltsau könn­te die Phrasen-Tarnung ent­hül­len, die die Kaste bis­her dar­auf deckt.

Aber die Heftigkeit, mit der die #Umweltsau beim WDR ein­schlug, dürf­te die Damen und Herren alar­miert haben – und die Kritiker moti­vie­ren, fortzufahren.

Denn die Debatte ist über­fäl­lig. Seit Jahrzehnten. Und je län­ger sie noch ver­scho­ben wird, des­to offen­sicht­li­cher und tie­fer wer­den die Widersprüche, des­to schwie­ri­ger wird es, sie zu über­de­cken und des­to hef­ti­ger wird es am Ende ausgehen.

Und die Debatte dreht sich irgend­wann auch nicht mehr um die Frage, wie der öffent­lich-recht­li­che Rundfunk zu refor­mie­ren wäre, son­dern ob sei­ne Reform über­haupt mög­lich ist oder ob er nicht kom­plett abge­schafft wer­den müsste.

Wenn es nicht jetzt schon zu spät ist.



Kommentar von Christoph Lemmer (Freier Journalist). Mehr unter bitterlemmer.net

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