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Keine Illusionen über UKW-Chips in Handys

James Cridland's Radio FutureIn Kanada lebt man irgendwie in der Vergangenheit. Zumindest schien es mir so, als ich erfuhr, dass die Radiobranche dort öffentlich auf die Barrikaden für UKW-Chips in Mobiltelefonen ging. Mit einem Argument, das ich schon längst für tot gehalten hatte.

Verständlich ist es schon, warum gerade in Kanada diese Diskussion geführt wird. Eine kleine Privatrecherche zu Kosten für mobile Datennutzung ergab, dass das mobile Internet in Kanada außergewöhnlich teuer ist. Im Vergleich zu Australien (ungefähr dieselbe Einwohnerzahl und Landmasse) zahlen Kanadier fast FÜNF MAL so viel für ein Mobilfunkdatenkontingent, das ihnen zudem noch EIN DRITTEL WENIGER DATEN gibt. Ich schreibe das jetzt absichtlich mit Großbuchstaben, weil ich immer noch verblüfft darüber bin.

Möglicherweise wittern kanadische Radiomacher hier ein Geschäftspotential, wenn die UKW-Chips aktiviert sind. Aber ob es die gibt, das wage ich – ganz ehrlich gesagt – zu bezweifeln.

Handy-Musik-Radios aus dem Jahre 2006 (Bild: ©James Cridland)
Handy-Musik-Radios aus dem Jahre 2006 (Bild: ©James Cridland)

Tatsache ist: Auf Mobiltelefonen kann man Live-Radio hören, ob über UKW oder über Streams. Aber wer tut es? Die Studie zum Verhalten von Hörern in Großbritannien (siehe Seite 10 dieser PDF-Datei) zeigt, dass Live-Radio gerade einmal 20% aller Audio-Inhalte ausmacht, die über ein Mobiltelefon konsumiert werden.

Warum sollte man auch? Die Benutzererfahrung ist alles anderes als optimal. Wenn man einen FM-Sender hört, werden keine Logos angezeigt und es gibt nahezu überhaupt keine Metadaten. Überhaupt: In vielen Regionen in Kanada wie auch in den USA und Australien sind sogar RDS-Signale ein eher exotisches Phänomen. Überhaupt die ganze Prozedur, die man durchläuft, um einen Radiosender einzuschalten (Wie lautete die Frequenz auch noch?) ist eigentlich nichts anderes als ein historischer Anachronismus. Die Firma, die am nächsten dran war, diese mangelhafte Benutzererfahrung auf Mobilgeräten zu verbessern (Emmi’s NextRadio) stieß in der nordamerikanischen Radiobranche weitgehend auf taube Ohren und ist gemeinsam mit dem Visual Radio-Konzept von Nokia in der sprichwörtlichen Mülltonne der guten Ideen verschwunden.

„Aber Radio ist wichtig, gerade in Notfällen“, beteuern die Senderbetreiber. Mag ja sein, aber der Notfall oder das wichtige Nachrichtenereignis sollte sich dann besser nicht nach Feierabend oder am Wochenende ereignen. Denn dann kommt es wohlmöglich gar nicht erst im Radio, wie kürzlich gesichtete Beispiele zeigen. SMS and App-Nachrichten sind wesentlich effektiver, wenn es darum geht, eine unmittelbar bevorstehende Gefahr (z. B. Stürme oder Feuer) bekannt zu geben. Radio mag hier einmal wichtig gewesen sein, aber inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Anders sieht es freilich aus, nachdem ein solcher Notfall bereits eingetreten ist. Hier hat Radio eine verbindende Wirkung und kann die Gesellschaft zusammenschweißen. Und das macht dem Medium nach wie vor so leicht keiner nach.

Auch in technischer Hinsicht bekommt das UKW-Radio auf Handys Gegenwind. Die Antenne, die für den Empfang von UKW- (und auch DAB+) Signalen genutzt wird, ist das Kopfhörerkabel. Aber selbst das gibt es bei Apple oder bei den Google-Flagschiffmodellen schon gar nicht mehr. Hier setzt man auf Bluetooth. Und die machen dem anderen Wellenbereich, der Mittelwelle, sowieso den Garaus. Klar, es gibt noch starke Mittelwellensender in kanadischen Ballungsräumen. Und es gab auch mal ein Mobiltelefon mit eingebautem Mittelwellenempfang. Nur eines. Das war vor 15 Jahren und selbst damals war das Ding reif für die Tonne.

Es ist offenkundig, dass kanadische Radiohörer im Vergleich zu ihren US-amerikanischen Nachbarn eher weniger auf Streams zurückgreifen. Nun könnten die kanadischen Radiounternehmen mehr Druck auf die Regulierungsbehörde CRTC ausüben, damit diese die Preise für den Datenverbrauch in Mobilfunknetzen effektiver reguliert. Aber warum sollten sie? Denn schließlich sind die kanadischen Radiounternehmen IDENTISCH mit den Mobilfunknetzbetreibern.

Tatsächlich haben die Mobilfunknetzbetreiber einen großen Einfluss auf die Hersteller, wenn es darum geht, ob UKW-Chips aktiviert werden sollen oder nicht. Wenn die kanadischen Mobilfunknetzbetreiber also keinen entsprechenden Druck auf Google, Apple und Konsorten ausüben – und nochmals: die Mobilfunknetzbetreiber besitzen die auf UKW funkenden Radio-Networks – dann lässt dies auf ein ganz anderes Problem schließen.

Währenddessen sollten wir unsere Energie lieber darauf verwenden, unsere Hörer zu unterhalten, statt magische Einhörner zu jagen, deren Nutzen eher zweifelhaft ist.


James Cridland
James Cridland

Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.

 

 

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