Vor 40 Jahren schrieb Trevor Horn den viel zitierten Buggles-Hit ”Video killed the Radio Star”.
Nur: Recht behalten hat er nicht. Immer noch hören 9 von 10 Leuten jede Woche Radio. Malaysia, die USA, Frankreich oder Australien – die Länder könnten kaum unterschiedlicher sein, aber die Zahlen stimmen weitgehend überein. Mit anderen Worten: Radio hat in den letzten 20 Jahren kaum an Reichweite verloren, auch wenn sich das Konsumverhalten natürlich in vielerlei Hinsicht gehändert hat.
Aber immer noch scheint Video killed the Radio Star der Standardsatz zu sein, nach dem jeder lustlose Redakteur greift, wenn wieder mal ein Artikel – irgendein Artikel – zum Thema Radio geschrieben werden muss. Und wie der aufmerksame Leser dieser Kolumne wahrscheinlich bereits weiß: Ich sammle solche Ergüsse.
Hier nur ein paar davon aus den letzten Monaten:
- Ein Radiomoderator spielte eine Runde Golf. Diese Tatsache allein war dem Kansas City Star schon eine Meldung wert. Denn schließlich ist ein Radiomoderator ein Star, über den man gefälligst zu schreiben hat. Was würde also besser passen als Buggles-lastige Schlagzeile „Second hole in one didn’t kill the radio star”?
- Die Zeitung The Star in Malaysia schreibt ein ausführliches Stück über Video-Schiedsrichterassistenten bei Fußballspielen. „Video killed the Radio Star – und jetzt auch den Fußball”, schlussfolgert der Redakteur. Hmm… wenn man ein wenig nach unten scrollt, sieht man dort die Logos von Suria FM und 988, zwei… nun ja, Radiostationen, die von Star Media betrieben werden, und die wohl wenig darüber erbaut sein dürften, dass ein Sportjournalist sie dort gerade in Grund und Boden schreibt (und dann auch noch einer von der Zeitung, ja wirklich, von der ZEITUNG!).
- Campaign, eine Fachzeitschrift für Werbeprofis, erscheint mit einem Artikel über die Kraft der Radiowerbung: „Radio ist führend, wenn es darum geht, ein Massenpublikum zu erreichen ”, klärt der Artikel auf. Aber am Schluss konnte sich der Redakteur ein abgewandelte Buggles-Zitat dann doch nicht verkneifen:“Has digital killed the radio star?”. Offenbar fiel ihm so kurz vor der Mittagspause nichts Besseres mehr ein
- Ach ja, und TV insider, eine US-Zeitschrift, die sich mit der rasch schwindenden Welt des Fernsehens befasst, hielt es ebenfalls für nötig, auf Biegen und Brechen noch eine Buggles-geschwängerte Einführung vor einen Artikel über kaum beachtete und schwer verdauliche flimmernde Bilder zu setzen.
Ich weiß nicht was deprimierender ist: die ständige Wiederholung einer Lüge, nach der das Radio irgendwie „tot“ ist, oder das seltsame Verhalten von Radiomachern, die die Hände in den Schoß legen und diesen Pressefutzis nicht das Fürchten lehren. Warum eigentlich nicht? Eigentlich ist das doch unser Job.
Aber lassen wir unserem Lieddichter Trevor Horn das letzte Wort in dieser Frage, sagte er doch: „Video hat den Radiostar keineswegs gekillt. Vielleicht hatte es ihn ein paar Minuten lang im Schwitzkasten, aber davon hat er sich sehr gut erholt und ist in alter Frische immer noch zur Stelle.”
Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine, berät eine Vielzahl von Radiosendern und veröffentlicht den täglichen Podcast-Newsletter podnews.net. James hat über 30 Jahre bei Radiosendern in Großbritannien, Australien und Kanada gearbeitet; bei Virgin Radio UK entwickelte er die weltweit erste Radio-Streaming-App. Er lebt in Brisbane, Australien. https://james.cridland.net