Radio heute: „Kritik der reinen Vernunft!“

Viktor Worms über das Thema Jugendradio der ARD-Sender: "Ihr müsst damit nicht Quote machen, sondern neugierig!"„Da kommen da Zeitungsleute (wahlweise Comedians oder modeverrückte Teenies…) und nehmen uns unsere Hörer weg! Echt jetzt?“

Das oder Ähnliches höre ich allenthalben aus der Radioszene, speziell der, die über 5o Jahre den Kampf um das Ohr unserer „User“ unter sich ausgemacht hat. Da gab’s zuerst die öffentlich-rechtlichen Monopolisten, geärgert nur von ein paar Irren aus dem benachbarten Luxemburg für die sich die Hörerschaft ihre Mittelwellenempfänger aus dem Fenster hängte, um öffentlich-rechtlicher Tristesse zu entkommen. Dann kamen irgendwann die Privaten und nichts war mehr wie’s mal war. Gleichwohl: Das Abendland ist nicht untergegangen, die Nation ist nicht mehr als nötig verblödet, die Privatradiorevolution hat ihre Kinder nicht gefressen, allenfalls Inhalte bei der staatlichen Konkurrenz. Und jetzt kommt das Digitale, mit ihm neue Anbieter, neue Player im Kampf um das Ohr und die Zeit der Hörer. Und diese Zeit kann sich der Hörer auch noch nach Belieben wählen. Podcasting greift um sich und selbst jeder 5. über 50 hört regelmäßig fremd, was er will, wann er will und wo er will. Noch schlimmer, die hören Wort, so richtig mit Sprechen und Erzählen, manchmal sogar Politik oder Wirtschaft. Und wir lernen, man kann auch über Musik reden und informieren. Also nicht nur „3 ( 4,5,…) in a Row“, Werbung, Wetter, Musik, Senderkennung und noch mal „3 (4,5…)“! Geht!

Comedy mit Moritz Neumeiers „Auf eine Zigarette“, Mode-und Jugendkram mit Laura Larssons „Herrengedeck“ und sogar Politik mit „Gabor Steingarts Morning Briefing“ funktioniert. Da zeigt uns ein Zeitungsmann wie’s geht, sammelt über Nacht 75.000 Abonnenten ein, die ihm jeden Morgen 20 Minuten lauschen und die Prognosen sagen stetes Wachstum bis hin zu 200.000 perfekt vermarktbare Nutzer Ende 2019 voraus. Einfach nur mit Reden Nr.1 der „Top Ten-Podcasts“ bei iTunes! Erklären, Informieren oder wie in den anderen Fällen Witz und Quatsch gehen und unsere Hörer wollen es, lassen sogar abends (siehe Nutzungszeiten) die Flimmerkiste links liegen.

„Artfremde“ nehmen uns unsere Hörer weg. Und das mit Reden!? Wie sollen wir darauf reagieren?

Ich glaube , es ist einfach, kehren wir um, beginnen wir wieder zu erzählen, glauben wir nicht den US-Radio-Gurus und ihren deutschen Ablegern, die durchs Land ziehen und immer noch predigen „Wort tötet Hörer“, „Der 3-Element-Break ist das Höchste der Radiokunst!“ „Du darfst über alles reden nur nicht über 1 Minute!“ und „6 am Stück, juchhu!“

radioeins vom RBB in Berlin beweist, wies gehen kann. Jeden Sonntag Somuncus „Blaue Stunde“, da wo auch Schulz & Böhmermann begannen, und jederzeit abrufbar im Netz. Läuft und wenn’s nicht öffentlich-rechtlich wär, ließe es sich wahrscheinlich auch bestens vermarkten!

Freunde, das Erzählen ist unser Kerngeschäft, wir müssen unsere Sicht auf die Hörer verändern und seine Bedürfnisse erkennen und dabei ist ein Satz mit dem ich seit Jahren meine Partner peste der Schlüssel: „Form folgt Inhalt“. Unser Kernproblem ist, dass wir genau diese heilige Regel vernachlässigt und um 180 Grad gedreht haben im Formatierungswahn der letzten 20 Jahre und einer sträflichen Unterschätzung unserer Hörer-Konsumenten. Ich war auch beteiligt.

Nur die Zeiten haben sich geändert. Musik ist nur noch ein „Kollateralnutzen“ heutigen Radios. Meinen besten Mix kann Spotify besser, Verkehrslageberichte mein Navi und das mit minutiösen Updates, News bekomm ́ ich viertelstündlich von den öffentlich rechtlichen Nachrichtenprogrammen. Da Werbung noch nie ein Einschaltgrund war, wird die Decke dünn. In weisem Erkennen stellen sich die ersten privaten Anbieter um. Die REGIOCAST-Gruppe, im Old-School-Radio beheimatet und erfolgreich, geht mit seiner „Farm“, einem „Programm-Think-Tank“ voran und allenthalben bilden sich drumrum kleine kreative Zellen, deren Entwickler sich nicht mehr die Hacken ablaufen müssen auf der Suche nach irgendeinem Sender, der ihr Zeug verbreitet, sondern dies gleich selber übernehmen.

YouTube, Facebook, iTunes und Co sorgen für eine echte Demokratisierung der elektronischen Medien. Aus einem Sender und vielen Empfängern entstehen tausende Anbieter und ein paar Aggregatoren, die all das Lustige, Kluge, Neue, manchmal himmelschreiend Bescheuerte sortieren und verbreiten. Wenn ich heute als TV- und Radio- Moderationstrainer im Lande unterwegs bin, stelle ich immer wieder eine Frage: „Würde das, was Du da grad gemacht hast, irgendeiner gezielt abrufen, wäre jemand bereit, dafür eventuell sogar zu zahlen?“

Und weiter geht’s mit neuen Wettbewerbern: Die Wirtschaft kommt auf meine Firma zu, um seine Experten und Manager am Mikrofon und vor der Kamera von mir und meiner Kollegin Amelie Fried ausbilden zu lassen. Kommunikation mit Usern und Kunden ist nicht mehr Privileg einiger weniger Journalisten oder Moderatoren, die die Regeln des audiovisuellen Konsums festlegen. Verabschieden wir uns bitte endlich vom Glauben ein Hörer (oder Seher) bewerte mit dem Satz „Das waren aber jetzt genau 90 Sekunden, toll!“ oder „Der hat aber seinen Sendernamen schön gesagt und sogar die Uhrzeit stimmte!“. Nein, sie sagen „Fest und Flauschig“? Blödsinn aber oft saulustig!“ „Haste mal den Steingart gehört, endlich redet einer verständlich Klartext!“ oder sie nutzen sogar den „Einschlafen Podcast“ in dem ein Tobi Baier vom Inhalt seiner Schubladen und Kants „Kritik der reinen Vernunft“ schwadroniert bis der letzte User weggedämmert ist. Aber das macht dieser User freiwillig, eben weil er’s so will und er fragt uns nicht und wartet nicht auf uns. Worauf warten wir also?

 


Über den Autor

Viktor Worms (Bild: WMP)
Viktor Worms (Bild: WMP)

Viktor Worms moderierte die ZDF Hitparade, war Programmdirektor bei ANTENNE BAYERN und ZDF-Unterhaltungschef. Er war in den vergangenen Jahren als Strategie- und Moderationscoach u.a. tätig für REGIOCAST, ZDF und das Bayerische Fernsehen, DRadio Wissen, bigFM, ROCK ANTENNE sowie die ARD.ZDF Medienakademie. Er ist seit 2015 Jurymitglied des Deutschen Radiopreises. Neben seiner Tätigkeit als TV Producer ist er Vorstand der Hugo-Tempelman-Stiftung sowie Beirat der Tabaluga Kinderstiftung.