SWR3 gilt als Trendsetter innerhalb der deutschen Radiolandschaft. Die täglich von über 3,7 Millionen Menschen gehörte südwestdeutsche Infotainmentwelle erfand sich über die Jahre hinweg regelmäßig neu und gilt in der Branche als Vorzeigeprogramm für modern gemachtes Radio.
Programmchef Thomas Jung sprach mit „musikmarkt“-Autor Michael Schmich über erfolgreiche Musik im Radio, angesagte Sendeinhalte sowie die Zukunft des Hörfunks.
Michael Schmich: Was ist das Erfolgsgeheimnis von SWR3? Und wie wichtig ist für Ihre Programm der Faktor „Musik“?
Thomas Jung: Der Erfolg von SWR3 beruht auf mehreren Säulen. Unser Anspruch ist, dass unsere Nutzer ihr Produkt SWR3 auf den relevanten Ausspielwegen leicht auffinden. Inhaltlich machen wir einen großen Bogen um Beiträge und Drehs, die es woanders genauso gibt. Wir spielen den Live- und Event-Charakter des Radios aus. Beziehen die Hörerinnen und Hörer mit ein, pflegen ein hohes Maß an Interaktion. Musik spielt dabei natürlich eine wichtige Rolle. On air aber auch bei Veranstaltungen. Auch in Zeiten von Spotify oder Apple Music ist Musik immer noch ein wichtiger Impuls für die Wahl eines Programms. Es ist die Mischung aus alt und neu, aus tagesaktueller Musik und großen Hits, die Radio neben dem relevanten Wort immer noch attraktiv macht. überraschend muss es sein, Impulse liefern, in der digitalen überflusswelt den Menschen Tipps geben und ihnen das Angebot sortieren. Dazu kommt die große Verlässlichkeit im Bezug auf Aktualität und Service. Dann die Persönlichkeiten am Mikrofon und die Comedy, der Humor in allen seinen Facetten. Der Markenkern ist bei SWR3 wichtig – egal auf welchem Ausspielweg die Marke unterwegs ist. SWR3 ist eine 360 Grad Marke.
Michael Schmich: Die SWR3-Musik genießt bei Hörerschaft und Musikwirtschaft traditionell einen hervorragenden Ruf. Nach welchen Kriterien gestalten Sie das Musik-Design?
Thomas Jung: Die Musikauswahl bei SWR3 folgt klaren Regeln. Durch unsere extrem breitgefächerte Hörerschaft muss ein Programm wie SWR3 auch in der Musikauswahl breit angelegt sein. Nicht allen jungen Hörern gefallen die Songs aus den 80ern/90ern, aber auch nicht jeder über 45 mag die aktuelle Charts-Musik, die doch extrem durch die Electronic Dance Music geprägt ist. Wie viele deutsche Songs dürfen es sein, wie stark prägen Balladen das Programm? Hier zu vermitteln, aus diesen sehr unterschiedlichen Bedürfnissen ein stimmiges Musikprogramm zu machen, das auch noch eine eigene, unverwechselbare Handschrift ausweist, daran arbeitet die SWR3 Musikredaktion jeden Tag. Regelmäßig überprüfen wir unsere selbstgesteckten Kriterien: Passen alle Songs noch zum Klangbild? Werden wir nicht zu dance-lastig? Klingen wir frisch genug? Und so weiter. Aktuell werden die Dance-Tracks häufig nachgefragt. Im Bezug auf Rockmusik ist der aktuelle Markt sehr begrenzt, die Songauswahl sehr eingeschränkt.
Michael Schmich: Täuscht der Eindruck, dass sich die massenattraktiven Programme immer mehr auf aktuelle Musik aus den Charts konzentrieren und weniger Songs aus den älteren Dekaden spielen?
Thomas Jung: Es stimmt schon, dass viele der großen Popwellen in letzter Zeit eine musikalische Frischzellenkur durchgemacht haben. Selbstbewusst muss ich feststellen, dass wir seit Jahren vorne liegen. SWR3 hat ein sehr modernes, aktuelles Klangbild, in der Musik, im Sounddesign. Wir mussten uns also nicht anpassen. Die momentan prägenden Hits sind fast ausschließlich aus dem Dance-Sektor, die DJs sind die großen Popstars. Der Anteil „älterer“ Musik ist bei SWR3-Nutzern aber immer noch beliebt und dementsprechend nur leicht gesunken.
Michael Schmich: Welchen Stellenwert haben neue Musiktitel und Interpreten für SWR3?
Thomas Jung: Neue Songs, neue Künstler sind essenziell für eine modern aufgestellte Popwelle. Allein durch die das ganze Jahr andauernde Suche nach Acts für das „SWR3 New Pop Festival“ ist die Musikredaktion permanent am Aufspüren neuer Acts, neuer Sounds. Unser Ziel ist es, die interessanten Newcomer eines Jahres immer schon früh im Musikprogramm abzubilden. Es ist nicht der Stil von SWR3, abzuwarten, bis andere Sender einen neuen Trend oder Künstler aufgebaut haben, um erst dann auf den Zug aufzuspringen. Wo wir sind ist vorne, wir möchten in unserem Segment die Trendsetter in den Airplay-Charts sein. Gleichwohl möchte ich unterstreichen: wir würden noch mehr Erfolg haben, wenn wir konservativ die Linie „Sure Hit“ fahren würden. Das ist aber nicht der Anspruch von SWR3. Wir möchten neue Musik und junge Talente fördern. Dafür werden wir von unseren Nutzern geliebt.
Michael Schmich: Welche weiteren Programminhalte und Angebote werden heute von den Hörern von einem Radiosender erwartet?
Thomas Jung: Das Wort wird immer wichtiger, dabei steht Relevanz im Zentrum. Hat der Content Neuigkeitswert, Nutzwert, bringt er Nähe? Gute Unterhaltung statt Gelaber ist wichtig, und Interaktion. Die Nutzer wollen auch mitbestimmen, was in ihrem Radio läuft. Nicht im Call-out und damit nachgeordnet sondern von vornherein aktiv. Unsere Nutzer entscheiden mitunter selbst beim Content mit, über Studio-Feedback, WhatsApp, über Facebook usw. Die Marke muss aber auch visuell erlebbar sein. Ob mit Highlights im Visual Radio oder als Bewegtbild auf Drittplattformen. Radio ist längst nicht mehr nur Audio. Deshalb auch die große Bedeutung von Events. Die Marke muss emotional erlebbar sein. Deshalb machen wir auch eine Vielzahl von Veranstaltungen vor Ort. Die Moderatoren spielen on air wie off air dabei eine große Rolle. Denn für unsere Hörer sind sie ihre Tagesbegleiter. Personality ist enorm wichtig und: kein Gelaber.
Michael Schmich: Die Morningshow genießt auch bei SWR3 eine besonders hohe Priorität.
Thomas Jung: Ja, sie ist die wichtigste Show und entscheidet mit über den Erfolg einer Welle auch im Tagesverlauf. Sie ist das Schaufenster eines Programms, musikalisch und inhaltlich. Wenn Sie so wollen die „Seite eins“ eines Programms. Deshalb arbeitet bei SWR3 ein ganzes Team an dieser Show. Erfahrene Aktuell- und Unterhaltungsredakteure, Spezialisten für Bewegtbild und Drittplattformen. Mit den Moderatoren stehen die Hörer auf, sind mit ihnen im Bad, am Frühstückstisch oder im Auto unterwegs zur Arbeit. Nicht jeden lässt man so nah an sich ran. Deshalb müssen gerade am Morgen die Moderatoren gut passen. Jonathan „Jontsch“ Schächter wird ab dem 1. August die SWR3 Morningshow zusammen mit Anneta Politi moderieren. Das Duo präsentiert dann die Morgensendung im vierzehntägigen Wechsel mit Michael Wirbitzky und Sascha Zeus. Mit Jonathan Schächter konnte ich einen profilierten Moderator gewinnen, der seit vielen Jahren erfolgreich ist. Der neue Moderator kommt aus der Schweiz. Nach diversen Anstellungen als Redakteur und Moderator bei TV- und Radiosendern war „Jontsch“ zuletzt bei Radio24, dem größten privaten Radiosender der Schweiz, als Moderator der „Abig-Show“ zu hören.
Michael Schmich: Ist die große Zeit von regelmäßigen Special-Interest-Shows im Radio vorbei?
Thomas Jung: In den Begleitprogrammen ja. In den Einschaltprogrammen haben sie nach wie vor ihre Bedeutung.
Michael Schmich: Das Radio behauptet in Deutschland zwar noch immer seine Position als eines der wichtigsten Medien, allerdings sinkt die Hördauer zuletzt weiter ab. Die klassischen Medien stehen immer stärker in Konkurrenz mit neuen Online-Diensten. Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?
Thomas Jung: Die Medienkonvergenz ins Digitale hinein ist in der Tat eine Herausforderung. Aber wir fahren schon seit Jahren passende Konzepte. Wir verstehen uns längst nicht mehr nur als Radioprogramm – die Marke denkt und handelt digital. Die gesamte Redaktion plant ihre Themen für alle Ausspielwege und wir hören aufmerksam auf die Themen unserer Nutzer: Wir beginnen beispielsweise jede Redaktionskonferenz mit Netztrends. Online ist also schon lange keine Zweitverwertung mehr für uns und wir sehen das auch in den großen Reichweiten. Egal ob bei Facebook, Twitter oder YouTube. Spannende Tests laufen in der PopUnit auch mit Snapchat, wir bohren Visual Radio weiter auf, die Liste ist länger. Nehmen Sie die Fußball-EM als Paradebeispiel: Naturgemäß hören Menschen beim Fernsehen kaum Radio. Dort erreichen wir sie aber über ihre Smartphones auf der Couch, per Second Screen. Ein guter Post zu einer ungerechten Schiedsrichter-Entscheidung kann locker fünf Millionen Menschen erreichen. Oder eine Programmaktion, in der wir gemeinsam mit Johann Lafer ein Halbzeitgericht anbieten, wird von 700.000 Menschen im Netz verfolgt. Unsere Kult-Comedy „Jogi’s Jungs“ haben wir für Facebook weiterentwickelt. Sie ist aktuell, visualisiert und im Netz ein Kracher. Wenn Sie an so einem Abend einfach „nur“ Radio machen, haben Sie den Schuss noch nicht gehört.
Michael Schmich: In welcher Form muss sich der Hörfunk generell aufstellen, um auch weiter erfolgreich genutzt zu werden?
Thomas Jung: Radio muss auch weiterhin das machen, was es am besten kann: Große Bevölkerungsschichten erreichen, informieren, Spaß machen, durch den Tag begleiten. Aber zukünftig wird ein UKW-Sender nicht mehr reichen. Distribution wird im journalistischen Handwerk immer wichtiger: Wie bekommen wir unseren Content schnell, markengerecht und moderner an den Kunden: Das Webradio liefert bei SWR3 heute schon ein Bewegtbild mit. Im Auto werden wir über Apps weiter im Audio Relevant Set der Hörer sein, selbst wenn Autohersteller mal kein Radiogerät mehr einbauen. In der digitalen Welt gibt es in zunehmend kürzer werdenden Abständen neue Ausspielwege, die wir auch immer ausprobieren müssen – manche haben Bestand. Nur wenn wir es schaffen, diese vielfältige Distribution über UKW hinaus zu leisten, habe ich ein gutes Gefühl für die Zukunft. SWR3 hat seine starke Position in den digitalen Medien weiter ausgebaut. Die Popunit gehört Ende 2015 mit fast 400.000 Fans und Followern zu den reichweitenstärksten Social-Media-Angeboten im Südwesten. ähnliches gilt für das Webportal und die Radio-App, die von mehr als 45 Millionen Hörern besucht wurden. Die starken digitalen Präsenzen wurden im Lauf des Jahres durch eine erheblich verbesserte Verzahnung der Radio- und Digitalredaktion weiter gestärkt. Alle Redaktionen planen Themen seither stets für alle Ausspielwege von SWR3. Besonders gestärkt wurde 2015 auch der Bereich des sogenannten Second Screen, also die Fernsehbegleitung durch digitale Medien. So erreichen wir bei der Begleitung populärer Fernsehereignisse wie dem ESC oder dem Tatort auf Social Media immer wieder um 500.000 Nutzer – ein Markt, der dem linearen Hörfunk naturgemäß verschlossen bleibt.
Michael Schmich: Vom 15. Bis 17. September sind Sie wieder Gastgeber der traditionellen „SWR3 New Pop Festivals“. Welche Highlights dürfen wir in diesem Jahr erwarten?
Thomas Jung: Wir werden wieder viele spannende neue Künstler beim „New Pop Festival“ erleben. Die Spanne reicht vom erfrischend zeitlosen Rocksound der Strumbellas aus Kanada über die englische Dance-Diva Jess Glynn bis zu einem DJ Auftritt von Sigala. Er wird Musiker, Sänger und Tänzer in seine Bühnenshow integrieren, wir sind schon sehr gespannt. Das „SWR3 New Pop Festival“ ist ein extrem wichtiger strategischer Baustein im Programm. Wir möchten immer neue Künstler fördern, Karrieren von Anfang an begleiten. Dafür arbeitet die Musikredaktion auch das ganze Jahr an diesem Festival. Vom Entdecken neuer Künstler bis zu dem Moment, an dem sie auf einer unserer Bühnen stehen, ist ein langer, oft sehr steiniger Weg. Die Vertragsgestaltungen werden auch wegen einer zunehmenden internationalen Vermarktung immer komplizierter. Und dennoch gelingt es uns, immer neue spannende Bands zu verpflichten. Die Messlatte liegt hoch und ist jedes Jahr für uns eine große Herausforderung, die uns immer wieder anspornt. Neben der TV-übertragung werden wir 2016 ein neues spannendes Festival Visual Radio anbieten, ein innovatives multimediales Konzept. Das rückt die Promis, Künstler und ihre Konzerte in den Mittelpunkt.
(Bildernachweis: ©SWR/Stefanie Schweigert)