SWR3-Chef Thomas Jung: „Noch mehr Relevanz beim Wort“

SWR3 New Pop Festival LogoWenn die ersten Nebelbänke und sich verfärbende Blätter den nahenden Herbst ankündigen, geht in Baden-Baden traditionell am dritten Septemberwochenende das „SWR3 New Pop Festival“ in seine nächste Runde. In diesem Jahr präsentiert SWR3 die 25. Ausgabe seines Top-Events mit einer Vielzahl außergewöhnlicher Überraschungen.

Peter Stockinger (Bild: Wolf-Peter Steinheißer)
Peter Stockinger (Bild: Wolf-Peter Steinheißer)

Seit 1994 lädt SWR3 – und zuvor noch für einige Jahre SWF3 – zum Stelldichein der hoffnungsvollsten Newcomer eines Musikjahres in die extravaganten Konzertsäle der vornehmen südwestdeutschen Kurstadt. Lediglich in 2001 fiel das Festival wegen der Terroranschläge am 11. September aus, da zahlreiche US-Künstler aus Angst nicht anreisen wollten. Spiritus Rector der Veranstaltung war der damalige SWF3-Programmdirektor Peter Stockinger, der kreativem Musiknachwuchs zu einer Startrampe im Radio verhelfen wollte. Was nicht immer, aber in vielen Fällen sehr erfolgreich gelang. So nutzen Newcomer wie Alanis Morissette, Amy Winehouse, Bruno Mars, Ed Sheeran, Xavier Naidoo, Amy MacDonald, Andreas Bourani, Anastacia, Cro, Imagine Dragons und einige mehr, „New Pop“ als willkommenes Entrée in den deutschen Musikmarkt.

Stockingers Idee erweist sich heute noch für den Sender als Glücksfall: die Veranstaltung zählt bei den Planungen des gastgebenden Südwestrundfunks zu den Höhepunkten im Radiojahr, die verfügbaren rund 20.000 Tickets sind binnen weniger Tage vergriffen und das umfangreiche Rahmenprogramm lockt zusätzlich eine mittlere fünfstellige Besucherzahl nach Baden-Baden.

Im Gespräch mit RADIOSZENE gibt Thomas Jung Auskunft zur diesjährigen Jubiläumsausgabe des „New Pop Festivals“ sowie zu den Veränderungen im SWR3-Programm.


RADIOSZENE: Herr Jung, SWR3 musste bei den letzten MA-Erhebungen einige Hörereinbußen hinnehmen. Trotz eigentlich weiterhin starker Präsenz bei den Webradio-Zahlen. Wie sind diese Verluste zu erklären?

Thomas Jung (Bild: ©SWR)
Thomas Jung (Bild: ©SWR)

Thomas Jung: Wir haben in den letzten drei Jahren innerhalb der SWR3 PopUnit sehr viel Gas im Digitalbereich gegeben, denn wir sehen uns auch als Innovationstreiber für die Produktion crossmedialer, digitaler Inhalte. Wir haben Personal- und Finanzmittel umgeschichtet, die Onlinebereiche von SWR3 und DASDING eng vernetzt, eine Bewegtbildunit geschaffen, die auch die SWR-Zuliefereinheit für funk umfasst. Dies alles zu Lasten des linearen Geschäfts. Lediglich für das Themenfeld „Digitaler Lifestyle & Netztrends“ gab es temporär einen zusätzlichen freien Mitarbeiter, der Vertrag endet Ende September. All diese Maßnahmen hatten Erfolg. Sie brachten nicht nur starke Webradio-Zahlen, auf den Drittplattformen sind wir sehr gut unterwegs, die eigene Seite ist nach wie vor erfolgreich, mit MaiLab beispielsweise verantworten wir ein erfolgreiches, preisgekröntes Funk-Format. Die Podcasts und Bewegtbild-Ideen der PopUnit  laufen sehr gut. Wir entwickeln, probieren aus … erst für uns und bei Erfolg mit roll out für den ganzen SWR.

 

„Wir haben in den letzten drei Jahren innerhalb der SWR3 PopUnit sehr viel Gas im Digitalbereich gegeben“

 

RADIOSZENE: Wie weit sind die aktuellen Ergebnisse der ma 2019 Audio II überhaupt mit den vorherigen Erhebungen vergleichbar? Aktuell wurden ja erneut die Kriterien verändert ….

Thomas Jung: Nicht nur Kriterien wurden verändert, die MA wurde auch neu gewichtet. Ihre Ergebnisse sind daher nur bedingt mit der vorherigen Erhebung vergleichbar. Dennoch ist es für uns ein Warnschuss. Ich gehöre nicht zu den Branchenvertretern, die in guten Zeiten das Abschneiden feiern und bei schlechten Ergebnissen das Instrument massiv anzweifeln. Unsere Medienforschung ist derzeit dabei, das Material so aufzubereiten, dass wir zügig weitere Entscheidungen treffen  können.

SWR3 Topthema

RADIOSZENE: Welche Schlüsse ziehen Sie aus den vorliegenden Zahlen für Ihr Programm?

Thomas Jung: Erste Schritte der Optimierung werden bereits umgesetzt, Stichworte: noch mehr Relevanz beim Wort. Wir denken über neue Comedyserien nach. Und der Wort/Musik-Anteil wird nachjustiert. Hier war etwas aus dem Ruder gelaufen. Dies ist aber nur der Anfang, weitere Maßnahmen werden folgen. Die möchte ich aber erst mit dem Team besprechen, das werden Sie verstehen.

RADIOSZENE: Allgemein hält der Trend in Richtung der „Neuen Lust zum Hören“ an. Die Zugriffzahlen bei Mediatheken und Podcasts steigen kontinuierlich. Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?

Thomas Jung: Dies hängt sehr stark mit dem Wunsch nach zeitsouveräner Nutzung von Inhalten zusammen. Im Bewegtbildbereich noch viel stärker als beim Audio. Podcasts werden ja gerade dann stark genutzt, wenn der Radiokonsum eh überschaubar ist, nämlich nach der 19.00 Uhr-Grenze. Und auch für dieses Genre haben wir starke Produkte am Start, wie „Die größten Hits und ihre Geschichte“.

RADIOSZENE: Ist beispielsweise auch der Ausbau von Storytelling eine Alternative?

Thomas Jung: Storytelling ja, die Menschen im Hirn u n d im Herzen erreichen. Aber bitte nicht jeden take im Radio bis ins letzte Detail orchestriert oder gescripted. Das erinnert mich an den Formatradio-Wahnsinn, wo es jenseits der strikten Leitplanken nichts mehr geben durfte.

ARD Mediathek (Bild: ©WDR/Annika Fußwinkel)
ARD Mediathek (Bild: ©WDR/Annika Fußwinkel)

Die „neue Lust am Hören“ stimmt mich optimistisch, was beispielsweise die ARD Audiothek betrifft und vor allem auch ein gut gemachtes Radioprogramm mit all seinen Ausspielwegen und digitalen Zusatzangeboten. Eine starke Marke, deren Inhalt der Nutzer mitgestalten kann und die für ihn erlebbar ist. Dort, wo er sich aufhält. Radio für tot zu erklären, heißt auch, alle Produkte für tot zu erklären, die von dieser Radio-Marke als Absender kommen. Denn neben dem uniquen Inhalt bringt nur die starke Marke das Produkt zum Erfolg. Radio ist meines Erachtens keinesfalls dem Tod geweiht. Auch das belegt die jüngste MA oder – mit dem Blick auf das Nachbarland – die letzte MA in Österreich: Modernes Radio im Aufschwung!

 

„Die Menschen erwarten noch stärker als früher, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnen“

 

RADIOSZENE: Müssen sich „das Radio“ allgemein und SWR3 im Besonderen bei der redaktionellen Themengewichtung und möglicherweise auch in der Art der Präsentation verändern? Sollte das Medium, wie die erfolgreichen Beispiele von Deutschlandfunk und den Inforadios zeigen, vielleicht noch journalistischer, ernsthafter werden?

Thomas Jung: Ich sagte schon, es geht um die Relevanz beim Wort, zu lange Interviews und Beiträge, unwichtige Themen. All dies nimmt der Hörer übel und die Toleranzschwelle liegt niedriger als früher. Die Menschen erwarten noch stärker als früher, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnen. Vor allem Männer sind schnell weg. Aktuellen Themen, Service-Geschichten, die für unsere Hörerinnen und Hörer interessant sind, werden wir noch mehr Raum geben. Auch in Reports und Schwerpunkttagen, die beim Hörer super ankommen. Direkt nach New Pop haben wir einen zum Thema Erste Hilfe gesetzt. Aber: wir sind keine Infowelle und auch kein Deutschlandradio, kein Einschaltprogramm sondern ein Begleitmedium. Wir sind SWR3 und arbeiten hart, um unsere Kunden zu begeistern. Mit Info, mit Service aber auch mit guter Unterhaltung.

SWR3 Comedy (Bild: ©SWR)
SWR3 Comedy (Bild: ©SWR)

Das gilt auch für Gags. Nicht jeder zündet. Und auch hier ist die Toleranzschwelle massiv gesunken. Mit ein Grund: das Überangebot im Netz, Spaß und Humor ohne Ende. Dünne Pointen verbieten sich heute, wir sind nicht Radio Gaga. Deshalb  die klare Ansage: in doubt let out!

RADIOSZENE: Beliebte Moderatoren im Radio nähern sich unweigerlich der Altersgrenze oder sind – wie Ihre im letzten Jahr überraschend verstorbene Moderatorin Stefanie Tücking – plötzlich nicht mehr on air. Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?

Thomas Jung: Wie in vielen Branchen ist es mittlerweile selbst für SWR3 schwer, gutes Personal zu finden. Wir haben Ausschreibungen draußen, wo uns bei Gesprächen nicht eine Kandidatin oder ein Kandidat überzeugt. Die Bewerber kommen nicht mal in eine zweite Runde. Vielen fehlt der Tiefgang, die Leidenschaft, die  Auseinandersetzung mit der DNA von SWR3. Den Satz „irgendwas mit Medien“ kann ich nicht mehr hören. Bei den Moderatorinnen und Moderatoren haben wir keine Not. Im ersten Halbjahr sind drei sehr gute SWR3-Frauen in Regelsendungen eingestiegen, Sabrina Kemmer, Manuela Rid und Simone Sarnow. Mit dem Jungen Programm DASDING hat die SWR3 PopUnit überdies eine tolle Basis, um Talente und Persönlichkeiten zu entdecken. Bei SWR3 werden sie dann weiter intensiv gecoached und betreut und mit den guidelines vertraut gemacht. Constantin Zöller ist so beispielsweise zu uns gekommen, ein fleißiger, kreativer Kopf. Bei SWR3 arbeiten nicht einfach Moderatoren – es sind SWR3 Moderatoren, die wissen, was wir wollen und sich dennoch entfalten können.

Die SWR3-Morningshow-Stars Sascha Zeus (li.) und Michael Wirbitzky (re.) (Bild: ©SWR/Klaus Mellenthin)
Die SWR3-Morningshow-Stars Sascha Zeus (li.) und Michael Wirbitzky (re.)
(Bild: ©SWR/Klaus Mellenthin)

RADIOSZENE: Wird das Radio auch künftig Moderatoren mit außergewöhnlich hoher Strahlkraft hervorbringen?

Thomas Jung: Audio-Content versuchen viele, gerade in den digitalen Angeboten. Starke Moderatoren sind das A und O des Radios. Und diese Persönlichkeiten als Tagesbegleiter grenzen das Live-Radio von Spotify, Apple Music oder Amazon ab. Sie sind gute Freunde, immer für die Hörer da. Sie vermitteln Emotionen, Empathie, sie informieren, haben Haltung. Man kann mit ihnen lachen oder sich an ihnen reiben. Wir müssen Moderatoren mit Strahlkraft und Personalities hervorbringen.

 

„Ob die Radio-Personalisierung vollumfänglich kommen und angenommen  wird, bleibt abzuwarten. Der Nutzer muss dafür im Vergleich zu heute ziemlich viel tun

 

RADIOSZENE: Einige Privatprogramme der RTL-Gruppe experimentieren bereits mit personalisiertem Radio, geben den Hörern die Möglichkeit die Musik – und möglicherweise irgendwann auch weitere Programminhalte – frei zu wählen. Viele Privatsender haben zuletzt die Vielfalt ihrer Sub-Marken im Internet massiv erhöht. Der Hörer wird immer mehr zum Souverän. Sind dies Entwicklungen, die Auswirkungen auf künftige Hörgewohnheiten haben? Haben Sie Ihrerseits Instrumente hier gleichzuziehen?

Thomas Jung: Wir haben in der Kulturdirektion ein Inno-Lab, wo Experten zusammen mit uns am Radio der Zukunft arbeiten. Entwickelt und getestet werden völlig unterschiedliche Ansätze. Von Tools wie dem SWR3-Elchbot, über echtes Vor- und Zurückspulen im Radioprogramm – und nicht nur dem Skippen in ein oder zwei vordefinierte Songs. Über Algorithmen, die den Musikgeschmack des Hörers erkennen und ihm konkret „seine Musik“ vorschlagen, über „News, Comedy, Beiträge zum Nachhören“. Und weitere Ideen, auch in der engen Zusammenarbeit mit dem Innovationsbereich des SWR Fernsehens, die ich aber erst zu gegebener Zeit auf den Markt tragen möchte. Ob die Radio-Personalisierung vollumfänglich kommt und angenommen  wird, bleibt abzuwarten. Der Nutzer muss dafür im Vergleich zu heute ziemlich viel tun. Die Durchschlagkraft des Radios bewirkt seit jeher vor allem eines: auf haptischen oder virtuellen Knopfdruck ist das volle Set am Start, Radio war und ist bis heute einfach!

SWR3 Nr1 logo

Was die Sub-Marken im Netz betrifft, ist das sicherlich ein spannendes Feld. Wenn auch einige Anbieter ihr XXL-Portfolio schon wieder zurückfahren. Den öffentlich-rechtlichen Wellen sind hier weitgehend die Hände gebunden. SWR3 oder DASDING dürfen keine weiteren Submarken, Channels und so weiter aufbauen. Das sind die Schranken des Telemediengesetzes.

RADIOSZENE: Zuletzt hat sich die Bedeutung von Musikstreaming für die Musikschaffenden weiter erhöht. Sehen Sie hier bereits Abwanderungstendenzen Ihrer Hörer in Richtung Spotify & Co.?

Thomas Jung: Abwanderung? Nein! Das sind Libraries und keine lebendigen 24/7-Radios. Hörzeit, Hörverweildauer werden noch etwas zurückgehen, klar. Wer Musik oder Podcasts hört, kann nicht noch Radio konsumieren.  Deshalb – kleiner Einschub – engagieren wir uns ja auch mit unseren Inhalten und Marken bei der ARD Audiothek, die rasantes Wachstum verzeichnet.

Musik wurde in Konkurrenz zu Radio schon immer gehört. Nur ist jetzt weitgehend alles zugänglich, entweder per Flat oder man duldet Werbung. Das ist doch logisch, dass die Menschen so mehr konsumieren und weniger Zeit dem Radio widmen. Dieser Trend wird zunehmen, wenn das mobile Internet in Deutschland flächendeckend und günstig zu haben ist.  Aber Radio ist eben mehr als eine Library. Zwar hat Spotify angekündigt, die Radios platt zu machen. Doch dazu gehört mehr, als Musik und Audios anzubieten.

SWR3 Playlists bei Spotify (Bild: ©Spotify/SWR)
SWR3 Playlists bei Spotify (Bild: ©Spotify/SWR)

Wir sind ständig am Ausprobieren, wie wir im Umkehrschluss diese Plattformen für uns sinnvoll nutzen können. Als Marketinginstrumente, indem wir Inhalte und Listen nachhaltig gebrandet auch dort anbieten. Mehr wäre denkbar, auch daran arbeiten wir.

Klar setzt die Musikindustrie auf die Streamingdienste. Dazu kann ich aber nur sagen: immer noch entdeckt nahezu jeder Zweite neue Musik im Radio. Das Radio hat hier seine popkulturelle Bedeutung nicht verloren. Es ist kurzsichtig von den Musikschaffenden, so blind auf die Streamingdienste zu setzen oder sich ihnen nahezu auszuliefern. Machen Spotify und Apple Music bald die Plattenfirmen überflüssig? Track-Business können die auch, schneller und wendiger …

 

„Es ist kurzsichtig von den Musikschaffenden, so blind auf die Streamingdienste zu setzen oder sich ihnen nahezu auszuliefern“

 

RADIOSZENE: Der Musikmarkt bietet zwar aktuell eine riesige Zahl an neuen Songs und Künstlern, gleichwohl fehlt es an Nachhaltigkeit. Nur wenige Pop- und Rockkünstler schaffen es heute auch über das zweite oder dritte Album hinweg sich als feste Grüße zu etablieren. Wie etwa Adele oder Ed Sheeran. Die Zahl der One-Hit-Wonder steigt. Und die „Offiziellen Charts“ verlieren in der jetzigen Form für das Radio immer weiter an Bedeutung. Gehen so dem Radio für ihre Back-Rotationen nicht irgendwann die jedermann bekannten Interpreten und Top-Hits aus?

Thomas Jung: Generell bin ich kein Freund davon, dass viele Labels jetzt auf das Track-Business setzen und das klassische Artist-Development vernachlässigen. Hieran kann man auch ganz gut erkennen, wie das Verhältnis Liebe zur Musik und Liebe zum Umsatz gewichtet wird. Es ist ja absurd, wenn uns in einem Jahr von einem Label ein Künstler fürs „SWR3 New Pop Festival“ angeboten wird, mit dem es einen Vertrag über EINEN Song gibt und der dann im folgenden Jahr von einem anderen Label angeboten wird. Ich glaube auch, dass es für die Streamingdienste von Interesse sein könnte, wenn die Labels nicht nur auf Singletrack-Basis signen, sondern Albumkünstler aufbauen. Auch die Streamingdienste brauchen eine Nachhaltigkeit – für die Künstler und natürlich auch für sich selbst. Davon abgesehen müssen wir mal ehrlich sein und uns anschauen, wie viele Künstler es über Jahre und Jahrzehnte hinweg geschafft haben, erfolgreiche Alben zu veröffentlichen und wie viele Songs auch heute im Radio laufen, die von sogenannten One-Hit-Wondern produziert und gesungen wurden. Das Entscheidende ist, hier eine gute Mischung für ein Radioprogramm hinzukriegen und das gelingt der Musikredaktion von SWR3 jeden Tag auf höchstem Niveau. Das attestieren uns die Hörer genau so wie angesehene Fachleute.

The Faim beim SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Jonathan Weiner)
The Faim beim SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Jonathan Weiner)

RADIOSZENE: Wie stark wird die SWR3 Musik durch aktuelle Musiktest oder Charts beeinflusst? Gibt es so etwas wie ein stabiles musikalisches Gerüst mit festen Genres, das – anders als bei den reinen Hitradios – unabhängig von den Veränderungen im kurzlebigen Zeitgeist der Hitparaden gesendet wird?

Thomas Jung: Wir haben bei SWR3 ein über Jahre mit viel Liebe und Akribie entwickeltes Musikprogramm aufgebaut, das immer wieder überprüft und – wo möglich – optimiert wird. Daneben spielen weitere Faktoren wie die diversen Charts (wobei die Verkaufscharts für uns fast die geringste Rolle spielen) und natürlich unsere Call-Outs eine Rolle bei der Auswahl der Musikgestaltung. Wir werden nicht nervös, wenn ein Titel mal schlecht testet, wenn er das dreimal hintereinander macht, dann ist das natürlich ein Signal. Spannend finde ich auch, dass es Radiosender gibt, die Songs VOR dem Airplay testen. Das ist natürlich Unsinn. Jeder unbekannte Song kommt bei den Befragten schlechter weg, als bekannte Hits. Deshalb gibt unsere Musikredaktion Songs erst in den Call-Out, wenn sie in einer veritablen Anzahl im Programm gelaufen sind und eine Chance haben, nicht sofort von den Befragten abgelehnt zu werden. Und ansonsten ist das Wichtigste halt nach wie vor die Expertise und ja, auch das Bauchgefühl der Musikredaktion. Wir waren bei der Entstehung von so vielen Hits beteiligt – das schafft man nur, wenn man auch mal Chuzpe hat und eben nicht nur Hits spielt, sondern sich auch aktiv daran beteiligt, sie zu machen.

 

„Wir waren bei der Entstehung von so vielen Hits beteiligt – das schafft man nur, wenn man auch mal Chuzpe hat und eben nicht nur Hits spielt, sondern sich auch aktiv daran beteiligt, sie zu machen“

 

RADIOSZENE: Vom 12. bis 14. September feiert Ihr Premium Event „New Pop Festival“ in Baden-Baden mit der 25. Ausgabe ein ganz besonderes Jubiläum. Sicherlich mit vielen Highlights und Überraschungen. Auf welche außergewöhnliche Augenblicke dürfen sich in diesem Jahr Konzertbesucher, Gäste und Hörer freuen?

Thomas Jung: 25 Jahre „New Pop“ – das ist unglaublich. Was für eine Erfolgsgeschichte und die wollen wir dieses Jahr noch erlebbarer machen. Neben den fast schon traditionellen Dingen wie den Partynächten, der Livebühne am Kurpark, der Übertragung der Konzerte auf die Videowall in der Kurmuschel, der Selfie-Area, dem roten Teppich und so weiter, haben wir in diesem Jahr natürlich ein paar weitere Highlights gesetzt. Als Pre-Opening des Festivals gibt es dieses Jahr im Casino Baden-Baden eine Casino-Session mit der großartigen Emeli Sandé. Zum Abschluss des Festivals gibt es ein exklusives Konzert von Tim Bendzko im Theater, wo vor acht Jahren seine „New Pop“-Karriere begann. Besonders freue ich mich auf die Ausstellung zu 25 Jahre New Pop in der Trinkhalle – ich möchte nicht zu viel verraten, aber ich bin mir sicher, dass das ein audiovisuelles Erlebnis wird.

SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Paul Gärtner)
SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Paul Gärtner)

Schon für die Eröffnung des Festivals konnte ich einen Überraschungsgast gewinnen, der das Kurhaus zum Toben bringen wird. Im Special werden nicht nur die Fantastischen Vier mit dem Pioneer of Pop ausgezeichnet. Es wird außerdem eine Legende im Festspielhaus sein, die für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wird. Monatelang haben wir an dieser Idee gearbeitet Und kein Besucher soll sich wundern, wenn es über ihm mal kurzfristig dunkel wird. Die ZF Friedrichshafen kommt mit einem 75 Meter langen SWR3 gebrandeten Luftschiff, das über der Stadt kreuzen wird. Damit schließt sich ein historischer Bogen: Graf Zeppelin ist Ehrenbürger von Baden-Baden, auf seinem Transatlantikweg landete der Zeppelin früher in Baden-Oos zwischen. Ich persönlich freue mich besonders auf ein Geschenk, das die Stadt Baden-Baden SWR3 machen möchte. Für alle Fans erlebbar. Mehr dazu Mitte September …

Nicht vergessen möchte ich natürlich die Einzelkonzerte. Wir haben aus der Veranstalterbranche Glückwünsche zum diesjährigen Line-Up bekommen: „besser geht es nicht“, das freut uns sehr. Das lässt sich übrigens auch an der Kartennachfrage ablesen – es war die zweithöchste Nachfrage seit Bestehen des Festivals, alle Konzerte sind ausverkauft.

RADIOSZENE: Bereits im Vorfeld haben Sie das diesjährige „New Pop“ als „Festival for future“ mit einem betont ökologischen Schwerpunkt ausgerufen. Wie setzen Sie diese ambitionierte Ankündigung in der Praxis um?

Thomas Jung: Wir haben immer gesagt: wenn wir ein „green Festival“ im Jubiläumsjahr beginnen, müssen wir auch in den Folgejahren daran gemessen werden können. Einmal nachhaltig, immer nachhaltig. Deshalb haben wir uns realistische erreichbare Ziele gesetzt und keine, die mal schnell für Schlagzeilen gut sind, der Umwelt aber nicht helfen.

SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Niko Neithardt)
SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Niko Neithardt)

Wir haben versucht, wirklich jeden Bereich beim Festival zu berücksichtigen, das geht schon los bei der Anreise. So wird in diesem Jahr  ein besonderes Bahnticket angeboten: für 25 Euro können Besucher aus ganz Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland mit der Regionalbahn zum „SWR3 New Pop Festival“ an- und abreisen – unabhängig davon, ob sie Eintrittskarten für die einzelnen Konzerte haben oder ob sie einfach das besondere Flair des „SWR3 New Pop Festivals“ und dessen zahlreiche kostenfreie Angebote genießen wollen. Neben den zur Verfügung stehenden öffentlichen Verkehrsmitteln und Shuttlebussen, die für Karteninhaber kostenfrei nutzbar sind, gibt es auch in diesem Jahr wieder Parkhäuser außerhalb der Innenstadt, die als Sammelpunkte für die Shuttlebusse dienen. Auch innerhalb der Produktion wird es Veränderungen geben. Hierzu hat die Produktionsleitung bereits Monate im Voraus mit den Dienstleistern eine Planung erstellt, um unnötige Leerfahrten, lange Anlieferungswege und unkoordinierte Mehrfachfahrten zu vermeiden. Reporter werden mit E-Bikes ausgestattet. Für die Künstler-Shuttles stellt Mitveranstalter Audi ausschließlich vollständig elektrisch betriebene Fahrzeuge zur Verfügung. Der Stromverbrauch des „SWR3 New Pop Festivals“ wird vollständig mithilfe von Wasserkraft gedeckt – ohne klimaschädliche CO2-Emissionen. Zusätzlich werden bei den Konzerten nahezu ausschließlich LED-Scheinwerfer eingesetzt. Die Müllproduktion soll insgesamt möglichst geringgehalten werden. Bereits im Vorfeld sind Produktion und Dienstleister angehalten, potentiellen Verpackungsmüll zu vermeiden. Bei den eingesetzten Materialien wird das Team im Einzelfall abwägen, ob es umweltfreundlicher ist, Produkte aus Recycling-Materialien anzuschaffen oder bereits bestehende Gegenstände zu verwenden – wie beispielsweise PVC-Banner, die erst nach ihrer Lebensdauer der thermischen Verwertung zugeführt werden. Neue Banner werden ausschließlich aus recycelten und recycelbaren Materialien produziert. Für die Mülltrennung während des Festivals stehen gesonderte Mülltonnen zur Verfügung. Den entstandenen Biomüll können die Entsorgungsbetriebe Baden-Baden mithilfe einer speziellen Anlage in Aktivkohlefilter verwandeln. Auch der rote Teppich, mittlerweile fester Bestandteil des Festivals, wird umweltfreundlich recycelt und einem Wiederverwertungskreislauf zugeführt. Beim Catering sind die Dienstleister angehalten, Speisen möglichst ohne Verpackung anzubieten – soweit dies möglich ist. Das Essenangebot soll 2019 durch vegetarische und vegane Varianten ergänzt werden.

 

„Das ‚SWR3 New Pop Festival‘ ist vor allem eine multimediale Marke geworden“

 

RADIOSZENE: Ihr Vor-Vorgänger Peter Stockinger hatte das Festival 1994 mit großem Weitblick ins Leben gerufen. Eine Art deutsches Montreux-Festival sollte es werden. Primäre Ziele waren die Förderung junger Musiktalente durch eine nachhaltige Präsenz im Radio, aber auch die gedankliche Verankerung der Popwelle als Musik-kompetentes Medium. In der Tat werden beide Ziele offenbar noch immer erfüllt. Welche weiteren Nutzen ziehen Sie heute aus der Veranstaltung?

Thomas Jung: „SWR3 New Pop“ ist aus dem internationalen Festivalkalender nicht mehr wegzudenken.  Für Top-Musik-Agenten wie Jon Ollier – der Agent von Ed Sheeran, Anne-Marie, Matt Simons, Lauv und vielen anderen Stars – ist die Veranstaltung eine feste Größe, wenn sie erfolgversprechende Nachwuchskünstler am Start haben. Das Festival ist vor allem eine multimediale Marke geworden. Kein relevanter Ausspielweg, den wir nicht nutzen. Radio, DAB+ Eventkanal, Video-Livestream, SWR Fernsehen, DASERSTE, 3SAT, YouTube, Facebook, Instagram und so weiter. Rund  50.000 Menschen können in Baden-Baden dabei sein, Millionen zuhause oder unterwegs, live oder zeitsouverän.

Wir probieren bei „New Pop“ auch immer wieder neue Tools für die  Übertragung,  die Berichterstattung und für das Eventing aus.  Insofern ist die Veranstaltung für uns auch ein jährlich wiederkehrendes Labor.

RADIOSZENE: Welches waren für Sie persönlich – positiv wie negativ – die ganz besonderen Highlights  der zurückliegenden „New Pop“-Veranstaltungen?

Thomas Jung: In bleibender Erinnerung ist der Auftritt von Robert Francis. Ihm wohl auch, denn an dem Tag hatte er Geburtstag. Kurz vor der Show bekam Robert seine Hotelzimmertür nicht mehr auf. Eine Brandschutz-Spezialtür. Das Zimmer lag in einem oberen Stockwerk. Wir waren kurz davor, die Feuerwehr mit Drehleiter zu rufen. Doch dann kam der Hotel-Manager mit einem Feuerlöscher und rammte die Tür auf. Der Künstler rannte zum TV-Live-Auftritt vom Hotel bis ins Kurhaus und wurde mit tosendem Applaus und einem „Happy Birthday“ empfangen. Den 2.000 Fans hatten wir quasi wie in einer Live-Reportage erzählt, was sich nebenan im Hotel abspielte.

Dermot Kennedy beim SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Universal)
Dermot Kennedy beim SWR3 New Pop Festival (Bild: ©SWR/Universal)

Wir hatten aber auch ein paar Künstler hier – Newcomer genauso, wie große Namen – wo wir froh waren, als wir die Rücklichter der Nightliner sahen: aufgeblasen, borniert, voller Ansprüche, Änderungen in letzter Minute, Absagen von Interviews. Immer wenn französische Plattenfirmen involviert waren, hatten wir einen Kampf um Rechte bis zur letzten Minute. Bei Louane beispielsweise gab es einen Riesen-Zirkus, weil das Management überraschend keine Bewegtbildproduktion akzeptierte. Wir stoppten in diesem Moment jedwede mediale Verbreitung des Auftritts und nahmen die Künstlerin für mehr als ein Jahr aus der Rotation.

Unvergessen auch der Auftritt von Hurts. Bei der Generalprobe etwa zwei Stunden vor der Show riss sich der Drummer von Hurts die Daumensehne. Er hatte furchtbare Schmerzen. Der Notarzt gab ihm alles was gut und teuer war, nur damit er diesen Gig noch spielen konnte. Der Drummer kam mit einem sehr entspannten Gesichtsausdruck, der Drum-Stick war ihm gewissermaßen an die Hand angegipst worden. Dennoch: nach 45 Minuten Konzert war dann aber Ende, die Schmerzmittel wirkten schon seit zehn Minuten nicht mehr. Mit Tränen kam der Drummer von der Bühne. Die Band kam dann später nochmal für ein hautnah-Konzert und bis heute sind wir mit den Jungs freundschaftlich verbunden.