Im Laufe des Jahres 2016 wird es endlich so weit sein: Auch im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein beginnt das Zeitalter des kommerziellen Lokalfunks. Unser Mitarbeiter Hendrik Leuker hat einen Teil der maßgeblichen Akteure getroffen: Direktor Thomas Fuchs (50) mit Simone Bielfeld, Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, bei der Medienanstalt Hamburg-Schleswig-Holstein (MA HSH), der zuständigen Landesmedienanstalt, in Norderstedt sowie Geschäftsführer Stefan Hartmann (52) vom Syltfunk auf Sylt.
Grundlagen, Entstehung und Umfeld des Lokalfunks
Die gesetzliche Grundlage für den künftigen Lokalfunk in Schleswig-Holstein stellt §28a des Medienstaatsvertrags Hamburg/Schleswig-Holstein dar. Darin sind in Schleswig-Holstein fünf Versorgungsgebiete ausgeschrieben für lokalen Hörfunk, davon zwei für kommerziellen Lokalfunk:
Zum einen der zweitgrößte Ballungsraum Schleswig- Holsteins in der Region Lübeck, Bad Schwartau, Ratzeburg und Krummesse, in dem 280.000 Personen potentiell erreicht werden können, und damit gerade die kritische Größe, um wirtschaftlich kommerziellen Lokalfunk betreiben zu können. Branchenintern wird die Wirtschaftlichkeit kommerziellen Lokalfunks bei 300.000 erreichbaren Personen vermutet. Zum anderen das Verbreitungsgebiet Sylt, Niebüll, Leck und Bredstedt, welches also die Insel Sylt und das angrenzende nordfriesische Festland umfasst, und bereits eine Ausnahme von obiger Regel darstellt: „Im Verbreitungsgebiet Sylt, Niebüll, Leck und Bredstedt wird eine Anzahl von annähernd 300.000 potentiellen Hörern nicht erreicht, dafür sind aber Sonderfaktoren zu berücksichtigen, die begünstigend für dieses Verbreitungsgebiet sind. So dürften sich in der Urlaubsregion Sylt mit Blick auf die Tourismuswirtschaft, einer Vielzahl von sportlichen und gesellschaftlichen Events sowie einem überdurchschnittlichen Werbemarkt weitere Erlösquellen erschließen lassen“, erläutert Bielfeld.
Ein weiteres mögliches Verbreitungsgebiet, der Großraum Kiel, fand aus Rücksicht auf bestehende Strukturen keine Berücksichtigung. Ebenso wie die übrigen Gebiete wurde auch das Versorgungsgebiet Flensburg, Glücksburg und Tastrup, für das es schon im Vorwege kommerzielle Interessenten gegeben hatte, durch die MA HSH gutachterlich untersucht: Das Versorgungsgebiet erwies sich als zu klein, da nur 100.000 Personen potentiell mit kommerziellen Lokalfunk erreicht worden wären.
Bei der Erteilung der Sendelizenz kamen auch die Interessen der friesischen und dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein zur Sprache: „Syltfunk hat Programminhalte für die friesische Minderheit zugesichert. Es gibt aber keine Auflagen bezüglich ihres Anteils am Gesamtprogramm. Wir werden den Veranstalter an seinen Worten messen!“, versichert Direktor Fuchs.
Lokale Angebote gibt es in Form des Bürgerfunks bereits: In Kiel und Flensburg gibt es offene Kanäle im Fernsehen sowie in Heide, Kiel und Lübeck offene Kanäle im Hörfunk. „In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Offene Kanal Westküste auf der Insel Föhr ein friesisches Fenster ausstrahlt“, ergänzt Direktor Fuchs. Kommerziellen Lokalfunk grenzt er folgendermaßen von Bürgermedien ab: „Offene Kanäle produzieren zwar auch lokale Inhalte, verfügen aber über keine feststehende inhaltliche und programmliche Struktur. Stattdessen sind sie offen für alle Bürger, die auf Sendung gehen möchten.“
Die Veranstaltung kommerziellen Lokalfunks wurde im schleswig-holsteinischen Landtag gegen den Widerstand eines Veranstalters dreier landesweiter Privatfunkprogramme aus Kiel mit dessen politischer Unterstützung durch die Opposition von den Regierungsfraktionen durchgesetzt. Im Laufe des Entscheidungsfindungsprozesses wurden die möglichen Standorte auf zwei reduziert. „Dies ist das Ergebnis der umfangreichen Diskussion im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens. An ihrem Ende wurde Kiel als Verbreitungsgebiet für Lokalfunk aufgegeben.“, erläutert Direktor Fuchs. Kiel ist Sitz der REGIOCAST, die drei landesweite private Rundfunksender betreibt („Funkhaus-Modell“). Des Weiteren betreibt der landesweite Anbieter R.SH ein werktägliches Fensterprogramm von 10-14 Uhr (Mo-Fr) auf der Insel Sylt mit dem ehemaligen Morgenmoderator Carsten Köthe (RADIOSZENE berichtete). „Dieses Fensterprogramm ist von der Lizenz gedeckt. Aufgabe von Privatfunk ist es auch, lokale Angebote zu schaffen. Insgesamt stellt dieses eine zulässige Reaktion auf einen entstehenden Mitbewerber dar.“, erklärt Direktor Fuchs.
Die Landesmedienanstalt hält einen Sendestart im Frühjahr 2016 von Syltfunk, der für die Insel Sylt und das angrenzende nordfriesische Festland am 08.07.15 die Lizenz zuerteilt bekam, für möglich. „Der Sendebeginn ist hier von der Koordinierung der Frequenz durch die Bundesnetzagentur abhängig.“, so Direktor Fuchs. In einer Lizenz werden nach neuer Rechtslage nur noch Versorgungsgebiete festgelegt. Der Veranstalter muss sich um eine freie Frequenz selbst bemühen. Die Lizenzerteilung, ein Verwaltungsakt, ist im Falle des Syltfunk noch nicht bestandskräftig, da die REGIOCAST, die das Funkhaus Wittland betreibt, dagegen Widerspruch eingelegt und (wohl) eine Klage vorbereitet hat, was aber keine aufschiebende Wirkung mit sich bringt (dem Sendestart an sich nicht entgegensteht). Im Bewerbungsverfahren für das andere Versorgungsgebiet, den Großraum Lübeck, Ratzeburg, Bad Schwartau und Krummesse, erhielt am 14.10.15 Antenne Lübeck den Zuschlag. Gesellschafter von Antenne Lübeck sind zu 60 % die Fred Dohmen Medien GmbH und zu 40 % die moggimedia GmbH. Auch hier wird der Sendestart für Frühjahr 2016 anvisiert.
Vorbereitung auf den Sendestart am Beispiel Syltfunk
Am 08.07.15 wurde von der Medienanstalt Hamburg/ Schleswig-Holstein der erfolgreiche Bewerber für die Lizenz, kommerziellen Lokalfunk auf UKW für die Insel Sylt und das angrenzende nordfriesische Festland an der Westküste zu veranstalten, bekanntgegeben: Die Auswahl fiel auf den Syltfunk, auf friesisch Söl´ring Radio. Damit setzte sich der Sender aus Sylt-Tinnum gegen den von Einigen favorisierten Mitbewerber Antenne Sylt durch. Seit 2008 ist Syltfunk bereits als Hörfunkvollprogramm durch die MA HSH zugelassen. Um eine freie UKW- Frequenz muss man sich seitens des Senders selbst bemühen, was den Sendestart auf das Jahr 2016 hinauszögert. Einen Termin für den Sendestart wollte man mir beim Syltfunk nicht bestätigen: „Die Frequenz steht noch nicht fest. Es läuft derzeit eine Abstimmung mit Dänemark und der nationalen Koordination. Die Vorbereitungen zum Sendestart laufen“, erklärt Geschäftsführer Hartmann, warum Syltfunk noch nicht auf Sendung ist. In technischer Hinsicht bei den Radio-Sendeleitungen arbeitet Syltfunk mit dem Telekommunikationsunternehmen Divicon aus Leipzig zusammen.
Mit dem bei der Ausschreibung unterlegenen Mitbewerber Antenne Sylt kooperiert man von Seiten des Syltfunk nicht: „Wir wissen nichts über den Mitbewerber. Im Zuge der Lizenzerteilung hat es ein Verständigungsgespräch gegeben. Kooperationsangebote wurden damals ausgeschlagen. Seither haben wir auch keinen Kontakt mehr zueinander“, entgegnet Hartmann.
Hauptgesellschafter des inhabergeführten Unternehmens Syltfunk sind Stefan Hartmann und Günther Drossart. Beide sind erfahrene Radioprofis. Hartmann war zuvor Radioredakteur sowohl bei öffentlich-rechtlichen (WDR/NDR) als auch bei privaten (radio ffn/Radio Brocken) Sendern; Drossart war Gründungsgeschäftsführer von ffn und des Vermarktungsdienstes der Privatsender RMS (Radio Marketing Services). Ein Printmedium steht nicht im Hintergrund. Obwohl man mit dem Vollprogramm noch nicht on air ist – derzeit läuft ein gefälliger AC-Mix mit Titeln abseits des Mainstreams im Internet unterbrochen von stündlichen Nachrichten – steht schon grob skizziert fest, was es im Programm geben wird:
Von 6-12 Uhr wird Syltfunk ein ausführliches Morgenmagazin senden: „Eigentlich drei Morgensendungen in einer. Es werden früh morgens die Arbeitnehmer vom Festland und die Pendler angesprochen, danach die arbeitende Bevölkerung auf der Insel und schließlich unsere Gäste und Touristen.“, wirft Hartmann einen Blick auf das zukünftige Programm. Von 12-13 Uhr läuft ein Mittagsmagazin mit den wichtigsten Themen zur Mittagszeit. Nach einer musikalischen Nachmittagsstrecke wird um 17-18 Uhr eine Tageszusammenfassung im Programm vertreten sein. Von 18-19 Uhr wird eine Abendschau gesendet mit Veranstaltungstipps und Call-In-Elementen. Ab 21 Uhr wird Platz für Special Interest-Sendungen sein, auch für die friesische und dänische Minderheit: „Wir wollen auch für die Bevölkerung mit Minderheitenstatus in unserem Sendegebiet da sein, obwohl es nicht Bestandteil einer Auflage an unser Programm war. Wir werden ein volles Programm senden, das die Lebensrealität der Menschen auf der Insel abbildet. Kein reines Urlaubsradio.“, bekräftigt Hartmann. Zur vollen Stunde laufen bereits jetzt Nachrichten von der Deutschen Presse Agentur (dpa). Bei Syltfunk wird es voraussichtlich zur halben Stunde Regionalnachrichten geben. „Wir wollen bei Regionalnachrichten und Verkehrslage bedarfsgerecht arbeiten. Wir senden dann, wenn es etwas zu senden gibt.“, erläutert Hartmann. Regionale News sollen auch von den Moderatoren in den Sendungsverlauf transportiert werden durch Moderation, durch Telefonate und einer Zusammenfassung, einem Summary, auf der Antenne. „Wir werden nichts verpassen und nehmen alles mit.“, ist sich Hartmann sicher. Als künftiger Lokalsender wird Syltfunk auch berücksichtigen müssen, dass man auf der Insel auf eine Besonderheit trifft, die andernorts nicht gleichermaßen vorhanden ist: Es findet ein ständiger Wechsel in der Bevölkerung statt. Der Gästeverlauf gestaltet sich im Sommer anders als im Winter.
Was die Musikfarbe angeht, so wird sie identisch wie im Stream sein: „Es werden aktuelle Titel dabei sein. Die musikalische Qualität wird letztlich entscheiden ohne eine vorbestimmte Schwerpunktsetzung auf Titel der 80er und 90er. Wir spielen jedenfalls nicht zwingend das, was die anderen spielen. Es soll überraschend bleiben“, lässt sich Hartmann etwas in die Karten blicken. Die Kür bei der Musikauswahl wird sein, diese tageszeitlich und saisonal anzupassen: „Im Sommer ist die Musik surfiger und an tristen Herbsttagen dafür kuscheliger.“
Ein Konkurrenzangebot ging schon vor dem UKW-Start des Syltfunks auf Sendung: Der landesweite Privatsender R.SH produziert seit dem 17.08.15 auf Sylt ein nur dort zu empfangendes lokales Programmfenster, werktags (Mo-Fr) von 10-14 Uhr mit dem ehemaligen Morgenmoderator Carsten Köthe. Laut Landesmedienanstalt ist dieses lokale Angebote des landesweiten Anbieters von der bestehenden Lizenz gedeckt. „Wir sollten unterscheiden zwischen regionalen und lokalen Programmteilen“, schränkt Hartmann an dieser Stelle ein. Vier Stunden seien aber wenig im Vergleich zu einem 24 Stunden-Vollprogramm. „Wir senden zudem live.“, gibt sich Hartmann angesichts der vorauseilenden Konkurrenz selbstbewusst. Desweiteren bezweifelt Hartmann, dass das Sylt-Fenster von R.SH durchweg live gesendet wird. R.SH gab hierzu gegenüber dem Autor keine Stellungnahme ab. „Es ist im Übrigen dasselbe R.SH, das neun Jahre versucht hat, lokalen Privatfunk in Schleswig-Holstein zu verhindern“, gibt Hartmann zu bedenken. Syltfunk sei auf der Insel bereits eine etablierte Marke. „Wir brauchen uns nicht erst unentbehrlich zu machen. Wir sind seit acht Jahren durch unseren Stream und unsere Homepage am Markt. Genauso lange präsentieren wir Veranstaltungen oder berichten über politische oder tagesaktuelle Ereignisse. Wir berichten sehr wohl über Veranstaltungen, sind aber nicht selbst Veranstalter oder Sponsor.“, bekräftigt Hartmann.
Mein persönliches Fazit
Der kommerzielle Lokalfunk ist nun auch ganz im Norden angekommen. Nur wenige Schritte trennen uns noch davon. Profitieren wird davon der Hörer, so ist zu hoffen. Nicht mehr vom schon bestehenden Angebot sondern mehr Abwechslung ist auf Sylt, der nordfriesischen Westküste und im Ballungsraum Lübeck, Ratzeburg, Bad Schwartau und Krummesse zu erwarten.
Hendrik Leuker ist Redakteur des RADIO KURIER. Sein Artikel erscheint dort Anfang 2016.
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