Von Sabine Haas
Wenn man sich die Reichweiten von Radio und Fernsehen bei den jüngeren Zielgruppen anschaut, dann ist von einem Medienwandel zunächst nicht viel zu erkennen: Sowohl die Radionutzung als auch die Fernsehnutzung bleibt bei den 14- bis 29-Jährigen stabil. Messbare Einbrüche gibt es keine. Bleibt also trotz Digitalisierung alles, wie es ist? Wird auch in Zukunft in der Küche Radio gehört und abends ferngesehen? Um das herauszufinden, habe ich für meinen Vortrag bei den diesjährigen Münchner Medientagen eine Analyse unserer Eigenstudien aus den vergangenen Jahren vorgenommen.
Dabei wurde deutlich, was (noch) nicht messbar ist: Die nachwachsenden Generationen weisen – wenn sie digital sind – eine grundlegend andere Mediennutzung auf. Vor allem das lineare Radio wird es bei internetaffinen Zielgruppen in Zukunft schwer haben. Dafür sind in erster Linie die folgenden fünf Hauptgründe verantwortlich.
Gerätevielfalt macht das Radio als separates Empfangsgerät überflüssig
Jugendliche und junge Erwachsene verfügen inzwischen über immer mehr Endgeräte. Nahezu jeder junge Mensch nutzt ein Smartphone, außerdem ist ein PC oder Laptop verfügbar. Es gibt in der Regel ein Fernsehgerät mit Satelliten- oder Kabelempfang, häufig kommt noch ein Tablet hinzu. Dieser Vielfalt an Geräten, die alle theoretisch auch der Radionutzung dienen können, fällt das klassische Radiogerät in der Regel „zum Opfer“. Ein „Küchenradio“, wie es früher in keinem Haushalt fehlen durfte, wird als „unbequem“ und „überflüssig“ erlebt. Isolierte Radiogeräte gibt es maximal noch im Auto, aber viele junge Menschen verzichten auf einen eigenen Pkw und fahren – zumindest in Ballungsräumen – lieber mit der Bahn.
Entsprechend steht jungen Menschen für das Radio häufig kein „exklusives Abspielgerät“ mehr zur Verfügung. Und möchte man das Radio auf einem der anderen Geräte nutzen, dann ist die Bedienbarkeit (zum Beispiel via Satellitenreceiver) häufig nicht ganz einfach, das angeschlossene Soundsystem nicht optimal oder Ähnliches. Was letztendlich dazu führt, dass das Radioangebot in der Wahrnehmung jüngerer Generationen oftmals „an den Rand“ rückt.
Smartphone mit seinen Apps „stiehlt“ dem Radio viele USPs
Haben wir früher Radiohörerinnen und -hörer befragt, dann war ein wichtiges Motiv für die Radionutzung das Thema „Service“: Verkehrslage, Wetter, Nachrichten werden regelmäßig über das Radio verbreitet. Das Radio darin vor der mobilen Verfügbarkeit via Internet mit Abstand das aktuellste Medium und obendrein extrem verlässlich. Entsprechend sagte man: „Ich höre erst mal im Radio, wie das Wetter wird, dann weiß ich, was ich anziehen muss.“
Inzwischen wurde diese Servicefunktion bei jüngeren Menschen nahezu ausnahmslos vom Smartphone abgelöst. Heutzutage zeigt eine Wetterapp die jeweilige Vorhersage – so lokal oder regional man es auch möchte. Den Verkehrsfluss erhält man über das Navigationsgerät, Infos zum ÖPNV ebenfalls via Apps oder die entsprechenden Social-Media-Kanäle. Und für die Nachrichten stehen ebenfalls Smartphone, iPad oder PC mit den News-Seiten der Verlage zur Verfügung.
Fragt man internetaffine Menschen – egal welchen Alters –, dann sind sie sich einig: Alles, was wichtig ist, bietet das Netz am schnellsten und besten. Radio oder Fernsehen sind somit kein „Muss“ mehr in dieser Zielgruppe.
Mediennutzung wird komplexer und ausdifferenzierter
Nachwachsende Generationen, die mit dem Internet sehr stark verbunden sind, haben einen äußerst souveränen Umgang mit den ihnen zur Verfügung stehenden Angeboten. Während früher über lange Zeiträume am Tag ein Medium dominierte, wird von den „Digital Natives“ sehr häufig zwischen verschiedenen Medienangeboten gewechselt.
So hört man beispielsweise eine persönliche Playlist beim Aufstehen, wechselt dann beim Frühstück auf einen Radiosender, hört in der Bahn wieder eigene Musik, dazwischen schaut man auf Facebook, sieht sich Videos auf Youtube an etc.
Radio wird somit ein Angebot unter vielen, bei dem man nur so lange verweilt, wie es in die persönliche Nutzungssituation passt. Noch nie hatten Medienkonsumenten derartig viele Möglichkeiten, das jeweilige Angebot an ihre individuelle Situation anzupassen. Jetzt ist dies möglich und wird wie selbstverständlich auch genutzt.
„Musikversorger“ gibt es inzwischen viele
Der wichtigste Einschaltgrund für die Mehrheit des Radiopublikums ist Musik. Man möchte mit Musik „versorgt“ werden, ohne aktiv einzelne Titel auszuwählen. Dabei sollte der Musikstream möglichst den eigenen Interessen folgen, Neues bieten und abwechslungsreich sein. Vor der Digitalisierung verfügte über dieses Angebot – mehr oder weniger gelungen – nur das Radio. Inzwischen kann man Musikstreams über UKW- und Webradio, über Musikplattformen und über Youtube bekommen. Es ist zudem möglich, die eigene Musiksammlung in immer neuen Mischungen als Stream präsentieren zu lassen.
Die netzaffinen Hörerinnen und Hörer nutzen diese Vielfalt fleißig. Sie suchen aus dem Riesenangebot die Streams aus, die ihren Interessen am ehesten entsprechen, und wechseln zwischen den jeweiligen Plattformen. Auch hier zeigen sich die Digital Natives in der Regel sehr souverän.
Soziale Medien gewinnen an Bedeutung und übernehmen die Rolle des „Empfehlers“
Schließlich stellt man bei jungen Zielgruppen immer wieder fest, dass vor allem die Medienangebote und -inhalte gerne genutzt werden, die gerade „im Gespräch“ sind. Vor allem in Sachen Musik legt man Wert auf Tipps von anderen. Diese Erwartung wird von sozialen Medien optimal erfüllt. Soziale Medien zeigen an, was andere hören. Sie erlauben es, Musiktitel oder Musikvideos an Freunde weiterzuleiten. Fast überall finden sich Bewertungen, die einem sagen, was gerade als gut oder schlecht empfunden wird.
Für das Radio ist somit auch die wichtige Rolle als „Empfehler“ nicht mehr zentral. Schaut man in die Timelines junger Menschen, so finden sich dort wenige Empfehlungen oder Nachrichten von Radiosendern. Andere Quellen gelten als „cooler“ und näher dran an den eigenen Interessen. Radio muss gerade hier seine Rolle neu definieren.
Die Herausforderung: Zukunftsfähige Konzepte finden
Alles in allem soll diese Ausführung am Beispiel Radio deutlich machen, wie grundlegend der digitale Wandel Verhaltensweisen verändert. Was für das Radio gilt, gilt in ähnlicher Form natürlich auch für Fernsehen und Print. Aber auch beim Umgang mit Dienstleistungen.
Radiomacher sind sich der anstehenden Veränderungen sehr bewusst, auch wenn die Zahlen davon noch nicht so eindeutig erzählen. Sie sind derzeit damit befasst, ihren Programmen eine zukunftsfähige Ausrichtung zu geben.
Sabine Haas ist Gründerin und Geschäftsführerin der seit 1995 in Köln ansässigen result gmbh.
Mit ihrem Institut für digitalen Wandel berät die Diplompsychologin und Medienexpertin Unternehmen und Institutionen auf ihrem Weg in die digitale Zukunft. Bei ihren Vorträgen zum Thema Digitalisierung begeistert sie durch fundierte Sachkenntnisse und praxisnahe Darstellung.
Seit Herbst 2013 ist sie zudem an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg als Dozentin für „Medientheorie“ und „Onlinemarketing“ tätig.
(Titelbild: ©Dan Kosmayer / 123rf.com)