Barcelona war vergangene Woche Treffpunkt der europäischen Radioszene. Rund 800 Führungskräfte öffentlich-rechtlicher und privater Radiostationen diskutierten in prominent besetzten Panels über die Zukunft des Hörfunks, der gerne als „Nebenbeimedium“ bezeichnet wird.
„Zu Unrecht“, meint Erwin Linnenbach, Geschäftsführer des deutschen Radiounternehmens Regiocast, das unter anderem via Deutschlands Fußball-Radio 90elf alle Spiele der 1. und 2. Bundesliga live und in voller Länge digital und im Internet ausstrahlt. Linnenbach diskutierte in Barcelona gemeinsam mit Annika Nyberg von der Europäischen Rundfunkunion (EBU), Olaf Hopp von NRJ International Deutschland und Tim Davie, Director of BBC Audio & Music, über die Zukunft des Radios.
Radio wird das letzte Massenmedium sein
„Ich glaube, die Zeit des Radios kommt erst noch“, zeigt sich Linnenbach zuversichtlich. Er ist der Ansicht, Radio wird bisher unterbewertet. „Wir werden das letzte Massenmedium sein und das werden wir uns bezahlen lassen, besser als in der Vergangenheit“, sagt der Regiocast-Chef, der ganz positiv in die Radiozukunft blickt. Auch Annika Nyberg, neue Mediendirektorin der EBU, sieht keinen Anlass für die Radiobranche, sich immerzu selbst zu bemitleiden und zu beklagen, dass Radio nicht gebührend beachtet wird. Ihre Botschaft an die Radiokollegen: „Hört auf zu jammern, lasst uns stolz sein auf unser Radio, das Millionen von Menschen täglich mehr als drei Stunden einschalten. Lasst uns offen sein für alles Neue, für Diskussionen, Kritik und mutig für Experimente, die auch mal schief gehen dürfen.“
Die Zukunft des Radios liegt auf mobilen Geräten
Für Tim Davie von der BBC ist Wachstum wichtiger als alles andere: „Wir öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Radioanbieter müssen unsere Kräfte bündeln, anstatt uns gegenseitig zu bekämpfen, denn einzeln sind wir alle zu schwach“, meint der Radiomanager. „Das wichtigste, was wir heute tun können, ist die Mobilfunkbetreiber davon zu überzeugen, dass wir Handys und Smartphones brauchen, die Radiosignale empfangen können, denn das Internet allein kann uns nicht genügend Wachstum bieten. Bei der BBC, so Davie, spielen Konzepte für den Computer kaum noch eine Rolle, die Zukunft sieht man in England in den mobilen Geräten.
Storytelling: Reporter sind Teil der Geschichte
Neben den Managementgrößen aus dem Radio konnten die Organisatoren der Radiodays Europe viele weitere bekannte Persönlichkeiten aus der Branche begrüßen. Aus Amerika war Ira Glass angereist, Produzent und Moderator der wöchentlichen Sendung „This American Life“. Das vielfach ausgezeichnete Radioformat erreicht mehr als 1,7 Millionen Hörer und wird von mehr als 500 Sendern ausgestrahlt. Glass, Jahrgang 1959, hatte viele Hörbeispiele mitgebracht, die er unterhaltsam anmoderierte. „Unterhaltung ist sehr wichtig für das Team – und natürlich für die Zuhörer“, meint Glass. In vielen öffentlich-rechtlichen Stationen Europas nehmen sich die Reporter zurück, sind so neutral wie nur irgend möglich. „Ganz anders bei uns“, so Ira Glass, „unser Konzept sieht vor, dass wir uns bewusst einmischen.“
Das Erfolgsgeheimnis von „This American life“ liegt im Erzählen ungewöhnlicher Geschichten oder der Vorstellung von außergewöhnlichen Menschen. Im Schnitt recherchiert die Redaktion an 25 Stories, mehr als die Hälfte schafft es nicht bis zur Sendung und landet im Papierkorb. Worüber sich der erfolgreiche Produzent wundert: „Wirklich Geld verdienen wir nicht mit der Werbung in der Radiosendung, sondern mit der Werbung in den Podcasts, die rund 750.000mal pro Sendung abgerufen werden.“ Eine erstaunliche Zahl, aber dennoch wesentlich niedriger als die Zahl der Radiohörer. „Warum wir mit den Podcasts mehr verdienen als mit der Sendung? Ich habe keine Ahnung“, gibt Ira Glass in Barcelona zu.
Twitter ist ein wundervolles Instrument fürs Radio
Viel Aufmerksamkeit erntete auch der Auftritt von Christian O’Connell, Morgenmoderator bei Absolute Radio, der mit seinem Produzenten Richie angereist war. Seine Show sieht er als tägliches Wagnis an, als „Sprung über den Canyon“. Den Radiokollegen verriet er, sein großes Vorbild sei der amerikanische Motorradstuntman „Evel Kniewel“, der durch seine spektakulären Motorradsprünge und Stuntshows weltberühmt wurde.
In seiner Frühstücksshow arbeiten O’Connell und sein Team viel mit dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Ein wunderbares Werkzeug, um Ideen zu testen, ob sie auch für die Show funktionieren könnten“, meint der Morningman aus England. Der Moderator hatte viele Beispiele dabei, wie sich aus kleinen Ideen große Events entwickeln können. Eines seiner Erfolgsrezepte liegt in der Hörerbeteiligung. „Deine Hörer müssen Teil der Show werden. Wir sind ein ‚Inklusiver Club'“, sagt O’Connell. Einmal habe sich aus einer Radiostory über Rennen mit Motorrollern ein spontaner Renntag entwickelt, bei dem die Hörer freiwillig geholfen haben und das Event begeistert mitfilmten.
Das ungarische Klubrádio will wieder senden
Respekt und Achtung erntete vom Publikum Vicsek Ferenc, der Manager des ungarischen Klubrádio. Seine Geschichte über den Kampf um die Redefreiheit im ungarischen Radio bewegte viele. Klubrádio ist eine unabhängige Radiostation in Ungarn, der im Rahmen eines neuen Gesetzes die Lizenz entzogen und dafür einer anderen, regierungstreuen Station zugesprochen wurde. Der Sender gab nicht auf und zog vor den Kadi. Ein Berufungsgericht in Ungarn hob vergangene Woche die Entscheidung auf, die Sendungsrechte von Klubrádio einer anderen Radiosstation auszuhändigen. Vermutlich wird die Lizenz nun neu ausgeschrieben, doch der Sender will auf keinen Fall resignieren. Auch wenn die finanziellen Mittel knapp sind, Klubrádio will wieder auf Sendung gehen.
Networking im hochherrschaftlichen Palast
Noch viele weitere interessante Themen standen auf der Agenda der Radiodays Europe 2012. Doch einer der Höhepunkte des ersten Konferenztages war der Empfang der Stadt Barcelona in der „Casa Llotja de Mar“, einem Palast aus dem 14. Jahrhundert, der zuletzt die Börse von Barcelona beherbergte. Kredenzt wurden typisch katalanische Köstlichkeiten und die Radioleute nutzten den Abend zum ausführlichen und entspannten Networking. Deutsche Radiomacher waren zahlreich vertreten, vielleicht als Vorboten für die kommenden Radiodays.
Lutz Kuckuck Die finden am 18. und 19. März 2013 in Berlin statt. Unterstützen wird die Veranstalter in Berlin die Gattungsinitiative „Radiozentrale“. Geschäftführer Lutz Kuckuck kann sich keine bessere Stadt in Deutschland dafür denken: „Berlin ist nicht nur historisch und kulturell eine Reise wert. Wir freuen uns, gemeinsam mit unseren Mitgliedern und Partnern die vierten Radiodays Europe im kommenden Jahr in Berlin zu Gast zu haben und die Veranstalter vor Ort zu unterstützen. Radio im kollegialen Erfahrungsaustausch nach vorne zu bringen, ist uns Anliegen und Ansporn zugleich.“
Wer sich weitergehend für die Radiodays Europe 2012 interessiert, findet in den kommenden Tagen alle Präsentationen, einige Audio- und Videomitschnitte, Zusammenfassungen der Panels und Fotos auf der Homepage der Veranstalter.