Der MIDAS-Komplex – Wenn RAJAR das Radioverhalten misst: jedes Quartal gibt RAJAR, das britische Marktforschungsinstitut für die Audio-Branche, eine kleine Studie unter dem Namen MIDAS heraus. Was die Abkürzung an sich bedeutet, ist mir nicht ganz klar, aber die Studie selbst ist immer ziemlich aufschlussreich, da sie eine Reihe von interessanten Dingen misst.
Und hier ist sie dann, die neue MIDAS-Frühjahrsstudie 2018 (es sind Engländer, wir würden wahrscheinlich sagen: 1. Quartal 2018).
Immer wenn ich MIDAS-Studien lese, beschleicht mich der Eindruck, als wäre das, was sie uns da zeigen, nur die Spitze des Eisberges, und in Wirklichkeit stellen sie viel mehr Fragen. Allerdings stoße ich beim Lesen immer wieder auf einige interessante Fakten.
Lineares Radio ist auf Smartphones nicht besonders beliebt
Von allen Audioquellen rangiert „Live-Radio” (sie meinen „lineares Radio“) mit 21% an dritter Stelle. Damit liegt es knapp hinter digitalen Tracks (mit anderen Worten: die eigene MP3-Sammlung), aber mit großem Abstand hinter Spotify-ähnlichen Diensten, die stolze 39% erzielen.
Eine Zeit lang habe ich die Ansicht vertreten, dass eine völlig interaktionslose Sache wie ein linearer Radio-Stream auf hochgradig interaktiven Geräten wie Smartphones wohl eher auf wenig Interesse stoßen dürfte. Genau aus diesem Grund bieten Sender wie Capital (in Großbritannien) und Kronehit (in Österreich) eine Hybrid-App an, mit der man zwar live hören kann, die es einem aber auch ermöglicht, Programmbestandteile, die einem nicht gefallen, zu überspringen.
Der Smart Speaker – große Sache und doch eher klein
Smarte Lautsprecher – so die landläufige Meinung – sind die Zukunft des Radios. Und da könnte etwas Wahres dran sein, denn 54% der gesamten Audio-Wiedergabe auf diesen Geräten entfällt laut MIDAS auf lineares Radio. So weit, so gut.
Wenn man aber die Statistik für lineares Radio insgesamt betrachtet, dann machen Smart Speaker gerade einmal 2,8% davon aus. Das Fernsehen – oder auch das Mobiltelefon – ist fast viermal so beliebt als Endgerät, auf dem lineares Radio gehört werden kann. Mit anderen Worten: auf einem Smart Speaker wird zwar idiotisch viel Radio gehört, aber es gibt noch zu wenige davon, und die wenigen, die es gibt, werden klassische Radiogeräte in absehbarer Zeit nicht ersetzen.
Radio ist für jüngere Hörer eine soziale Erfahrung
Wenn man mit 15-24-Jährigen spricht, wird man feststellen, dass nur ein Drittel von ihnen alleine Radio hört. Höchstwahrscheinlich hören sie eher gemeinsam „mit Freunden“, und im Vergleich zu allen anderen Radiohörern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gemeinsam mit einem anderen Familienangehörigen Radio hören, dreimal so hoch.
Podcasts sind alles andere als eine soziale Erfahrung
Der beliebteste Zeitvertreib während des Hörens eines Podcasts ist… ganz einfach den Podcast zu hören, eventuell noch dabei entspannen aber ansonsten eigentlich „nichts tun“. Wer einen Podcast hört, hört richtig zu und neigt weniger zu „Multitasking“ als beim klassischen Radio hören. Und während man zu 53% alleine Radio hört, steigt diese Zahl auf 88% bei den Podcast-Hörern.
Gerade dieser Aspekt würde es meiner Meinung nach rechtfertigen, die Preisstruktur für Werbung in Podcasts anders zu gestalten als bei der Radiowerbung. Podcasts – so scheint es – sind wesentlich wertvoller.
Podcasts sind auch im Laufe des Tages stabil
Die Radionutzung erreicht ihren Spitzenwert morgens um 8:15 Uhr, aber Podcasts bleiben auch im Laufe des Tages bis ca. 18:15 Uhr stabil, und nach einer kleinen Flaute am Abend erreichen sie erneut ähnliche Werte um 22:00 Uhr („Schlafenszeit“). Das ist ein faszinierender Unterschied im Vergleich zum klassischen Radio, das mit extrem hohen Werten beginnt, die um 8:15 Uhr ihren Höhepunkt erreichen. Bis 15:15 Uhr halbiert sich dann jedoch die Beliebtheit des Radios, und dieser Wert halbiert sich ein weiteres Mal bis 20:15 Uhr.
All diese Daten fordern uns heraus. Einiges davon hätten wir wahrscheinlich selbst erraten können, aber dennoch empfinden wir es als Überraschung.
RAJAR könnte diese Sachen unter Verschluss halten und sie nur den Radiosendern zur Verfügung stellen. Dass sie das nicht tun und es stattdessen pünktlich wie die Uhr regelmäßig auf ihrer Website veröffentlichen, ist ihnen hoch anzurechnen. Es dürfte nur wenige Marktforschungsinstitute geben, die solche Daten mit einer derartigen Regelmäßigkeit veröffentlichen. Also unbedingt einmal hereinschauen!
Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.
James Cridland können Sie übrigens im Juli persönlich treffen, denn er wird auf den Lokalrundfunktagen 2018 in Nürnberg die Keynote halten.