Kopfhörer: Wer hört damit noch Radio?

Kopfhörer von Apple: EarPodsRAJAR, das Marktforschungsinstitut, das bei Branchenkennern vor allem wegen der britischen Radio-Einschaltquoten bekannt ist, gibt einmal im Quartal eine Statistik namens MIDAS heraus. Und das ist durchaus interessanter Lesestoff. Streckenweise sind die abgefragten Daten in jedem Quartal gleich, aber um das Interesse wach zu halten, kommen immer auch einige neue Daten hinzu. Und die sind manchmal wirklich aufschlussreich. In diesem Quartal habe ich auf der letzten Seite ein Kapitel gefunden, das mir besonders am Herzen liegt: Kopfhörer.

Kopfhörer-Reichweite ermittelt von der MIDAS-Studie Sommer 2019Auch mit Kopfhörern konsumiert man Audio, aber auf ganz andere Weise als über Lautsprecher. Die Art des Zuhörens ist völlig anders: man konzentriert sich mehr auf die Audio-Inhalte und ist auf viel intimere Weise involviert als bei Lautsprechern, was wohl teilweise auch daran liegt, weil Kopfhörer das Multitasking erschweren. Wenn man mit jemandem sprechen will, ist man gezwungen, die Kopfhörer abzusetzen. Bei Lautsprechern tritt ein solches Verhalten nicht auf.

Ich betone immer wieder die Unterschiede zwischen Smartphone-Apps und Medien wie Smart Speaker. Ein Smart Speaker kann durchaus ein handelsübliches Radio ersetzen. Eine Smartphone-App ist kein vollwertiger Ersatz dafür, weil solche Apps eben hauptsächlich mit Kopfhörern verwendet werden. Und nach meiner Ansicht ist es unrealistisch zu denken, dass sich ein Publikum, das sein Smartphone tatsächlich (per Kabel oder über Bluetooth) an einen Lautsprecher anschließt, mit einem Stream (z. B. eine Radiosendung) zufrieden geben wird, auf den man keinen Einfluss hat. Insbesondere dann nicht, wenn man mit demselben Gerät auch auf Spotify, Youtube, Podcasts und andere On-Demand-Inhalte zugreifen kann. 

Die MIDAS-Statistik von RAJAR bestätigt meine Theorie. Dieses Dia in der Studie bezieht sich auf die Umfrageteilnehmer, die selber aussagen, dass sie Kopfhörer benutzen. Und sie verraten auch, wofür sie diese im Laufe einer Woche benutzen.

Wie man vielleicht schon erraten kann, hören 45% aller Kopfhörerbenutzer Podcasts. Und wie wir aus anderen Statistiken bereits wissen, sind Podcasts ein durchaus intimes Medium, das man hauptsächlich alleine konsumiert. Dies wird durch diese Zahlen einmal mehr bestätigt.

48% der Kopfhörerbenutzer sagen, dass sie damit Audiobooks hören. Audiobooks sind immer noch ein Riesengeschäft, mit dem man gute Umsätze machen kann, obwohl ich persönlich immer mehr der Meinung zugetan bin, dass Podcasts für ein reichhaltigeres Hörerlebnis stehen.

Musik ist ebenfalls beliebt: 44% der Kopfhörerbenutzer hört Tracks aus der eigenen Musiksammlung, 37% greift zu Streaming-Diensten wie Spotify.

Und Live-Radio? Nur 12% aller Kopfhörerbenutzer sagen aus, dass Sie damit tatsächlich Radio hören.

Die Verbreitungsstrategie deines Senders sollte daher relativ eindeutig sein:

Lautsprecher eignen sich für Simulcasting: Hier sollte dein Sender live zu hören sein. Kopfhörer dagegen sind mehr etwas für On-Demand. Eure App sollte nicht nur etwas für die Augen und die Finger bieten, sondern sie sollte den Leuten auch etwas auf die Ohren geben. Im Idealfall wesentlich mehr als bloß einen Livestream.


James Cridland
James Cridland

Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine, berät eine Vielzahl von Radiosendern und veröffentlicht den täglichen Podcast-Newsletter podnews.net. James hat über 30 Jahre bei Radiosendern in Großbritannien, Australien und Kanada gearbeitet; bei Virgin Radio UK entwickelte er die weltweit erste Radio-Streaming-App. Er lebt in Brisbane, Australien. https://james.cridland.net

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