Heinz Canibol: „Musik muss an die richtige Zielgruppe kommen“

Heinz Canibol und Ina Mueller
Heinz Canibol und Ina Mueller

Radio und Musikwirtschaft – eine seit vielen Jahrzehnten funktionierende Zweckgemeinschaft. Die Hörfunkseite freut sich über eine relativ kostengünstige Zulieferung elementarer Programmbausteine in Form von Musikveröffentlichungen, die Musikfirmen schätzen den nicht unerheblichen Fluss an GVL-Einnahmen sowie die Ausstrahlung ihrer Musik bei den Sendern als willkommene Promotion für neuveröffentlichte Songs. Naturgemäß war das Verhältnis nicht immer unbelastet – erinnert sei beispielsweise an den legendären „GVL-Streit“ in den 1960er Jahren, als die ARD-Anstalten nach einer drastischen Erhöhung der Sendegebühren für das Abspielen von Tonträgern durch die Verwertungsgesellschaft GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) ihr Schallplatten-Sendeprogramm vorübergehend auf 10 Prozent des bisherigen Umfangs drosselten. Ein heute unvorstellbarer Vorgang.

Auch etwa die Einführung kostenpflichtiger Zulieferungen von Promotion-Tonträgern führte in den 1990er Jahren zu Reibereien zwischen den Partnern. Unter dem Strich ist das Verhältnis – trotz hin und wieder aufkommender beidseitiger Kritik – aber durchaus intakt und zwischenzeitlich bestens eingespielt.

Frank Laufenberg
Frank Laufenberg

Gelegentlich wechselten die Protagonisten beider Lager auch die Seiten. Transfers, die meist von den Musikfirmen aus in Richtung der Redaktionsstuben der Radiosender stattfanden. So warb beispielsweise der damalige Südwestfunk schon früh die ehemaligen EMI Electrola-Radiopromoter Frank Laufenberg und Klaus Schürholz ab.

Apropos EMI: auch Moderator Walter Freiwald war vor seiner Karriere bei Radio und Fernsehen beim früheren Kölner Musikriesen beschäftigt. Jürgen Koppelin war über lange Jahre für die Radiopromotion der Hamburger Phonogram verantwortlich, ehe er 1981 nach Kiel als Leiter der Musikredaktion von NDR 1 wechselte – und schließlich für lange Jahre als Abgeordneter für die FDP im Bundestag landete. Dort verweigerte ausgerechnet der Parlamentarier Koppelin im März 2013 der Einführung des damaligen neuen Urheberrechtsgesetzes seine Zustimmung.

Mona Rübsamen und Markus Kühn (Bild: Hadley Hudson)
Mona Rübsamen und Markus Kühn (Bild: Hadley Hudson)

Die ehemaligen Musikmanager Mona Rübsamen (m2m), Tim Renner (Universal) und Markus Kühn (m2m, Motor) gingen gar einen Schritt weiter und gründeten im Jahr 2004 gemeinsam das ambitionierte Berliner Musikradio MotorFM, heute FluxFM. Renner zuvor Geschäftsführer bei Universal Music, hatte in seinen frühen Hamburger Jahren bereits Radioluft beim NDR geschnuppert. Auch Thomas Müller, heute Programmchef beim BR-Jugendradio PULS, sammelte einige Jahre Branchenerfahrung im Musikgeschäft bei der Universal Music Group.

Heinz Canibol (Bild: privat)
Heinz Canibol (Bild: privat)

Erst spät fand Heinz Canibol den Weg zum Radio. Der gebürtige Gelsenkirchener leitete während der Blütezeit der deutschen Musikwirtschaft über viele Jahre als Geschäftsführer der Geschicke von CBS/Sony Music, MCA Records und EMI Music. 2003 trat Canibol den Weg in die Selbständigkeit an und gründete in Hamburg das Label 105 Music.

Mit der Fokussierung auf ein rein deutschsprachiges Künstleraufgebot entdeckte der Musikmanager unter anderen Ina Müller, Annett Louisan, Stefan Gwildis, Anna Depenbusch, Felix Meyer, Ruben Cossani oder Cosmo Klein und setzte viele von ihnen sehr erfolgreich am Markt durch.

Seit seinem Rückzug in den Ruhestand im Jahr 2014 moderiert und gestaltet der „Brandmeister“ (Canibol ist ausgebildeter Feuerwehrmann) eine gute Zahl eigenentwickelter Musiksendungen beim Internetradio PopStop – das Musikradio .

POPSTOP-Radio-Logo

RADIOSZENE sprach mit Heinz Canibol über die aktuelle Lage im Musikgeschäft sowie seine Erfahrungen mit dem Radio.

RADIOSZENE: Sie waren 37 Jahre in der Musikwirtschaft tätig, wie sehr hat sich die Branche mit der Zeit verändert?

Heinz Canibol: Als ich 1977 bei der damaligen CBS-Schallplatten GmbH in Frankfurt als Product Manager angefangen habe, befanden wir uns noch in den „guten alten Tagen“ der Musikindustrie. Und mit jedem neu verkauften Plattenspieler oder Kassettenrekorder wuchs der Musikmarkt: es gab noch freie Marktflächen zu erobern und auch musikalisch bewegten sich die Künstler noch frei – ohne die ständige Angst, mit einem neuen Song etwas schon Vorhandenes zu kopieren. Die ersten Künstler für die ich Marketingpläne in jener Zeit erstellte, waren Neil Diamond, Santana, Simon & Garfunkel.

Musik gab es als Tonträger ausschließlich physisch als Single, Langspielplatte und Musikkassette … mit anderen Worten – es war alles spannend, aber auch noch überschaubar. Als Konkurrenten im Markt betätigten sich damals Ariola, WEA Records, Polygram (Polydor, Metronome und Phonogram) RCA, Teldec, United Artists, CBS, Bellaphon, EMI Electrola und andere. Selbst die BASF war damals im Musikgeschäft aktiv.

Heinz Canibol mit Ron-Wood und Keith Richards
Heinz Canibol mit Ron-Wood und Keith Richards

Heute heißen die Major Player Universal Music, Sony Music und Warner Music. Die Digitalisierung der Musik via CDs und später per Downloads führte zu existenz-bedrohender Produktpiraterie und somit zu einem Konzentrationsprozess, der den Markt von ursprünglich einmal sechs Major Companys (inklusive MCA Records) auf drei heutige Großfirmen schrumpfen ließ. Press- und Kopierwerke für Vinyltonträger und Musikkassetten wurden geschlossen, Personalstärken bei den Labels halbiert, die Handelslandschaft veränderte sich in Richtung Elektrofachmärkte sowie den Versandhandel wie Amazon sowie Downloadplattformen wie iTunes etc. Und geradezu explosionsartig wächst gerade das Geschäft mit Musik-Streaming via Spotify und vergleichbaren Anbietern.

Es geht noch immer um Musik, aber fast alle Parameter haben sich im Lauf der Zeit verändert – und es werden noch weitere Veränderungen kommen: wie beispielsweise sieht ein zeitgemäßer Künstlervertrag aus? Spricht man künftig noch von Alben oder einer bestimmten Anzahl von Songs per Quartal? Wie sehen die Lizenzbeteiligungen im Zeitalter des Streamings aus?

RADIOSZENE: Nach der Blütezeit in der 1980er Jahren bzw. nach der deutschen Wiedervereinigung schlitterte die Musikwirtschaft zu Beginn des Milleniums in die Krise. Welche Fehler wurden gemacht?

Cher und Heinz Canibol
Cher und Heinz Canibol

Heinz Canibol: Solange man als Industriefirma den Prozess der Musikvermarktung vom Verlag über die Presswerke bis hin zu Distribution, Marketing und Promotion kontrollierte, war das Musikgeschäft sehr berechenbar und stabil – bis auf die nicht wirklich zu kontrollierenden Gehirnen der kreativen Künstler. Die sich abzeichnende Digitalisierung von Musik erschien den damals regierenden Industriefürsten wie ein Blick in die Hölle. Digitalkopien waren keine schlechteren Versionen des Originals mehr, sondern eins zu eins geklonte Qualitätsduplikate über die man die Kontrolle verlor. Die Verluste durch Musikpiraterie gingen zwar in die Milliarden, aber Flugzeugträger sind nicht so beweglich wie Korvetten – und ein Fahrrad ist auch schneller geklaut als gebaut. In der Folge mussten zum Beispiel Künstlerverträge mit Tausenden von Erben zur Digitalisierung verändert werden.

Inzwischen haben die überlebenden drei Majorfirmen ihre schmerzhaften Erfahrungen mit der Digitalisierung ihres Produktes hervorragend verarbeitet und sind im Vergleich zu anderen Industriesparten wie das Film- und Videogeschäft schon als gut abgehangene Pioniere zu betrachten. Nach einer langen Strecke erheblicher Umsatzrückgänge mit der Ware Musik, gibt es jetzt auch wieder seit einigen Jahren Marktzuwächse anstatt weiterer Rückgänge. Die Talsohle ist durchschritten!

RADIOSZENE: Wie werden sich die derzeitigen Top-Einnahmequellen Streaming-Dienste sowie der Verkauf physischer Tonträger künftig entwickeln?

Heinz Canibol: Da zeichnen sich derzeit weltweit unterschiedliche Tendenzen ab: der US-amerikanische Markt befindet sich voll im Download- und Streamingtrend und verwundert die dortige Branche, warum wir Europäer immer noch so viele CDs verkaufen! Streaming scheint in der Tat die Zukunft des Geschäfts zu sein, ohne dass allerdings CDs und Vinyl-Tonträger ganz verschwinden werden. Die Musiknutzung hat sich mit dem Internet radikal verändert – ist auf allen Gerätekonfigurationen immer und überall verfügbar. Wir Anhänger der Beat- und Rockgeneration wollten unsere Musik ja noch besitzen, das will der heutige Musikkonsument gar nicht mehr – Hauptsache sie ist verfügbar, wenn ihm danach ist.

RADIOSZENE: Ein renommierter Musikwissenschaftler hat schon vor mehreren Jahren behauptet, dass das Songwriting im Bereich der  Popmusik zum Problem werden könnte, da die kompositorischen Möglichkeiten für neue Stücke nahezu ausgereizt seien. Alles würde irgendwann klingen wie schon einmal gehört. Können Sie dieser These folgen?

Heinz Canibol: Diese Gefahr mag in der Tat für Musikwissenschaftler bestehen, aber in der Praxis stellen wir fest, dass Musik in jeder Altersklasse eine unterschiedliche Bedeutung hat. Betrachten wir mal die Entwicklung der Popmusik seit Anfang der 1950er Jahre – so ist erstaunlicherweise bisher die ganz große Langeweile musikalisch ausgeblieben.  An jedem Tag entstehen irgendwo neue Songs und Texte und einige davon werden auch immer wieder zu Hits. Andererseits besteht ein Hit ja nicht nur aus Notenfolgen, sondern wird auch durch Stimme, variierende Tempi und Arrangements beeinflusst. Ein früher U2-Hit hat im Arrangement eines älteren Johnny Cash kaum noch direkte Ähnlichkeiten. Dazu kommt, dass der Normalkonsument in nur seltenen Fällen wirklich das Original kennt, wenn er jetzt mit einer neuen Coverversion konfrontiert wird.

Parallelen dazu gibt es ja auch im Fußball –  es stehen auch immer 22 Mann auf dem Feld und doch ist kein Spiel wie das der Vorwoche … außer beim HSV vielleicht!

RADIOSZENE: Der Live-Bereich hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Gerüchteweise war zu hören, dass Musikfirmen kräftig am Ticketverkauf der Künstler mitverdienen. Wie sehr profitiert die Branche an den Konzerten?

Heinz Canibol: Im Rahmen von 360 Grad Vermarktungsdeals haben sich die Musikfirmen Einnahmeanteile aus dem Live-Bereich der Künstler gesichert – und dies macht auch durchaus Sinn, denn ohne die Vorleistung der Musikfirma entsteht kaum eine Nachfrage im Livesektor für einen Künstler. Gleiches gilt anteilig auch für die Einnahmen aus dem Merchandising-Geschäft. Radiokonzerte haben dagegen aber kaum Profitchancen, sondern bedeuten eher einen Promotionwert für beide Seiten – der Künstler kann beweisen, dass er kein Retortenbaby ist und der Sender erhält ein Stück unverwechselbare Live-Unterhaltung, die andere Sender vielleicht nicht haben.

RADIOSZENE: Als eigener Labelchef von 105 Music haben Sie mit Erfolg ausschließlich auf deutsche Pop-Künstler gesetzt. Wurde dieser Sektor seitens der Musikwirtschaft zu lange vernachlässigt?

Heinz Canibol: 105 Music war ein Joint Venture Label mit Roman Rybnikar und mir auf der ausführenden Seite sowie Sony Music als finanzierender Partner auf der anderen Seite. Major-Labels müssen multifunktional aufgestellt sein um ihren Gewinn maximieren zu können, also quasi wie Zehnkämpfer, die in allen Sparten gut aber in kaum einer sehr gut sind. Mit anderen Worten, alle haben sich auch um deutschsprachiges Repertoire gekümmert – aber es hilft ungemein, wenn man sich fokussieren kann und in fast täglichem Kontakt mit seinen Künstlern steht. Allerdings zerfällt diese Luxusbasis, wenn man nicht dauerhaft ausreichend finanziell erfolgreich bleibt. Bei uns hat es über 14 Jahre funktioniert und ich glaube auch, dass bei den anderen großen Musikfirmen nach ähnlichen Modellen gesucht wurde. Deutschsprachiges Repertoire wird dauerhaft seinen festen Anteil im Markt haben, genauso wie lokales Produkt in anderen großen europäischen Märkten wie Italien, Frankreich oder Spanien.

Heinz Canibol mit Bela B
Heinz Canibol mit Bela B

RADIOSZENE: Wie wichtig sind Radioeinsätze heute für die Durchsetzung neuer Künstler und Musik?

Heinz Canibol: Radioeinsätze waren, sind und werden auch weiterhin ein extrem wichtiges Element im Marketing- und Promotionmix der Musikindustrie sein. Allerdings muss man zur Beantwortung dieser Frage weg vom Allgemeinbegriff Radio und den wirklich Chart-relevanten Wellen differenzieren. Die Musik muss an die richtige Zielgruppe kommen. Und in Verfolgung dieses Zieles hat sich die Radiolandschaft in den letzten Jahren ja auch dezidiert aufgestellt – sowohl im öffentlich-rechtlichen Bereich wie auch  bei den privaten Radiostationen. Auch wenn man Musik manchmal verächtlich nur als „Klebemasse zwischen den Werbeblöcken“ sieht, so ist es doch die höchste Aufgabe der jeweiligen Programmmacher, keine Langeweile aufkommen zu lassen – denn die und nicht die Musik vertreibt letztlich die Hörer zu anderen Angeboten.

In Bezug auf die gleichbleibende Bedeutung des Radios für die Musikindustrie sei darauf hingewiesen, dass der Fernsehkanal MTV kam, alles dominierte und wieder ging. Dann kam VIVA, wurde übermächtig und verschwand ebenfalls wieder – während das Radio diese Entwicklung mit einem Lächeln auf den Lippen begleitete und noch immer da ist.
Jüngere Zielgruppen orientieren sich mittlerweile auf der Suche nach Mode- und Musik-trends eher bei den sozialen Internetzwerken – insofern wird hier das Radio ebenso wie Fernsehen zur Sekundärnutzungsergänzung.

RADIOSZENE: Müsste das Radio dem Thema „Musik“ grundsätzlich noch mehr Gewicht verleihen?

Heinz Canibol: Manchmal möchte man die Radiomacher daran erinnern, dass es zuerst Radio gegeben hat – und dann entwickelte sich als Nebengeschäft zum Sender die Verwertung der Musikarchivplatte zum eigenständigen, vermarktungsfähigen Produkt (siehe Peter Goldmark „Die Erfindung der Langspielplatte“). Insofern wäre es auch hilfreich, wenn die Radiomacher sich daran erinnern, dass Musik als ihr wichtigster Sendestoff nicht einfach wie Manna vom Himmel fällt – sondern von investierenden Partnern zielorientiert dem Hörfunk zur Verfügung gestellt wird. Und damit dieser Brunnen in der sinnvollen Symbiose nicht austrocknet, bedarf es bewusst handelnder Entscheider auf der Radioseite – die mit ihren Einzelentscheidungen auch als Flaschenhals über die Erfolgsaussichten der einzelnen Künstler und deren Partnern bei den Musikfirmen urteilen. Die Losung heißt also „miteinander nicht gegeneinander“!

RADIOSZENE: Welche Rolle spielen die Einnahmen aus dem GVL-Topf für die Musikfirmen?

Heinz Canibol: Als Einnahme- und Refinanzierungsquelle eine absolut wichtige Rolle in jedem Labelbereich –  mit einer allerdings untergeordneten Bedeutung im Vergleich zum Hauptzweck, nämlich Musik. Egal in welcher Form – zu verkaufen und aus dem Vertrags-künstler einen unverwechselbaren Markenartikel zu machen, der dann auch im Konzertgeschäft seine gewichtige Rolle spielen kann.

RADIOSZENE: Welche Erfahrungen haben Sie auf Seiten der Musikwirtschaft mit den deutschen Radiomachern gemacht?

Heinz Canibol: Hier kann es keine einseitige Bewertung geben – sowohl bei den Sendern wie auch im Lager der Musikwirtschaft gab und gibt es bestimmt noch heute Betonköpfe, „Raketenforscher“, auf der einen wie auf der anderen Seite. Oft genug treffen sich aber auch gottseidank Menschen mit Talent und können in ihren jeweiligen Jobs dafür sorgen, dass es gemeinsam zu tollen Programmergebnissen kommt.

RADIOSZENE: Gibt es in den Funkhäusern zu starke Ressentiments gegenüber deutscher beziehungsweise deutschsprachiger Musik?

Heinz Canibol mit Slash
Heinz Canibol mit Slash

Heinz Canibol: Die Verkaufszahlen stehen bei manchen Sendern im Widerspruch zum Sendegeschehen. In der Tat traf ich im Lauf der Zeit immer mal wieder Experten auf der Radioseite, die es geradezu für gefährlich hielten, Songs in deutscher Sprache einzusetzen, „denn da hört man beim Autofahren ja wirklich zu – und fährt dann oft genug gegen einen Baum“! Aber entweder sind diese Kapazunder mittlerweile – wie auch ich – im beruflichen Ruhestand oder haben gelernt, dass es sowohl bei Popmusik in englischer Sprache wie auch in Deutsch gute und weniger gute Produktionen/Werke gibt. Generell könnte man sogar behaupten, dass die deutschen Kreativen enorm aufgeholt haben und sich die amerikanischen und englischen Musikschaffenden vielleicht ein wenig abgenutzt haben. Insofern wäre es heute geradezu geschäftsschädigend, deutsche Popmusik zu vernachlässigen, denn der Marktanteil der heimischen Produktionen wächst seit Jahren und spiegelt die Bedürfnisse der Konsumenten wieder.

RADIOSZENE: Vor drei Jahren sind Sie selbst zum Hörfunk gewechselt. Beim Internetradio Popstop sind Sie mit diversen eigenentwickelten Sendekonzepten aktiv. Wie lautet Ihr Zwischenfazit als Radiomacher?

Heinz Canibol: Tja – vor nun mehr als drei Jahren fragte mich ein guter Bekannter, ob ich nicht Lust hätte, beim neu zu gründenden internetradio Popstop, welches er und Frank Laufenberg aus der Taufe hoben, mitzumachen. Und tatsächlich hatte ich während meiner Zeit bei der Musikindustrie öfters damit geliebäugelt „Radio zu  machen“. Da das Sendekonzept keinerlei inhaltliche Begrenzungen und auch keine Ratschläge von irgendwelchen „Programmberatern“ vorsah, willigte ich spontan ein, kaufte mir das dafür nötige Minimalequipment und begann mit großer Motivation in meinem häuslichen Büro Sendungen zu konzipieren und Shows zu produzieren – und dieser Spaß hält nach nunmehr 300 produzierten und moderierten Sendungen immer noch an. Dieses neue Hobby erleichterte mir den Weg des Ausstiegs aus meinem Label in Hamburg in den beruflichen Ruhestand, indem ich mich so doch weiterhin (und sogar wieder intensiver) mit Musik sowie der Musikbranche beschäftige – ohne jede Entscheidung, wie in der Vergangenheit, auf ihren kommerziellen Wert abzuklopfen. Und wenn es dazu hin und wieder positives Feedback von den Hörern oder Senderkollegen gibt – umso toller!

RADIOSZENE: Welche persönliche Bilanz zieht Heinz Canibol nach rund 37 Jahren im „Haifischbecken“ der Musikindustrie?

Heinz Canibol: Ich war in einer privilegierten Rolle, was meine Zeit in der Musikbranche betraf und ich fühle mich wiederum privilegiert der Musik auch in der Rente frönen zu können. Neben meinen erstzunehmenden Aufgaben in Bezug auf meine Frau, unsere Hunde, Haus, Hof und Garten sowie als Gemeinderatsmitglied in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein.
Meine Zeit in der Musikwirtschaft und Firmen wie CBS bzw. Sony Music, MCA Entertainment, EMI Music und 105 Music war wirklich eine tolle Erfahrung – aber angesichts der sich aktuell verändernden Musikmarktregeln, bin ich froh, mir das Geschehen nun aus sicherer Entfernung – auf einem Zaun sitzend – ansehen zu können. Radio zu machen wie bei Popstop ist doch der reine Luxus und somit ein beachtlicher Anachronismus – herrlich! So kann es gerne weitergehen …