Es weht ein neuer Wind im MDR in der Leipziger Kantstraße. Zu spüren war er am Nachmittag des 2. November in der 13. Etage der medialen Schaltzentrale Mitteldeutschlands. Die neue Intendantin Karola Wille und ihre Führungsmannschaft hatten zum Pressegespräch geladen.
Eines der in dieser reichlichen Stunde meistgehörten Worte: Transparenz. Auch dieses Pressegespräch gleich am zweiten Arbeitstag sei ein Zeichen dafür, betonte Wille zunächst. In ihren darauffolgenden Ausführungen stellte die neue Chefin ihr Konzept für die Senderleitung vor. Dabei seien drei Herausforderungen besonders zu bewältigen.
Erstens: Das krisengeschüttelte Haus muss zur Ruhe kommen und eine glaubwürdige Stimme aus den neuen Bundesländern bleiben. Zweitens: Das Haus, seine Strukturen und Ressourcen müssten auf Herz und Nieren geprüft werden – weil man sich in der digitalen Welt auf einen Wettbewerb einstellen müsse, der „härter wird, als wir ihn bis zum heutigen Tage erleben.“ Drittens: Das Programm müsse zukunftsfähiger gemacht werden. Man wolle mehr die jüngeren Menschen ansprechen. Die publizistische Relevanz in der Gänze müsse wachsen.
Aus diesen Herausforderungen leitet Wille fünf Handlungsfelder für ihre Intendanz zunächst bis 2017 ab, denen sie einen Großteil ihrer Vorstellungszeit gewidmet hat.
Handlungsfeld Nummer eins: Unternehmenswerte und -kultur, Führungsverantwortung. Man müsse sich angesichts der KI.KA-Vorfälle und der Sache „Foht“ fragen, warum alle Mechanismen, die man nach dem Fall Mohren entwickelt hat, scheinbar nicht gegriffen haben. Wille sieht hier einen Zusammenhang zur Unternehmenskultur. Da wo sie besser, sei die Akzeptanz solcher Instrumente höher. Auch deshalb gehe es ihr besonders um eine neue gemeinsame Führungskultur.
Zweites Handlungsfeld der Intendantin: Programme und Telemedien. Dazu stellte Wille fest: „Wider aller Behauptungen: Der MDR ist nicht nur Schunkelhaus, sondern hat in zwanzig Jahren auch programmlich viel erreicht. Der MDR ist in Mitteldeutschland fest verwurzelt.“ Man habe 42 Prozent Stammseher. Das sei eine gute Ausgangsbasis für die digitale Welt. Man müsse allerdings sehen, dass neue Herausforderungen nicht warten. Man laufe in eine Zeit, wo „der Kampf um das Wohnzimmer begonnen hat“.
Der MDR habe eine entscheidende Verantwortung, um als unabhängiges Medium Faktor für Meinungsbildung zu sein. Auch in Mitteldeutschland brauche man mündige Bürger und müsse als Sender die Entwicklung in allen Lebensbereichen kritisch wiedergeben. Dazu gehöre auch Wertevermittlung. Der MDR müsse ein klares öffentlich-rechtliches Profil entwickeln. Man müsse sich abgrenzen von anderen Anbietern. Meint auch: bestimmte Dinge eben nicht zu tun. Der Gebührenzahler habe ein Recht auf Qualität. Regionalität solle zur Leitlinie werden. Auch die in den letzten zwanzig Jahren im Osten entstandene Modernität müsse im MDR gezeigt werden.
Weitere Frage sei für Wille die nach dem Generationenabriss. Man erreiche mit dem KI.KA bei den Kleinen zwar viel, danach aber lasse man das abreißen und gebe das durch den KI.KA gewonnene Publikum an die Privaten ab. Jüngere seien wichtig. Nur über die Onlinewelt erreiche man sie nicht. Man müsse verschiedene Wege gehen. Moderne Hörfunkwellen habe man schon, dort sei man bei den jungen Leuten. Man versuche es auch mit dem Fernsehen, müsse aber sehen, dass drei Viertel der Bevölkerung in Mitteldeutschland über 65 Jahre ist. Dennoch müsse man auch für die vielen Jungen Angebote machen. Man versuche jünger zu werden, mit dem Fernsehen allein sei das jedoch schwer. Eine Lösung sei auch im ARD-Verbund zu suchen – die Idee eines ARD-Jugendkanales sei neu zu diskutieren.
Explizit im Kinderbereich schielt Wille jedoch ins eigene Haus – in den Hörfunkbereich. Sie glaube, dass Kinder Radio hören. Man habe mit Figarino eine Idee für ein Kinderradio im Netz. Gerade mit dem Neustart des Digitalradios sollte man versuchen, ein Kinderradio für Mitteldeutschland aufzubauen. Man werde gucken wie das gehen kann – inhaltlich, konzeptionell, finanziell.
Handlungsfeld Nummer drei: Strukturen und Prozesse. Zauberwort hier: Trimedialität. Erste Arbeitsstrukturen seien in den Landesfunkhäusern aufgebaut. Am 1. November sei auch der „trimediale News-Desk“ im aktuellen Bereich gestartet worden. Hörfunk, Fernsehen, Online in einem Bereich – durch bessere Organisation könne man so auch Ressourcen besser nutzen.
Viertes Handlungsfeld: Finanzen. Hier sei eine transparente Bewertung der finanziellen Situation des Hauses nötig. Auch wisse man noch nicht, welche Folgen sich aus dem neuen Beitragsmodell einstellen – wo Sparen angesagt ist. Die Sparpolitik solle von einer inhaltlichen Schwerpunktsetzung begleitet werden – strategisch entscheiden, was man pflanzen und was man nicht mehr haben kann. Weiter wolle man auch andere Ertragsmöglichkeiten erschließen. Ganz wichtig für den MDR laut Intendantin: Neuordnung des Finanzausgleiches innerhalb der ARD.
Fünftes und letztes Handlungsfeld: MDR und ARD. Grundsätzlich stellte dazu die Anstaltschefin fest: MDR und ARD gehören zusammen. Sie wolle versuchen, die Lebenswirklichkeiten im Osten in der ARD wiederzuspiegeln. Die Federführung im KI.KA möchte sie behalten, dazu gehöre aber bessere Qualität und mehr Sorgfalt.
Die fünf Punkte der ersten 100 Tage: 1. Angelaufene Aufklärung mit Entschiedenheit fortführen. 2. Führungsmannschaft aufstellen, gemeinsam „in ein Tor zu schießen“. Mit den Gremien stärker zusammenarbeiten. Auch hier: Transparenz zeigen. 3. Unternehmenswerte, Führungskultur, strategische Zukunftsdiskussion. 4. Erste Strukturveränderungen. Zum Beispiel Aufbau einer zentralen Organisations- und Personalentwicklung in der Intendanz.
Nach der Vorstellung der Intendantin ging es in der Journalistenrunde unter anderem um die Frage „Aufklärung jetzt – Frau Wille, warum haben Sie nicht früher gehandelt?“. Die heutige Senderchefin dazu: „Wenn die juristische Direktion Dinge auf den Tisch bekommen hat, dann hat sie gehandelt.“
Schließlich ging es in einer Reporterfrage auch um die Perspektiven für den Sender. Die Antwort im Bereich Hörfunk überließ Wille dessen Direktor. Zu den Fortschritten und Plänen vor allem in seiner Jugendabteilung ließ Johann Michael Möller dabei wissen: „Wir entwickeln gerade mit Jump ein Format, das noch stärker das Heimatgebiet im Blick hat, das noch stärker regionale Bedeutung bekommen soll, das aber vor allem auch die Zielgruppen, die den ersten Schritt in ein reiferes Alter machen, aber natürlich immer noch zu den jungen zählen, erreichen soll. Und: Wir haben mit Sputnik in den letzten Monaten den Schritt noch einmal in die trimediale Programmphilosophie vorgenommen. Sie werden da sicher von einigen spannenden neuen Formaten überrascht werden, die sie dann im Netz, zum Teil on Air und vielleicht eines Tages sogar in den beiden noch nicht versorgten Ländern Sachsen und Thüringen hören werden.“
Was genau er damit meinte, war Möller zwar auch im Zwiegespräch nach der Pressekonferenz nicht zu entlocken. Dennoch war das an diesem sonnigen Nachmittag in der MDR-Zentrale fast schon egal. Die neue Führungsmannschaft um Karola Wille hatte eine neue Senderpolitik versprochen – und einen Hauch davon gucken lassen. Allein das lässt für die Anstalt hoffen – ein spätes und unerwartetes Geburtstagsgeschenk für den MDR.
Linktipp
MDR Chefredakteur Stefan Raue interviewt MDR-Intendantin Karola Wille