Sie sind deutlich weniger geworden, die Shows, in denen am Abend noch interessante Musik bei Massen-attraktiven Sendern von wirklichen Fachleuten präsentiert wird. Klar gibt es weiter die öffentlichen-rechtlichen Programmflächen „Soundcheck“ (NDR 2), „Spätschicht“ (BREMEN VIER) oder „Popshop“ (SWR 3) – die Dichte früherer Jahre hat sich aber merklich ausdünnt. Der Abend hat als moderiertes Musikforum vor allem bei den Privatsendern an Bedeutung verloren.
Ein großes Herz für Veröffentlichungen – auch abseits der vom Mainstream zertrampelten Musikpfade – zeigt dagegen BAYERN 3 mit seiner Sendung „Matuschke – Der etwas andere Abend“. Hier stellt Moderator Matthias Matuschik neue Musik vor, die mit viel Herzblut und Sachverstand gemeinsam mit seinem Musikredakteur Wolfgang Kerber ausgesucht wurde. Dabei erinnert „Matuschke“ (so sein Spitzname) bisweilen an Jürgen von der Lippe, der dem Publikum Künstler mit der besonderen Note so emotional und eindrücklich nahebrachte, dass Musikempfehlungen in seinen TV-Shows damals sichere Verkaufserfolge auslösten.
Matthias Matuschik begann seine Rundfunk-Karriere 1989 beim Privatsender Radio Ramasuri. Zwischen 1994 und 1998 war er Moderator bei SWF3, bevor er erstmals zu BAYERN 3 wechselte. Nach einiger Zeit als Moderator der Morgensendung beim Ulmer Privatradio Donau 3 FM ist er seit 2007 wieder bei ARD-Hörfunkwellen zu hören. In 2008 kehrte wieder zu BAYERN 3 zurück.
Für den Deutschen Radiopreis 2011, der am 8. September 2011 in Hamburg stattfand, war Matuschik in der Kategorie „Bester Moderator“ nominiert.
RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich sprach mit Matthias Matuschik über Musik im Radio und seine Abendsendung bei BAYERN 3.
„Die ‚großen‘ Persönlichkeiten kommen nicht abhanden, weil Radiosender immer Namensopfer sein werden“
RADIOSZENE: Herr Matuschik, über welche Wege sind Sie damals zum Radio gekommen?
Matthias Matuschik: Ich gelte wohl als Seiteneinsteiger. Nach Bauzeichner-Lehre und vier Jahren Bundeswehr habe ich doch tatsächlich erst ein Volontariat begonnen, um mir das Handwerk draufzuschaffen.
RADIOSZENE: Gab es einen Mentor, der Sie besonders gefördert hat?
Matthias Matuschik: Wenn, dann war es mein Vater. Der hat immer gesagt, mit Deinem Mundwerk solltest Du Geld verdienen.
RADIOSZENE: Welche Musik und welche Radiosender haben Sie in früher Jugend geprägt?
Matthias Matuschik: Ich bin mit SWF3-Lollipop und BAYERN 3 herangewachsen. Prägende Musik waren aufgrund meiner Heimatstadt Weiden in der Oberpfalz und der Nähe zum US-Truppenübungsplatz Grafenwöhr Soul, Funk und Rap.
RADIOSZENE: Bei BAYERN 3 sind Sie mit Ihrer Sendung „Matuschke – der etwas andere Abend“ so etwas wie die oberste Instanz für Musikempfehlungen, die sich oft von der Musik im Tagesprogramm abheben. Nach welchen Kriterien suchen Sie die Musiktitel Ihrer Show aus? Bauchgefühl oder lassen Sie sich auch von aktuellen Trends leiten?
Matthias Matuschik: In erster Linie entscheidet das Bauchgefühl. Bei mir geht Höreindruck vor Hype.
RADIOSZENE: Schielen Sie bei der Auswahl gelegentlich auch auf Bestenlisten oder das Geschehen im Streaming Markt?
Matthias Matuschik: Klicks und Likes sind eigentlich kein Kriterium für Qualität. Allerdings habe ich selbstverständlich ein Auge auf Spotify, Shazam, TikTok und Co.
RADIOSZENE: Der Musikmarkt hat sich mit der Digitalisierung verändert. Heute dominiert im Popbereich eher ein Track-basiertes Geschäftsmodell, ein großer Teil der Topseller verschwindet nach einmaligem Erfolg oft wieder rasch von der Bildfläche. Kommen uns damit in der Popmusik die großen Persönlichkeiten abhanden, die in früheren Jahrzehnten den Markt geprägt haben?
Matthias Matuschik: Die „großen“ Persönlichkeiten kommen nicht abhanden, weil Radiosender immer Namensopfer sein werden. Früher wurde jeder Furz von Phil Collins und Joe Cocker auf Rotation gesetzt, heute sind es andere.
RADIOSZENE: Durch die veränderten Bedingungen ist so viel Musik wie noch nie verfügbar. Hat sich damit einhergehend auch die Qualität der Musik gesteigert? Früher gab es eine „Filterung“ durch die Labels. Ist es vielleicht gut so, dass diese heute nicht mehr so gegeben ist?
Matthias Matuschik: Von einer ,Filterung‘ der Labels habe ich noch nie etwas gemerkt. Wohl aber vom ,Nachahmen‘ eventueller Trends. Das ist heute noch viel übler als damals. Wer zum Beispiel keine Billie Eilish-ähnlichen Künstler im Katalog hat, glaubt etwas vom Kuchen zu verlieren. Das hat teilweise abstruse Auswirkungen.
RADIOSZENE: Welche Rolle spielte bei der Musikauswahl der Show Ihr kongenialer Musikredakteur Wolfgang Kerber?
Matthias Matuschik: Wir schubsten die Show seit 1998 mit fünf Jahren Unterbrechung bis heute. Er wusste, was ich mag und was nicht. Allerdings haben wir uns in letzter Zeit, ähnlich wie weiland bei den Beatles oder in einer langjährigen Ehe, inhaltlich etwas auseinandergelebt. Deswegen gehen wir seit September 2020 redaktionell getrennte Wege.
RADIOSZENE: Gibt es Trends und Musiker auf deren baldige Erfolge Sie wetten würden?
Matthias Matuschik: Ich wette grundsätzlich nicht, kann mir aber gut vorstellen, dass so unbedarft verrückte Künstlerinnen und Künstler wie Curtis Waters oder Remi Wolf uns noch viel Spaß bereiten werden.
„Die ersten Macher, die sich trauen, auch tagsüber musikalisch ihren eigenen Weg zu gehen, hätten über kurz oder lang die Lacher auf ihrer Seite!“
RADIOSZENE: Wie bewerten Sie das derzeitige Angebot der deutschen beziehungsweise bayerischen Musikszene?
Matthias Matuschik: Großartig. Wenn es uns jetzt wirtschaftlich noch ein bisschen schlechter geht, wird da weiterhin viel Glorreiches kommen☺
RADIOSZENE: Sind Hörfunksendung wie „Matuschke“, in denen meinungsstark neue Musik vorgestellt wird, auch die passende Antwort auf die heute immer populärer werdenden Streamingdienste?
Matthias Matuschik: Ja, ja und nochmal ja. Klar kann sich auch jede und jeder einfach anonym etwas Neues vorschlagen lassen, aber wissen die dann, dass da nicht ganz andere Interessen als nur ihr Geschmack dahintersteckt?
RADIOSZENE: Muss sich das Radio als solches nicht wieder mehr auf seine frühere Stärke als Top-Medium bei der Musikkompetenz erinnern? Bei vielen Sendern scheint dieses Attribut mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten. Oder fehlt es hier inzwischen an personeller Kompetenz?
Matthias Matuschik: Ja, müsste es. Doch dazu ist es eigentlich beinahe zu spät. Formatierung, Titeltests und das ständige Beobachten beziehungsweise Nachahmen der Konkurrenz haben nicht unbedingt die Kreativität, das Bauchgefühl, die Spontaneität und den Geschmack der zukünftig bestimmenden Musikredakteure gefördert.
RADIOSZENE: Wie sehr hat sich das Radio von heute seit Ihren Anfängen verändert? Was macht der Hörfunk heute besser? Was vermissen Sie?
Matthias Matuschik: Das Digitale hat schon seine Vorteile in Bezug auf die Produktion. Geil, was heute alles mal so eben ganz schnell geht. Ich vermisse aber den Mut, einfach mal zu sagen, „die neue Mark Forster klingt wie die Münchner Freiheit, deswegen spielen wir stattdessen einen noch unbekannten Künstler, dessen Song einfach frischer, besser, toller klingt. Egal, was die Mitbewerber spielen“. Aber im Ernst: Ich verstehe sehr wohl, dass ein Format wie „Matuschke“ im Tagesprogramm vielleicht etwas untergeht und doch bin ich der Meinung, die ersten Macher, die sich trauen, auch tagsüber musikalisch ihren eigenen Weg zu gehen, hätten über kurz oder lang die Lacher auf ihrer Seite!
RADIOSZENE: Vervollständigen Sie abschließend den Satz: „Das Radio wird auch zum 100. Geburtstag noch einen wichtigen Stellenwert in der Lebenswelt der Hörer haben, weil …“
Matthias Matuschik: … es eine persönliche Ansprache gibt.