Arnd Zeigler ist wahrlich ein privilegierter Mann. Musik und Fußball – dies waren von Beginn an die Leitplanken im Werdegang des gebürtigen Bremers. Heute darf er sich beruflich mit diesen hoch emotionalen Hobbys ausleben – ausgestattet mit einem gerüttelten Maß an persönlicher Gestaltungsfreiheit und frei von zermürbenden Formatfesseln.
In seiner wöchentlichen Musikshow „Zeiglers wunderbare Welt des Pop“ auf Bremen Zwei blickt er konsequent über den Tellerrand des Mainstream, sucht nach besonderen Perlen. Und erinnert an hörenswerte Künstler, die im unendlich gewordenen Musikkosmos in Vergessenheit geraten sind, im Radio ohnehin. Ein Kult-Format, das in der heutigen Hörfunklandschaft rar geworden ist.
Seit August 2007 moderiert Zeigler die WDR-Sendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“, die am Sonntagabend der Bundesligaspieltage ausgestrahlt wird. Dort arbeitet er das aktuelle Fußballgeschehen auf oder präsentiert Themen aus dem Archiv, die zum Teil satirisch aufbereitet werden. Nicht immer so politisch-korrekt wie etwa die Hochglanzbeiträge aus der „ZDF-Sportreportage“. Dafür authentisch, ausgefallen, meinungsstark – und vor allem Fan-nah.
Ein kleines Meisterwerk lieferte der Journalist mit der Reihe „Zeigler alleine Zuhaus“ während der durch die Corona-Pandemie erzwungenen Spielpause. Eine launige Retrospektive früherer Bundesligazeiten mit Erinnerungen an ehemalige Starkicker, skurrile Meisterschaften, Abstiege, Skandale, Unfassbares. Ein Generations-übergreifendes Leckerli für Fußball-Liebhaber – eigentlich (fast) sehenswerter als die nun wieder beginnenden Geisterspiele in der Liga.
Im Interview mit RADIOSZENE-Mitarbeiter Michael Schmich spricht Arnd Zeigler über seine Hörfunksendung und seinen Blick auf die derzeitige Lage im Radio.
„Entdecken musste ich mich selbst“
RADIOSZENE: Herr Zeigler, Sie sind seit über 30 Jahre im Radio aktiv. Können Sie sich noch an Ihre erste Sendung erinnern? Wer hat Sie für das Radio entdeckt?
Arnd Zeigler: Um das vorwegzunehmen: Entdecken musste ich mich selbst. Ich wollte seit meiner Kindheit zum Radio. Das war immer „mein“ Medium, weitaus mehr als das Fernsehen. Ich habe mir Drähte an meine UKW-Antenne gebastelt und die heimlich auf dem Dach meines Elternhauses ausgebreitet, um auszutesten, ob ich damit AFN Bremerhaven und WDR 2 bei uns in Bremen besser empfangen kann. Das ging übrigens ganz gut. Meine allererste Radiosendung war an meinem 17. Geburtstag auf NDR 2, in der damals legendären Reihe „Einmal Moderator sein“. Bei Radio Bremen bin ich dann im Frühjahr 1988 gelandet. Erst als Reporter, aber immer mit dem dringenden Wunsch, Musiksendungen moderieren zu dürfen. Es gab dann ein paar kleinere Testsendungen die ganz gut liefen, und dann wurde an einem Wochenende im Mai 1989 der einzige Kollege in der Redaktion krank, der moderieren durfte und ein bisschen Ahnung von Fußball hatte.
Plötzlich hatte die Samstagnachmittag-Sportsendung keinen Moderator mehr. Und dann hat mich Bremen Vier ins kalte Wasser geschubst. Was ich bis heute großartig finde: Es war der 26. Mai 1989, und damit genau der Tag, dem später in dem Roman „Fever Pitch“ von Nick Hornby ein literarisches Denkmal gesetzt wurde, weil an jenem Tag der FC Arsenal durch einen sensationellen 2:0-Sieg in Liverpool in allerletzter Sekunde noch englischer Meister wurde. Sie mussten 2:0 gewinnen, gewannen 2:0 durch ein Tor kurz vor dem Schlusspfiff, sonst wäre Liverpool Meister gewesen. Und das Spiel habe ich in meiner Sendung drin gehabt. Ich liebe Nick Hornby aus vielen Gründen, und mir gefällt dieser schicksalshafte Termin meiner ersten Sendung sehr gut.
RADIOSZENE: Welche Musik und Sender haben Sie vor Ihrer Hörfunkzeit geprägt?
Arnd Zeigler: Zunächst mal hatte mein großer Bruder Ingo den ersten Radiorecorder in unserer Familie, und etwa zu Zeiten meiner Einschulung war zum Beispiel „Life On Mars“ von David Bowie ein Song, den ich geliebt habe, und das tue ich bis heute. Damals hat man als Popliebhaber im Bremer Raum den „Club“ auf NDR 2 gehört, „Hitline International“ auf Radio Bremen Hansawelle oder Sendungen mit Tommy Vance und Richard Astbury auf BFBS.
Ich selbst war schon immer ein Kind der Popmusik und bin es bis heute. Meine erste Lieblingsband war das Electric Light Orchestra, und ich mochte schon damals gute Songs, gute Refrains, gute Hooks. Bei NDR waren Peter Urban und der leider jung verstorbene Reinhold Kujawa meine Lieblingsmoderatoren.
In Bremen war Christian Günther ein perfektes Vorbild. Der hatte eine eigene Musiksendung und war Stadionsprecher bei Werder Bremen. Beides wollte ich auch mal schaffen, und heute habe ich eine eigene Musiksendung und bin Stadionsprecher bei Werder Bremen. Christian Günther war ein echtes Idol. Es hat mir sehr viel bedeutet, dass ich ihn bei Radio Bremen noch gut kennenlernen durfte. Tolle Stimme, toller Musikgeschmack, toller Mensch. Er hat in meiner Anfangszeit bei Bremen Vier samstags seine Sendung „Lost & Found“ moderiert, direkt nach meiner Vormittagssendung. Wir haben uns dann immer festgequatscht und mich hat sehr geprägt, dass selbst er als damaliger, absoluter Radio-Star zu ausnahmslos jeder Kollegin und jedem Kollegen freundlich und respektvoll war.
„Früher war Pop Wegwerfmusik, trivial, nicht ernstzunehmen. Inzwischen ist Pop eine eigene Kulturform, die in den Massenprogrammen kaum noch stattfindet“
RADIOSZENE: Über lange Jahre waren Sie mit Ihrer Sendung „Zeiglers wunderbare Welt des Pop“ bei Bremen Vier zu hören. Mit dem jüngst erfolgten Programmrelaunch sind Sie Anfang März nun zu Bremen Zwei gewechselt. Welches sind die Gründe für diesen Umzug?
Arnd Zeigler: Stimmt, die Sendung lief mehr als 12 Jahre auf Bremen Vier. Und da ich in dieser Redaktion insgesamt kaum fassbare 32 Jahre ein fester Teil war, hat der Abschied wirklich wehgetan. Ich hätte mir das so nicht ausgesucht, aber bin letztlich zu meinem Glück gezwungen worden. Ich bin einer der vielen Radiomenschen, die einfach irgendwann aus dem Jugendfunk rausgewachsen sind. Bei Bremen Zwei bin ich nun Teil eines Programms, mit dem ich mich sehr identifizieren kann. Auch gerade mit dem musikalischen Umfeld. Das ist alles sehr angenehm geschmackssicher. Mit Bremen Vier hatte ich am Ende inhaltlich keine wirklichen Berührungspunkte mehr. Im Zuge dieses Wechsels ist mir auch erst richtig bewusst geworden, dass Popmusik heute einen anderen Stellenwert in der Radiolandschaft hat als früher.
Früher war Pop Wegwerfmusik, trivial, nicht ernstzunehmen. Inzwischen ist Pop eine eigene Kulturform, die in den Massenprogrammen kaum noch stattfindet. Beim Wechsel zu Bremen Zwei bin ich im Grunde genau dieser Entwicklung gefolgt. Der Charakter der Sendung hat sich durch die Halbierung der Sendezeit von vier auf zwei Stunden geändert. Früher habe ich zackig angefangen und bin dann in Richtung Mitternacht immer etwas ruhiger geworden, ehe die Sendung dann gerne mal mit langen Instrumentals aus Filmen oder auch mal zerbrechlichem Songwriter-Pop dem Ende entgegenging, das bei mir immer aus „Good Night“ von den Beatles besteht. Jetzt muss ich das alles etwas komprimieren und siebe sehr lange und sehr mühevoll aus, bis ich Songs habe, die in zwei Stunden hineinpassen. Da streiche ich endlos lange dann Musik raus, die zwar toll, aber gerade nicht so passend ist. Die Sendung ist also kürzer, kommt mir selbst aber musikalisch viel „dichter“ vor.
RADIOSZENE: Mit Ihrer Sendung wurden Sie als Spezialist für Musik „abseits des Mainstream“ bekannt. Nach welchen eigenen Vorgaben gestalten Sie die Sendungen?
Arnd Zeigler: Als ich 2007 mit der Sendung begann, hat es mich zunächst beinahe erschlagen, keinerlei Vorgaben zu haben. Ich saß vor vier leeren DINA4-Blättern und hatte vier Stunden zu füllen. Egal womit, nur gefallen musste es mir. Am Anfang habe ich zu spüren bekommen, dass ich durch jahrelanges Formatradio ziemlich verhunzt war. Ich habe immer überlegt, ob nach zwei unbekannteren Songs jetzt nicht mal dringend ein Hit kommen müsste, ob ich genügend Altes und Neues gemixt habe, ob oft genug Frauenstimmen zu hören sind. Das habe ich dann nach und nach abgeschüttelt und Musik zusammengestellt, die einfach nur einen Flow haben sollte. Egal ob alt oder neu, bekannt oder obskur, naheliegend oder nicht.
Ich bemühe mich beim Zusammenstellen sehr darum, dass das grundsätzlich so „openminded“ wie möglich passiert. Ich spiele auch Sachen, die uncool sind, solange ich sie mag. Oder Easy Listening, wenn mir danach ist. Sehr gerne Musik, die irgendwie retro-futuristisch klingt, oder eben einfach guten Pop, so wie er heute kaum noch hergestellt wird, weil er in den meisten Radioprogrammen kaum noch stattfindet. Vieles, was ich spiele, entdecke ich im Internet, und sehr häufig sind Songs dabei, die noch nie im Radio liefen. Durch die Facebook-Gruppe der Sendung hat sich außerdem ein unglaublich tolles Netzwerk aus Menschen zusammengefunden, denen Musik genauso viel bedeutet wie mir. Auch da tauscht man sich aus und erweitert seinen Horizont.
„Ich spiele auch Sachen, die uncool sind, solange ich sie mag“
RADIOSZENE: An welche Hörerschichten adressieren Sie die Musikauswahl?
Arnd Zeigler: Das kann ich gar nicht so genau definieren. Es ist schon eher „Pop für Erwachsene“, um mal den Claim sehr geschätzter KollegInnen aus dem Berliner Raum abzuwandeln. Im Grunde ist es für alle Menschen, die mit Popmusik sozialisiert wurden, und die wie ich an sich selbst feststellen, dass sie das Radio heute kaum noch lauter drehen, wenn sie eine der vermeintlichen Pop-Stationen hören, weil das alles zu austauschbar und seelenlos geworden ist.
RADIOSZENE: Das Internet hat die Musikwelt doch sehr stark verändert. In wie weit schlagen sich diese Umwälzungen auch bei der Gestaltung Ihrer Sendungen nieder?
Arnd Zeigler: Schon sehr. Früher musste man sich seine musikalischen Anregungen aus dem Radio oder aus Musikzeitschriften holen. Oder man ist in einen Plattenladen gegangen und hat sich dort LPs auflegen lassen, in diesen legendären Abhörkabinen, die es in meiner Kindheit noch gab. Im „Musikhaus Warncke“ in Bremen gab es geschultes Fachpersonal, die einem die Platten aufgelegt haben. Die hatten wenig Auswahl bei Pop- und Rockschallplatten, konnten aber alles bestellen, was sie dafür immer aus einem unvorstellbar dicken Katalog heraussuchen mussten, und man konnte außer Platten dort auch ein Akkordeon oder eine Maultrommel kaufen. In meinen Anfangsjahren als Popfan bin ich naiv davon ausgegangen, dass man durch ein gutes Album grundsätzlich reich und berühmt wird. Heute funktioniert Pop anders. Plattformen wie Bandcamp sind voll von wunderbaren, bemerkenswert talentierten Bands und Künstlern, die niemals ein größeres Publikum erreichen werden. Es gibt wahre Großmeister und Magier der Popmusik, die in Deutschland weder im Radio laufen, noch viel Musik verkaufen und dann davon leben können. Das ist sehr traurig. Auf der anderen Seite ist es heute viel einfacher, sich Zugang zu Musik zu verschaffen und neue Sachen zu entdecken. Früher gab es weniger und die Großen waren größer. Heute gibt es mehr Musik und dadurch aber auch mehr Elend. Es hat alles immer mehrere Seiten.
RADIOSZENE: Durch die veränderten Bedingungen ist so viel Musik wie noch nie verfügbar. Hat sich damit einhergehend auch die Qualität der Musik gesteigert? Früher gab es eine „Filterung“ durch die Labels. Ist es vielleicht gut so, dass diese Kanalisierung heute nicht mehr so gegeben ist?
Arnd Zeigler: Siehe vorige Antwort! Ich liebe es, bei Bandcamp einen Interpreten zu entdecken, von dem ich noch nie zuvor gehört hatte und dann staunend festzustellen, dass der schon 12 oder 15 Alben aufgenommen hat, ohne dass ich es je bemerkt hätte. Die Qualität hat sich nicht gesteigert. Man muss heute akribischer zwischen musikalischem Plastikmüll nach den Perlen tauchen, aber es gibt auch mehr davon. Viele der von mir gespielten Interpreten wären früher niemals irgendwo aufgefallen, weil sie vielleicht einfach nur keinen Plattenvertrag bekommen hätten. Manchmal spiele ich allerdings auch Songs, von denen ich sicher bin, dass sie in der Radiowelt der Siebziger das Zeug zum Welthit gehabt hätten. Die Floskel, die unausgesprochen über einem guten Teil meiner ausgewählten Songs schwebt, ist: „Sowas wird heute normalerweise gar nicht mehr hergestellt!“
„Ich empfinde einen Großteil der aktuell kommerziell erfolgreichen Musik und dadurch dann leider automatisch auch die entsprechenden Sender, die die üblichen größten Superhits von heute und das Beste aus den Achtzigern und Neunzigern spielen, als seelenlos, zynisch und öde“
RADIOSZENE: Markenkerne in Ihren Sendungen sind Moderationen mit viel Hintergrundwissen und Empfehlungen vom Musikmarkt mit dem gewissen Etwas. Über welche Orientierungshilfen informieren Sie sich über die Szene? Die Musik in Ihren Sendungen ist ja durchaus sehr breit gefächert …
Arnd Zeigler: Ich lese sehr gerne englische Musikzeitschriften: Q, Mojo, Record Collector, in Deutschland den Rolling Stone und den Musikexpress, aber das meiste finde ich im Internet. Das Tolle an Musik ist ja: Öffnet sich eine Tür zu neuer, ungekannter Musik, dann findest Du dahinter oft ein halbes Dutzend weitere Türen. Meine Sendung hat Stammhörer in den USA, in ganz Europa, die während der Show auf Facebook kommentieren. Wahrscheinlich habe ich in meiner Nische nicht exorbitant viele HörerInnen, aber es ist ein wundervoller Kreis von MusikliebhaberInnen, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Viele meiner HörerInnen erstellen eigene Bestenlisten oder haben selbst Kontakt zu Musikern, die dann wiederum andere Leute kennen, deren Musik mir empfohlen wird. Es ist manchmal wie ein sehr sympathischer, schrulliger Zirkel aus Musik-Schöngeistern, die alle dieselbe geheime Leidenschaft für den perfekten Popsong miteinander teilen.
RADIOSZENE: Ihre zweite große Leidenschaft ist der Fußball, die Sie unter anderem in Ihrer TV-Sendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ ausleben. Wie viel Fußball fließt in Ihre Radioshows ein?
Arnd Zeigler: Eigentlich passiert das gar nicht. Das sind zwei unabhängig voneinander existierende Leidenschaften, die aber miteinander sehr gut kompatibel sind. Als ich bei Bremen Vier sendete, war das immer dienstags und parallel zu meiner Sendung liefen oft Fußballspiele. Die habe ich dann je nach Wichtigkeit in meine Moderationen einfließen lassen, aber bei Bremen Zwei am späten Donnerstagabend geht es nur um die Musik. Ohne viele Jingles dazwischen, ohne Party-Hinweistrailer – einfach nur Popmusik. Mit einem großen „P“.
RADIOSZENE: Wie sehen Sie überhaupt die grundsätzliche Entwicklung von Musik im Radio?
Arnd Zeigler: Kulturpessimistisch. Ein Wort, das ich früher nie verwendet hätte. Ich habe kürzlich mal auf einer fünfstündigen Autofahrt aus Spaß den jeweils am besten empfangbaren Popsender gehört. Es war ein Sonntag, und ich bin nacheinander gleich in mehrere Chartsendungen hineingeraten. Ich muss gestehen, dass das beinahe für einen depressiven Schub gesorgt hätte. Und spätestens nach drei Stunden war mir gelegentlich danach, das Radio anzuschreien. Ölige, abgelesene Moderationen, bescheuerte Servicerubriken, hirnlose Claims. Form statt Inhalt. Und selbst die Form nervte kolossal.
Ich empfinde einen Großteil der aktuell kommerziell erfolgreichen Musik und dadurch dann leider automatisch auch die entsprechenden Sender, die die üblichen größten Superhits von heute und das Beste aus den Achtzigern und Neunzigern spielen, als seelenlos, zynisch und öde. Wenn man solch einen Selbstversuch macht, hat man am Ende des Tages sehr schlechte Laune und dazu das Gefühl, die deutschen Top 100 bestünden nur noch aus vier verbliebenen Musikrichtungen: aus Billig-R’n‘B, aus schlecht gemachtem HipHop und aus weinerlichen Songwritern, die klingen sollen wie Ed Sheeran, aber zur brüchigen Stimme unbedingt auch einen folkloristischen Akzent verwenden, der eine Art Credibility vortäuschen soll. Das ist wie damals, als kurzzeitig überall Sängerinnen hochploppten, die alle klingen sollten wie Amy Winehouse für Arme. Dazu kommen dann natürlich noch die deutschen Fließbandproduktionen, die auch alle irgendwie gleich klingen, weil es deren Machern nicht mehr um gute Musik, sondern nur noch darum geht, was sich gerade gut verkaufen lässt.
„Heute sehe ich oft nur noch Zynismus, Austauschbarkeit und Kleinmut bei denen, die Programm verantworten“
RADIOSZENE: Was bedeutet Radio für Sie?
Arnd Zeigler: Radio ist für mich das Sinnlichste aller Medien. Es kann bodenständiger und gehaltvoller als Fernsehen sein, es ist entspannter und im Idealfall detailverliebter als andere Medien. Für mich ist das eine hochsentimentale Angelegenheit. Ich bin fasziniert von dem, was in den Sechzigern und Siebzigern in der Radiolandschaft passiert ist: Piratensender, intelligente, geschmackssichere und witzige DJs, die mehr Gespür für gute Songs hatten als alle anderen lebenden Menschen, eine klare Haltung, ständige Innovationen, mutige Programmchefs, die Visionen hatten und Programm, in denen man nie genau wusste, was als nächstes passiert. Heute sehe ich oft nur noch Zynismus, Austauschbarkeit und Kleinmut bei denen, die Programm verantworten. Das hat oft mehr den Anschein des puren Abwickelns eines Produktes, das irgendwie wie Radio klingen soll, aber keinen Wert mehr auf Charme, Persönlichkeit und Ideen legt. Viele aktuelle Programme hätte man vor 20 Jahren als düstere, bizarre Radioprogrammparodie empfunden. Ich habe bei vielen Programmen heute das Gefühl, dass die Hörer nicht mehr wirklich ernstgenommen werden. Das finde ich sehr schade und halte es für einen großen Fehler, weil ich sehr sicher bin, dass man mit gut gemachtem, intelligenten und liebevoll gemachtem Radio mit Seele heute sehr viele offene Türen einrennen würde.