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Standards sind langweilig, aber es gibt sie nicht ohne Grund

James Cridland's Radio FutureWenn man durch Länder wie Frankreich, Italien oder die USA fährt und UKW-Sender mit RDS-Signal einschaltet, wird man feststellen, dass manche Sender versuchen, die gerade laufenden Titel in die 8 Zeichen lange Anzeige einzubinden, die normalerweise den Sendernamen anzeigen soll. Wenn man das eine Weile lang beobachtet, sieht man, wie der Songtitel oder – in besonders schlimmen Fällen – auch Werbung langsam vorbeiscrollt.
RDS ist so konstruiert, dass die Anzeige alle zwei Sekunden scrollt, also vollzieht sich das ganze ziemlich langsam, und ein schwaches Signal kann dazu führen, dass manche Daten falsch aufgeschnappt werden (was zu ziemlich seltsamen Anzeigen führt).

Das ist vor allem dann lästig, wenn man versucht, einen Sender auf Stationstaste zu speichern. Oft wird dann das gespeichert, was gerade angezeigt wurde. So kann es vorkommen, dass man den Eindruck bekommt, als höre man den Sender „PIZZA“ oder „RWAY TO HE“.

In Zeiten, in denen alles nach „User Experience“ schreit, hört sich das nicht gerade prickelnd an. Ist es auch nicht. Deswegen sind solche Scroll-Anzeigen in manchen Ländern schlicht und einfach verboten, zum Beispiel in Großbritannien. Aber mehr noch: Es ist in den RDS-Systemvorgaben gar nicht mal vorgesehen. Denn dort warnt man: „PS [Programme Service] dient nur zur Identifikation des Sendedienstes und darf nicht für andere turnusmäßig angezeigte Mitteilungen verwendet werden“.

Die gerade laufende Digitalisierung hat daran scheinbar überhaupt nichts geändert.

Wenn man in Dänemark DAB-Radio hört und ein wenig herumzappt, stellt man etwas Seltsames fest: Bauer hat den Namen all seiner Radiostationen ein „_“-Zeichen vorangestellt, damit Sender wie „_Radio Soft“, „_myROCK“ oder „_Radio 100“ gleich alle zusammen am Schluss der Liste, unter allen anderen Sendern erscheinen.

Damit sollen die Bauer-Sender offenbar zusammengehalten werden. Der Hörer wird es im Alltag so erfahren, dass „myROCK“ unter dem Konkurrenzsender „Rockkanalen“ angezeigt wird, wodurch eine Sendersuche in alphabetischer Reihenfolge de facto unmöglich gemacht wird. So macht man es dem Digitalradiohörer alles andere als leicht. Zugegeben, es ist kein grober Verstoß, denn die DAB-Vorgaben besagen lediglich, dass die Anzeige „den Namen des Rundfunkdienstes“ angeben soll. Aber trotzdem: Wo kämen wir hin, wenn das alle machen würden? Und was kümmert es den Hörer, wem ein Sender gehört?

DAB+ in Australien weist ähnliche Eigenheiten auf: In Brisband zum Beispiel (kommt auf ’nen Kaffee vorbei, wenn ihr in der Gegend seid) wird man auf DAB einen Sender namens „1116 4BC“ finden, und einen weiteren mit Namen „4BC1116 News Talk“. Beide Sender sind identisch, aber die Sendereigner spammen offensichtlich jedes DAB-Empfangsgerät, nur um zweimal mit demselben Sender gelistet zu werden.

Auch hier ist dies nach den DAB-Vorgaben ohne weiteres möglich: man kann mehr als einen Eintrag haben, der auf den gleichen Unterkanal verweist. Aber ist das wirklich die feine englische Art? Wenn jeder zwei unterschiedliche Namen für denselben Sender auf dem Multiplex eingibt, wo würde das hinführen?

Auch im Internet gibt es eine Reihe von Standardvorgaben, die kaum befolgt werden. Wenn man einen Podcast bei iTunes erfasst, wird man aufgefordert, den Namen und den Autor des Podcasts einzugeben. Natürlich schreiben manche Leute irgendwelchen Blödsinn in das „Autor“-Feld, damit sie in den Suchmaschinen besser abschneiden. Dieser Nonsens ist Apple dermaßen auf die Nerven gegangen, dass sie manche Podcasts inzwischen aus ihren Listings werfen, wenn diese einfach nur Schlagwörter spammen. Apple legt Wert auf eine gute User-Erfahrung, manche Podcast-Anbieter anscheinend weniger. Nur gut, dass Apple dann irgendwann mit der Faust auf den Tisch haut: genug ist genug.

Ich weiß, das ganze ist ziemlich trockener Stoff, aber manchmal sollten wir uns darüber klar werden, dass es Standards und Benimmregeln gibt. Und zwar nicht ohne Grund.

Möchtest du mit dem, was du tust, dein Publikum unterhalten? Oder nur irritieren? Wenn Letzteres, bist du vielleicht in der falschen Branche.


James Cridland
James Cridland

Der Radio-Futurologe James Cridland spricht auf Radio-Kongressen über die Zukunft des Radios, schreibt regelmäßig für Fachmagazine und berät eine Vielzahl von Radiosendern immer mit dem Ziel, dass Radio auch in Zukunft noch relevant bleibt. Er betreibt den Medieninformationsdienst media.info und hilft bei der Organisation der jährlichen Next Radio conference in Großbritannien. Er veröffentlicht auch podnews.net mit Kurznews aus der Podcast-Welt. Sein wöchentlicher Newsletter (in Englisch) beinhaltet wertvolle Links, News und Meinungen für Radiomacher und kann hier kostenlos bestellt werden: james.crid.land.

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